TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/1 W102 2162300-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.04.2020
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Entscheidungsdatum

01.04.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §92 Abs1 Z3

Spruch

W102 2162300-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 06.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.04.2019 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 92 Abs. 1 Z 3 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 15.10.2015 stellte der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 17.05.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abwies, dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 17.05.2018 erteilte. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.02.2018 als unbegründet abgewiesen.

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom 12.12.2017 wurde die belangte Behörde über die Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 2a SMG, 15 StGB verständigt.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 03.01.2018, 152 Hv 123/17y, wurde das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 2a, 15 StGB gemäß §§ 198 f. iVm 201 Abs. 1 StPO iVm 7 f. JGG zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 50 Stunden binnen sechs Monaten vorläufig eingestellt.

Mit Bescheid vom 11.06.2018 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 17.05.2020 erteilt.

Am 24.04.2018 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 88 Abs. 2a FPG und brachte eine "Bestätigung" der afghanischen Botschaft in Vorlage.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 09.04.2018, 152 Hv 123/17y wurde das mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 03.01.2018, 152 Hv 123/17y, vorläufig eingestellte Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 2a SMG, 15 StGB gemäß §§ 198 f. iVm 201 Abs. 5 StPO iVm 7 f. JGG nach Erbringung von 50 Stunden gemeinnütziger Leistungen endgültig eingestellt.

Mit Schreiben vom 07.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer im Wesentlichen mitgeteilt, dass die Abweisung seines Antrages auf Ausstellung eines Fremdenpasses beabsichtigt sei. die Anklageerhebung sowie die diversionelle Erledigung des Verfahrens seien aktenkundig, ein Verstoß gegen das SMG sei ein schwerwiegender Untersagungsgrund bei der Ausstellung eines Fremdenpasses. Dem Beschwerdeführer wurde die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Am 22.05.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, das Verfahren sei endgültig eingestellt worden und dürfe eine diversionelle Erledigung eines Strafverfahrens nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass eine Bestrafung nicht geboten erscheine, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Das Landesgericht und die Staatsanwaltschaft Wien seien offenkundig davon ausgegangen, dass eine Bestrafung aus spezialpräventiven Gründen nicht geboten sei, es sei also nicht von einer weiteren Tatbegehungsgefahr im Sinne einer Zukunftsprognose auszugehen. Die Annahme, der Beschwerdeführer werde das Dokument benützen wollen, um gegen das Suchtmittelgesetz zu verstoßen, sei jedenfalls nicht gerechtfertigt.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.08.2018, zugestellt am 08.08.2018, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers vom 24.04.2018 auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 92 Abs. 1 Z 3 FPG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, aufgrund des nicht rechtskonformen Verhaltens des Beschwerdeführers - der Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz - gehe eindeutig hervor, dass er nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Ein Verstoß gegen das Suchtmittelgesetz sei ein schwerwiegender Versagungsgrund bei der Ausstellung eines Fremdenpasses, die Tat liege erst neun Monate zurück und laste der Suchtgiftkriminalität eine hohe Wiederholungsgefahr an. Eine positive Prognose sei nicht möglich. Der Fall des § 92 Abs. 1 Z 3 FPG treffe zu.

3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.08.2018 richtet sich die am 31.08.2018 bei der belangten Behörde eingelangte Beschwerde, in der ausgeführt wird, das Verfahren sei im Wege einer Diversion ohne Schuldspruch eingestellt worden und der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten. In verfassungskonformer Interpretation des § 92 FPG sei davon auszugehen, dass die Behörde nicht dazu angehalten sein könne, gegen den verfassungsgesetzlich verankerten Grundsatz der Unschuldsvermutung zu verstoßen. Es seien nur gerichtliche Verurteilungen als die Annahme rechtfertigende Tatsachen heranzuziehen. Eine Diversion setze voraus, dass für die Zukunft keine Tatbegehungsgefahr bestehe. Die Behörde habe die individuellen Umstände des Einzelfalles nicht gewürdigt. Die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers sei nicht gewürdigt worden und das Kindeswohl in die Prognoseentscheidung einzubeziehen gewesen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 10.04.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine gesetzliche Vertreterin, ein Vertreter der belangten Behörde und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurden die verfahrensrelevanten Rechtsfragen erörtert und der Beschwerdeführer zu seinem Antrag einvernommen.

