Index
97/01 Öffentliches AuftragswesenNorm
B-VG Art7 Abs1Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Abweisung eines – mit einem Antrag auf Ausnahme von der Akteneinsicht verbundenen – vergaberechtlichen Nachprüfungsantrags mangels Mitwirkung der antragstellenden Partei; Erforderlichkeit der Interessenabwägung zwischen dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und der Wahrung des Rechts auf Akteneinsicht und TransparenzRechtssatz
Mit §337 BVergG 2018 hat der Gesetzgeber im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die Voraussetzungen für die durch die Rsp umschriebene "Interessenabwägung zwischen näher genannten privaten und öffentlichen Interessen mit dem Interesse auf Akten[ein]sicht" näher konkretisiert. Auf dieser Grundlage ist es auf Grund entsprechend spezifizierten Vorbringens Aufgabe des Verwaltungsgerichtes zu beurteilen, ob Akten(-bestandteile) vertrauliche Informationen im Sinne von technischen oder handelsbezogenen Betriebsgeheimnissen enthalten, und ob, wenn dies der Fall ist, diese Unterlagen für die vom Verwaltungsgericht zu entscheidende Sache wesentlich sind. Ist auch dies zu bejahen, trifft das Verwaltungsgericht grundsätzlich die Pflicht zur Entscheidung, wie in der konkreten Konstellation Geheimhaltungsinteresse und Transparenzinteresse so in Einklang gebracht werden können, dass insgesamt ein faires Verfahren gewährleistet ist.
In diese Abwägungsentscheidung ist dabei etwa auch mit einzustellen, ob und inwieweit von einer Partei zum Schutz von technischen oder handelsbezogenen Betriebsgeheimnissen als vertraulich qualifizierte Unterlagen in dem Sinn besonders schutzwürdig sind, als die Partei auch besondere Vorkehrungen getroffen hat, um diese vertrauliche Information gegenüber Dritten geheim zu halten (vgl §26b UWG). Liegen in diesem Sinn besonders schutzwürdige Informationen vor, hat das Verwaltungsgericht zunächst alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die Entscheidungsgrundlagen so zu begrenzen, dass vorzuenthaltende Informationen zur Entscheidungsfindung nicht herangezogen werden müssen. Bleiben bestimmte besonders schützenswerte Informationen dennoch zur Entscheidungsfindung erforderlich, dann hat in derartigen "außergewöhnlichen Fällen" das Verwaltungsgericht den Zugang zu diesen Informationen im "unbedingt notwendigen Ausmaß" zu beschränken, wobei jedenfalls sichergestellt sein muss, dass das Verwaltungsgericht über alle entscheidungserheblichen Unterlagen vollumfänglich verfügt (vgl §26h UWG).
Das BVwG vermeint nun zunächst, dass sich die mit dem angefochtenen Erkenntnis entschiedene Sachverhaltskonstellation von jener "Grundvariante", wie sie bislang der Rsp des EuGH, des VfGH und des VwGH zugrunde gelegen sei, deswegen wesentlich unterscheide, weil es im vorliegenden Verfahren nicht um das Rechtsschutzbegehren einer anderen Partei als der, die die Geheimhaltung von Informationen vorbringt, sondern darum gehe, dass die beschwerdeführende Partei als Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren selbst die Konsequenz zu tragen hätte, dass ihr Antrag deswegen erfolglos bliebe, weil - wie von ihr beantragt - ihre Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nicht offen gelegt und daher auch in einer Entscheidung des BVwG nicht verwertet werden könnten, sofern die nicht geheimen Informationen die beantragte Entscheidung nicht zu tragen vermögen.
Dabei verkennt das BVwG, dass sich die beschwerdeführende Partei gegen die aus ihrer Sicht zu Unrecht erfolgte Entscheidung der erstbeteiligten Partei (als Auftraggeberin des Vergabeverfahrens) wendet, ihre Angebote auszuscheiden. Das Rechtsschutzbegehren der beschwerdeführenden Partei an das BVwG wendet sich also zunächst gegen den öffentlichen Auftraggeber, dem die Informationen, deren Vertraulichkeitsschutz im Verfahren vor dem BVwG strittig ist, aus dem Vergabeverfahren bekannt sind und dem gegenüber die beschwerdeführende Partei einen entsprechenden Vertraulichkeitsschutz auch nicht geltend macht. Den Vertraulichkeitsschutz macht die beschwerdeführende Partei gegenüber der zweitbeteiligten Partei geltend, deren vergabegesetzliche Rechte durch die Entscheidung des BVwG über die Anträge der beschwerdeführenden Partei betroffen sind und der insoweit Parteistellung im Nachprüfungsverfahren vor dem BVwG zukommt. Damit liegt auch hier jene Konstellation vor, in der das entscheidende Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund der Art6 und 8 EMRK den gebotenen Ausgleich zwischen Transparenzverpflichtung und Vertraulichkeitsschutz im gerichtlichen Verfahren herzustellen hat. Dabei ist gerade darauf Bedacht zu nehmen, dass das Rechtsschutzinteresse einer Partei in Mehrparteienverfahren nicht dadurch verweigert wird, weil dieses von vornherein von der Offenlegung vertraulicher Informationen abhängig gemacht wird. In außergewöhnlichen Fällen kann es daher auch erforderlich sein, einzelnen Parteien bestimmte Informationen vorzuenthalten.
