TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/4 W111 1314040-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.06.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
IntG §10 Abs2 Z4

Spruch

W111 1267143-2/4E

W111 1268749-2/7E

W111 1314040-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation und vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 27.02.2019, Zln. 1.) 13-742268207-181179593, 2.) 13-760178804-2932287 und 3.) 13-770605607-3096835, zu Recht:

A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I., II., III. und VII. der angefochtenen Bescheide werden gemäß §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4, 57 AsylG 2005 i.d.g.F. als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung jeweils gemäß § 52 FPG 2005 i.d.g.F. iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG i.d.g.F. auf Dauer unzulässig ist. Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 2 AsylG 2005 i.d.g.F. wird 1.) XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" sowie 2.) XXXX und 3.) XXXX gemäß §§ 55 Abs. 1 AsylG 2005 i.d.g.F. iVm § 10 Abs. 2 Z 4 IntG i.d.g.F. der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Verfahren über die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine volljährige Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste im Jahr 2004 gemeinsam mit ihrem Ehegatten und ihrem zwischenzeitlich volljährigen Sohn (BVwG-Zahl: W103 1267144-2) illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.11.2004 einen Asylantrag, welcher zunächst (ebenso wie die Anträge ihrer Familienmitglieder) mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.12.2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 abgewiesen, die Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin in den Herkunftsstaat für zulässig erklärt und deren Ausweisung in die Russische Föderation ausgesprochen wurde. Die Erstbeschwerdeführerin hat im damaligen Verfahren keine individuelle Furcht vor Verfolgung vorgebracht, sondern sich auf die Gründe ihres Ehemannes berufen.

1.2. Im Jänner XXXX wurde der nunmehrige Zweitbeschwerdeführer als Sohn der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehegatten im Bundesgebiet geboren, für welchen seine gesetzliche Vertreterin am 06.02.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.02.2006 sowohl in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes abgewiesen und die Ausweisung des Minderjährigen aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgesprochen.

1.3. Im Juni XXXX wurde die nunmehrige Drittbeschwerdeführerin als Tochter der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehegatten im Bundesgebiet geboren. Der durch ihre gesetzliche Vertreterin am 29.07.2007 gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.07.2007 in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie die Gewährung subsidiären Schutzes abgewiesen und die Minderjährige aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

1.4. Gegen diese Bescheide eingebrachte Berufungen wurden mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19.10.2007, Zahlen 267.143/0/5E-V/13/06 u.a., hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (im Falle der Erstbeschwerdeführerin) gemäß § 7 AsylG 1997 respektive (im Falle des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin) gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin in die Russische Föderation nicht zulässig ist. Dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin wurde jeweils gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt (Spruchpunkte II.). Den beschwerdeführenden Parteien wurde jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkte III.).

Zur Abweisung der Asylanträge wurde ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat Ziel von konkret gegen sie selbst gerichteten Maßnahmen von russischen oder pro-russischen tschetschenischen Sicherheitskräften gewesen sei; nicht festgestellt werden könne, dass diese auf Grund des Angehörigenverhältnisses zu ihrem Gatten Ziel einer Säuberungsaktion gewesen sei; ebensowenig habe festgestellt werden können, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Vergangenheit tätlichen Übergriffen seitens russischer oder prorussischer Föderationskräfte ausgesetzt gewesen wäre. Die beschwerdeführenden Parteien hätten im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Verfolgung oder Gefährdung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Motiv zu befürchten. Im Falle ihres Ehegatten sei aufgrund gravierender Widersprüche eine Tatsachenwidrigkeit seines Fluchtvorbringens festzustellen gewesen, sodass die von ihm vorgebrachten Gründe auch keine Auswirkungen auf die Erstbeschwerdeführerin und die gemeinsamen Kinder entfalten könnten.