Am 24.04.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der ausgeführt wird, dass es bei einer diversionellen Erledigung zu keiner rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Nachweis der Täterschaft und Schuld der Person komme, das Verfahren ende ohne Schuldspruch und Strafe. Dies habe gemäß Art. 6 EMRK bzw. § 8 StPO zur Folge, dass für die betreffende Person weiterhin die Unschuldsvermutung gelte. Zur Feststellung ob eine gerichtlich strafbare Handlung zugrunde lag, müssten Täterschaft und Schuld beurteilt werden. In den Augen des Gesetzes sei der Beschwerdeführer unbescholten und nicht vom zuständigen Strafgericht festgestellt, dass es zu einer gerichtlich strafbaren Handlung gekommen sei. Davon sei die Frage des § 92 Abs. 1 FPG, nämlich die Einzelfallbeurteilung ob bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Fremde wolle mit dem Dokument (in diesem Fall) gegen die Bestimmungen des SMG verstoßen.

Auf Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichts hin übermittelte das Landesgericht für Strafsachen Wien die beiden Beschlüsse, sowie das Hauptverhandlungsprotokoll zur Zl. 152 Hv 123/17y, die am 13.03.2020 am Bundesverwaltungsgericht einlangten.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* "Bestätigung" der afghanischen Botschaft in Wien

* Sozialpädagogische Stellungnahme

* Empfehlungsschreiben

* Schulzeugnis

* Integrationserklärung des Beschwerdeführers

* Teilnahmebestätigung für ein XXXX

* Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom 17.05.2017 gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Mit Bescheid vom 11.06.2018 wurde ihm zuletzt eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 17.05.2020 erteilt.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 03.01.2018, 152 Hv 123/17y, wurde das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 2a, 15 StGB gemäß §§ 198 f. iVm 201 Abs. 1 StPO iVm 7 f. JGG zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 50 Stunden binnen sechs Monaten vorläufig eingestellt.

Dem liegt der Sachverhalt zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 17.11.2017 einem verdeckten Ermittler ein Baggy Marihuana (0,9 g) um EUR 10,- überließ und weitere sieben Baggies (9 g) zu überlassen versuchte, indem er sie in einem nahegelegenen Bunker bereit hielt. Das Landesgericht für Strafsachen Wien sah den Sachverhalt als hinreichend geklärt an und hielt eine Bestrafung des Beschwerdeführers nicht für erforderlich, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Es gewann den persönlichen Eindruck, dass der Beschwerdeführer um seine Integration bemüht ist. Er besuche regelmäßig die Schule und führe auch sonst ein geordnetes Leben. Der Beschwerdeführer habe angegeben, Marihuana verkauft zu haben, um sich unter anderem seinen eigenen Konsum sowie ein Handy finanzieren zu können. Der Beschwerdeführer konsumiere kein Marihuana mehr und nehme unterstützend an einer Therapie teil.

Der Beschwerdeführer war in diesem Zeitpunkt minderjährig.

Der Beschwerdeführer beantragte am 24.04.2018 die Ausstellung eines Fremdenpasses.

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 09.04.2018, 152 Hv 123/17y wurde das mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 03.01.2018, 152 Hv 123/17y, vorläufig eingestellte Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 2a SMG, 15 StGB gemäß §§ 198 f. iVm 201 Abs. 5 StPO iVm 7 f. JGG nach Erbringung von 50 Stunden gemeinnütziger Leistungen endgültig eingestellt.

Der Beschwerdeführer hat die ihm auferlegten gemeinnützigen Leistungen im Ausmaß von 50 Stunden in einem geriatrischen Tageszentrum geleistet.

Seit der dem Strafverfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien zugrundeliegenden Handlung her der Beschwerdeführer aufgehört, Marihuhana zu konsumieren, er hat die Polytechnische Schule erfolgreich abgeschlossen, weiterführende Bildungsmaßnahmen besucht und nimmt therapeutische Hilfe in Anspruch. Er sucht eine Lehrstelle.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Dass ein weiteres Verfahren eingeleitet worden wäre, ist nicht aktenkundig.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum subsidiären Schutzstatus und zur zuletzt erteilten Aufenthaltsberechtigung beruhen auf den im Akt einliegenden Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2017 (AS 103 ff.; "Zuerkennungsbescheid") und vom 11.06.2018 (AS 395 ff.; "Verlängerungsbescheid).

