TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/30 W255 1430976-2

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Veröffentlicht am 30.03.2020
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Entscheidungsdatum

30.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W255 1430976-2/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2019, Zl. 820632306-180356632, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.02.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.05.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 23.05.2012 fand die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt.

1.2. Am 13.09.2012 wurde der BF vor dem (damaligen) Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF ua an, dass er in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , Dorf XXXX , geboren und aufgewachsen sei. Er sei Paschtune und sunnitischer Muslim. Er habe Afghanistan aufgrund von Problemen mit den Taliban verlassen.

1.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Wien, vom 12.11.2012, Zl. 12 06 323-BAW, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

1.4. Gegen den unter Punkt 1.3. genannten Bescheid des Bundesasylamtes erhob der BF fristgerecht Beschwerde.

1.5. Am 13.01.2015 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF durch. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er in seinem Heimatdorf aufgewachsen sei und nur dort gelebt habe. Er habe nur einmal drei bis vier Nächte in XXXX verbracht. Seine Mutter sei verstorben, sein Vater sei unbekannten Aufenthaltes und andere Verwandte würden in seinem Heimatdorf sowie in Pakistan leben. Die Familie des BF habe wegen ihm Probleme erhalten, daher sei auch sein Onkel vor fünf Monaten umgebracht worden.

1.6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2015, GZ W171 1430976-1/13E, wurde die unter Punkt 1.4. genannte Beschwerde des BF hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Im Hinblick auf Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerde stattgegeben. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 23.02.2016 erteilt.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF sehr schlecht sei und er auf kein familiäres/soziales Netzwerk außerhalb seiner Heimatregion zurückgreifen könne.

1.7. Am 14.01.2016 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

1.8. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 19.01.2016, Zl. 820632306-1493692, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF bis zum 23.02.2018 verlängert.

1.9. Am 09.01.2018 und 14.03.2018 stellte der BF Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

1.10. Mit Schreiben vom 06.06.2019 teilte das BFA dem BF mit, dass es beabsichtige, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen und festzustellen, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. In Einem wurden dem BF Länderinformationen betreffend Afghanistan und 14 Fragen zu seiner individuellen Situation übermittelt. Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, hierzu binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen.

1.11. Mit Schreiben vom 12.06.2019 teilte der BF dem BFA mit, dass er gesund und ledig sei. Er habe in Afghanistan von 1998 bis 2001 die Volksschule und von 2001 bis2007 das Gymnasium besucht. Er habe von 2007 bis 2010 Kurse in Englisch absolviert. In Österreich habe er Deutschkurse für insgesamt sechs Monate absolviert. Von 30.09.2013 bis 07.07.2014 habe er den Lehrgang Mezzanin (Bereich Medien, Kunst- und Kulturarbeit) absolviert und im Jahr 2017 die Staplerprüfung bestanden. Er sei im Strafvollzug einer Beschäftigung nachgegangen, sei jedoch am 20.11.2018 entlassen worden. Nach einigen geringfügigen Beschäftigungen als Lagerarbeiter habe er im März 2019 eine Vollzeitbeschäftigung in der Landwirtschaft begonnen. Seit 29.04.2019 sei er Vollzeit bei XXXX als Autogenschneider beschäftigt. Er verdiene EUR 1.900,- netto und finanziere damit seinen Lebensunterhalt. Er habe keine österreichischen Angehörigen, aber einen großen Freundeskreis aus ÖsterreicherInnen aufgebaut. Er habe niemanden in Afghanistan. Sein Vater und seine Schwester seien vor drei Jahren von Afghanistan nach Pakistan geflüchtet, weil es in ihrem Heimatort extrem gefährlich geworden sei. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan fürchte sich der BF vor den Taliban. Er könne sich nicht vorstellen, in Afghanistan zu leben. Gegen ihn seien in Österreich keine laufenden Strafverfahren anhängig.

1.12. Mit Bescheid des BFA vom 14.06.2019, Zl. 820632306-180356632, wurde der dem BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2015, GZ W171 1430976-1/13E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2015, GZ W171 1430976-1/13E, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.). Der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 1 FPG 2005 wurde gegen den BF ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII).

