TE Bvwg Beschluss 2020/6/29 L517 2165886-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L517 2165886-2/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. STEININGER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom XXXX , OB: XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom XXXX , OB: XXXX , gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 idgF, aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl Nr 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

12.06.2019- Antrag der beschwerdeführenden Partei (in Folge "bP" genannt) auf die Ausstellung eines Ausweises gemäß §29b StVO und gleichzeitig auf die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass beim Sozialministeriumservice XXXX - SMS, Landesstelle XXXX (in Folge belangte Behörde bzw "bB" genannt)

27.09.2019-Erstellung eines neurologischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens; GdB 70 vH; Dauerzustand, Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

11.10.2019-Parteiengehör

30.10.2019-Stellungnahme der bP

XXXX -Stellungnahme des medizinischen Sachverständigen

XXXX -Bescheid der bB; Abweisung des Antrags vom 12.06.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung"

04.12.2019-Beschwerde der bP

12.12.2019-Beschwerdevorlage am BVwG

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.0. Feststellungen (Sachverhalt):

Die bP besitzt die XXXX Staatsbürgerschaft und ist an der im Akt ersichtlichen XXXX Adresse wohnhaft.

Die bP war seit 29.11.2016 im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70 vH. Der Behindertenpass war mit 31.10.2019 befristet. Seit 06.06.2018 waren die Zusatzeintragungen: "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial" und "Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen" in den Behindertenpass eingetragen. Die bP war bis 31.10.2019 im Besitz eines Parkausweises für Behinderte.

Am 12.06.2019 stellte die bP den verfahrensgegenständlichen Antrag auf die Ausstellung eines Ausweises gemäß §29b StVO und gleichzeitig auf die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass bei der bB.

In der Folge wurde am 27.09.2019 im Auftrag der bB nach der Einschätzungsverordnung ein neurologisches und allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten erstellt. Es wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 vH und die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Das Gutachten weist folgenden relevanten Inhalt auf:

" ...

Anamnese:

Vorgutachten Dr. XXXX vom 05.04.2018, GdB 70%

Derzeitige Beschwerden:

Die bP kommt zur Nachuntersuchung. Unverändert zum Vorgutachten beklagt sie Schmerzen im Vorfußbereich beidseits, zusätzlich auch Kopfschmerzen, vorrangig bei Wetterwechsel. Unverändert zum Vorgutachten beklagt sie eine eingeschränkte Merkfähigkeit sowie Konzentrationsfähigkeit. Sie könne die Anforderung, die sie früher gewohnt war, nicht mehr füllen. Aktuell arbeitet sie 20 Stunden pro Woche in der Küche. Sie wäre gewillt mehr zu arbeiten, ist dazu allerdings nicht in der Lage. Psychisch gehe es ihr oftmals nicht gut. Sie leidet unter ihrer Situation und sei weinerlich.

Behandlung(en)/Medikamente/Hilfsmittel:

Ibuprofen 600 mg, ratioDolor bei Bedarf

Tragen von orthopädischem Schuhwerk

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Vorgutachten Dr. XXXX vom 05.04.2018, GdB 70%

Befundbericht Dr. XXXX , FÄ für Psychiatrie vom 02.04.2019:

Diagnosen:

-Depressives Syndrom

-Z.n. Polytraume mit SHT durch Sturz von einer Brücke

-OPS nach SHT

-Schmerzsyndrom

Weiteres Procedere:

Die Möglichkeit einer antidepressiven Therapie wird besprochen. Vorerst möchte die bP den Therapieeffekt von Griffonia und einer Psychotherapie abwarten. Zur Inanspruchnahme einer Psychotherapie wird der bP geraten. Entsprechende Kontaktadressen werden ausgehändigt. Eine bedarfsweise Wiedervorstellung ist vereinbart

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Gut

Ernährungszustand:

Adipös

Größe: 175,00 cm Gewicht: 111, 00 kg Blutdruck: nicht gemessen

Klinischer Status-Fachstatus:

Vigilanz und Sprache:

Patient wach und allseits orientiert. Unauffällige Spontansprache.

Caput: HWS aktiv und passiv frei beweglich, kein Meningismus, kein Druckschmerz im Bereich der Nervenaustrittspunkte des Nervus trigeminus.