Die Feststellungen zum Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer sowie des diesem zugrundeliegenden Sachverhaltes beruhen auf den im Akt einliegenden Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 03.01.2018 und vom 09.04.2018, 152 Hv 123/17y, ebenso die Feststellung zu den gemeinnützigen Leistungen des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer den festgestellten Sachverhalt verwirklicht hat, wurde auch im Lauf des Verfahrens nicht bestritten. Zudem ergibt sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien vom 03.01.2018, dass der Beschwerdeführer diesen Sachverhalt bestätigt hat (Hauptverhandlungsprotokoll S. 4).

Dass Alter des Beschwerdeführers ist unstrittig und damit auch die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers am 17.11.2017.

Die Feststellungen zu den seitherigen Aktivitäten des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Bestätigungen und Zeugnissen sowie den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.04.2019. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung am 10.04.2019 auch den Eindruck gewonnen, dass der Beschwerdeführer sich aufrichtig um seine weitere Ausbildung und ein geordnetes Leben bemüht.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 88 Abs. 2a FPG sind Fremdenpässe Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

Nach § 92 Abs. 1 Z 3 FPG ist die Ausstellung eines Fremdenpasses zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Fremde das Dokument benützen will, um gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu verstoßen.

Gemäß § 92 Abs. 3 FPG ist bis zum Ablauf von drei Jahren nach der Tat jedenfalls von einem Versagungsgrund auszugehen, wenn den Tatsachen, die in unter anderem § 92 Abs. 1 Z 3 FPG angeführt werden, gerichtlich strafbare Handlungen zugrunde liegen.

§ 92 Abs. 3 FPG wurde mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 - FrÄG 2015, BGBl. I Nr. 70/2015 eingeführt und dient der Angleichung der Versagungsgründe des § 92 FPG an jene des § 14 Passgesetz 1992, wobei mit § 92 Abs. 3 FPG "die Beweisregel des § 14 Abs. 3 Passgesetz auch für die besonderen Versagungsgründe für Fremdenpässe" übernommen werden soll (ErläutRV 582 BlgNR XXV. GP, 25). § 14 Abs. 3 Passgesetz 1992 wiederum - der dem Wortlaut des § 92 Abs. 3 FPG im Wesentlichen entspricht - wurde im Zuge der Novellierung des Passgesetzes 1992, BGBl. I Nr. 44/2006, zur Einführung biometrischer Reisepässe im Jahr 2006 eingeführt und gibt dazu, "wie lange nach einer Tat, die [...] als Versagungsgrund zu werten ist, diese weiterhin der Ausstellung eines Reisepasses entgegensteht" in Orientierung an der höchstgerichtlichen Judikatur eine bestimmte Untergrenze vor (ErläutRV 1229 blgNR XXII. GP, 9).

Auch wenn die Materialien zum FrÄG 2015 von einer "Beweisregel" sprechen, ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmung in Zusammenschau mit der eben angesprochenen Intention zur Festsetzung einer Untergrenze klar, dass die Behörde in einem Zeitraum von drei Jahren nach der "gerichtlich strafbaren Handlung" ohne eigenes Prüfkalkül den Fremdenpass zu versagen hat. Hinsichtlich § 14 Abs. 3 Passgesetz 1992 hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Bestimmung eine gesetzliche Vermutung des Bestehens einer maßgeblichen Gefahr für eine im Vorhinein festgelegte Zeit anordnet, ohne dass eine Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles möglich wäre (etwa VwGH 10.10.2012, 2009/18/0458).

Allerdings war der Beschwerdeführer am 17.11.2017 - ungeachtet der Frage, ob die Handlung des Beschwerdeführers, hinsichtlich derer das Strafverfahren diversionell erledigt wurde, eine "gerichtlich strafbare Handlung" im Sinne des § 92 Abs. 3 FPG darstellt - minderjährig und erfolgte die diversionelle Einstellung unter Anwendung des JGG.

§ 5 JGG sieht für die Ahndung von Jugendstraftaten vor, dass die allgemeinen Strafgesetze gelten, soweit im Folgenden (§ 5 Z 1 bis 11 JGG) nicht anderes bestimmt ist. Gemäß § 5 Z 10 JGG treten die in gesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Rechtsfolgen nicht ein.

Zwar sieht § 2 Abs. 4 AsylG 2005 vor, dass eine nach dem AsylG maßgebliche gerichtliche Verurteilung abweichend von § 5 Z 10 JGG auch vorliegt, wenn sie wegen einer Jugendstraftat erfolgt ist. Dem FPG allerdings fehlt eine vergleichbare Bestimmung, sodass der Rechtsfolgenausschluss des § 5 Z 10 JGG zur Anwendung kommt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gilt der Rechtsfolgenausschluss des § 5 Z 10 JGG einerseits für Rechtsfolgen, die aufgrund gesetzlicher Anordnung ex lege eintreten und andererseits für vom Gesetz zur Gänze determinierte Rechtsfolgen, auch wenn diese erst aufgrund einer Entscheidung der Verwaltungsbehörde realisiert werden. Entscheidend ist, dass der Verwaltungsbehörde bei ihrem Vorgehen ein eigenes Prüfkalkül nicht zukommt (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0246).

