Entscheidungsdatum
27.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W208 2226304-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , Staatsangehörigkeit AFGHANISTAN, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL vom 12.11.2019, Zl 1031152302 - 180658639, Regionaldirektion Steiermark, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. und IV. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten haben:
"I. Der Ihnen mit Bescheid vom 16.06.2016, Zahl 1031152302-149623, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Abs 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005, von Amts wegen aberkannt.
IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 28 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung".
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach schlepperunterstützter und unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.09.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG) gestellt.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, im Folgenden: belangte Behörde) vom 16.06.2016, Zahl 1031152302-149623, wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Abs 1 Ziffer 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem BF gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 16.06.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).
In der Begründung dieses Bescheides (Seite 8/AS 452) wurde zur Situation im Fall der Rückkehr festgestellt, dass der BF bei einer Rückkehr nach AFGHANISTAN in einer aussichtslosen Lage wäre.
In der Beweiswürdigung (Seite 64/AS 509) in Bezug auf die Situation des BF bzw. die Lage in seinem Herkunftsstaat führte das BFA aus, dass es in BAGHLAN, der Heimatprovinz des BF zu regelmäßigen Übergriffen komme und für ihn daher eine Rückkehrgefährdung bestehe.
In der rechtlichen Würdigung dieses Bescheides (Seite 68-69/AS 512-513) begründete das BFA die Zuerkennung von subsidiärem Schutz wie folgt:
"Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine [...] Abschiebung des fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK [...] bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs 3 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht. [...]
In Ihrem Fall ging die Behörde von einer realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus.
Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Quellen ergibt sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt. Die Provinz Baghlan zählt zu den volatilen Provinzen
Bei Ihnen handelt es sich einerseits um einen jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es muss demgegenüber aber maßgeblich berücksichtigt werden, dass Sie durch Ihren Unfall und die dabei erlittenen schweren Verletzungen in der nächsten Zeit nur eingeschränkt am Berufsleben teilnehmen können. [...] Die speziellen Grundvoraussetzungen wie das Vorliegen eines sozialen bzw. familiären Netzes in Kabul und Erfahrung mit dem Umgang der Stadt Kabul sind nicht gegeben. Somit ist es dem Antragsteller nicht zumutbar sich in Kabul eine Existenz aufzubauen.
Eine innerstaatliche Schutzalternative (§ 8 Abs. 3 in Verbindung mit § 11 AslyG) etwa in der Hauptstadt Kabul, würde unter Berücksichtigung Ihrer persönlichen Umstände sowie auch im Hinblick auf die allgemein schlechte Versorgungslage in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. So ist es in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass Sie nie in Kabul gelebt haben, mit den dortigen Gegebenheiten daher nicht vertraut sind und auch über keinerlei familiäre oder sozialen Anknüpfungspunkte in der Hauptstadt Kabul verfügen.
Ihre Rückkehr nach Afghanistan erscheint daher derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar."
Dieser Bescheid erwuchs mangels Erhebung einer Beschwerde am 20.07.2016 in Rechtskraft.
3. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 18.01.2017 zu XXXX LG (AS 575) wurde der BF des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs 2 SMG § 27 (2a) 1. Fall SMG schuldig erkannt. Er habe in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift 1. an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war durch unmittelbare Wahnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, anderen gegen Entgelt angeboten, indem er am 25.06.2016 im XXXX Stadtpark 0,2 Gramm Kokain [...] um einen Preis von ? 60,00 anbot, während sich in unmittelbarer Nähe mehrere Passanten aufhielten und 2. ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen, indem er von zumindest Ende 2015 bis 15.10.2016 unbekannte Mengen an Delta-9-THC-hältigem Cannabiskraut bis zum Konsum inne hatte.
Den Feststellungen des Gerichtes ist zu entnehmen, dass erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen zu berücksichtigen sei. Mildernd seien der bisher ordentliche Lebenswandel des BF, sein umfassendes, reumütiges Geständnis und der Umstand zu werten, dass der BF die Straftaten teils als Jugendlicher, sonst nach Vollendung des 18., jedoch vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen habe.