Schon insoweit verkennt das BVwG die Bedeutung der nach §337 BVergG 2018 und §333 BVergG 2018 iVm §17 AVG zu treffenden, auf verfassungsrechtlich durch die Vorgaben der Art6 und 8 EMRK vorgezeichneten Interessenausgleich ausgerichteten Abwägungsentscheidung in einer, mit den Vorgaben des gleichheitsrechtlichen Willkürverbotes nicht zu vereinbarenden Weise.
Das BVwG hält es für entscheidend, ob die beschwerdeführende Partei ein Produkt angeboten hat, das über eine CE-Kennzeichnung verfügt. Es sieht sich aber außerstande, diese Frage in einem ordnungsgemäßen Verfahren zu entscheiden. So sei es dem BVwG schon nicht möglich, das Produkt zu bezeichnen, das von der beschwerdeführenden Partei angeboten worden sei, da dies nach den Ausführungen der beschwerdeführenden Partei wegen Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unzulässig sei. Daher wäre auch die Nennung der CE-Bescheinigung ein Verstoß gegen diese Geheimhaltungsverpflichtung. Das bedeute, dass die für die Beurteilung der Ausscheidensentscheidungen insbesondere entscheidungsrelevante Frage, ob das angebotene Produkt über die geforderte CE-Kennzeichnung verfügt, nicht mittels Zitierung der konkreten CE-Bescheinigung bzw mit der Darstellung des dabei durchgeführten Testverfahrens - auch nicht abstrakt - behandelt werden dürfe. Insbesondere dürfe auch nicht genannt werden, welche technischen Normen die Grundlage für die konkrete CE-Kennzeichnung darstellten. Es gehe also nicht um einzelne Aspekte des Prüfverfahrens - wie etwa konkrete Testausführungen -, die geheim bleiben sollen, sondern um alles, was zur Identifizierung des angebotenen Produktes für Mitbewerber führen könne.
Aus Sicht des BVwG sind keine Umstände erkennbar, die ein Überwiegen des Interesses auf Geheimhaltung der von der beschwerdeführenden Partei geltend gemachten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse rechtfertigten. Das Interesse an einem funktionierenden Wettbewerb vermöge das Interesse an einem fairen Verfahren nicht zu überwiegen, weshalb die Interessenabwägung die ausnahmsweise Geheimhaltung der angeführten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nicht begründen könne. Ein bestimmter, außergewöhnlicher Fall im Sinne der Rsp des VfGH liege schon deswegen nicht vor, weil es auf Grund des Umfanges der geheim zu haltenden Informationen nicht nur um bestimmte Informationen gehe.
Das BVwG sieht sich in der Folge aber nicht bestimmt, diese Auffassung in Bezug auf den Antrag auf Ausnahme von Unterlagen von der Akteneinsicht zu effektuieren. Vielmehr geht es davon aus, dass die beschwerdeführende Partei entscheiden müsse, mit welchen von ihr vorgelegten Unterlagen das Gericht die von ihr begehrte Entscheidung treffen solle. Würden entscheidungsrelevante Unterlagen, die ausschließlich aus dem Bereich der beschwerdeführenden Partei stammen, nicht vorgelegt oder werde beantragt, dass diese nicht umfänglich verwendet werden dürften, und bestehe keine Möglichkeit, deren Kenntnis zu substituieren, gehe eine nicht erfolgte Einschränkung des Vertraulichkeitsbegehrens für die Unterlagen sowie deren Nichtvorlage zulasten der beschwerdeführenden Partei als Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren.
Zu diesem Ergebnis führt das BVwG wesentlich auch die Annahme, dass es an den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf weitgehende Ausnahme der relevanten Informationen von der Akteneinsicht durch die zweitbeteiligte Partei in dem Sinn gebunden sei, dass es keine Informationen, die vom Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Ausnahme von der Akteneinsicht erfasst sind, der Akteneinsicht durch die zweitbeteiligte Partei zugänglich machen dürfe. Zu dieser Auffassung gelangt das BVwG, indem es den (weitreichenden) Antrag auf Ausnahme von der Akteneinsicht mit dem eigentlichen Rechtsschutzbegehren, dem Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidungen der erstbeteiligten Partei, dahingehend verknüpft, dass insgesamt ein Antrag "auf Nichtigerklärung bei gleichzeitiger Wahrung der geltend[...] gemachten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse" vorliege. Würde sich das BVwG über diesen Antrag hinwegsetzen und, um über den Antrag auf Nichtigerklärung entscheiden zu können, bestimmte, von der beschwerdeführenden Partei als vertraulich qualifizierte Informationen der Akteneinsicht zugänglich machen, müsste es "die kaufmännische Beurteilung vornehmen, dass [...] das Interesse am Rechtsschutz [das] Interesse auf Geheimhaltung in diesen Punkten überwiegt."