Begründend führte das BFA aus, dass die Voraussetzungen die dazu geführt hätten, dass dem BF in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei gesund und arbeitsfähig. Er sei mit den Sprachen und mit den religiösen und kulturellen Gegebenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Er habe gute Schulbildung und Berufserfahrung. Durch Erwerbstätigkeit könne er sich seinen Lebensunterhalt ohne fremde Hilfe finanzieren. Sein Vater und seine Schwester seien in Pakistan aufhältig. Der BF habe weitere Angehörige in Afghanistan.

Der BF sei mehrmals vom Landesgericht rechtskräftig verurteilt worden. Eine verfestigte Integration sei durch seine Straftaten vermindert.

1.13. Gegen den unter Punkt 1.12. genannten Bescheid des BFA richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin brachte er sinngemäß vor, dass sich weder die objektive Situation in Afghanistan noch seine subjektive Situation verbessert habe. Der Beschwerde legte er die folgenden Dokumente bei:

* Entlassungsbestätigung der XXXX vom 20.11.2018 (Anhaltungszeit vom 12.12.2017 bis 20.11.2018);

* Dienstvertrag des BF mit der Firma XXXX GmbH;

* Mietvertrag des BF vom März 2017.

1.14. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 08.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.15. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.12.2019 wurden dem BF aktuelle Länderinformationen betreffend Afghanistan übermittelt.

1.16. Am 18.02.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seiner Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschto durch. Dabei gab der BF an, dass er gesund sei. Er sei seit 2012 mit einer Ausnahme durchgehend in Österreich aufhältig. Von 09.09.2016 bis 09.11.2016 habe er sich in Pakistan aufgehalten, um seinen Vater und seine Schwester zu besuchen. Sein Vater und seine Schwester würden nach wie vor in Pakistan leben. Sein Vater pendle aber oft nach Afghanistan. Die Schwester des BF sei verheiratet und habe fünf Kinder. Sein Vater und seine Schwester würden nicht arbeiten. Der Schwager des BF arbeite als Automechaniker. Der BF stehe in Kontakt mit einem Cousin, der in XXXX lebe und dort Lehramt studiere. Zwei Onkel und deren Kinder seien in Afghanistan, der BF habe aber keinen Kontakt mit ihnen. Drei Onkel seien zwischenzeitig verstorben.

Der BF habe in Afghanistan 12 Jahre die Schule besucht und Englischkurse gemacht, da er Dolmetscher für die Amerikaner werden habe wollen. Er habe in Afghanistan jedoch nur 10 Tage für die afghanische Regierung gearbeitet. Der BF sei während seines Afghanistanaufenthaltes einmal fünf Tage in XXXX gewesen und habe einen Cousin dort besucht. Er habe auch für diesen freiwillig Malerarbeiten gemacht. Der BF wisse nicht, wo dieser Cousin derzeit lebe. Eine Tante des BF lebe manchmal in Afghanistan und manchmal in Pakistan bei ihrer Tochter.

Der BF gehe derzeit in Österreich einer Beschäftigung als Autogenschneider nach. Davor habe er für andere Firmen gearbeitet. Er verdiene manchmal bis EUR 2.000,- netto monatlich, aber EUR 1.850,- seien fix. Er bezahle EUR 524,- Miete plus Wärme und Strom monatlich. Er habe auch noch einen offenen Kredit, für den er monatlich EUR 300,-. zurückzahle. Der BF habe in Österreich Deutschkurse absolviert. Er habe keine große Prüfung wie B1 abgelegt, aber Teilprüfungen wie "Stufe eins und zwei". Der BF habe keine Verwandten in Österreich und führe keine Beziehung. Es gebe in Österreich eine Frau, die ihm nahe stehe. Sie wohne in XXXX und helfe dem BF, wenn er Probleme habe. Der BF sei nicht Mitglied in einem Verein in Österreich. Er sei in Österreich zweimal von einem Strafgericht verurteilt worden. Das erste Mal 2015 wegen einer Falschaussage und das zweite Mal 2018 wegen der Beteiligung an Drogenhandel. Er habe im Gefängnis dazugelernt und werde in Zukunft keine strafbaren Handlungen mehr begehen. Der BF sei Eigentümer eines Hauses und Grundstückes in Afghanistan. Diese seien aber von seinem Cousin übernommen worden. Auf Nachfrage gab der BF an, dass er nach wie vor Eigentümer sei und die Papiere habe, aber derzeit sein Cousin bzw. dessen Brüder das Grundstück besitzen und ihn fernhalten würden. Der BF wolle nicht nach Afghanistan zurückkehren. Die Situation dort sei schlecht und er habe sich hier eingelebt.