Hirnnerven:

Nervus olfactorius: Geruch anamnestisch o.B.

Nervus opticus: Gesichtsfeldprüfung unauffällig, Visus o.B.,

Nervus oculomotorius, Nervus trochlearis und Nervus abducens: unauffällige Optomotorik, keine Ptose, keine horizontale oder vertikale Blicklähmung, kein Nystagmus.

Auge in Primärposition. Pupillen bds. mittelweit, isokor und rund. Prompte , direkte und indirekte Lichtreaktion, erhaltene Konvergenzreaktion.

Nervus trigeminus: Sensibilität im Gesicht o.B , Kornealreflex nicht geprüft, gut auslösbarer Masseterreflex.

Nervus facialis: kein Facialisdefizit mimisch oder willkürlich

Nervus vestibulocochlearis: Gehör subjektiv seitengleich, kein Nystagmus.

Nervus glossopharyngeus, Nervus vagus: Seitengleiches Heben des Gaumensegels, Würgreflex auslösbar. Phonation o.B., keine Heiserkeit in der Stimme bemerkbar. Kehlkopf hebt und senkt sich regelrecht.

Nervus accessorius: beidseits kräftige Muskulatur ohne Atrophie

Nervus hypoglossus: Zunge wird gerade herausgestreckt. Zungenmotilität o.B., keine Faszikulationen.

Obere Extremität:

Trophik o.B. ,Tonus normal, grobe Kraft o.B.

Kein Absinken im Armvorhalteversuch, keine Pronationstendenz.

Muskeleigenreflexe beidseits mittellebhaft symmetrisch auslösbar (Bizepssehnenreflex, Radiusperiostreflex, Trizepssehnenreflex).

Knips beidseits negativ.

Untere Extremitäten:

Narbe im Bereich der linken Kniescheibe. Narben im Bereich beider Vorfüße. Eingesunkenes Fußgewölbe beidseits, Zehen- und Fersenstand eingeschränkt kurzfristig möglich.

Sensibilität:

Sensibilität in allen Qualitäten unauffällig.

Gesamtmobilität-Gangbild:

Breitbasiges Gangbild ohne Verwendung von Hilfsmitteln. Zehen- und Fersenstand beidseits mit Anhalten möglich. Romberg unauffällig. Posturale Stabilität erhalten. Schrittlänge normal.

Status Psychicus:

Wach und allseits orientiert, Stimmungslage gedrückt, Affizierbarkeit eher im negativen Skalenbereich, keine inhaltliche Denkstörung, keine formale Denkstörung, keine suizidalen Gedanken.

Konzentrations- und Gedächtnisprobleme.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1.Posttraumatische Belastungsstörung, Depression, mittelgradiges Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma 4/2015

Unverändert zum Vorgutachten bestehen Konzentrationseinbußen, weiters affektive Symptome im Rahmen einer Depression. In Summe besteht eine doch eingeschränkte Belastbarkeit. In Summe weitgehend unverändert zum Vorgutachten. Pos.Nr. 03.05.05 Gdb% 60

2. Chronisches Schmerzsyndrom bei Z.n. Schädel- Basis-Fraktur, Schmerzhaftigkeit und funktionelle Beeinträchtigung im rechten Knöchel nach Vorfussfraktur; Störung durch die verbliebene abgebrochene Schraube

Unverändert zum Vorgutachten bestehen Schmerzen nach dem Unfall mit Bedarfsmedikation und wiederholter Physiotherapie bzw. Kraniosakraltherapie. Sie verwendet unverändert orthopädisches Schuhwerk. Pos.Nr.02.02.02 Gdb% 40 vH.

Gesamtgrad der Behinderung 70 vH

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden unter Nr.1 wird durch Leiden Nr.2 um 1 Stufe erhöht, sodass sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 70% ergibt.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Keine

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

keine gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Keine Änderung des Gesamtgrades der Behinderung. Punkt 3 des VGA wird dem Punkt 2 zugeordnet.