Allerdings würde die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der jedermann treffenden schlechten Sicherheitslage in Tschetschenien, die auf die Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen zurückzuführen sei, keinen wirksamen staatlichen Schutz vor mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Übergriffen durch russische oder pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte wie Kontrollen oder sogenannte Säuberungen finden. Die Erstbeschwerdeführerin würde darüber hinaus im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation auf Grund der festgestellten derzeitigen prekären Sicherheits- und Versorgungslage in der Tschetschenischen Republik keine Lebensgrundlage vorfinden, zumal die Gefahr von willkürlichen Festnahmen im Rahmen von Säuberungsoperationen und der anschließenden Notwendigkeit der Zahlung von Lösegeld zwecks Freikaufs bestehe, was die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit ebenfalls nachhaltig beeinträchtige. Die Erstbeschwerdeführerin habe nie über einen längeren Zeitraum hindurch außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation gelebt und verfüge weder über ein Beziehungsnetz, noch über finanzielle Mittel, die ihr eine Niederlassung in einem anderen Landesteil ermöglichen würden.

Den Feststellungen zur Allgemeinsituation in der Russischen Föderation sei zu entnehmen, dass nicht hinlänglich unwahrscheinlich sei, das die Genannte bei einer Rückkehr im Hinblick auf die bestehende Sicherheits- und Versorgungslage in der Tschetschenischen Republik einem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die minderjährigen zweit- und drittbeschwerdeführenden Parteien erfolgte abgeleitet vom Status ihrer Eltern nach den Bestimmungen über das Familienverfahren.

1.5. Mit Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.05.2009 wurden die Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenates betreffend die beschwerdeführenden Parteien und deren Familienangehörige vom 19.10.2007 im Umfang der Abweisung der Berufungen gemäß § 7 AsylG 1997 aufgehoben, zumal die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin massive Mängel aufgewiesen hätte, deren Relevanz für das Verfahrensergebnis nicht abgesprochen werden könne.

1.6. Am 09.09.2010 erklärten die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann anlässlich einer vor dem Asylgerichtshof abgehaltenen mündlichen Verhandlung, die Beschwerden hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten in Bezug auf ihre eigenen Personen sowie für ihre minderjährigen Kinder zurückzuziehen. Am 27.09.2010 wurde jeweils die Einstellung des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof infolge des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens dokumentiert.

1.7. Die befristeten Aufenthaltsberechtigungen der beschwerdeführenden Parteien als subsidiär Schutzberechtigte wurden zuletzt jeweils mit - gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht näher begründeten - Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2016 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 31.10.2018 verlängert.

Am 28.08.2018 beantragte die Erstbeschwerdeführerin für sich und die von ihr gesetzlich vertretenen minderjährigen beschwerdeführenden Parteien abermals die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte.

2. Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

2.1. Mit Schreiben vom 07.12.2018 informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erstbeschwerdeführerin über ein gegen ihre Person und ihre beiden minderjährigen Kinder eingeleitetes Verfahren zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten. Übermittelt wurden die seitens der Behörde herangezogenen Länderberichte zur Russischen Föderation sowie ein Fragenkatalog zu den aktuellen familiären und privaten Lebensumständen der beschwerdeführenden Parteien, wobei der Erstbeschwerdeführerin die Möglichkeit eingeräumt wurde, binnen Frist eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