1.17. Mit Schreiben vom 25.02.2020 übermittelte der BF dem Bundesverwaltungsgericht seinen vollständigen Dienstvertrag und ein Unterstützungsschreiben seines Dienstgebers.

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz des BF vom 22.05.2012, dem gegenständlich erhobenen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, der Erstbefragung und der Einvernahmen des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesasylamtes und des BFA, der schriftlichen Stellungnahme des BF vom 12.06.2019, der Bescheide des Bundesasylamtes und des BFA, des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2015, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 18.02.2020, der Länderberichte zu Afghanistan sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister, die seitens des Landesgerichts XXXX zu den Zahlen 39 Hv 142/15w und 13 Hv 25/2018b geführten Strafakte sowie das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1. Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz XXXX , Afghanistan, geboren und ist dort aufgewachsen.

2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Paschto.

2.1.3. Der BF besuchte 12 Jahre die Schule in Afghanistan. Zusätzlich besuchte er von 2007 bis 2010 Englischkurse und konnte sich hierbei Englischkenntnisse aneignen. Der BF arbeitete in Afghanistan zehn Tage für die afghanische Regierung in Zusammenhang mit der Durchführung von Wahlen.

2.1.4. Die Mutter des BF ist verstorben. Der Vater pendelt zwischen Afghanistan und Pakistan. In Pakistan lebt der Vater bei der Schwester des BF sowie deren Ehemann und Kinder. Der Ehemann der Schwester des BF erzielt ein regelmäßiges Einkommen als Automechaniker. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seinem Vater und seiner Schwester. Im Jahr 2016 verbrachte der BF zwei Monate in Pakistan bei seinem Vater und seiner Schwester. Der BF ist Eigentümer zumindest eines Grundstückes und eines Hauses in seinem Heimatdistrikt in Afghanistan.

2.1.5. Der BF verbrachte während seines Aufenthaltes in Afghanistan einmal wenige Tage in XXXX , um einen Cousin zu besuchen und diesen bei Malertätigkeiten zu unterstützen. Der BF steht derzeit nicht in regelmäßigem Kontakt mit diesem Cousin, wird aber über andere Verwandte immer wieder über dessen Aufenthaltsort und Beschäftigung informiert.

2.1.6. Ein Cousin des BF lebt in XXXX und studiert Lehramt. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit ihm.

2.1.7. Zwei Onkel und viele Cousins des BF leben in Afghanistan. Eine Tante des BF pendelt zwischen Afghanistan und Pakistan. Eine Cousine des BF lebt in Pakistan. Er steht mit diesen Verwandten derzeit nicht in regelmäßigem Kontakt, hat aber die Möglichkeit, Kontakt mit diesen herzustellen.

2.1.8. Der BF verfügt über Freunde und Bekannte aus Afghanistan, mit denen er derzeit nicht in regelmäßigem Kontakt steht. Er hat die Möglichkeit, Kontakt mit diesen herzustellen.

2.1.9. Der BF ist ledig, gesund, arbeitsfähig und anpassungsfähig. Er hat keine Kinder.

2.2. Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1. Der BF hat in Österreich insgesamt für ca. sechs Monate Deutschkurse besucht. Er hat bisher keine Deutschprüfung bestanden. Er ist in der Lage, sich auf einfachem Niveau in deutscher Sprache zu verständigen.