[X] Dauerzustand

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

Die /Der Untersuchte ist Trägerin oder Träger von Osteosynthesematerial

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel- Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Unverändert zum Vorgutachten können von der Antragstellerin kurze Wegstrecken von 400 m bewältigt werde. Sie kann in öffentliche Verkehrsmittel sicher ein-und aussteigen. Es besteht die ausreichende Möglichkeit zur Selbstabsicherung. Ebenfalls besteht eine ausreichende Standfestigkeit. In Bezug auf ihr organisches Psychosyndrom besteht auch eine ausreichende Orientierung im öffentlichen Raum.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel- Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Es liegt keine Erkrankung des Immunsystems vor.

..."

Das soeben wiedergegebene Sachverständigengutachten vom 27.09.2019 bezieht sich mehrere Male auf ein allgemeinmedizinisches Vorgutachten mit Untersuchung am 05.04.2018, erstellt am 17.04.2018. Dieses lautet auszugsweise:

"Obere Extremitäten: frei beweglich, Nackengriff beidseits möglich, Schürzengriff beidseits möglich, Faustschluss beidseits vollständig, grobe Kraft beidseits unauffällig, Trophik seitengleich, keine Muskelatrophie feststellbar, grobneurologisch unauffällig, Ellenbogen unauffällig, Handgelenk unauffällig

Untere Extremitäten: Narben im Bereich der linken Kniescheibe bland , Beweglichkeit endlagig eingeschränkt , Vollbelasten möglich, Narben im Bereich der Vorfüße beidseits bland , Narben im Bereich der Oberschenkelaußenseiten bland, Marknagelmaterial wurde bereits entfernt , noch Osteosynthesematerial im Bereich der Vorfüße beidseits in situ, Zehenballenstand beidseits durch Anhalten eher mühsam möglich schmerzbedingt eingeschränkt , Abrollbewegung eingeschränkt durchführbar, trägt orthopädische Schuhe, auffallend ein Einsinken des Fußgewölbe beidseits und noch leichte Schwellung im Knöchelbereich beidseits vorliegend, Trophik seitengleich, keine Muskelatrophie feststellbar, grobe Kraft seitengleich unauffällig , Beinlänge beidseits gleich , Hüftbeweglichkeit beidseits uneingeschränkt , kein Stauchungsschmerz, Kniegelenke beidseits uneingeschränkt beweglich, keine Ödeme, Durchblutung und Sensibilität beidseits unauffällig

Gesamtmobilität-Gangbild

Aufstehen aus sitzender und liegender Position ohne Fremdhilfe möglich. Gangbild: etwas breitbasig, ohne technische Hilfsmittel sicher, Zehen- und Fersenstand mit Anhalten beidseits eher mühsam möglich

Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel-Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Kurze Wegstrecken können problemlos überwunden werden. Ein und Aussteigen erfolgt ohne Behinderung, sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist möglich.

Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel -Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Eine schwere Erkrankung des Immunsystems liegt nicht vor."

Es gibt noch ein weiteres allgemeinmedizinisches Vorgutachten mit Untersuchung am 08.05.2018, erstellt am 16.05.2018. Dieses Gutachten wurde zeitlich nach dem Vorgutachten vom 17.04.2018 erstellt. Es wurde im Sachverständigengutachten vom 27.09.2019 nicht berücksichtigt und lautet auszugsweise:

"Derzeitige Beschwerden:

Das Osteosynthesematerial aus dem Oberschenkel wurde entfernt, aus dem Vorfuß nur teilweise (eine Schraube ist drinnen geblieben, weil abgebrochen) der rechte Vorfuß, da wo die Schraube noch drinnen ist, tut weh; sie bekommt große Schmerzen beim Gehen, weshalb sie nur 300 m zurücklegen kann, dann muss sie sitzen. Die Kieferplatten tun auch weh, der Schmerz strahlt in den Hinterkopf aus; die Platten sollten entfernt werden, einen OP-Termin hat sie noch nicht. Sie ist bei der Nahrungsaufnahme eingeschränkt, kann nur weiche Sachen essen. Sie ist vergesslich, kann sich nicht konzentrieren, hat Schwierigkeiten mit der Sprache

Untersuchungsbefund:

WS: FBA 30 cm; kein DS, kein KS, keine Myogelosen; Beweglichkeit im Normbereich

OE: Gelenke frei beweglich, FS bds. komplett, grobe Kraft seitengleich erhalten; Feinmotorik nicht gestört