Der BF hat hierdurch die Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs 2 SMG § 27 (2a) 1. Fall SMG begangen und wurde hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 StGB nach dem § 27 Abs 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten bedingt unter einer Probezeit von drei Jahren (Junger Erwachsener), sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.
4. Aufgrund eines vom BF selbst unterfertigten Verlängerungsantrags vom 26.04.2017 (AS 561) verlängerte das BFA mit Bescheid vom 31.08.2017 die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 16.06.2019
5. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 30.08.2018 zu 015 U 50/2018m wurde der BF des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs 1 Z 1 8. Fall SMG für schuldig erkannt. Er habe in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift 1. am 25.02.2018 gewinnbringend weiterverkauft und 2. am 27.02.2018 Cannabiskraut, welches er am 26.02.2018 zum Preis von ? 400,00 von unbekannten Drogendealern im XXXX Stadtpark erwarb, mit dem Vorsatz besessen, es in der Folge durch gewinnbringende Verkäufe in Verkehr zu setzen, wobei er die Tat nicht zum persönlichen Gebrauch beging.
Der BF hat hierdurch das Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs 1 Z 1 8. Fall SMG begangen und wird hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 StGB nach dem § 27 Abs 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten bedingt unter einer Probezeit von drei Jahren (Junger Erwachsener), sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt
Den Feststellungen des Gerichtes ist zu entnehmen, dass erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, eine einschlägige Vorstrafe und die Tatbegehung während offener Probezeit zu berücksichtigen sei. Mildernd seien das reumütige Geständnis und die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres.
6. Am 20.09.2018 leitete das BFA ein Aberkennungsverfahren ein und stellte dieses nach Prüfung wieder ein, da die vermeintlich begangenen Straftaten keine Verbrechen iSd § 17 StGB (§ 9 Abs. 2 Z 3 AsylG) darstellen (AS 605).
7. Am 18.01.2019 wurde der BF wegen § 28a SMG in Untersuchungshaft genommen.
8. Am 27.03.2019 wurde sodann eine weitere Prüfung eines Aberkennungsverfahrens gegen den BF eingeleitet (AS 27) und der BF aufgefordert dazu binnen einer Frist von 3 Wochen Stellung zu nehmen (AS 29).
9. Mit Schreiben vom 25.03.2019 (AS 55) und 08.04.2019 (AS 35) stellte der BF wieder einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes, welcher aufgrund der laufenden Prüfung des Aberkennungsverfahrens nicht verlängert worden war. Die Anträge langten am 16.05.2019 gemeinsam mit der schriftlichen Stellungnahme des BF beim BFA ein (AS 37).
10. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 03.06.2019 (AS 189) wurde der BF des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 28a Abs 1 4. Fall SMG, § 27 Abs 1 Z 1 8. Fall SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs 2 SMG und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall SMG für schuldig erkannt. Er habe in XXXX alleine I. vorschriftswidrig Suchtgift 1. in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen angeboten, indem er am 13. und 21. August 2018 einem verdeckten Ermittler eine Gesamtmenge von 200 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 25 % (50 Gramm Kokain in Reinsubstanz; 3,3 Grenzmenge) zum Preis von ? 19.000,00 offerierte und gemeinsam mit einem Mittäter., 2. vorschriftswidrig Suchtgift anderen überlassen [...] und gewinnbringend veräußert hat und 3. alleine zum Zwecke eines gewinnbringenden Verkaufes am 15.08.2018 26 Stück MDMA-hältige Ectasy Tabletten mit sich führte und 4. ausschließlich zum persönlichen Gebrauch zwischen einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2018 und 14.01.2019 unbekannte Mengen an Delta-9-THC-hältigem Cannabiskraut, Kokain, Metamphatamin und Rohopium sowie am 15.01.2019 ca. 8 Gramm Delta-9-THC hältiges Cannabiskraut, besessen hat.
Der BF hat hierdurch das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 4. Fall SMG und das Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach, § 27 Abs 1 Z 1 8. Fall SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs 2 SMG und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall SMG begangen und wird hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 StGB nach dem § 27 Abs 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von sechzehn Monaten sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.