2.2.2. Der BF wohnt in einer Mietwohnung. Für diese zahlt er monatlich ca. EUR 524,- exklusive Strom und Gas.

2.2.3. Der BF war seit seiner Einreise in Österreich im Mai 2012 zu folgenden Zeiten erwerbstätig:

* 27.04.2015 - 27.04.2015 als Arbeiter für die XXXX

* 17.06.2015 - 17.06.2015 als Arbeiter für die XXXX

* 22.06.2015 - 20.10.2016 als Arbeiter für die XXXX

* 13.03.2017 - 14.03.2017 als Arbeiter für XXXX

* 20.03.2017 - 25.03.2017 als Arbeiter für XXXX

* 06.07.2017 - 31.10.2017 als Arbeiter für die XXXX

* 02.11.2017 - 10.12.2017 als Arbeiter für die XXXX

* 14.01.2019 - 28.01.2019 als geringfügig beschäftigter Arbeiter für die XXXX

* 04.02.2019 - 14.02.2019 als geringfügig beschäftigter Arbeiter für die XXXX

* 11.02.2019 - 11.02.2019 als Arbeiter für die XXXX

* 01.03.2019 - 30.04.2019 als Arbeiter für XXXX

* seit 29.04.2019 als Arbeiter für die XXXX

Der BF wurde bei den oben genannten Tätigkeiten, die sich zusammengezählt auf ca. drei Jahre erstrecken, als Metallsortierer und Autogenschneider im Handel mit Alt- und Abfallstoffen, Schrott und Altmetall, als Monteur von Schläuchen und Autoteilen, als Reinigungskraft, für Lagerarbeiten, für Produktionsarbeit und für das Kommissionieren eingesetzt.

Der BF wird von seinem derzeitigen Arbeitgeber als fleißiger und engagierter Mitarbeiter beschrieben.

Der BF hat im Jahr 2017 den Staplerschein erhalten.

2.2.4. Von 10.11.2016 bis 04.12.2016, von 06.12.2016 bis 11.01.2017, von 14.01.2017 bis 12.03.2017, von 15.03.2017 bis 19.03.2017 und von 26.03.2017 bis 23.05.2017 bezog der BF Arbeitslosengeld. Von 01.06.2017 bis 05.07.2017, von 03.12.2018 bis 10.02.2019 und von 12.02.2019 bis 28.02.2019 bezog der BF Notstandshilfe/Überbrückungshilfe.

2.2.5. Der BF verfügt über keine Verwandten in Österreich. Er verfügt über keinen engen Freundeskreis. Er ist mit einer österreichischen Frau befreundet, die ihm hilft, wenn er Probleme hat. Er ist nicht Mitglied in einem Verein. Er hat sich seit seiner Ankunft in Österreich noch nie ehrenamtlich engagiert. Er hat keine nennenswerten sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.6. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 20.11.2015, Zl. 39 Hv 142/15w, rechtskräftig wegen § 288 Abs. 1 StGB und §§ 15 Abs. 1, 299 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF als Zeuge vor Gericht bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt hat und versucht hat, einen Freund dadurch absichtlich ganz oder zumindest zum Teil der Strafverfolgung wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG zu entziehen. Mildernd wurden das Geständnis, die Unbescholtenheit und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, berücksichtigt. Erschwerend wurde das Zusammentreffen von zwei Vergehen berücksichtigt.

2.2.7. Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 20.11.2018, Zl. 13 Hv 25/2018b, rechtskräftig wegen §§ 28a Abs. 1 5. Fall, 28a Abs. 4 Z 3 SMG iVm. § 12 3. Fall StGB,

wegen §§ 27 Abs. 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG, und

wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs.1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 2 SMG

zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF

1. im Zeitraum von September 2016 bis 10.12.2017 zumindest als Beitragstäter nach § 12 3. Fall StGB in einer die Grenzmenge (§ 28 b SMG) das 25-fache übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er seine Wohnung in XXXX , und das dazugehörige Kellerabteil als Suchtgiftbunker zur Verfügung stellte, wo XXXX

- die von September 2016 bis Ende August 2017 von Tschechien nach Österreich geschmuggelte nicht näher feststellbare Menge "Cannabiskraut" (beinhaltend das Suchtgift THCA und Delta-9-THC), jedoch unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Reinhaltsgehalts von 11 % THCA und 0,83 % Delta-9-THC, jedenfalls eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) 5-fach übersteigende Menge "Cannabiskraut" (beinhaltend das Suchtgift THCA und Delta-9-THC) sowie

