TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/15 I406 2200394-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.04.2020
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Entscheidungsdatum

15.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
FPG §59 Abs5
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I406 2200394-3/2E

I406 2200390-3/2E

I406 2200397-3/2E

I406 2200387-3/2E

im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL über die Beschwerden von

1. XXXX, geb. XXXX, (BF1), und deren Kinder

2. XXXX, geb. XXXX (BF2),

3. mj. XXXX (richtig: XXXX), geb. XXXX (BF3) und

4. mj. XXXX, geb. XXXX (BF4),

die minderjährigen BF3 und BF4 gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX,

alle StA. ÄGYPTEN, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, alle StA. ÄGYPTEN, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2020, Zlen. XXXX (BF1), XXXX(BF2), XXXX (BF3), XXXX (BF4) zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und die bekämpften Bescheide gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Verfahren der Erstbeschwerdeführerin (BF1) und ihrer drei Kinder, der Zweitbeschwerdeführerin (BF2), des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (BF3) und des minderjährigen Viertbeschwerdeführers (BF4), alle Staatsangehörige Ägyptens und koptischer Religionszugehörigkeit, sind nach § 34 AsylG 2005 gemeinsam als Familienverfahren zu führen. Der Familienvater und Ehemann der BF1 ist am 06.04.2018 in Österreich verstorben.

2. Die Familie reiste am 16.08.2017 aus Kuweit kommend, wo sie seit 2011 gelebt hatte, mit einem Touristenvisum in das Bundesgebiet ein und stellte am 24.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Als Fluchtgrund wurden telefonische Bedrohungen des Familienvaters und Belästigungen, denen die Familie als Angehörige der koptischen Minderheit in Ägypten ausgesetzt war und die sie zur Ausreise nach Kuweit bewogen habe, angeführt. Kuweit hätten sie dann verlassen, weil auch dort der verstorbene Familienvater Drohanrufe erhalten habe und in diesem Zusammenhang auch der jüngste Sohn und die älteste Tochter Opfer von Entführungsversuchen geworden seien.

Dazu wurden die BF1 und BF2 von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Für die (damals) minderjährigen BF2, BF3 und BF4 wurden keinerlei eigene Fluchtgründe vorgebracht.

3. In der Folge wurden die Anträge der Beschwerdeführer mit den Bescheiden des BFA vom 07.06.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Es wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen alle ein Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt V.). Zudem wurde ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde sah das auf den verstorbenen Familienvater ausgerichtete Fluchtvorbringen nicht als glaubhaft an und erachtete eine Rückkehrentscheidung für zulässig.

4. Mit fristgerecht eingebrachter Beschwerde am 04.07.2018 bekämpften die Beschwerdeführer diese Entscheidungen in vollem Umfang. Das Bundesverwaltungsgericht gab den Beschwerden nach mündlicher Verhandlung keine Folge, dieses Erkenntnis ist zu den Zlen. I408 2200394-1/17E, I408 2200390-1/16E, I408 2200397-1/16E und I408 2200387-1/16E vom 03.12.2018 in Rechtskraft erwachsen.

5. Die Beschwerdeführer haben das Bundesgebiet nicht verlassen. Am 28.06.2019 stellten sie die zweiten verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

In der Erstbefragung am 28.06.2019 zu den gegenständlichen Anträgen auf internationalen Schutz gaben die Beschwerdeführer zum einen an, dass ihre alten Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien. Zum anderen wäre neu, dass sie Drohbriefe aus Ägypten erhalten hätten. Bei einer Rückkehr nach Ägypten hätten sie Angst um ihr Leben.

6. Mit Schriftsatz ihrer Rechtsvertretung vom 04.07.2019 übermittelten die Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme. Ihnen seien schriftliche Drohbriefe in arabischer Sprache aus Ägypten übermittelt worden, wonach sie getötet werden sollten, wenn sie nach Ägypten zurückkehrten. Gleichzeitig wurden Kopien der angeblichen Drohbriefe samt beglaubigter Übersetzung vorgelegt unter dem Hinweis, dass sich die Originale beim Rechtsvertreter befänden und jederzeit vorgelegt werden könnten.