UE: beide Hüften endlagig eingeschränkt, Knie schmerzhaft, 110-0-0 bds.; SPG li im Normbereich ; SPG re Flex. 20, Retrov 10, schmerzhaft; keine Ödeme, keine sichtbaren Varizen

Gesamtmobilität-Gangbild:

Gang ausreichend sicher, ohne Hilfsmittel, Gang plump, keine Abrollbewegung, Fersen-und Zehenballengang kann nicht gezeigt werden; trägt orthopädische Schuhe; das Aufstehen ohne fremde Hilfe

[X] Nachuntersuchung 10/2019-weil Verlaufskontrolle , eine Besserung ist nicht ausgeschlossen

Gutachterliche Stellungnahme:

Der Gang ist plump, keine Abrollbewegung; es werden orthopädische Schuhe getragen; es bestehen funktionelle Einschränkungen der unteren Extremitäten. Die Schmerzen in den Beinen treten nach ca 200 m ein. Die Gehleistung ist eingeschränkt, sicher auch durch die psychische Komponente (psychomotorische Verlangsamung, Vergesslichkeit, Stresslabilität) und durch ein chronisches Schmerzsyndrom. Sie kann mE eine Strecke von 200-300 m ohne Pause zurücklegen; es werden dabei keine Hilfsmittel wie Gehstock o.ä. verwendet; übliche Niveauunterschiede können bewältigt werden; das Anhalten und somit der sichere Transport sind gewährleistet"

Eine Notiz der bB vom 17.05.2018 bezieht sich auf das soeben wiedergegebene Gutachten:

"Laut aktuellem Gutachten Dr. XXXX kann eine Wegstrecke von 200-300 m ohne Pause nur mit Einschränkungen bewältigt werden. Weiters wurde angeführt, dass Schmerzen bereits nach 200 m auftreten. Im Hinblick auf die Kriterien zur Gewährung der Unzumutbarkeit, wonach auch der Gesamtleidenszustand betrachtet werden muss, wird in diesem Fall unter Einbeziehung der doch auch erheblichen psychischen Komponente (Schwindel, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche, Erschöpfungszustände,...) die Zusatzeintragung bis zur vorgesehenen Nachuntersuchung befürwortet."

Auf Basis dieser Ansicht der bB wurde der bP ein bis 31.10.2019 befristeter Parkausweis für Behinderte ausgestellt.

Im gegenständlichen Verfahren wurde am 11.10.2019 Parteiengehör gewährt und der bP durch die bB die Möglichkeit gegeben zum Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere zum Sachverständigengutachten vom 27.09.2019 Stellung zu nehmen.

In der Folge gab die bP mit Datum vom 30.10.2019 folgende Stellungnahme ab:

Mit der prozentuellen Einstufung sei die bP einverstanden, aber bezüglich der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel" möchte sie Beschwerde einlegen. Ihre Beschwerden in den Füßen seien leider gleich geblieben. Vor allem nach der Arbeit habe sie Probleme, noch zu Fuß zum Auto zu kommen, da die Schmerzen so groß seien. Und hierbei spreche sie von einem Fußweg von etwa 200 Metern! Hinzu komme, dass sie dann auch nicht mehr stabil stehen könne und sie fühle große Unsicherheit im Stand. Einkaufsfahrten nach der Arbeit zum Besorgen von Lebensmitteln ect. seien dann auch nicht mehr möglich, da die Schmerzen so groß seien. Dies müsse sie an ihren freien Tagen erledigen, wenn dies möglich sei. Denn die Beschwerden würden auch unabhängig von der Arbeit auftreten und Füße, Kopf und Kiefer seien davon betroffen. Schließlich müsse sie zu Schmerzmitteln greifen. Grundsätzlich habe sie aufgrund ihrer schweren Fußverletzungen Einschränkungen beim Abrollen des Fußes, was ihr Gehen und Stehen anstrengend und schwierig mache. Auch der abgebrochene Nagel im rechten Vorderfuß bereite ihr immer wieder Schmerzen in Form von Stechen und verstärke die bereits vorhandenen Schmerzen. In ihrer Arbeit werde sehr wohl auf ihre Einschränkung Rücksicht genommen und ihr werde eine Stehhilfe zur Verfügung gestellt. Dennoch gehe sie stets mit Schmerzen aus der Arbeit und könne teils ihre Füße beim Gehen nicht mehr heben. In dieser Verfassung zum Zug oder Bus zu gehen und dann die Fahrtzeit möglicherweise im Stehen zu bewältigen, sei ein Ding der Unmöglichkeit. Dazu komme noch, dass die bP außerdem oft an Kopfschmerzen leide und diese durch den Aufenthalt unter vielen Menschen und Lärm massiv verstärkt würden. Anbei sei ein aktueller Facharztbrief, in dem ihre Beschwerden in den Füßen und dem linken Knie angeführt seien. Daher ersuche die bP um eine neuerliche fachärztliche Untersuchung bzgl. der Zusatzeintragung.