- die im Zeitraum von Juni/Juli 2017 bis bis 07.12.2017 in Wien zum Verkauf erworbenen 7.250 Gramm "Cannabiskraut" (beinhaltend das Suchtgift THCA und Delta-9-THC) lagerte, verkaufsfertig abpackte und die Wohnung auch als Anlaufpunkt für Suchtgiftabnehmer und Verkaufsort nutzte, wofür er von XXXX mit geringen Mengen Cannabiskraut unentgeltlich, teils aber auch durch Überlassung von Cannabiskraut zum Vorzugspreis für sich und Din Mohammad SHARIFI entlohnt wurde;

2. erworben und besessen, und zwar am 10.12.2017 186,1 Gramm (8 Klemmsäckchen) "Cannabiskraut" (beinhaltend das Suchtgift THCA und Delta-9-THC) mit einem Reinheitsgehalt von 12,4 % THCA und 0,94 % Delta-9-THC (und einer Reinsubstanz von 23 Gramm THCA und 1,76 Gramm Delta-9-THC), das im Keller seiner Wohnung in XXXX sichergestellt wurde;

3. im Zeitraum von zumindest Mitte Mai 2015 (vgl 44 BAZ 632/15i, Staatsanwaltschaft XXXX ) bis 10.12.2017 ausschließlich zum persönlichen Gebrauch "Cannabiskraut" (beinhaltend das Suchtgift THCA und Delta-9-THC) erworben, besessen und anderen zum Mitkonsum überlassen, Amphetamin (beinhaltend das Suchtgift Amphetamin) erworben und bis zum Eigenkonsum besessen sowie 1,3 Gramm "Cannabiskraut" (beinhaltend das Suchtgift THCA und Delta-9-THC) bis zur polizeilichen Sicherstellung am 10.12.2017 besessen.

Bei der Strafbemessung war vom Strafsatz des § 28a Abs. 4 SMG, der eine Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren vorsieht, auszugehen. Es wurden folgende (besonderen) Strafbemessungsgründe gewertet:

mildernd:

- weitreichendes Geständnis,

- nur passiver Tatbeitrag, unterste Beitragsgrenze (nur gewähren lassen)

- (noch) ordentlicher Lebenswandel (Vorstrafe nicht einschlägig)

- Suchtgiftsicherstellungen

- nur äußerst gering Profit durch Tatbeitrag

- "Zwickmühle" (Freund von XXXX , Widerspruch gegen Nutzung der Wohnung wäre zwecklos gewesen)

erschwerend:

- Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit mehreren Vergehen,

- Tatwiederholung (Faktenmehrheit),

- längerer Tatzeitraum

Eine bedingte oder unbedingte Strafnachsicht war beim BF laut Urteil aufgrund der jeweiligen Eingliederung in einen professionellen Suchtgifthandel und auch aufgrund einer Verurteilung nach der Qualifikation nach § 28a Abs. 3 Z 4 SMG ausgeschlossen.

2.2.8. Der BF verbüßte seine Freiheitsstrafe von 12.12.2017 bis 20.11.2018 in der Justizanstalt XXXX .

2.2.9. Der BF hat im Jahr 2015 einen Kredit in Österreich aufgenommen. Von diesem haften derzeit ca. EUR 1.200,- aus.

2.3. Zum Verfahrensgang:

2.3.1. Der BF stellte nach unrechtmäßiger Einreise im österreichischen Bundesgebiet am 22.05.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.3.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2015, GZ W171 1430976-1/13E, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 23.02.2016 erteilt.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF sehr schlecht sei und er auf kein familiäres/soziales Netzwerk außerhalb seiner Heimatregion zurückgreifen könne. Das Bundesverwaltungsgericht traf hierbei keine näheren Feststellungen zu Verwandten des BF.

Das Bundesverwaltungsgericht traf keine Feststellungen zur Schulbildung, Ausbildung und Berufserfahrung des BF. Soweit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen ist, ging das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass der BF zum damaligen Zeitpunkt über Schulbildung und/oder Ausbildung und/oder Berufserfahrung verfügt hat. Soweit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen ist, ging das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass der BF zum damaligen Zeitpunkt über Eigentum (Grundstücke, Häuser etc). in Afghanistan verfügt hat.

Der Entscheidung wurden die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 17.11.2014 betreffend die Sicherheitslage in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , sowie auszugsweise das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 28.01.2014 zugrunde gelegt.

2.3.3. Mit Bescheid des BFA vom 19.01.2016, Zl. 820632306-1493692, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF bis zum 23.02.2018 verlängert.