Bei der Strafzumesseng seien erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen mit einem Verbechen sowie die einschlägigen Vorstrafen zu berücksichtigen gewesen. Mildernd seien das teilweise zur Wahrheitsfindung dienliche Geständnis und die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres gewesen.
11. Am 07.11.2019 wurde der BF vom BFA, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari, im Gegenstand einvernommen. Er wurde dabei zu seinen persönlichen Lebensumständen, seinem Privat- und Familienleben und seiner in Afghanistan aufhältigen Familie befragt.
Er legte in diesem Zusammenhang zwei Bestätigungen über den Besuch seiner Therapie beim "Grünen Kreis" und eine Bestätigung seines Vermieters über sein aufrechtes Mietverhältnis vor (AS 237-241).
Verständigungsprobleme lagen keine vor, die Rückübersetzung wurde als korrekt bezeichnet (AS 235).
12. Mit dem im Spruch genannten Bescheid (AS 245) wurde dem BF der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 2 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG), von Amts wegen aberkannt" (Spruchpunkt I.) und ihm die mit Bescheid vom 16.06.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ferner sprach die belangte Behörde aus, dass dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt wird, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V). Weiters legte sie gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.) und verhängte gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 und 4 FPG ein Einreiseverbot von zehn Jahren (Spruchpunkt VII.).
13. Mit Verfahrensanordnung vom 13.11.2019 wurde er verpflichtet am 27.11.2019 ein Rückkehrberatungsgespräch bei der CARITAS in Anspruch zu nehmen (AS 431).
14. Gegen den am 15.11.2019 zugestellten Bescheid wurde von der gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG dem BF zur Seite gestellten Rechtsberatungsorganisation (Vollmacht und Zustellvollmacht vom 18.11.2019) am 02.12.2019 beim BFA Beschwerde eingebracht (AS 465).
15. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 04.12.2019 vom BFA vorgelegt.
16. Mit Ladungen vom 04.02.2019 wurde vom BVwG eine Verhandlung in der Sache anberaumt und der BF darauf hingewiesen, welche aktuellen Länderinformationen in das Verfahren eingebracht und falls nicht bekannt angefordert werden oder Akteneinsicht genommen und eine Stellungnahme abgegeben werden kann.
17. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 02.03.2020 eine öffentliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm und ausführlich zu den Fluchtgründen und zur Person befragt wurde, sowie Stellung nehmen konnte.
Ein Vertreter des BFA nahm - wie angekündigt - an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden folgende weitere Unterlagen vorgelegt bzw. eingebracht:
- vier Rezepte, eines ausgestellt Dr. H XXXX , Allgemeinmediziner, am 31.01.2020, Medagelan 500mg, Pantoprazol 1a 40mg; am 24.02.2020 Trittico RET 150mg, Rhinon NA-TR 10ml, Resyl TR +COD 30ml; Dr. E XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 27.02.2020 Venlafab 37,5mg, Mirtel 30mg (Beilage 2 zur VHS),
- eine Bestätigung des Grünen Kreises vom 27.02.2020, dass der BF dort in psychotherapeutischer Behandlung ist und sehr zuverlässig erscheint, (Beilage 3 zur VHS),
- ein Harntestergebnis vom 28.02.2020, der negativ hinsichtlich allfälliger Drogen verlaufen ist (Beilage 4 zur VHS),
- Bestätigung über die Teilnahme am steirischen Jugendcollege vom 24.02.2020, das noch bis Ende August 2020 dauert (Beilage 5 zur VHS),
- AMS Bestätigung vom 21.01.2020, Arbeitslosengeld täglich 22,93 Euro (Beilage 6 zur VHS),
- Lebenslauf (Beilage 7 zur VHS),
- Bestätigung von " XXXX " Steiermark (Beilage 8 zur VHS),
- ein Schreiben über fünf Seiten in Dari, die im Zusammenhang mit seinem Bruder stehen (Beilage 9 zur VHS),
- Kopfschmerzkalender (Beilage 10 zur VHS).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen
1.1. Zur Person und ihrem Netzwerk
Der BF führt den im Spruch angeführten Namen, wurde am XXXX geboren und hat vor seiner Ausreise im Ort XXXX (auch XXXX oder XXXX oder XXXX oder XXXX genannt), Distrikt XXXX in der Provinz BAGHLAN, gewohnt. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan; weiters Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam (VHS, 3). Seine Muttersprache ist Dari, außerdem spricht er noch Paschtu, Englisch, Russisch und verfügt über gute Deutschkenntnisse (Niveau B1). In den Sprachen Dari, Paschtu, Englisch, Russisch und Deutsch kann er lesen und schreiben (VHS, 4, 6).