7. Die Drohbriefe wurden vorgelegt und am 24.07.2019 einer Dokumentenprüfung unterzogen.

Am 13.08.2019 wurden die Erstbeschwerdeführerin, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer in Anwesenheit eines Rechtsvertreters durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Die Erstbeschwerdeführerin erklärte, dass es sich bei den Verfolgern um dieselben extremen und radikalen Islamisten handle, die schon früher nach ihnen gesucht hätten. Nachdem sie erfahren hätten, dass der Familienvater verstorben sei, hätten sie nach ihnen gefragt. Sie habe Anfang 2019 von ihrem Schwager und ihrem Schwiegervater von den Drohbriefen erfahren und ihr sei auch gesagt worden, dass es Drohanrufe gegeben habe. Sie wisse nicht genau, von wem die Drohungen kämen. Dieses Problem gebe es nur mit ihrer Familie, nicht mit allen Christen.

8. In weiterer Folge wurde gegenüber den Beschwerdeführern am 13.08.2019 mit mündlich verkündetem Bescheid der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG iVm § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.08.2019 wurde dieser Bescheid behoben und festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig sei. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer im rechtskräftig entschiedenen Vorverfahren eine Verfolgung bzw. Bedrohung des 2018 verstorbenen Ehemannes bzw. Vaters geltend gemacht hätten und nunmehr Drohbriefe gegen die Erstbeschwerdeführerin als Asylgrund angeführt werden. Der Fluchtgrund habe sich daher von einem behaupteten mittelbaren zu einem unmittelbaren geändert, was eine maßgebliche Sachverhaltsänderung darstelle und eine inhaltliche Prüfung erforderlich mache.

10. Mit angefochtenen Bescheiden vom 14.02.2020 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkte II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Eine neuerliche Rückkehrentscheidung unterblieb.

11. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz ihrer Rechtsvertretung vom 16.03.2020 Beschwerde.

12. Beschwerde und Bezug habende Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 19.03.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der zu Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

In Bezug auf die mit den verfahrensgegenständlichen Folgeanträgen vom 28.06.2019 behaupteten Fluchtgründe liegt im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes vor, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Glaubhaftigkeit der behaupteten Sachverhaltsänderung erforderlich macht.

Im rechtskräftig entschiedenen Vorverfahren haben die Beschwerdeführer zum einen eine persönliche Verfolgung bzw. Bedrohung des 2018 verstorbenen Ehemanns bzw. Vaters und zum anderen Belästigungen, denen die Familie als Angehörige der koptischen Minderheit ausgesetzt gewesen sei, geltend gemacht.

Das BFA vertrat die Auffassung, dass die Beschwerdeführer ihre auf Ägypten bezogenen Asylgründe vom zwischenzeitlich verstorbenen Familienvater abgeleitet und selbst im Heimatland keine Probleme gehabt hätten. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer traf das BFA die folgenden Feststellungen:

"Es wurde festgestellt, dass Sie aus persönlichen Gründen Ihres zwischenzeitlich verstorbenen Gatten nach Kuweit gingen und dort mehrere Jahre arbeiteten und lebten" (Bescheid BF1, Seite 7).

"Als elementares Ereignis Ihrer Ausreisebegründung nannten Sie Probleme Ihres Gatten mit radikal-islamischen Mitbürgern. Sie selbst hätten im Heimatland keine Probleme gehabt." (Bescheid BF1, Seiten 32-33)

"Es wurde festgestellt, dass mögliche Gründe für ein Verlassen des Heimatlandes durch den Tod Ihres Vaters definitiv weggefallen sind. Alle Handlungen gegen Ihre Person die in Kuweit stattfanden sind asylrechtlich irrelevant, da es sich dabei nicht um Ihren Heimatstaat handelt." (Bescheid BF2, Seite 9; Bescheid BF3, Seite 7; Bescheid BF4, Seite 7)

Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seinen diese Entscheidung bestätigenden Erkenntnissen vom 03.12.2018 den Feststellungen und der Beweiswürdigung des BFA an.

