TE Bvwg Beschluss 2020/2/19 W224 2223250-1

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Veröffentlicht am 19.02.2020
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Entscheidungsdatum

19.02.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FLAG §6
StudFG §30
StudFG §4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W224 2223250-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Martina WEINHANDL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Eugenio GUALTIERI, Rechtsberatung der ÖH WU, Welthandelsplatz 1, Gebäude SC, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Senats der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien vom 21.05.2019, Dok. Nr. 436454301:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG iVm. §§ 4, 30 StudFG und § 6 FLAG zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Senat der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine ungarische Staatsangehörige, stellte am 14.12.2018 bei der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien einen Antrag auf Gewährung von Studienbeihilfe für das Studium "Finanzwirtschaft und Rechnungswesen" (Master) an der Wirtschaftsuniversität Wien.

2. Mit Bescheid der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien vom 18.01.2019, Dok. Nr. 431863701, wurde der Antrag abgewiesen und begründend ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft verfüge und auch nicht die Gleichstellungsvoraussetzungen gemäß § 4 StudFG erfülle.

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit E-Mail vom 30.01.2019 fristgerecht Vorstellung. In einem ergänzenden E-Mail vom 02.02.2019 führte die - nunmehr vertretene - Beschwerdeführerin aus, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden habe, dass die Absolvierung eines Bachelorstudiums in Österreich den Gleichstellungstatbestand des § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG erfülle.

4. Mit Bescheid des Senats der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde) vom 21.05.2019, Dok. Nr. 436454301, wurde der Vorstellung keine Folge gegeben und der Antrag auf Gewährung von Studienbeihilfe erneut abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin in Österreich zwar ein Bachelorstudium abgeschlossen und sich anschließend für das Masterstudium "Finanzwirtschaft und Rechnungswesen" inskribiert habe, sie jedoch in Österreich nur zwei Jahre und vier Monate (mit Unterbrechung von zwei Monaten) durchgehend gemeldet gewesen sei und nunmehr seit 11.09.2018 wieder in Österreich gemeldet sei. Während des letzten Semesters ihres Bachelorstudiums habe sie keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich gehabt. Sie sei insgesamt nur etwa zwei Wochen in Österreich (geringfügig) beschäftigt gewesen. Da sich die Beschwerdeführerin nicht fünf Jahre ununterbrochen in Österreich aufgehalten habe, habe sie kein Recht auf Daueraufenthalt nach der EU-RL 2004/38. Da die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Aufnahme ihres Studiums in Österreich keiner Beschäftigung nachgegangen sei, fehle auch der wesentliche Bestandteil für eine Subsumption unter den Begriff des "Wanderarbeitnehmers". Sie habe keine österreichische Schule besucht und keine österreichische Matura; ihre Eltern würden in Ungarn leben und arbeiten. In der erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts würden - neben dem abgeschlossenen Bachelorstudium - mehrere Sachverhaltselemente vorliegen, durch die eine Integration in das Bildungs- bzw. Gesellschaftssystem begründet würden (zB. fast fünfjähriger Aufenthalt, wiederholte Berufstätigkeit). Es sei daher nicht davon auszugehen, dass alle Studierenden, die EU-Bürger seien und ein Bachelorstudium in Österreich abgeschlossen hätten, automatisch in das Bildungs- bzw. Gesellschaftssystem integriert seien. Der Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liege, sei im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Die Gleichstellungsvoraussetzungen seien nicht erfüllt.