Er ist im September 2014 illegal in Österreich eingereist.
Der BF ist in Afghanistan 8 Jahre lang in die Grundschule gegangen (VHS, 7), weiters hat er dort über die Winter eine religiöse Schule (Madrassa) besucht (VHS, 8).
Der BF ist arbeitsfähig und hat Berufserfahrung als Tischler (zweimonatiges Berufstraining) (VHS, 5; Beilage 7) und als Koch (3 Monate Lehre bei XXXX und Arbeit in Gefängnisküche während Haft) (VHS, 5; Beilage 7 und 8).
Der BF hat folgende Angehörige in Afghanistan: Eltern, eine Schwester und vier Brüder. Ein Bruder lebt in der Türkei. Er hat einen Onkel mütterlicherseits (ms) der in KABUL gelebt hat (VHS, 9). Die Mutter hat insgesamt vier Brüder und sieben Schwestern. Eine Tante ms lebt in BAGHLAN. Er hat auch noch zwei Onkel und zwei Tanten väterlicherseits (vs) (VHS, 9).
Der Vater bestreitet als Familienoberhaupt den Lebensunterhalt für die Familie durch seine Arbeit als Taxifahrer (VHS, 8). Die zwei Onkel, die gemeinsam mit ihnen im Haus gelebt haben, haben damals dort ein Geschäft gehabt (VHS, 9).
Der BF hat - abgesehen von den zwei Onkel vs, mit denen er keinen Kontakt hat (VHS, 8) ein gutes Verhältnis zu seinen Familienangehörigen und regelmäßigen Kontakt zu seinem Vater (VHS, 8).
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF keine weiteren Angehörigen, Bekannte oder Freunde mehr in Afghanistan hat.
Er kann auf das soziale Netzwerk seines Clans in Afghanistan zurückgreifen - mit dem er in Kontakt steht bzw bei Bedarf den Kontakt herstellen kann (VHS, 8) - und auf die Unterstützung der Großfamilie, die ihn aufgrund der modernen Kommunikationsmittel und des Bankwesens finanziell oder zumindest mit ihren Kontakten auch aus der Ferne unterstützen kann.
Der BF leidet an keiner lebensbedrohenden Krankheit und hat in der Verhandlung einen wachen und orientierten Eindruck gemacht. Er hat aufgehört Drogen zu nehmen und befindet sich in einer Entzugstherapie (VHS, 3). Er geht zweimal in der Woche zum grünen Kreis und spricht dort eine Stunde mit einem Psychiater (VHS, 4).
Der BF hat an der linken Kopfseite eine lange Narbe - die sich quer über den Kopf auf die andere Seite zieht und auf Höhe der Ohren endet - die er bei einem Unfall im Jahr 2015 (Sturz und schwere Schädelverletzung, AS 169) davongetragen hat. Er hat diverse Rezepte mit Medikamenten (vorne Punkt 17) gegen Schwindel, Kopfschmerzen und psychische Verstimmungen verschrieben bekommen, von denen er nach eigenen Angaben jedoch noch keine genommen hat, weil sein Antrag auf Befreiung von der Rezeptgebühr noch nicht positiv entschieden ist (VHS, 3).
Der BF klagt über fallweise Kopfschmerzen. Dazu hat er vom Psychiater neben der oa Medikamente am 27.02.2020 einen Kopfschmerzkalender bekommen, wo er bis zum nächsten Kontrolltermin am 23.04.2020 eintragen muss, wann und welcher Art die Kopfschmerzen sind, wenn er sie hat. Er hat dort nichts eingetragen (VHS, 13 und Beilage 10).