In den nunmehr gegenständlichen Verfahren wurden - neben den bereits im Vorverfahren geltend gemachten Diskriminierungen allgemeiner Art, denen die Beschwerdeführer als Angehöriger einer religiösen Minderheit ausgesetzt gewesen seien - auch Drohungen von streng islamischen Gruppierungen in Form von direkt an die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder gerichteten Drohbriefen als Asylgrund angeführt. Diese Drohungen seien nach Abschluss des Vorverfahrens, im Januar bzw. Februar 2019 erfolgt und der Erstbeschwerdeführerin durch ihren Schwager und ihren Schwiegervater zur Kenntnis gebracht worden.

Sie legten zum Beweis ihres Vorbringens vier handschriftliche Drohbriefe in arabischer Sprache aus Ägypten vor, wonach die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder getötet, zerstückelt und den Hunden zum Fraße vorgeworfen werden sollen.

Eine inhaltliche Prüfung im Hinblick auf die behauptete unmittelbare Bedrohung wurde vom BFA nicht vorgenommen und auch eine beweiswürdigende Auseinandersetzung in Bezug auf die Glaubhaftigkeit der behaupteten Änderung des Sachverhaltes ist unterblieben. Vielmehr ging das BFA davon aus, dass in Bezug auf das Fluchtvorbringen lediglich Nebenumstände modifiziert worden seien und die behaupteten Fluchtgründe ident mit jenen aus den rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren seien. Auch hat sich das BFA nicht mit der Beweiskraft der vorgelegten Drohbriefe auseinandergesetzt.

Das BFA traf zu den Gründen für die neuen Anträge auf internationalen Schutz die folgenden Feststellungen:

"Vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kann insgesamt kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden.

Die Begründung des neuerlichen Asylantrages reicht nicht aus, einen neuen gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen." (Bescheid BF1, Seite 11).

Die Beweiswürdigung des BFA betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die neuen Anträgen auf internationalen Schutz gestaltet sich wie folgt:

"Ihre Angaben im gegenständlichen Verfahren stützen sich zur Gänze auf die Angaben, die Sie bereits im Erstverfahren getätigt haben.

Die von Ihnen nun vorgelegten angeblichen Drohbriefe bzw. Drohzettel, welche handschriftlich, mit Kugelschreiber, verfasst wurden, würden sich laut Ihren Angaben auf den bereits entschiedenen Sachverhalt im Vorverfahren beziehen.

Einen neuen asylrelevanten Fluchtgrund konnten Sie auch in der niederschriftlichen Einvernahme vor der ho Behörde nicht anführen.

Ihre Angaben im gegenständlichen Verfahren stützen sich zur Gänze auf die Angaben, welche Sie bereits im Erstverfahren getätigt haben.

(...)

Die erkennende Behörde kann sohin nur zum zwingenden Schluss kommen, dass der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt unverändert ist. Es liegt sohin entschiedene Sache im Sinne von § 68 AVG vor." (Bescheid BF1, Seite 37).

Auf diese Ausführungen wurde in den Bescheiden der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer verwiesen.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellungen zu den von den Beschwerdeführern geltend gemachten Fluchtgründen stützen sich auf die rechtskräftigen Bescheide des BFA vom 07.06.2018 und die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.12.2018 sowie ihre Angaben in den jeweiligen Asylverfahren.

Nachdem im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführer ihre auf Ägypten bezogenen Fluchtgründe vom mittlerweile verstorbenen Familienvater abgeleitet haben und in den gegenständlichen Asylverfahren eine direkt gegen die Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung geltend gemacht wurde, war die Feststellung zu treffen, dass eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhaltes behauptet wurde.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1 Prüfungsumfang:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden nach § 28 Abs. 5 VwGVG verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

3.1.2 Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Nachdem bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu A) Zur Behebung des angefochtenen Bescheides:

Da die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer zurückgewiesen hat, ist Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber die zurückgewiesenen Anträge selbst.

Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21. 3. 1985, 83/06/0023, u.a.). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27. 9. 2000, 98/12/0057; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 80 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 8. 9. 1977, 2609/76).

Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG dann vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl. VwGH 24. 2. 2005, 2004/20/0010 bis 0013; VwGH 4. 11. 2004, 2002/20/0391; VwGH 20. 3. 2003, 99/20/0480; VwGH 21. 11. 2002, 2002/20/0315).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben (nochmals) zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235; VwGH 15. 10. 1999, 96/21/0097).

Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 9. 9. 1999, 97/21/0913; und die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 90 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

In Bezug auf wiederholte Asylanträge muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Asylwerbers betreffend die Änderung des Sachverhaltes und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden beweiswürdigend auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. VwGH 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391; VwGH 21.10.1999, Zl. 98/20/0467; VwGH 24.02.2000, Zl. 99/20/0173; VwGH 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, mwN; siehe dazu auch die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 73 ff zu § 68 AVG wiedergegebene Rechtssprechung).

Ist Sache der Entscheidung der Rechtsmittelbehörde nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, darf sie demnach nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist oder nicht, und hat dementsprechend - bei einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache - entweder (im Falle des Vorliegens entschiedener Sache) das Rechtsmittel abzuweisen oder (im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung) den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH 30. 5. 1995, 93/08/0207).

Dabei ist auf folgendes hinzuweisen:

Das bedeutet nicht, dass die neue Sachentscheidung zu einem von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen muss, doch kommt diesem geänderten Sachverhalt grundsätzlich Entscheidungsrelevanz zu (vgl. zB VwGH 31.08.2017, Ra 2016/21/0296)

Für das Bundesverwaltungsgericht ist daher Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

Dies ist nicht der Fall.

Die rechtskräftige materielle Erledigung der Erstanträge der Beschwerdeführer bezog sich auf einen Asylgrund, den diese vom mittlerweile verstorbenen Familienvater abgeleitet haben. So traf das BFA die Feststellung, dass mögliche Gründe der Beschwerdeführer für ein Verlassen des Heimatlandes durch den Tod des Familienvaters definitiv weggefallen seien.

In den verfahrensgegenständlichen Folgeanträgen wurden jedoch Bedrohungen direkt gegen die Erstantragstellerin und ihre Kinder als Asylgrund geltend gemacht, wobei diese Drohungen im Februar 2019 erfolgt seien, also nach Abschluss des Erstverfahrens.

Der Fluchtgrund hat sich also von einem behaupteten mittelbaren zu einem unmittelbaren geändert, was nicht nur eine Modifizierung von Nebenumständen, sondern eine maßgebliche Sachverhaltsänderung im Sinne der zuvor genannten Judikatur darstellt.

Das BFA hat eine ordnungsgemäße Prüfung des Vorbringens der Beschwerdeführer auf das Vorliegen eines "glaubhaften Kerns" unterlassen, womit die im Fall der Erstbeschwerdeführerin erfolgte Zurückweisung rechtswidrig war. Dies gilt gemäß § 34 Abs. 4 AsylG auch für die Zurückweisungen der Anträge der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192).

Dem Bundesverwaltungsgericht ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht erlaubt, diesen Mangel selbst zu beheben (vgl VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

Das BFA hat sich somit beweiswürdigend damit zu befassen, ob das neue Vorbringen der Beschwerdeführer betreffend die behauptete Änderung des Sachverhaltes einen glaubhaften Kern aufweist, dem Asylrelevanz zukommt.

1. Die Behörde hat sich gemäß der oben zitierten Rechtsprechung bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit der neuerlichen Asylanträge mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführer und gegebenenfalls mit der Beweiskraft der vorgelegten Drohbriefe auseinanderzusetzen.

Der Umstand, dass die Drohbriefe mit den Fluchtgründen der Beschwerdeführer aus dem Erstverfahren in Verbindung stehen, reicht noch nicht aus, um die Beweiskraft von vornherein auszuschließen.