Mit der Stellungnahme wurde ein Ambulanzprotokoll der Abteilung für Unfallchirurgie des Klinikum XXXX vom 25.10.2019 vorgelegt.

"Die bP kommt zu einer Kontrolle. Sie arbeitet derzeit 20 Stunden, gibt aber nach längerer Belastung noch Beschwerden an im Sinne von starker Müdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit auch bei längerem Stehen und Gehen hat sie noch Beschwerden derzeit insbes. in den Sprunggelenken. Die Narben sind sämtlich trocken und bland, die Beweglichkeit in den Hüften annähernd frei, das rechte Kniegelenk endlagig eingeschränkt, links besteht eine Einschränkung der Beugung auf etwa 100 °. Mäßige Druckdolenz im Bereich der Sprunggelenke , die Beweglichkeit endlagig eingeschränkt , Durchblutung und Sensibilität o.B. Insgesamt hat die bP eine doch relativ deutliche Einschränkung ihrer Belastbarkeit. Sie benötigt auch noch orthopädisches Schuhwerk aufgrund der massiven Fußverletzungen."

Am XXXX gab der medizinischen Sachverständige, der das Gutachten vom 27.09.2019 erstellte folgende Stellungnahme ab: Die von der bP angegebenen Schmerzen seien glaubhaft, allerdings sei trotz der Schmerzen eine Wegstrecke von 400 Meter möglich, die sie ohne Einlegen einer Pause oder Verwendung von Hilfsmitteln zurücklegen könne. Sie verwende orthopädisches Schuhwerk, das eine zusätzliche Sicherheit in Bezug auf das Stehen und den Stand biete. Eine vermehrte Sturzgefahr sei nicht vorhanden. Die Beweglichkeit der Sprunggelenke sei in ausreichendem Ausmaß vorhanden. Von psychischer Seite würden bei fehlenden relevanten Angst- oder Panikzuständen keine Einschränkungen in Bezug auf die Verwendung ÖVM bestehen. Weiters zeige sich eine ausreichende Orientierung im öffentlichen Raum.

Am gleichen Tag, dem XXXX erging der Bescheid der bB. Es wurde der Antrag vom 12.06.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen. Rechtsgrundlage waren die §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG). Begründend wurde ausgeführt: Im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden. Nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Gemäß §45 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetztes 1991 (AVG) sei der bP mit Schreiben vom 11.10.2019 Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Aufgrund der Stellungnahme der bP vom 30.10.2019 sei das medizinische Beweisverfahren nochmals eröffnet worden. Die ergänzende Stellungnahme des Gutachters vom XXXX werde in der Beilage übermittelt. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.