Der BF hatte nach seinem Unfall mehrere Nasenoperationen. Er leidet an Reizhusten und Halsschmerzen durch seinen Nikotinabusus. Er raucht pro Tag eine Packung Zigaretten (VHS, 13).
Der BF weist somit nur geringfügige gesundheitliche Beeinträchtigungen auf. Seine Arbeitsfähigkeit ist dadurch nicht beeinträchtigt.
Er ist in Afghanistan nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Heimatland.
Dass er Blutrache von der Hezbe Islami zu befürchten hätte, weil er und sein Bruder sich durch seine Ausreise nach Europa dem Unterricht eines ihr angehörenden nun in KABUL lebenden einflussreichen Religionslehrers entzogen haben und er bei einer Rückkehr von der Hezbe Islami gesucht, gefunden und getötet würde ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht zu befürchten.
1.2. Zum Leben des BF in Österreich
1.2.1. Zu Dauer, Qualität und (Un-)Sicherheit des Aufenthaltsstatus
Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet war der BF zunächst seit September 2014 als Asylwerber aufhältig.
Nach Zustellung des Bescheides des BFA vom 16.06.2016, war er als subsidiär Schutzberechtigter aufhältig, und zwar zunächst aufgrund einer erteilten Aufenthaltsberechtigung, befristet bis 16.06.2017. Diese Berechtigung wurde einmal bis zum 16.06.2019 verlängert.
Zwischen Jänner 2017 und Juni 2019 beging der BF Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz (näheres dazu oben bei Punkte I. 3, 5 und 7). Sein zweiter Antrag auf Verlängerung blieb daher vorerst unerledigt.
Der BF war von 18.01.2019 bis 14.01.2020 in HAFT in der Justizanstalt XXXX .
1.2.1. Zu Selbsterhaltungsfähigkeit, Erwerbstätigkeiten, Ausbildungen etc.
Zu Beginn seines Aufenthalts war der BF nicht selbsterhaltungsfähig und lebte von der Grundversorgung.
Momentan ist der BF arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld vom AMS (VHS 5, Beilage 6). Unter der Woche besucht er das Jugendcollege, um sich weiterzubilden (VHS, 11, Beilage 5).
Er hat während seiner Haft in der Küche gearbeitet und dafür Geld bekommen (VHS, 5).
Vor der Haft hat er von 01.09.2017 bis 01.11.2017 bei " XXXX " Steiermark ein Berufstraining absolviert und in einer Tischlerei gearbeitet (VHS, 5; Beilage 7).
Er hat von Mai bis Juli 2017 eine Lehre als Koch bei XXXX gemacht (VHS 5; Beilage 7 und 8).
Er hat sich bei XXXX beworben, würde aber gerne als Tischler arbeiten (VHS, 5).
Der BF hat während seines Aufenthalts in Österreich Deutschkurse besucht (A1 und A2 und derzeit B1), über B1 jedoch keine Prüfung abgelegt (VHS, 12).
1.2.2. Zu Wohnverhältnissen und privaten Bindungen in Österreich
Der BF wohnt seit April 2014 in einer Ein-Zimmer-Mietwohnung um ? 350,00. Das Mietverhältnis ist bis 31.03.2020 befristet (VHS, 5; AS 117).
Er pflegt private Beziehungen zu Österreichern und Afghanen ("eher wenige", VHS, 10). In seiner Freizeit trifft er gerne Freunde und spielt Playstation (VHS, 11). Neben Freundschaften konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden.
1.2.3. Der BF ist in Österreich mehrfach im Zusammenhang mit Suchtmittel (Kokain, Cannabis, etc.) straffällig geworden und dabei dreimal verurteilt worden (vgl. dazu vorne I. 3., 5., 7.).
Der BF hat dazu in der Verhandlung vor dem BVwG im Wesentlichen angegeben, er habe die Drogen nicht verkauft. Das sei dreimal passiert. Das vierte Mal habe ihm ein Mädchen oft geschrieben und sie habe ihn gebeten, für sie Drogen zu bringen. Er habe selber nichts gehabt, er habe ihr jemanden empfohlen und sie habe es selber gekauft. Deswegen habe er die Strafe bekommen, wenn man jemanden für Drogen "empfehle" sei das auch strafbar (VHS, 11).