Mit Schreiben vom 11.01.2019 brachte der nunmehr bevollmächtigte Vertreter der beschwerdeführenden Parteien eine Stellungnahme ein, in welcher ausgeführt wurde, die Zuerkennungsgründe des subsidiären Schutzes würden im Falle der beschwerdeführenden Parteien unverändert vorliegen, wobei weder die Erstbeschwerdeführerin, noch ihre Kinder, einen Tatbestand verwirklicht hätten, welcher eine Aberkennung rechtfertigen würde. Der Mann der Erstbeschwerdeführerin habe während des ersten Tschetschenienkrieges am Kampf teilgenommen und sei mehrmals gefoltert, verletzt und inhaftiert worden. Dieser hätte sich sodann mehrere Monate in einem Filtrationslager befunden, wo er Opfer und Zeuge massiver Menschenrechtsverletzungen geworden sei. Während des zweiten Tschetschenienkrieges sei es abermals zur Festnahme ihres Mannes gekommen, welchem zahlreiche schwere Verbrechen angelastet worden wären. Aufgrund der Verfolgung ihres Mannes bestehe nach wie vor Gefahr für die ganze Familie. Die Erstbeschwerdeführerin lebe derzeit mit ihrem an Krebs erkrankten Mann und ihren beiden minderjährigen Kindern in Österreich. Mit ihrem Mann sei sie nach islamischem Recht verheiratet, diesem komme der Status eines Geduldeten zu. Ihr ältester Sohn werde seit März 2017 vermisst, wobei die Behörden befürchten würden, dass dieser sich dem IS in Syrien angeschlossen hätte. Seither befinde sich die Erstbeschwerdeführerin wieder in psychologischer Betreuung und lebe in ständiger Angst. Es sei zu befürchten, dass sie selbst und ihre Kinder im Falle einer Rückkehr in den Verdacht gerieten, Terroristen zu sein und deshalb einer Verfolgung unterliegen würden. Eine entsprechende und notwendige Behandlung des schlechten Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin sei laut dem vorliegenden Länderbericht in Tschetschenien respektive Russland nicht möglich. Die beiden minderjährigen Kinder seien in Österreich geboren und ausschließlich hier aufgewachsen. Desweiteren würden zwei Brüder, vier Tanten und ein Onkel der Erstbeschwerdeführerin in Österreich leben, zu welchen sie regelmäßigen Kontakt pflege. Die Erstbeschwerdeführerin beherrsche die deutsche Sprache ausreichend, um ihren Alltag zu meistern und habe ein Zertifikat auf dem Niveau A2 erlangt, welches nachgereicht werden würde. Die Erstbeschwerdeführerin ginge derzeit keiner Arbeit nach, sei jedoch beim AMS als arbeitssuchend gemeldet. Ihren Lebensunterhalt bestreite sie derzeit durch Leistungen der Grundversorgung und Unterstützung der Caritas. Die Erstbeschwerdeführerin und ihre Kinder hätten sich jeweils einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut. Weder die Erstbeschwerdeführerin, noch ihre minderjährigen Kinder, seien wegen einer Straftat verurteilt worden oder einer solchen verdächtig. Die beschwerdeführenden Parteien würden Österreich als ihre Heimat empfinden; die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien gingen hier zu Schule, der Zweitbeschwerdeführer sei zudem Mitglied im österreichischen Judoverband. Ihre minderjährigen Kinder hätten keinen Bezug zu Tschetschenien oder zur Russischen Föderation allgemein. Sie würden weder sehr gut Tschetschenisch, noch Russisch sprechen. Aufgrund der vorliegenden Berichtslage könne vom einer maßgeblichen und nachhaltig andauernden Veränderung und vor allem Verbesserung im Herkunftsstaat nicht ausgegangen werden, im Falle einer Rückkehr sei aufgrund der bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage ein Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK gegeben. Eine Rückkehr nach Tschetschenien sei für die beschwerdeführenden Parteien keinesfalls zumutbar.

Beiliegend übermittelt wurden ärztliche Unterlagen zum Beleg der psychotherapeutischen Behandlung der Erstbeschwerdeführerin, eine mehrfach verlängerte Arbeitsunfähigkeitsbestätigung, Diplome über die Absolvierung von Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 sowie A1 Grundstufe sowie eine Bestätigung über eine seit 19.12.2018 bestehende Vormerkung beim AMS als Arbeit suchend.

Mit ergänzendem Schreiben vom 24.01.2019 übermittelte der bevollmächtigte Vertreter die Kontaktdaten einer mit den beschwerdeführenden Parteien befreundeten Familie sowie eine Bestätigung über die Teilnahme der Erstbeschwerdeführerin an einem Deutschkurs.

Mit Eingabe vom 02.02.2019 brachte der rechtsfreundliche Vertreter der beschwerdeführenden Parteien ergänzend vor, in Tschetschenien würden noch drei Schwestern sowie zwei Brüder der Erstbeschwerdeführerin leben, zu denen jedoch nur seltener bis gar kein Kontakt bestehe. Ihre Eltern seien bereits verstorben, über allfällige weitere Verwandte habe die Erstbeschwerdeführerin keine Kenntnis.

Am 25.02.2019 übermittelte der bevollmächtigte Vertreter Schulzeugnisse des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin.

2.2. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2019 wurde den beschwerdeführenden Parteien der ihnen jeweils mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19.10.2007 zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten jeweils gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkte I.), die mit den angeführten Bescheiden erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkte II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die beschwerdeführenden Parteien eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkte V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkte VI.). Die Anträge vom 28.08.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurden gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte VII.).