Zwar bezieht sich der Verwaltungsgerichtshof im oben zitierten Judikat auf die Rechtsfolgen strafgerichtlicher Verurteilungen. Aus dem Wortlaut des § 5 JGG, der in seinem ersten Satz von der "Ahndung von Jugendstraftaten" spricht, ist eine Beschränkung des Rechtsfolgenausschlusses auf (rechtskräftige) strafgerichtliche Verurteilungen nicht zu entnehmen und ist davon auszugehen, dass die "Ahndung von Jugendstraftaten" auch die diversionelle Erledigung eines Strafverfahrens umfasst.

Nachdem aber die Behörde die Ausstellung des Fremdenpasses unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 3 erster Satz FPG ohne eigenes Prüfkalkül jedenfalls zu versagen hat, kommt dessen Untergrenze aufgrund des Rechtsfolgenausschlusses des § 5 Z 10 JGG gegenständlich nicht zur Anwendung.

Den Ausführungen des Beschwerdeführers, dass die belangte Behörde eine Einzelfallprüfung hätte durchführen müssen, ist daher im Ergebnis zuzustimmen, wobei anzumerken ist, dass die belangte Behörde - entgegen ihrer Behauptung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.04.2019 - eine solche im angefochtenen Bescheid nicht vorgenommen hat. Sie gibt viel mehr - ohne Feststellungen zur konkreten der diversionellen Erledigung zugrunde liegenden Handlung - den Text des § 27 Abs 2a SMG zwei Mal wieder (Bescheid S. 2 und 4), kommt aktenwidrig zu dem Schluss, der Beschwerdeführer weise eine Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz auf (Bescheid S. 4), zitiert den Normtext des § 92 FPG und kommt schließlich im Wesentlichen ohne nähere Begründung zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses wegen Versagungsgründen des § 92 FPG abzuweisen sei.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hindert § 5 Z 10 JGG die Verwaltungsbehörde jedenfalls nicht, die Verurteilung einer Person wegen einer von ihr begangenen Jugendstraftat in ihrem Verfahren zu berücksichtigen, wenn die einschlägigen Normen des Verwaltungsrechts dies im Speziellen anordnen oder die Bedachtnahme auf diese strafrechtliche Verurteilung als Teil einer Gesamtbeurteilung des Verhaltens dieser Person im Rahmen einer Gefährdungsprognose erfolgt (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0246).

Damit ist die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer allerdings im Zuge der Prognosebeurteilung nach § 92 Abs. 1 Z 3 FPG zu berücksichtigen, die im Übrigen nach ihrem Wortlaut - auch in Zusammenschau mit § 92 Abs. 3 FPG - sowie der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht voraussetzt, dass tatsächlich bereits Übertretungen der dort genannten Vorschriften erfolgt sind (VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0211). Auch bedeutet - wie die Behörde im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht richtig anmerkte - die Diversion keine Entkriminalisierung, die Tat wird lediglich nicht sanktioniert, bleibt aber strafbares Verhalten (Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II13, S. 15).

Im Zusammenhang mit anderen Prognoseentscheidungen nach dem FPG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt bejaht, dass es zulässig ist, das einer diversionellen Erledigung zugrundeliegende Fehlverhalten zu berücksichtigen, wobei dies voraussetzt, dass die der Strafanzeige zugrundeliegenden Taten, ihre Art und Schwere, sowie das Fehlverhalten festgestellt und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild konkret dargestellt werden (VwGH 21.02.2013, 2012/23/0042; VwGH 13.12.2011, 2010/22/0197).

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht anders als die belangte Behörde damit nicht von der Anwendbarkeit der Untergrenze des § 92 Abs. 3 FPG ausgeht - wenngleich aus anderen Gründen, als der Beschwerdeführer ausführt - erübrigt sich ein Eingehen auf die sich den Ausführungen des Beschwerdeführers zufolge aus der Anwendung der genannte Bestimmung im gegenständlichen Zusammenhang ergebenden Verletzung der Unschuldsvermutung. Es wird jedoch angemerkt, dass die belangte Behörde (und das Bundesverwaltungsgericht) bei einer Entscheidung nach § 92 FPG nicht über eine strafrechtliche Anklage im Sinne des Art. 6 EMRK entscheiden; so ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Stichhaltigkeit der strafrechtlichen Vorwürfe als solche weder ein Tatbestandserfordernis des § 92 Abs. 1 FPG, noch ist das Bundesverwaltungsgericht zu einer entsprechenden inhaltlichen Prüfung berufen (VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0211).