Er habe nichts verkauft, er habe es von dieser Person gekauft und es dem Mädchen gebracht. Das sei z.B. wie, wenn er von seiner Wohnung hinausgehe und seiner Nachbarin Mehl mitbringen solle (VHS, 12).
Auf den Vorhalt, dass er gewusst habe, dass es verboten sei, aber trotzdem gemacht habe, gab er an, dass er nicht normal gewesen sei. Deswegen habe man über ihn ein Gutachten geschrieben, seine Haft sei verkürzt worden und er habe eine Therapie bekommen (VHS, 12).
Dazu ist festzustellen, dass aus diesen Antworten hervorgeht, dass dem BF - trotz seiner dreifachen einschlägigen Verurteilungen und der Haft - nach wie vor das Unrechtsbewusstsein über den Umgang mit Drogen fehlt.
1.2.4. Der BF ist im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung des letzten Bescheides (aus 2017) älter und reicher an Lebens- und insbesondere Berufserfahrung.
Er hat Berufserfahrungen als Koch und als Tischler gemacht (vgl 1.2.1.).
Seit er in Österreich ist, hat er Kontakte zu anderen afghanischen Staatsangehörigen geknüpft und sind zahlreiche Familienangehörige von ihm in Afghanistan wohnhaft. Diese leben nach Aussagen des Vaters, mit dem der BF in Kontakt, steht in BAGHLAN in Sicherheit (VHS, 6).
1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland
Den Länderberichten nach gehört die Heimatprovinz des BF BAGHLAN zu den relativ volatilen Provinzen.
Im Einzelfall müssen in BAGHLAN höhere in der Person gelegene Voraussetzungen erfüllt sein, dass Zivilpersonen einer reellen Gefahr iSd Artikel 15(c) der Qualifizierungs-RL ausgesetzt sind.
Das LIB der Staatendokumentation, spricht davon, dass Aufständische der Taliban in gewissen unruhigen Distrikten aktiv sind, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen. Im Dezember 2018 erklärte das afghanische Innenministerium, dass BAGHLAN zu den Provinzen mit einer hohen Taliban-Präsenz gehört und dass afghanische Streitkräfte in Teilen der Provinz in tödliche Kämpfe verwickelt sind.
Zivilile Opfer sind durch Sprengfallen, Selbstmordanschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen und durch Kollateralschäden bei Bodenoffensiven der Sicherungskräfte gegen die Aufständischen zu beklagen.
Auf dem Weg in die Heimatprovinz bzw. den Heimatdistrikt besteht die reelle Gefahr willkürlicher Gewalt bloß aufgrund der Anwesenheit ausgesetzt zu sein, indem man Opfer von Angriffen und Bombenanschlägen wird, bei Kämpfen ins Kreuzfeuer gelangt oder an Checkpoints entweder als Spion der Aufständischen oder der Sicherheitskräfte der Regierung (je nachdem wer gerade das Gebiet kontrolliert) angesehen zu werden.
Der BF kann sich aber im Rückkehrfall der relativ sicheren Stadt MAZAR-E SHARIF niederlassen und mittelfristig dort eine Existenz aufbauen.
Er kann diese Stadt auf dem Luftweg erreichen.
Es besteht dort für ihn keine reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr einer Tötung (einschließlich der Verhängung und/oder Vollstreckung der Todesstrafe) durch den Staat oder tödlicher Übergriffe durch Dritte.
Eine mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr, der Folter ausgesetzt zu sein oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe durch einen konkreten Akteur unterworfen zu sein, besteht dort nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf eine drohende Kettenabschiebung, im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe; weiters auch nicht im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand in Verbindung mit einer Unzulänglichkeit der medizinischen Bedingungen im Herkunftsstaat, im Hinblick auf die dortigen allgemeinen humanitären Bedingungen und Versorgungslage, in Verbindung mit seiner persönlichen Lage (etwa im Sinne einer existenzgefährdenden Notlage oder des Entzugs der notdürftigsten Lebensgrundlagen) oder im Hinblick auf psychische Faktoren, auf Haftbedingungen oder aus anderen Gründen.