Die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Gründe, die zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die beschwerdeführenden Parteien geführt hätten, zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr vorliegen würden. Eine den beschwerdeführenden Parteien nach einer Rückkehr drohende Verfolgung von staatlicher oder privater Seite habe nicht festgestellt werden können. Wie im Asylverfahren dargelegt, sei dem Fluchtvorbringen der beschwerdeführenden Parteien die Glaubhaftigkeit abzusprechen gewesen. Zum Vorbringen, wonach der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin sich dem IS angeschlossen haben könnte und die beschwerdeführenden Parteien vor diesem Hintergrund eine Sippenhaftung in der Russischen Föderation befürchten würden, sei auszuführen, dass mutmaßliche IS-Kämpfer in der Russischen Föderation laut dem vorliegenden Berichtsmaterial zwar strafrechtlich verfolgt und verurteilt würden, jedoch ginge aus den vorliegenden Informationen eine Sippenhaftung in diesem Zusammenhang nicht hervor. Eine solche sei zwar in Tschetschenien dokumentiert, doch betreffe diese Familienmitglieder von Aufständischen einerseits sowie von Kritikern des bestehenden Systems und Menschrechtsaktivisten andererseits. Die geäußerte Furcht, wonach den beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr Sippenhaft drohen könnte, da sich der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin dem IS angeschlossen haben könnte, sei daher nicht begründet und nicht hinreichend wahrscheinlich, zumal auch das Schicksal des ältesten Sohnes in keiner Weise geklärt sei, sodass sich die dahingehenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin auf vage Vermutungen beschränken würden.

Der Genannten sei der Status einer subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19.10.2007 infolge der damals vorherrschenden Sicherheits- und Versorgungslage in Tschetschenien zuerkannt worden. Tschetschenien habe den Kriegszustand zwischenzeitlich überwunden und einen Wiederaufbau eingeleitet, sodass eine nachhaltige Änderung der dortigen Sicherheits- und Versorgungslage zu erkennen gewesen sei. Zudem stehe den beschwerdeführenden Parteien innerhalb der Russischen Föderation eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die Erstbeschwerdeführerin stehe seit Oktober 2017 in psychotherapeutischer Behandlung, leide jedoch an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Beeinträchtigungen und sei aktuell arbeitsfähig. Es sei davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin in ihrem Heimatland in der Lage sein werde, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu geraten, sodass es ihr auch nach einer Rückkehr möglich sein werde, ihre Grundbedürfnisse zu decken, zumal sie in der Russischen Föderation auch Zugang zum dortigen Sozialversicherungs-, Wohlfahrts-, und Rentensystem hätte. Die beschwerdeführenden Parteien hätten ein familiäres Netz in der Heimatregion und für die Erstbeschwerdeführerin bestünde auch im Herkunftsland Zugang zur benötigten medizinischen Behandlung. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien seien jeweils gesund und würden im Familienverband in ihr Heimatland zurückkehren. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien im Fall einer Rückkehr in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der realen Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen oder von der Todesstrafe betroffen wären.

Die beschwerdeführenden Parteien hätten familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, doch seien die Mitglieder der Kernfamilie im gleichen Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, zumal auch die Duldung des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin und Vaters der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien dessen Verpflichtung zur Ausreise unberührt lasse. Zu den übrigen im Bundesgebiet aufhältigen Angehörigen läge keine besondere Beziehungsintensität respektive ein Abhängigkeitsverhältnis vor.