2.3.4. Am 09.01.2018 und 14.03.2018 stellte der BF Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

2.3.5. Mit Schreiben vom 06.06.2019 teilte das BFA dem BF mit, dass es beabsichtige, dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen und festzustellen, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. In Einem wurden dem BF Länderinformationen betreffend Afghanistan und 14 Fragen zu seiner individuellen Situation übermittelt. Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, hierzu binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen.

2.3.6. Mit Bescheid des BFA vom 14.06.2019, Zl. 820632306-180356632, wurde der dem BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2015, GZ W171 1430976-1/13E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2015, GZ W171 1430976-1/13E, erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des BF wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.). Der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 1 FPG 2005 wurde gegen den BF ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass die Gründe für die Zuerkennung nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei gesund und arbeitsfähig. Er sei mit den Sprachen und mit den religiösen und kulturellen Gegebenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Er habe gute Schulbildung und Berufserfahrung. Durch Erwerbstätigkeit könne er sich seinen Lebensunterhalt ohne fremde Hilfe finanzieren. Sein Vater und seine Schwester seien in Pakistan aufhältig. Der BF habe weitere Angehörige in Afghanistan.

Der Entscheidung wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 26.03.2019 zugrunde gelegt.

2.4. Zur Situation des BF in Afghanistan:

2.4.1. Dem BF droht im Fall der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

2.4.2. Der BF wäre im Falle der Rückkehr nach Afghanistan und Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif keiner konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt.

2.4.3. Der BF ist gesund, arbeitsfähig, anpassungsfähig und ledig. Er hat keine Kinder.

Der BF verfügt über zwölfjährige Schulbildung, Englischsprachkenntnisse, zehntägige Berufserfahrung für die afghanische Regierung in Afghanistan sowie dreijährige Berufserfahrung in Österreich, wo er als Metallsortierer und Autogenschneider im Handel mit Alt- und Abfallstoffen, Schrott und Altmetall, als Monteur von Schläuchen und Autoteilen, als Reinigungskraft, für Lagerarbeiten, für Produktionsarbeit und für das Kommissionieren eingesetzt wurde und den Staplerschein erhielt.

Der BF wurde in der Provinz XXXX in einer afghanischen Familie geboren und wurde durch eine afghanische Familie in einem afghanischen Umfeld erzogen. Der BF wuchs sohin in einem afghanischen Familienverband auf und ist mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut.

Ein Cousin des BF lebt in XXXX und studiert Lehramt. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit ihm. Zwei Onkel und viele Cousins des BF leben in Afghanistan. Eine Tante des BF pendelt zwischen Afghanistan und Pakistan. Eine Cousine des BF lebt in Pakistan. Er steht mit diesen Verwandten derzeit nicht in regelmäßigem Kontakt, könnte aber Kontakt mit ihnen herstellen. Der BF verfügt über Freunde und Bekannte aus Afghanistan, mit denen er derzeit nicht in regelmäßigem Kontakt steht, aber Kontakt herstellen könnte.

Der Vater des BF pendelt zwischen Afghanistan und Pakistan. In Pakistan lebt der Vater bei der Schwester des BF sowie deren Ehemann und Kinder. Der Ehemann der Schwester des BF erzielt ein regelmäßiges Einkommen als Automechaniker. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt mit seinem Vater und seiner Schwester.

Der BF ist Eigentümer zumindest eines Grundstückes und eines Hauses in seinem Heimatdistrikt.

Der BF spricht Paschto. Angesichts seiner Sprachkenntnisse, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Schulbildung und seiner Berufserfahrung könnte er sich in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist in der Lage, in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Im Ergebnis ist von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des BF in Afghanistan auszugehen. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF könnte im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auch durch seine Verwandten (Vater, Schwester, Schwager, Onkeln, Tanten und/oder Cousins) unterstützt werden. In einer Gesamtbetrachtung sind Herat und Mazar-e Sharif für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über die jeweiligen Flughäfen gut erreichbare Städte. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif somit kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit und er läuft auch nicht Gefahr, im Falle der Rückkehr in die Städte Herat oder Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.4.4. Im Falle der Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif läuft der BF auch nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.4.5. Im Falle des BF ist es in einer Gesamtschau zu einer nachhaltigen, maßgeblichen Verbesserung der subjektiven bzw. persönlichen Situation des BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan gekommen.