5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Vertreter fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, die belangte Behörde habe sich nur unzureichend mit den Kriterien des Gleichbehandlungstatbestandes des § 4 StudFG auseinandergesetzt. Die Beschwerdeführerin halte sich seit September 2015 rechtmäßig in Österreich auf. Im Juli und August 2016 sei sie in Ungarn auf Urlaub gewesen, zwischen 04.01.2018 und 04.05.2018 habe sie ein Auslandssemester in Frankreich absolviert, während dem sie zweimal nach Wien geflogen sei, um zwei Prüfungen abzulegen. Im Anschluss an das Auslandssemester habe sich die Beschwerdeführerin bis 07.09.2018 in Ungarn aufgehalten. Für mehrere Prüfungen bzw. Lehrveranstaltungen sei sie aber nach Wien gependelt. Dass die Kontinuität des Aufenthaltes im Bundesgebiet weder durch Abwesenheiten von bis zu sechs Monaten im Jahr noch durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinanderfolgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie einem Studium unterbrochen werde, müsse auch für die Integration gemäß § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG gelten. Die belangte Behörde übersehe auch, dass selbst der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in das österreichische Hoheitsgebiet hauptsächlich zum Zweck des Studiums eingereist sei, für den Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Art. 45 AEUV unerheblich sei. Darüber hinaus verfüge die Beschwerdeführerin bereits seit 2013 über Deutschkenntnisse auf dem Niveau C1. Ferner habe sie im Wintersemester 2015/16 am der Wirtschaftsuniversität Wien am Mentoring@WU-Programm teilgenommen und sei seit Dezember 2015 Mitglied im careerloft Förderprogramm. Sie habe das Bachelorstudium "Wirtschafts- und Sozialwissenschaften" an der Wirtschaftsuniversität Wien erfolgreich in Mindeststudienzeit abgeschlossen und studiere seit 04.09.2018 das Masterstudium "Finanzwirtschaft und Rechnungswesen". Die Beschwerdeführerin beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung äußerte verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höchststudienbeihilfe, da diese für die Beschwerdeführerin als auswärtige Studierende nur EUR 801,00 betrage, während die Mindestsicherung im Jahr 2019 für Alleinstehende sowie Alleinerzieher/innen EUR 885,47 betrage und jedes Jahre wertangepasst werde. Zweck der Studienbeihilfe sei es, das Existenzminimum für Studierende voll abzusichern. Es sei jedoch nicht sachlich gerechtfertigt, bei der Absicherung des Existenzminimums von Studierenden und anderen Menschen eine Differenz in der Höhe von EUR 84,47 vorzusehen.

6. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 14.08.2019 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, Unterlagen vorzulegen, ob ihr im Zeitraum von September 2018 bis August 2019 Unterhalt von ihren Eltern geleistet worden sei bzw. ob ein solcher künftig geleistet werde und bejahendenfalls, in welcher Höhe Unterhalt geleistet worden sei bzw. werde; weiters forderte die Behörde Unterlagen zu den durchschnittlichen Lebenserhaltungskosten der Beschwerdeführerin.

7. Mit E-Mail vom 23.08.2019 führte die Beschwerdeführerin durch ihren Vertreter aus, dass die Aufforderung zur Nachreichung vom 14.08.2019 in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig sei. Einerseits sei die Frist von drei Tagen sachverhaltsbezogen zu kurz, insbesondere sei es unmöglich, Unterlagen mit Auslandsbezug in den Sommerferien binnen so kurzer Frist einzuholen und übersetzen zu lassen. Ferner diene die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung nicht dazu, umfangreiche Ermittlungen nachzuholen. Außerdem sei ein Grund für die Nachreichungen nicht ersichtlich, da die Eltern der Beschwerdeführerin in Österreich unstrittig weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt hätten und in diesem Fall nach der Rechtsprechung bei der Berechnung der Höhe der Studienbeihilfe ein Abzug der Familienbeihilfe nicht zu erfolgen habe.

8. Mit Schreiben vom 04.09.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 10.09.2019, übermittelte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verfahrensakten an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

1.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, 127 und 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, 65 und 73 f.).

1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Studienbeihilfen und anderen Studienförderungsmaßnahmen (Studienförderungsgesetz 1992 - StudFG, BGBl. Nr. 305, idF BGBl. I Nr. 25/2019, lauten:

"Gleichgestellte Ausländer und Staatenlose

§ 4. (1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und von Vertragsparteien des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sowie Drittstaatsangehörige sind österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, soweit es sich aus diesen Übereinkommen ergibt.

(1a) EWR-Bürger erfüllen die Gleichstellungsvoraussetzungen, wenn sie

1. Wanderarbeitnehmer im Sinne des Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) oder Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern sind oder

2. das Recht auf Daueraufenthalt in Österreich im Sinne des Artikels 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, haben oder

3. in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert sind.

(2) Staatenlose sind österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, wenn sie vor der Aufnahme an einer im § 3 genannten Einrichtung

1. gemeinsam mit wenigstens einem Elternteil zumindest durch fünf Jahre in Österreich unbeschränkt einkommensteuerpflichtig waren und

2. in Österreich während dieses Zeitraumes den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatten.