Zwar befände sich die Erstbeschwerdeführerin seit rund vierzehn Jahren im Bundesgebiet, aufgrund der befristeten Natur ihres Aufenthaltsstatus hätte sie jedoch auf einen dauernden Aufenthalt nicht vertrauen dürfen. Die Erstbeschwerdeführerin habe in diesem verhältnismäßig langen Aufenthaltszeitraum keine Bindungen in Österreich geschaffen, die gegenüber den weiterhin zur Russischen Föderation bestehenden Bindungen überwiegen würden. Die Erstbeschwerdeführerin sei mittellos und von staatlicher Unterstützung abhängig. Seit ihrer Einreise im Jahr 2004 beziehe sie durchgängig Sozialleistungen, sie sei in Österreich noch nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen und sei erst seit dem 19.12.2018 beim AMS als arbeitssuchend vorgemerkt. Die Erstbeschwerdeführerin habe einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 absolviert, andere Ausbildungen habe sie nicht abgeschlossen, ebensowenig sei sie Mitglied in einem Verein. Die Erstbeschwerdeführerin hätte sich einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut und es könne nicht festgestellt werden, dass von dieser eine Gefahr ausginge. Ein schützenswertes Privatleben habe nicht festgestellt werden können. Den nur schwach ausgeprägten privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib in Österreich würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüberstehen. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien seien in einer tschetschenischen Familie aufgewachsen, sodass davon auszugehen sei, dass sie mit den Sitten und Bräuchen ihrer Heimat vertraut wären und sich in tschetschenischer Sprache verständigen könnten. Diese befänden sich in einem anpassungsfähigen Alter und würden in Begleitung ihrer Eltern in den Herkunftsstaat zurückkehren. Der Schulbesuch der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet könne deren Interesse am Verbleib in Österreich nicht maßgeblich verstärken, zumal deren Eltern sich, wie dargelegt, der vorübergehenden Natur des Aufenthaltes bewusst sein mussten. Der schulische Erfolg des Zweitbeschwerdeführers sei laut dem vorgelegten Zeugnis als nur mäßig einzustufen, wobei dessen Verhalten in der Schule als "wenig zufriedenstellend" beurteilt worden sei. Auch der Schulerfolg der Drittbeschwerdeführerin sei als nur ausreichend zu bewerten und ihr Verhalten in der Schule sei als "zufriedenstellend" beurteilt worden. Eine Abwägung habe demnach ergeben, das die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen sowie am wirtschaftlichen Wohl des Landes schwerer wiegen würden, als die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation der beschwerdeführenden Parteien, sodass sich eine solche als zulässig erweise.

2.3. Gegen die dargestellten Bescheide wurden durch den bevollmächtigten Vertreter der beschwerdeführenden Parteien mit am 03.04.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangten, im Wesentlichen gleichlautenden, Schriftsätzen fristgerecht die verfahrensgegenständlichen vollumfänglichen Beschwerden eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, den Feststellungen der Behörde zur gebesserten Lage im Herkunftsstaat könne nicht gefolgt werden, eine dauerhafte und nachhaltige Änderung sei nicht eingetreten und die Behörde habe lediglich eine andere rechtliche Beurteilung eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhaltes vorgenommen. Aus der Berichtslage ergebe sich keine Verbesserung der Lage in Tschetschenien, nach wie vor komme es dort täglich zu Übergriffen durch das Regime und es gebe Berichte über verschiedene Fälle von Rückkehrenden, die verhaftet, gefoltert oder getötet worden seien. Der Erstbeschwerdeführerin würde im Falle ihrer Rückkehr ihre Existenzgrundlage entzogen, auch würde diese keine Sozialleistungen erhalten, da sie zuvor nicht in der Russischen Föderation gearbeitet hätte. Zudem sei auf die massive Diskriminierung von Tschetschenen beim Zugang zu staatlichen Leistungen zu verweisen. Eine Rückkehr wäre jedenfalls mit einer unzumutbaren Härte verbunden.

Die Erstbeschwerdeführerin lebe mit den in Österreich geborenen zweit- und drittbeschwerdeführenden Parteien sowie ihrem schwer erkrankten (Leberzirrhose, Hepatitis C) Mann seit fünfzehn Jahren in Österreich; weiters würden sich zwei Brüder, vier Tanten und ein Onkel der Erstbeschwerdeführerin in Österreich aufhalten, welche diese auch immer wieder finanziell unterstützen würden. Beide Kinder würden die Schule besuchen, hätten gute Noten und seien bestens integriert. Der psychische Zustand der Erstbeschwerdeführerin sei aufgrund der Vorkommnisse im Herkunftsstaat und der nunmehrigen Abhängigkeit ihres ältesten Sohnes verständlicherweise sehr instabil. Aufgrund dessen und der Kinderbetreuung sei es der Genannten nicht möglich gewesen, einen Arbeitsplatz zu finden; mittlerweile sei ihr dies jedoch gelungen. Hätte die Behörde es der Mühe wert befunden, sich einen persönlichen Eindruck von der Familie zu verschaffen, so hätte sie deren sehr gute Deutschkenntnisse feststellen können. Das Argument der Behörde, die Erstbeschwerdeführerin hätte angesichts der Befristung ihrer Aufenthaltsberechtigung nicht auf einen permanenten Aufenthalt vertrauen dürfen, erweise sich als lebensfremd und würde ein solcher Gedanke auch eine anzustrebende Integration vollkommen untergraben. Keine der beschwerdeführenden Parteien hätte sich in Österreich etwas zu Schulden kommen lassen, sodass nicht ersichtlich sei, in wie fern die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung deren persönliche Interessen überwiegen würden. Die Behörde habe es unterlassen, sich einen persönlichen Eindruck von der Familie, ihrem Leben und ihrer Integration zu verschaffen.