Mit Schreiben vom 04.12.2019 erhob die bP Beschwerde: Wie bereits in ihrer Stellungnahme vom 30.10.2019 angeführt, hätten sich die Beschwerden der bP seit dem letzten Antrag nicht gebessert und seien gleich geblieben. Neben den bestehenden Schmerzen in beiden Füßen, vor allem nach längerem Stehen, werde ihre Unsicherheit beim Stehen und Gehen groß. Sie habe bereits angeführt, dass dann auch kürzere Wegstrecken Probleme bereiten würden. Sie müsse Dr. XXXX widersprechen, denn aufgrund dieser Beschwerden müsse sie beim Gehen sehr aufpassen, damit sie nicht stürze. Schmerz und Taubheitsgefühle in den Füßen würden ihr oft bei jedem Meter Probleme machen. Die bP hätte lieber zwei gesunde Beine, als sich mit Anträgen bei der bB zu beschäftigen. Mit den Schmerzen müsse sie sicherlich noch leben lernen, dennoch ersuche sie die bB als zuständige Behörde, sie bei ihrem Weg zurück ins Leben zu unterstützen und ihren Alltag dort zu erleichtern, wo es in ihren Möglichkeiten stehe. Der Parkausweis habe ihr bisher oft sehr geholfen -sei es nach der Arbeit, beim Einkaufen oder einfach in der Freizeit. Denn ohne entsprechenden Ausweis hätte die bP Parkplätze in Kauf nehmen müssen, die für sie dann kaum mehr erreichbar wären bzw. die entsprechenden Wegstrecken zu lange seien. Sie spüre ihre Einschränkung täglich, müsse stets überlegen, wann sie wie lange gehen und stehen könne und wenn nun noch dazu komme, dass sie bei diesen Überlegungen den Weg vom und zum Auto mitbedenken müsse, werde ihr Alltags - und Berufsleben definitiv noch schwieriger. Die bB solle bitte weitere Informationen aus den bereits früher eingereichten Befunden entnehmen und sie ersuche eindringlichst um eine neue Begutachtung und Eischätzung ihrer Einschränkung, die sich seit dem letzten Antrag nicht geändert/gebessert habe.

Schließlich erfolgte am 12.12.2019 die Beschwerdevorlage am BVwG.

2.0. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.

2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (vgl. auch VwGH vom 01.03.2016, Ro 2014/11/0024; VwGH vom 27.05.2014, Ro 2014/11/0030; VwGH vom 17. Juni 2013, 2010/11/0021 mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, 2007/11/0142 und vom 23. Mai 2012, 2008/11/0128; vgl. auch VwGH vom 20.03.2001, 2000/11/0321).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77).

Ebenso kann die Partei ein Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, 2005/07/0108).

Bei Beurteilung der Frage, ob eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist, wäre vor allem auch zu prüfen gewesen, wie sich die bei der bP gegebene dauernde Gesundheitsschädigung auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, GZ 2001/11/0242).

Im gegenständlichen Verfahren sind der bB zwei Verfahrensfehler unterlaufen, die in weiterer Konsequenz dazu führten, dass der dem Gesundheitszustand der bP entsprechende relevante Sachverhalt nicht vollständig erhoben wurde.

Am XXXX erging der Bescheid der bB mit dem der Antrag vom 12.06.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen wurde. Diese Entscheidung stützte die bB unter anderem auf das neurologische und allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten vom 27.09.2019, nach welchem die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. Dieses Gutachten wurde der bP im Rahmen eines Parteiengehörs vom 11.10.2019 ordnungsgemäß mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt. Die bP gab in weiterer Folge am 30.10.2019 eine diesbezügliche Stellungahme ab. Am XXXX gab der medizinische Sachverständige, als Reaktion auf die Stellungnahme der bP eine ergänzende Stellungnahme ab. Diese Stellungnahme des medizinischen Sachverständigen, die erneut die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel feststellte, wurde der bP jedoch nicht im Rahmen eines Parteiengehörs übermittelt, sondern sogleich als weitere Entscheidungsgrundlage für den Bescheid der bB vom XXXX herangezogen. Erst mit Zustellung des Bescheids wurde der bP auch die gutachterliche ergänzende Stellungnahme übermittelt. Diese Vorgangsweise stellt eine Verletzung des Rechts auf Parteiengehör der bP dar, da ihr die Möglichkeit genommen wurde sich mit der gutachterlichen Stellungnahme auseinanderzusetzen, selbst dazu Stellung zu nehmen und ihre Sichtweise der bB darzulegen. Die bP konnte erst im Rahmen ihrer Beschwerde vom 04.12.2019 auf die ergänzende gutachterliche Stellungnahme reagieren.