2.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 13.11.2019:

1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

1.1. Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

1.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019).

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

2. Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar

Nangarhar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Laghman und Kunar, im Osten und Süden an Pakistan (Tribal Distrikts Kurram, Khyber und Mohmand der Provinz Khyber Pakhtunkhwa) und im Westen an Logar und Kabul (NPS o.D.na; vgl. UNOCHA 16.4.2010, UNOCHA 4.2018na). Die Provinzhauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad (NPS o.D.na; vgl. OPr 1.2.2017na). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena (AB19.9.2016; VOA 28.6.2019)), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar und Surkh Rud (CSO 2019; vgl. IEC 2018na, UNOCHA 4.2014na, NPS o.D.na) sowie dem temporären Distrikt Spin Ghar (CSO 2019; vgl. IEC 2018na).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Nangarhar für den Zeitraum 2019-20 auf 1.668.481 Personen - davon 263.312 Einwohner in der Hauptstadt Jalalabad (CSO 2019). Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken (NPS o.D.na). Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft lebten in der Provinz Nangarhar, insbesondere in und um Jalalabad (AAN 23.9.2013). Viele von ihnen haben Afghanistan aus unterschiedlichen Gründen wie z.B. Unsicherheit verlassen. Mit Stand September 2018 lebten noch 60 Familien in der Gemeinde in Nangarhar (SW 23.9.2018).

Die asiatische Autobahn AH-1 führt durch die Distrikte Surkhrod, Jalalabad, Behsud, Rodat, Batikot, Shinwar, Muhmand Dara zum afghanisch-pakistanischen Grenzübergang Torkham (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA 4.2014na). Die Provinz, die an die ehemaligen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) Pakistans grenzt, dient als inoffizieller Korridor für in- und ausländische Aufständische (AAN 27.9.2016; vgl. VOA 28.6.2019; PF 15.5.2019; NA 25.1.2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 war Nangarhar in der östlichen Region die führende Provinz beim Schlafmohnanbau, obwohl die Anbaufläche 2018 im Vergleich zu 2017 um 9% gesunken ist. Der Rückgang betraf die Distrikte Khogyani, Chaparhar und Lalpoor, während in Kot, Shinwar und Achin ein Anstieg verzeichnet wurde. Die meisten staatlich durchgeführten Mohnvernichtungsaktionen fanden in der Provinz Nangarhar statt (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

In Nangarhar, die als strategische Provinz gilt (RY 27.4.2019), war seit 2011 eine Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten (AAN 27.9.2016; vgl. TBIJ 30.7.2018, NA 25.1.2018). Korruption, lokale Machtkämpfe und das Versagen, effektive Dienstleistungen zu erbringen, untergruben das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Regierung, die die Bevölkerung ungeschützt gegen Aufständische zurückließ, aber auch der Rückzug der internationalen Streitkräfte in der Provinz ab dem Jahr 2013 trug dazu bei (AAN 27.9.2016). Nichtsdestotrotz sind Bemühungen der Regierung auf dem Weg, um Sicherheit zu gewährleisten, Landraub und Korruption vorzubeugen sowie die Koordinierung zwischen den Sicherheits- und Rechtsorganen zu verbessern (PAJ 20.1.2019). So arbeitet die UNAMA auch weiterhin auf lokaler Ebene mit ansässigen Gemeinschaften und Behörden, um Frieden und Konfliktlösungsbemühungen umzusetzen und voranzutreiben; so auch in der Provinz Nangarhar, wo UNAMA eine Friedensjirga zwischen zwei Stämmen im Distrikt Sher Zad einberief - an der zum ersten Mal auch Frauen eine aktive Rolle einnahmen. Diese Jirga führte zu einem Beschluss über die Verteilung von Wasser, der auch angenommen wurde (UNGASC 14.6.2019).

Auch ebnete ein politisches und militärisches Vakuum, das die Provinz seit Jahren heimgesucht hatte, rund um das Jahr 2016 den Weg für den Aufstieg des afghanischen Zweiges des Islamischen Staates, dem Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISK

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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