Als - mit Ausnahme geringer psychischer Probleme - gesundem jungen Mann, droht ihm auch keine Gefahr einer tödlichen Erkrankung im Falle einer Ansteckung durch das Corana-Virus. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Im Hinblick auf eine Rückkehr nach MAZAR-E SHARIF besteht auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
Das BVwG trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
1.4.1. Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019:
Das LIB der Staatendokumentation führt zur SICHERHEITSLAGE im Punkt 3 im Wesentlichen aus:
"Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen derafghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).
[...]
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019)
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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).
Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).
Zur Heimatprovinz des BF wird im LIB ausgeführt:
"3.4. BAGHLAN
Baghlan, das sich im Nordosten Afghanistans befindet, grenzt an die Provinzen Bamyan, Samangan, Kunduz, Takhar, Panjshir, Parwan (UNOCHA 4.2014), und in einem sehr kleinen Abschnitt an Balkh (AIMS o.D.). Baghlan ist in die folgenden 15 Distrikte unterteilt: Andarab, Baghlan-e-Jadeed (auch bekannt als Baghlan-e-Markazi), Burka, Dahana-e-Ghuri, Deh Salah, Dushi, Firing Wa Gharu, Gozargah-e-S. Noor, Khinjan, Khost Wa Firing, Khwaja hejran (Jalga), Nahreen, Pul-e-Hisar, Pul-i-Khumri und Tala Wa Barfak. Die Hauptstadt der Provinz ist Pul-i-Khumri (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Die zentrale Statistikorganisation Afghanistan (CSO) schätzt die Bevölkerung von Baghlan für den Zeitraum 2019-20 auf 995.814 Personen (CSO 2019). Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan (NPS o.D.).
Baghlan befindet sich auf der Kabul-Nord-Route, welche insgesamt neun Provinzen miteinander verbindet (PAJ o.D.). Dies ist die einzige Trans-Hindukush-Autobahn in Afghanistan und die wichtigste Transitroute zwischen Kabul und dem Norden des Landes (AAN 21.10.2015). Die Sicherheit entlang der Autobahn ist auch bedeutsam für die Energieversorgung Kabuls, da Stromleitungen aus Tadschikistan und Usbekistan entlang dieser verlaufen (AT 29.03.2019; PAJ 14.04.2018; KP 19.03.2018).
Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Baghlan im Jahr 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. Der Schlafmohnanbau blieb in Baghlan im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 ungefähr gleich (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans; Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen (KP 20.05.2019; vgl. KP 11.06.2019, KP 11.04.2019). Im Dezember 2018 erklärte das afghanische Innenministerium (MoI), dass Baghlan zu den Provinzen mit einer hohen Taliban-Präsenz gehört und dass afghanische Streitkräfte in Teilen der Provinz in tödliche Kämpfe verwickelt sind (TN 26.12.2018). Zwischen 2014 und 2018 wurde in Baghlan ein Angriff des ISKP gezählt(CTC 03.12.2018).
Aufseiten der Regierungstruppen liegt Baghlan im Verantwortungsbereich des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
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Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 261 zivile Opfer (68 Tote und 193 Verletzte) in Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 17% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.02.2019).
Baghlan liegt im Fokus der im April 2019 von der Regierung beschlossenen "Operation Khalid" (UNGASC 14.06.2019). Seit dem Jahr 2018 führen die ANDSF regelmäßig Operationen in der Provinz durch (KP 20.05.2019; vgl. PAJ 05.11.2018; PAJ 11.09.2018). Bereits im November wurden zusätzliche Sicherheitskräfte vom Verteidigungsministerium als Verstärkung nach Baghlan entsandt (TN 08.11.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und den Taliban finden statt (TN 03.9.2019; vgl. 13.09.2019). Taliban-Kämpfer griffen im Mai 2019 in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri Sicherheitskräfte an (AJ 05.05.2019) und im September 2019 die Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri selbst (NZZ 01.09.2019) und lieferten sich weitere bewaffnete Zusammenstöße. Die Verbindungsstraßen in die Hauptstadt waren temporär gesperrt (TN 03.09.2019) und waren erst nach großangelegten Sicherheitsoperationen der afghanischen Regierungstruppen wieder eröffnet worden (TN 13.09.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 13.421 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, in den benachbarten Provinzen Parwan, Balkh Panjsher und Bamyan sowie in anderen Provinzen wie Kabul, Kapisa und Khost Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 6.699 aus der Provinz Baghlan vertriebene Personen, die in der Provinz selbst verblieben, sowie nach Kabul und Herat gingen (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum vom 01.01.2018 - 31.12.2018 meldete UNOCHA 11.928 Vertriebene in die Provinz Baghlan, die alle aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 936 konfliktbedingt nach Baghlan vertriebene Personen, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 18.08.2019)."