2.4. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 08.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 06.05.2020 übermittelte der bevollmächtigte Vertreter der beschwerdeführenden Parteien ein Konvolut an Unterlagen zum Beleg der Eingliederung der Familie im Bundesgebiet.

Am 28.05.2020 wurden durch den gewillkürten Vertreter der beschwerdeführenden Parteien Jahreszeugnisse einer Neuen Mittelschule für das Schuljahr 2018/2019 betreffend den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, welche der tschetschenischen Volksgruppe angehören und sich zum moslemischen Glauben bekennen. Die Erstbeschwerdeführerin ist Mutter und gesetzliche Vertreterin des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführerin war im November 2004 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem zwischenzeitlich volljährigen Sohn (BVwG-Zahl: W103 1267144-2) illegal ins Bundesgebiet eingereist und stellte am 07.11.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu dessen Begründung sie sich auf das Fluchtvorbringen ihres Ehegatten berief und keine Furcht vor individueller Verfolgung vorgebracht hat.

Der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin wurden in den Jahren XXXX und XXXX im Bundesgebiet geboren und es wurden für diese ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz eingebracht.

Gegen die ihre Anträge jeweils abweisende Bescheide eingebrachte Berufungen wurden mit Bescheiden des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19.10.2007, Zahlen 267.143/0/5E-V/13/06 u.a., hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen.

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin in die Russische Föderation nicht zulässig ist. Dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin wurde jeweils gemäß §§ 8 Abs. 1 Z 1 iVm 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt. Den beschwerdeführenden Parteien wurde jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Der Ausspruch über die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erwuchs letztlich infolge einer am 09.09.2010 im Verfahren vor dem Asylgerichtshof in diesem Umfang erfolgten Zurückziehung der Beschwerden in Rechtskraft.

Die Unzulässigkeit der Abschiebung wurde im Falle der Erstbeschwerdeführerin (wie auch im Verfahren ihres Ehemannes) damit begründet, dass diese aufgrund der jedermann treffenden schlechten Sicherheitslage in Tschetschenien, die auf die Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen zurückzuführen sei, keinen wirksamen staatlichen Schutz vor mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Übergriffen durch russische oder pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte wie Kontrollen oder sogenannte Säuberungen finden würde. Die Erstbeschwerdeführerin würde darüber hinaus im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation auf Grund der festgestellten derzeitigen prekären Sicherheits- und Versorgungslage in der Tschetschenischen Republik keine Lebensgrundlage vorfinden, zumal die Gefahr von willkürlichen Festnahmen im Rahmen von Säuberungsoperationen und der anschließenden Notwendigkeit der Zahlung von Lösegeld zwecks Freikaufs bestehe, was die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit ebenfalls nachhaltig beeinträchtige. Die Erstbeschwerdeführerin habe nie über einen längeren Zeitraum hindurch außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation gelebt und verfüge weder über ein Beziehungsnetz, noch über finanzielle Mittel, die ihr eine Niederlassung in einem anderen Landesteil ermöglichen würden. Den Feststellungen zur Allgemeinsituation in der Russischen Föderation sei zu entnehmen, dass nicht hinlänglich unwahrscheinlich sei, das die Genannte bei einer Rückkehr im Hinblick auf die bestehende Sicherheits- und Versorgungslage in der Tschetschenischen Republik einem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin erfolgte abgeleitet vom Status ihrer Eltern nach den Bestimmungen über das Familienverfahren.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung der beschwerdeführenden Parteien als subsidiär Schutzberechtigte wurde in den folgenden Jahren regelmäßig gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert, dies zuletzt mit - gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht näher begründeten - Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2016 für den Zeitraum bis zum 31.10.2018. Am 28.08.2018 beantragten die beschwerdeführenden Parteien abermals die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte.