Damit ist das den Beschlüssen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 03.01.2018 und vom 09.04.2018 zugrundeliegende Verhalten, das der Beschwerdeführer am 17.11.2017 gesetzt hat, im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 92 Abs. 1 Z 3 FPG zu berücksichtigen.

Bei der Suchtgiftkriminalität geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung von einer besonders hohen Wiederholungsgefahr, sowie - wie auch die belangte Behörde zutreffend anmerkt - davon aus, dass es notorisch ist, dass der inländische Drogenmarkt und Drogenhandel in den meisten Fällen mit Suchtgiftimporten aus dem Ausland verknüpft ist und ein Reisedokument einen Handel mit Suchtgiften jedenfalls erleichtert. Dass bei der Begehung der der Verurteilung zu Grunde liegenden Straftat bisher kein Reisedokument verwendet wurde, ist nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung (VwGH 24.01.2012, 2008/18/0504).

Im Rahmen der Zukunftsprognose ist zudem in der Folge gezeigtes Wohlverhalten sowie eine geänderte Lebenssituation zu berücksichtigen (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0018).

Gegenständlich geht bereits das Landesgericht für Strafsachen Wien davon aus, dass eine Bestrafung des Beschwerdeführers nicht erforderlich ist, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. An diese Überlegung ist das Bundesverwaltungsgericht zwar nicht gebunden, sondern hat das Vorliegen eines Versagungsgrundes eigenständig anhand der nach dem Gesetz hierfür vorgesehenen Kriterien zu beurteilen (VwGH 24.02.2012, 2008/18/0504).

Allerdings teilt das Bundesverwaltungsgericht diese Erwartung, dass der Beschwerdeführer künftig nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung treten wird. So hat der Beschwerdeführer im Zuge der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien seine Tat eingestanden und sich zur Leistung von 50 Stunden gemeinnütziger Tätigkeit bereiterklärt, die er in einem geriatrischen Tageszentrum abgeleistet hat. Damit hat er nicht nur die Verantwortung für seine Tat übernommen, sondern durch die Akzeptanz der Diversion auch die Normgeltung bestätigt (RS 0130304). Zudem hat der Beschwerdeführer aufgehört, selbst Marihuana zu konsumieren und nimmt zur Behandlung seiner psychischen Belastungssituation therapeutische Behandlung in Anspruch. Er hat seither die polytechnische Schule abgeschlossen, anschließend an weiteren Bildungsmaßnahmen teilgenommen und ist aktuell auf der Suche nach einer Lehrstelle. Auch sind seit der Tat mittlerweile zweieinhalb Jahre vergangen und ist der Beschwerdeführer nicht nochmals (insbesondere im Zusammenhang mit Delikten nach dem SMG) strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zwar handelt es sich hierbei um einen eher kurzen Zeitraum des Wohlverhaltens. Es sind hierbei allerdings bereits die obigen Ausführungen zu berücksichtigen, sowie, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Tathandlung 15 Jahre alt war. So steht die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer auch im Kontext des JGG und ist dessen Teleologie zu berücksichtigen. Den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum JGG aus dem Jahr 1988 lässt sich zur grundlegenden Zielsetzung des Jugendstrafrechts entnehmen, dass der Gesetzgeber die Folgen einer Verurteilung jugendlicher Straftäter - im Vergleich zum Strafrecht für Erwachsene - beschränken will. Es müsse hinreichende Rücksicht auf "die Beschleunigung jeder Form von Entwicklung im Jugendalter" genommen werden (ErläutRV 486 Blg NR 17. GP 19). Ähnlich bringt auch der Bericht des Justizausschusses zur Novelle des JGG, BGBl. I Nr. 19/2001, zum Ausdruck, dass Jugendkriminalität überwiegend kein Anzeichen für den Beginn "krimineller Karrieren" darstelle, sondern "Ausdruck vorübergehender Probleme bei der Anpassung an die Erwachsenenwelt" sei, die in aller Regel bald überwunden werden könnten (AB 404 Blg NR 21 GP 1).