In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich auf folgendes hinzuweisen:

Für das Vorliegen einer Sachverhaltsänderung, die eine "neue" Sache darstellt, ist maßgeblich: Kommt - gemessen daran, dass die im ersten Asylverfahren behaupteten Fluchtgründe für nicht glaubhaft erachtet wurden - den im gegenständlichen Asylantrag vorgebrachten, nach rechtskräftiger Beendigung des ersten Verfahrens vorgenommenen Verfolgungshandlungen - falls feststellbar - asylrechtliche Relevanz zu.

Mit anderen Worten: Hinsichtlich des Vergleichsmaßstabes für das Vorliegen einer "neuen" Sache ist es wesentlich zu beachten, dass für das Vorliegen einer solchen nicht davon auszugehen ist, dass die im ersten Asylverfahren behaupteten Fluchtgründe vorlagen sondern vielmehr davon, dass sie - wie im ersten Asylverfahren eben festgestellt - nicht vorlagen.

2. Des Weiteren wird zu prüfen sein, ob die Schutzfähigkeit und -willigkeit des Staates vor der behaupteten Bedrohung im Fall der Rückkehr an den Familienwohnsitz gegeben ist, beziehungsweise

3. ob die behauptete Bedrohung im gesamten Staatsgebiet vorliegt, dabei werden beispielsweise größere Kopten-Wohngebiete in anderen Gegenden Ägyptens zu berücksichtigen sein, dabei speziell die Situation alleinstehender Frauen mit mehreren Kindern.

Dabei obliegt es der belangten Behörde, in welcher Reihenfolge aus prozessökonomischen Gründen die Punkte 1. und 2. beurteilt werden.

Nur, wenn 1. dem vorgelegten Beweismittel für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Beweiskraft zukommt und 2. Schutzfähigkeit und -willigkeit des Staates vor der behaupteten Bedrohung nicht gegeben ist, ist Anspruch auf Asyl grundsätzlich gegeben.

Ergibt sich nun, dass Anspruch auf Asyl grundsätzlich gegeben ist, wäre weiters zu prüfen, ob die Bedrohung im gesamten Staatsgebiet besteht, und Asyl nur zu gewähren, wenn dies der Fall ist.

Andernfalls wäre letztlich die Situation alleinstehender Frauen mit mehreren Kindern zu prüfen, diese Prüfung könnte den Anspruch auf subsidiären Schutz ergeben (vgl VwGH 15.05.2003, Zl. 2002/01/0556).

Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass das BFA seine Entscheidungen mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden gehabt hätte.

Eine Entscheidung nach § 68 AVG bei einem Folgeantrag auf Asyl ist als Entscheidung in Anwendung der §§ 3 und 8 Asylgesetz anzusehen. Daher ist § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 anzuwenden und auf dieser Basis eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (vgl. etwa VwGH, 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

Zwar sieht die Bestimmung des § 59 Abs. 5 FPG vor, dass - wenn gegen einen Drittstaatsangehörigen bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht - es bei allen nachfolgenden Verfahrenshandlungen nach dem 7., 8. und 11. Hauptstück oder dem AsylG 2005 keiner neuerlichen Rückkehrentscheidung bedarf, es sei denn, es sind neue Tatsachen gemäß § 53 Abs. 2 und 3 hervorgekommen.

Nur im Fall der Änderung des für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes relevanten Sachverhaltes bedarf es einer neuen Rückkehrentscheidung, um allenfalls die Dauer des mit ihr zu verbindenden Einreiseverbotes neu festlegen zu können; ist die Rückkehrentscheidung allerdings von vornherein nicht mit einem Einreiseverbot verbunden, fällt sie nicht in den Anwendungsbereich der Norm (VwGH, 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087).

Nachdem die Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer in den rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren nicht mit einem Einreiseverbot verbunden war, ist § 59 Abs. 5 FPG nicht anzuwenden und wäre eine neuerlichen Rückkehrentscheidung zu treffen gewesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die bekämpften Bescheide waren zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylverfahren Behebung der Entscheidung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung entschiedene Sache Ermittlungspflicht Familienverfahren Fluchtgründe Folgeantrag Glaubhaftmachung Identität der Sache Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung res iudicata Rückkehrentscheidung Zurückverweisung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I406.2200394.3.00

Im RIS seit

17.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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