(3) Flüchtlinge im Sinne des Artikels 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, sind österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

[...]

Berechnung der Studienbeihilfe

Höhe der Studienbeihilfe

§ 30. (1) Für die Höhe der Studienbeihilfe ist das Ausmaß der sozialen Bedürftigkeit maßgebend.

(2) Die Studienbeihilfe ist zu berechnen, indem die jährlich jeweils mögliche Höchststudienbeihilfe vermindert wird um

1. die zumutbare Unterhaltsleistung der Eltern (§ 31 Abs. 1) oder den geringeren Unterhaltsbetrag (§ 31 Abs. 2),

2. die zumutbare Unterhaltsleistung des Ehegatten oder des eingetragenen Partners (§ 31 Abs. 3),

3. die zumutbare Eigenleistung des Studierenden (§ 31 Abs. 4),

4. den Jahresbetrag der Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 2 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376/1967, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 60/2013, der für den Studierenden unter Berücksichtigung seines Alters zustünde; der Jahresbetrag der Familienbeihilfe ist nicht abzuziehen, wenn der Studierende nachweist, dass trotz eines entsprechenden Antrages für ihn gemäß § 5 Abs. 2 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 keine Familienbeihilfe zusteht,

5. den Jahresbetrag des Kinderabsetzbetrages gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988, der für den Studierenden zusteht, und

6. Förderungen, die zum Zwecke der Ausbildung für den Zeitraum der Zuerkennung gewährt wurden und auf die ein Rechtsanspruch besteht. Zum Nachweis kann die Studienbeihilfenbehörde die Vorlage einer Entscheidung der zuerkennenden Stelle über das Ansuchen auf Förderung verlangen, sofern dies nicht mit einem unvertretbaren Aufwand für den Studierenden verbunden ist.

[...]"

1.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 24. Oktober 1967 betreffend den Familienlastenausgleich durch Beihilfen (Familienlastenausgleichsgesetz 1967), BGBl. Nr. 376, idF BGBl. I Nr. 24/2019, lauten:

"§ 6. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie

a) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind anzuwenden; [...]

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). [...]"

Zu A)

2.1. Am 14.12.2018 beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung von Studienbeihilfe für das Studium "Finanzwirtschaft und Rechnungswesen" (Master) an der Wirtschaftsuniversität Wien, für welches sie seit dem Wintersemester 2018 inskribiert ist.

Der Antrag auf Studienbeihilfe wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die Beschwerdeführerin, die ungarische Staatsbürgerin ist, weder eine Wanderarbeitnehmerin im Sinne des § 4 Abs. 1a Z 1 StudFG sei noch ein Recht auf Daueraufenthalt in Österreich gemäß § 4 Abs. 1a Z 2 StudFG habe. Sie habe ein Bachelorstudium an der Wirtschaftsuniversität abgeschlossen und sei währenddessen ca. zwei Jahre und vier Monate in Österreich gemeldet gewesen. Abgesehen von einer insgesamt etwa zweiwöchigen geringfügigen Beschäftigung sei keine Beschäftigung ersichtlich.

2.2. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.06.2019, Ro 2018/10/0028, die auf umfangreiche Rechtsprechung des EuGH Bezug nimmt, sind zur Beurteilung einer ausreichenden Integration in die Gesellschaft insbesondere die Dauer eines rechtmäßigen Aufenthaltes, die Staatsangehörigkeit, die Absolvierung eines erheblichen Teils der Schulausbildung, Familie, Beschäftigung, Sprachkenntnisse und sonstige soziale und wirtschaftliche Bindungen zu berücksichtigen. Auch die Integration ins Bildungssystem ist - soweit damit auch eine gesellschaftliche Verbindung zum betreffenden Mitgliedstaat einhergeht - bei der Integration in die Gesellschaft dieses Staates zu berücksichtigen. Bei der Einzelfallprüfung des Integrationsgrades einer Person spielen jedenfalls auch die Intensität der Integrationsmaßnahmen sowie deren Dauer und zeitliches Naheverhältnis zum Antragszeitpunkt eine maßgebliche Rolle.