Mit dieser Auffassung verkennt das BVwG seine Entscheidungspflicht über das Rechtsschutzbegehren der beschwerdeführenden Partei. Indem es seine verfahrensleitende Zuständigkeit in Bezug auf das Begehren der beschwerdeführenden Partei auf Vertraulichkeit der vorgelegten Unterlagen nicht wahrnimmt und - ob durch Verfahrensanordnung und in der Folge mit der Entscheidung in der Hauptsache oder durch verfahrensleitenden Beschluss, womit diese Frage zum Gegenstand der Rechtmäßigkeitskontrolle wird - dieses Vertraulichkeitsbegehren in bestimmtem, im Rahmen der erforderlichen Abwägungsentscheidung ermittelten Umfang im Verfahren umsetzt, sondern seine Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren der beschwerdeführenden Partei davon abhängig macht, dass diese selbst auf Vertraulichkeitsschutz verzichtet, wenn sie eine Sachentscheidung über ihr eigentliches Rechtsschutzbegehren ermöglichen will, verweigert das BVwG der beschwerdeführenden Partei diese Sachentscheidung, indem es seine verfahrensleitende Zuständigkeit verweigert. Wie das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt wird, wenn das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit in gesetzwidriger Weise ablehnt, indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert, verletzt das BVwG im vorliegenden Fall die beschwerdeführende Partei in diesem Recht, weil es ihr Rechtsschutzbegehren auf Nichtigerklärung der bekämpften Entscheidungen ohne weitere inhaltliche Prüfung abweist, weil die beschwerdeführende Partei ihr Vertraulichkeitsbegehren nicht einschränkt.
Der VfGH übersieht nicht, dass das Vorgehen der beschwerdeführenden Partei erkennbar von der Intention getragen ist, eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit dafür zu erreichen, welche das Produkt der beschwerdeführenden Partei betreffenden Informationen der zweitbeteiligten Partei zugänglich gemacht werden. Dementsprechend fasst die beschwerdeführende Partei ihren Antrag auf Geheimhaltung vertraulicher Informationen gegenüber der zweitbeteiligten Partei denkbar weit und stellt es dem BVwG anheim, im Rahmen seiner Verfahrensleitung über die konkrete Schutzwürdigkeit einer bestimmten Information und gegebenenfalls deren Offenlegung auch gegenüber der zweitbeteiligten Partei zu entscheiden. Das BVwG führt dagegen, grundsätzlich zutreffend, die der beschwerdeführenden Partei obliegende Mitwirkungsverpflichtung im Verfahren ins Treffen, zieht aber aus der fehlenden Mitwirkung bei der Spezifizierung des Antrages auf Geheimnisschutz durch Ausnahme von der Akteneinsicht durch die beschwerdeführende Partei eine Konsequenz, die mit seiner Entscheidungspflicht über das Rechtsschutzbegehren der beschwerdeführenden Partei nicht vereinbar ist.
Kommt die beschwerdeführende Partei der sie gemäß §337 BVergG 2018 treffenden Verpflichtung zu spezifizieren, warum im konkreten Fall durch Offenlegung welcher konkreten Informationen gegenüber anderen Verfahrensparteien welche konkreten Nachteile drohen, nicht im Einzelnen schlüssig begründet nach, kann das Verwaltungsgericht ohne Weiteres davon ausgehen, dass das Rechtsschutzbegehren der beschwerdeführenden Partei auf Durchsetzung in einem Verfahren gerichtet ist, das nach Maßgabe der einschlägigen verfahrensleitenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes Transparenz als wesentlichen Bestandteil eines fairen Verfahrens einschließt. Unterlässt also ein Antragsteller vor dem BVwG die konkrete und schlüssige Darlegung, welche genau zu bezeichnenden Informationen aus welchem Grund derart schutzwürdig sind, dass im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung der außergewöhnliche Fall vorliegt, dass sein Recht auf Geheimhaltung das der anderen Verfahrenspartei auf Transparenz im Verfahren überwiegt, kann das Verwaltungsgericht ohne Weiteres, insbesondere ohne nähere Auseinandersetzung damit, ob die Voraussetzungen für eine solche außergewöhnliche Konstellation tatsächlich vorliegen, davon ausgehen, dass die Unterlagen, mögen sie auch vertrauliche Informationen enthalten, einer Abwägung mit den Interessen eines fairen Verfahrens zugänglich sind und für den Fall, dass sie für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wesentlich sind, damit auch verfahrensöffentlich gemacht werden können. Dabei steht dem Verwaltungsgericht - ohne dazu verpflichtet zu sein - auch die Möglichkeit offen, diese Frage zum Gegenstand einer selbstständig im Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bekämpfbaren Entscheidung zu machen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Vergabewesen, Verwaltungsgerichtsverfahren, fair trial, Parteiengehör, Mitwirkungspflicht der Parteien, Privat- und Familienleben, WettbewerbsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E706.2020Zuletzt aktualisiert am
25.08.2021