Im neurologischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 27.09.2019, welches der bB wie bereits ausgeführt als Entscheidungsgrundlage für ihren Bescheid vom XXXX diente, wurde mehrmals auf ein allgemeinmedizinisches Vorgutachten mit Untersuchung am 05.04.2018, erstellt am 17.04.2018 Bezug genommen und angegeben, dass es keine gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zu diesem Vorgutachten gegeben habe. In diesem Vorgutachten wurde die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Es gibt jedoch noch ein weiteres allgemeinmedizinisches Vorgutachten mit Untersuchung am 08.05.2018, erstellt am 16.05.2018. Dieses Gutachten wurde zeitlich nach dem Vorgutachten vom 17.04.2018 erstellt und wurde im Sachverständigengutachten vom 27.09.2019 nicht berücksichtigt. Die Gutachterliche Stellungnahme lautet: "Der Gang ist plump, keine Abrollbewegung; es werden orthopädische Schuhe getragen; es bestehen funktionelle Einschränkungen der unteren Extremitäten. Die Schmerzen in den Beinen treten nach ca 200 m ein. Die Gehleistung ist eingeschränkt, sicher auch durch die psychische Komponente (psychomotorische Verlangsamung, Vergesslichkeit, Stresslabilität) und durch ein chronisches Schmerzsyndrom. Sie kann mE eine Strecke von 200-300 m ohne Pause zurücklegen; es werden dabei keine Hilfsmittel wie Gehstock o.ä. verwendet; übliche Niveauunterschiede können bewältigt werden; das Anhalten und somit der sichere Transport sind gewährleistet" Eine Notiz der bB vom 17.05.2018 bezieht sich auf diese gutachterliche Stellungnahme: "Laut aktuellem Gutachten Dr. XXXX kann eine Wegstrecke von 200-300 m ohne Pause nur mit Einschränkungen bewältigt werden. Weiters wurde angeführt, dass Schmerzen bereits nach 200 m auftreten. Im Hinblick auf die Kriterien zur Gewährung der Unzumutbarkeit, wonach auch der Gesamtleidenszustand betrachtet werden muss, wird in diesem Fall unter Einbeziehung der doch auch erheblichen psychischen Komponente (Schwindel, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche, Erschöpfungszustände,...) die Zusatzeintragung bis zur vorgesehenen Nachuntersuchung befürwortet." Auf Basis dieser Ansicht der bB wurde der bP ein bis 31.10.2019 befristeter Parkausweis für Behinderte ausgestellt. Dadurch, dass das Vorgutachten vom 16.05.2018 (Untersuchung am 08.05.2018) im neurologischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 27.09.2019 in keinster Weise berücksichtigt wurde ist die bB im gegenständlichen Verfahren von ihrer eigenen Rechtsansicht abgewichen und hat der bP die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und somit auch die erneute Ausstellung eines Parkausweises für Behinderte verwehrt. Laut den Aussagen der bP in ihrer Stellungnahme vom 30.10.2019 und in ihrer Beschwerde vom 04.12.2019 sind ihre Beschwerden seit der letzten Antragsstellung gleich geblieben und hätten sich nicht gebessert. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte die bB in ihrer verfahrensgegenständlichen Entscheidung auch das allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten vom 16.05.2018 (Untersuchung am 08.05.2018) berücksichtigen müssen und es wäre auf dieser Grundlage zu beurteilen gewesen, ob sich der Gesundheitszustand der bP seit der letzten Untersuchung derart verbessert hat, dass eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nun nicht mehr vorliegt. Da als Vergleichsgrundlage jedoch nur das Vorgutachten vom 17.04.2018 (Untersuchung am 05.04.2018) herangezogen wurde, welches nicht als Entscheidungsgrundlage für die letzte Ausstellung des Parkausweises diente hat die bB nach Ansicht des ho. Gerichts den entscheidungsrelevanten Sachverhalt mangelhaft und unvollständig erhoben.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl Nr 1/1930 idgF

- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl Nr 283/1990 idgF

- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl I Nr 10/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl I Nr 33/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl Nr 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; ...

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gemäß § 45 Abs 5 BBG entsendet die im § 10 Abs 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

In Anwendung des Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt 3.1 im Generellen und die in den Pkt 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.

3.3. Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung, dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.

Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

3.4 Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

§ 28 Abs 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor und ist der Bescheid nach § 28 Abs 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice, durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.

3.5. Gemäß § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs 2 VwGVG entfallen konnte.

3.6. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L517.2165886.2.00

Im RIS seit

18.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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