Der Status des subsidiär Schutzberechtigten des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin / Vaters des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.11.2010 infolge Straffälligkeit aberkannt, wobei festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht zulässig ist. Der Aufenthalt des Genannten im Bundesgebiet ist seither gemäß § 46a FPG geduldet.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die beschwerdeführenden Parteien liefen dort nicht (mehr) Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die beschwerdeführenden Parteien sind aufgrund der Angehörigeneigenschaft zum Ehemann der Erstbeschwerdeführerin/Vater der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien sowie zum ältesten Sohn der Erstbeschwerdeführerin/Bruder der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien jeweils keiner Gefahr einer behördlichen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt.

Die Erstbeschwerdeführerin beherrscht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem spricht sie Russisch. Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien befinden sich im Alter von zwölf und vierzehn Jahren, sprechen ausreichend Tschetschenisch, und kehren in Obhut ihrer Mutter in den Herkunftsstaat zurück. Die beschwerdeführenden Parteien haben zahlreiche Angehörige im Herkunftsstaat, welche ihnen bei einer Wiedereingliederung und Bestreitung ihres Lebensunterhaltes (anteilsmäßig) unterstützend zur Seite stehen könnten. Zudem stünde es auch den in Österreich lebenden Angehörigen der beschwerdeführenden Parteien offen, diese im Fall einer Rückkehr finanziell zu unterstützen.

Die Erstbeschwerdeführerin, welche ihr Heimatland im Alter von 22 Jahren verlassen hat, nachdem sie dort die Schule besucht hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Sie befindet sich im Bundesgebiet in psychotherapeutischer Behandlung wegen der Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung (F33.1), einer längeren depressiven Reaktion sowie dissoziativer Sensibilitäts- und Empfindlichkeitsstörungen (F44.6) und nimmt diesbezüglich Medikamente ein.

Die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien sind gesund.

Die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsregion der Erstbeschwerdeführerin hat sich infolge Beendigung des zweiten Tschetschenienkrieges nachhaltig stabilisiert. Die persönliche Situation der Erstbeschwerdeführerin hat sich verglichen mit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom 19.10.2007 bzw. der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 13.10.2016 insofern maßgeblich geändert, als diese unter Berücksichtigung der Betreuungspflichten für ihre Kinder und ihres Gesundheitszustandes dazu in der Lage ist, ihren Alltag und ihren Lebensunterhalt vor dem Hintergrund der gebesserten Sicherheits- und Versorgungslage eigenständig zu bestreiten.

1.3. Der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin und ihres Mannes ist seit Frühjahr 2017 unbekannten Aufenthaltes; dessen Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2019 aberkannt und eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot gegen seine Person ausgesprochen. Die gegen diese Entscheidung eingebrachte Beschwerde wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.02.2020, Zahl W103 1267144-2, als unbegründet abgewiesen. In der Entscheidungsbegründung wurde insbesondere festgestellt, dass der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin sich zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr im Bundesgebiet befinde. Dieser sei im März 2017 durch seine Mutter polizeilich als abgängig gemeldet worden, sein seitheriger Aufenthalt sei unbekannt. Es stehe nicht fest, dass der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin nach Syrien gereist sei, um sich den Kämpfen auf Seiten des Islamischen Staates anzuschließen oder dass er im Zuge von Kampfhandlungen in Syrien getötet worden sei. Fest stehe jedoch, dass der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin im Vorfeld seiner Ausreise aus Österreich wegen seiner radikal-islamistischen Einstellung und Kontakten zu radikal-islamistischen Personen auffällig geworden sei. Weiters wurde festgestellt, dass die Gefährdungslage, welche ursprünglich zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt hätte, infolge einer nachhaltigen Stabilisierung der Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsregion nicht mehr gegeben sei und der Genannte bei einer Rückkehr keinem Risiko einer grundrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein würde. Es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass den Behörden seines Herkunftsstaates die radikal-islamische Einstellung des ältesten Sohnes der Erstbeschwerdeführerin oder dessen vermeintliche Teilnahme an Kampfhandlungen in Syrien bekannt geworden wären, sodass auch kein reales Risiko einer diesem in diesem Kontext allenfalls drohenden Verfolgung durch die Behörden des Herkunftsstaates erkannt werden könne.