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung neben dem abgeschossenen Bachelorstudium nur auf den Wohnsitz (aufrechte Meldung) der Beschwerdeführerin und die nur kurzfristige Beschäftigung gestützt. Zu anderen, für die Beurteilung ebenso ausschlaggebenden Kriterien wie etwa der Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes, den Sprachkenntnissen und sozialen und wirtschaftlichen Bindungen hat die belangte Behörde keine Ermittlungen durchgeführt und auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen. Ferner fanden auch die Intensität der Integrationsmaßnahmen sowie deren Dauer und zeitliches Naheverhältnis zum Antragszeitpunkt keine Berücksichtigung bei der angefochtenen Entscheidung. Fallbezogen wären in weiterer Folge auch Ermittlungen zur Höhe der Studienbeihilfe durchzuführen und zu beurteilen gewesen, ob die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem FLAG hat. Zwar haben die Eltern der Beschwerdeführerin keinen Wohnsitz oder sonstigen Anknüpfungspunkt in Österreich, jedoch hat die Beschwerdeführerin selbst ihren Wohnsitz seit September 2018 (wieder) in Österreich. Fallbezogen wären daher auch nähere Ermittlungen zu den Lebensunterhaltskosten der Beschwerdeführerin und den Unterhaltszahlungen ihrer Eltern im Anspruchszeitraum erforderlich gewesen.

Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Verfahren nur ansatzweise ermittelt und Feststellungen zu den bereits nach der Judikatur des EuGH erforderlichen und in der Entscheidung des VwGH vom 25.06.2019, Ro 2018/10/0028, zusammengefasst dargestellten Prüfungskriterien unterlassen. Die Argumentation der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin nach Beschwerdeerhebung am (ergänzenden) Ermittlungsverfahren (mit dem Ziel einer Beschwerdevorentscheidung) nicht mitgewirkt habe, ändert nichts daran, dass die Beschwerdeführerin wesentliche Ermittlungen unterlassen hat, die für die Beurteilung des Bestehens des Anspruches auf Studienbeihilfe sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bereits vor Bescheiderlassung notwendig gewesen wären.

In der Gesamtschau ist daher der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben, insbesondere im Hinblick auf die bei der belangten Behörde bereits vorhandenen Daten und den im StudFG verankerten automationsunterstützten Datenaustausch, zumal Berechnungsvorgänge betroffen sein können, bei der die Verwaltung besonders "nahe am Beweis" ist (vgl. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109). Das erstinstanzliche Verfahren erweist sich insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Folglich war der Bescheid nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Ergänzend ist auszuführen, dass auch das Unterlassen der Mitwirkungspflicht durch die Partei die belangte Behörde nicht berechtigt, erforderliche Ermittlungen und Feststellungen zu unterlassen und an das Verwaltungsgericht zu "delegieren". Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB. ihre familiäre oder finanzielle Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl. VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279; 14.02.2002, 99/18/0199; 15.11.1994, 94/07/0099; 24.10.1980, 1230/78) oder einzelne Sachverhaltselemente ihre Wurzel im Ausland haben (vgl. VwSlg 6511 F/1990), besteht eine "erhöhte Mitwirkungspflicht" der Partei.

Insbesondere bei der Ermittlung der Lebenserhaltungskosten der Beschwerdeführerin und der Unterhaltsleistungen ihrer Eltern trifft die Beschwerdeführerin daher eine "erhöhte Mitwirkungspflicht", der sie im fortgesetzten Verfahren nachzukommen haben wird. Konsequenz einer Unterlassung der gehörigen Mitwirkung an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts ist die Befugnis der Behörde, daraus gemäß § 45 Abs. 2 AVG im Rahmen der freien Beweiswürdigung eventuell auch für die Partei negative Schlüsse zu ziehen (vgl. VwGH 24.10.1980, 1230/78; 16.10.2001, 99/09/0260; 26.02.2002, 2001/11/0220).

Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren in Bindung an die oben dargelegte Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts vorzugehen haben.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90; vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides ergeht in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Studienförderungsgesetz (VwGH 25.06.2019, Ro 2018/10/0028) sowie zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht gleichgestellter Ausländer Kassation mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung Vorstellung Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W224.2223250.1.00

Im RIS seit

17.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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