Zur als innerstaatliche Fluchtalternativen herangezogenen Provinzen bzw. Städten führt das LIB aus:
"3.3. BALKH
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.04.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019 - 20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.01.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 05.012.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.03.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 09.01.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 01.09.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 06.05.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.03.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban, die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.08.2019). Einem UN-Bericht zufolge gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 01.02.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.02.2019).
Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.04.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.09.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
[...]
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.02.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten sechs Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.07.2019).
Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.02.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.06.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.09.2019; vgl KP 29.08.2019, KP 31.08.2019, KP 09.09.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.01.2019; vgl. KP 09.09.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 09.01.2019; vgl. TN 10.01.2019), Chemtal (TN 11.09.2018; vgl. TN 06.07.2018), Dawlatabad (PAJ 03.09.2018; vgl. RFE/RL 04.09.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.04.2019) an.
Berichten zufolge errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.08.2019; vgl. 10.08.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.08.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.08.2019).
[...]
Im Punkt 3.35. des LIB ist zur Erreichbarkeit der genannten Provinzen zusammengefasst angeführt, dass die Infrastruktur ein kritischer Faktor für Afghanistan bleibt, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen. Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet. Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk zählen zu den Projekten, die systematisch geplant und umgesetzt werden. Unter anderem in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif befinden sich internationale Flughäfen. Das Transportwesen in Afghanistan gilt als "verhältnismäßig gut". Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans, sowie Gemeinschaftstaxis.
Im Rechts- und Justizwesen (detailliert ausgeführt in Punkt 4 des LIB) gibt es zwar Gesetze, es gilt allerdings der Vorrang der Scharia (islamisches Recht) und daneben existieren lokale Gepflogenheiten. Das Justizwesen wird von Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquater Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert. Letzteres gilt auch für die Sicherheitskräfte (Punkt 5 des LIB). Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 von Transparency International, belegt Afghanistan von 180 Ländern den 172. Platz, was eine Verbesserung um fünf Ränge im Vergleich zum Jahr davor darstellt (TI 29.1.2019; vgl. TI 21.2.2018). Einer Umfrage aus dem Jahr 2018 zufolge betrachten 81,5% der befragten 15.000 Afghaninnen und Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes, was eine leichte Verbesserung im Vergleich zur Umfrage ein Jahr zuvor darstellt (83,7%) (AF 4.12.2018) (Punkt 7.)
"10.1. REKRUTIERUNG DURCH REGIERUNGSFEINDLICHE GRUPPIERUNGEN
UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 23 Buben durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten Halbjahr 2018. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt (USDOS 13.3.2019) Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben (EASO 6.2018). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 13.3.2019; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zum Training nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018).
Taliban
Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017).
In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018).
Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).
Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).
Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019).
Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017)."
Es kommt auch zu bedeutenden Menschenrechtsverletzungen, obwohl die Menschenrechte eine klare rechtliche Grundlage haben. Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwinden lassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen. Regierungsfreundlichen Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (vgl. zur Menschenrechtslage Punkt 11 des LIB).
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind gesetzlich verboten; trotzdem stellen beide Praktiken ernsthafte Probleme dar. Häufig werden Personen in Haft genommen, ohne die rechtlichen Prozeduren zu beachten, obwohl das Delikt nicht im Strafgesetz definiert ist oder ohne dass die Behörde eine entsprechende Befugnis hätte (USDOS 13.3.2019). In staatlichen Gefängnissen werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Inhaftierte erhalten trotz gesetzlicher Regelung nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger (AA 2.9.2019; vgl