Auch insofern unterscheidet sich der gegenständliche Fall von jenen Fällen, auf deren Grundlage der Verwaltungsgerichtshof von einer regelmäßig großen Wiederholungsgefahr bei Suchtmitteldelikten ausgegangen ist und einen dreieinhalb- bzw. zweijähren Zeitraum des Wohlverhaltens als zu kurz erachtet, beziehen sich diese doch auf erwachsene Männer mit mehrfachen Verurteilungen nach dem SMG im Lauf vieler Jahre (VwGH 20.12.2013, 2013/21/0055; VwGH 29.04.2010, 2009/21/0340). Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in der Vergangenheit das Vorliegenden des Versagungsgrundes mit Verweis auf die der Suchgiftkriminalität innewohnende besonders hohe Wiederholungsgefahr auch bereits auf der Grundlage von nur einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 28 SMG bejaht (VwGH 24.01.2012, 2008/18/0504). Auch diese Entscheidung bezieht sich allerdings auf einen erwachsenen Mann, der tatsächlich strafgerichtlich zu einer (beingten) Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sowie auf die mehr als hundertfache Menge Suchtgift im Vergleich zum gegenständlichen Fall.

Zur Ausführung der belangten Behörde, der zufolge ein "hoher Anteil von Asylwerbern mit afghanischer Herkunft vermehrte Begehungen von strafbaren Handlungen im Sinne des SMG begehe. Diese träten ausschließlich mit Cannabiskraut in der offenen Straßenszene auf" ist auszuführen, dass der von der belangten Behörde im gleichen Zuge angesprochene Präventionsgedanke der Versagungsgründe des § 92 Abs. 1 Z 3 FPG nicht im Sinne einer Generalprävention zu verstehen ist. Schon aus dem Wortlaut der Bestimmung, die darauf abstellt, dass "der Fremde das Dokument benützen will, um gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu verstoßen" ergibt sich, dass es auf das künftig zu erwartenden Verhalten des konkreten Fremden ankommt. Im Übrigen manifestieren sich auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 92 FPG keine generalpräventiven Überlegungen, sondern verlangt dieser stets eine Prognose im Hinblick auf das individuelle künftig zu erwartende Verhalten. Die von der Behörde dem Verwaltungsgerichtshof zugeschriebene Überlegung, der zufolge die Versagung "vorbeugende Sicherungsmaßnahme zur Abwendung zukünftiger Straftaten" darstellt, stammt im Übrigen aus der im konjunktiv gehaltenen Widergabe der Bescheidbegründung im einleitenden Verfahrensgang (VwGH 17.02.2006, 2006/18/0030) und belegt nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit § 92 FPG generalpräventive Überlegungen anstellt. Der in der Darlegung der belangten Behörde auch angedeutete Schluss von der afghanischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers auf eine individuell höhere Rückfallswahrscheinlichkeit erweist sich dagegen als nicht nachvollziehbar.

Damit kommt das Bundesverwaltungsgericht verfahrensgegenständlich zu einer positiven Zukunftsprognose und war der Beschwerde sohin spruchgemäß stattzugeben und der abweisende Bescheid der belangten Behörde ersatzlos zu beheben.

Damit ist dem Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Fremdenpasses zu entsprechen.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Rechtsfolgenausschluss des § 5 Z 10 JGG, der die Bedachtnahme als Teil einer Gesamtbeurteilung nicht ausschließt (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0246), dazu, dass nach § 14 Abs. 3 Passgesetz 1992 (und damit auch nach § 92 Abs. 3 FPG) eine Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles innerhalb der Dreijahresfrist ausgeschlossen ist (etwa VwGH 10.10.2012, 2009/18/0458) sowie zur Berücksichtigung auch eines einer diversionellen Erledigung zugrundeliegenden Fehlverhaltens (VwGH 21.02.2013, 2012/23/0042; VwGH 13.12.2011, 2010/22/0197). Die Einzelfallbeurteilung nimmt das Bundesverwaltungsgericht anhand der Kriterien des § 92 Abs. 1 FPG vor und folgt dabei den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (etwa VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0018; VwGH 05.05.2015, Ro 2014/22/0031), wobei es nachvollziehbar darlegt, warum im konkreten Fall von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen ist.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Einzelfallprüfung ersatzlose Behebung Fremdenpass Jugendstraftat Prognoseentscheidung Suchtmitteldelikt Versagungsgrund Voraussetzungen Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W102.2162300.2.00

Im RIS seit

17.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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