1.4. Die beschwerdeführenden Parteien leben zusammen mit dem im Bundesgebiet geduldeten Ehemann der Erstbeschwerdeführerin sowie Vater des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin in einem gemeinsamen Haushalt. Eine Fortführung des Familienlebens zwischen der Erstbeschwerdeführerin, den minderjährigen beschwerdeführenden Parteien und dem Ehemann/Kindesvater in der Russischen Föderation wäre aufgrund des in seinem Fall bestehenden rechtskräftigen Ausspruchs über die Unzulässigkeit einer Abschiebung nicht zumutbar.

Weiters leben im Bundesgebiet zwei Brüder, vier Tanten und ein Onkel der Erstbeschwerdeführerin, zu denen ein regelmäßiger Kontakt, wie er zwischen Verwandten dieser Art üblich ist, besteht.

Die Erstbeschwerdeführerin hat die deutsche Sprache grundlegend erlernt und sich einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut. Die Familie war bislang nicht selbsterhaltungsfähig und hat ihren Lebensunterhalt durch den Bezug staatlicher Unterstützungsleistungen bestritten. Im März hat die Erstbeschwerdeführerin, deren Möglichkeit, am Erwerbsleben teilzunehmen, aufgrund der Betreuungspflichten für ihre drei Kinder sowie ihre psychische Erkrankung nicht durchgängig uneingeschränkt gegeben gewesen ist, eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, welche sie im September 2019 aus gesundheitlichen Gründen wiederum beendete.

Der vierzehnjährige Zweitbeschwerdeführer und die zwölfjährige Drittbeschwerdeführerin haben ihr gesamtes bisheriges Leben in Österreich verbracht, sprechen fließend Deutsch, besuchen hier die Pflichtschule und haben einen Freundes- und Bekanntenkreis. Die für das Schuljahr 2018/2019 ausgestellten Jahreszeugnisse enthalten jeweils eine positive Beurteilung im Unterrichtsfach "Deutsch." Der Zweitbeschwerdeführer ist Mitglied im österreichischen Judoverband. Zu ihrem Herkunftsstaat haben die Minderjährigen keine maßgeblichen Anknüpfungspunkte.

Die unbescholtenen beschwerdeführenden Parteien konnten glaubhaft darlegen, dass ihr Lebensmittelpunkt nunmehr in Österreich liegt. Es kann jeweils nicht erkannt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien die Dauer ihres mittlerweile mehr als zehnjährigen, rechtmäßigen, Aufenthalts im Bundesgebiet überhaupt nicht zur Integration genutzt hätten oder durch einen weiteren Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit entstehen würde.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen: - ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen: - ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien

hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018 - BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reiseaufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018 - Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018 - EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018 - GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der ISSprecher Muhammad al-Adnani ein ?Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des ISKalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ?Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018 - Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018 - DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt", https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen: - Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018 - Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CATOP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen "Komitee gegen Folter" kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018).

Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).

Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung "Novaya Gazeta" veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018). Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018 - EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018 - FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 3.8.2018 - HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 3.8.2018 - ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.7.2018): Ein Foltervideo setzt Ermittlungen gegen Russlands Strafvollzug in Gang, https://www.nzz.ch/international/foltervideo-setzt-ermittlungen-gegenrusslands-strafvollzug-in-gang-ld.1405939, Zugriff 2.8.2018 - Standard.at (3.11.2017): Putins Beauftragte will Folter in Tschetschenien aufklären, https://derstandard.at/2000067068023/Putins-Beauftragte-will-Folter-in-Tschetschenienaufklaeren, Zugriff 3.8.2018

- US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VNÜbereinkommen gebunden: - Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969) - Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991) - Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973) - Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004) - Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987) - Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001) - Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 21.5.2018).

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMREntscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatlich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten