TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/14 96/01/0149

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Veröffentlicht am 14.01.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §1 Z1 impl;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Akwasi Adjei in Graz, geboren am 23. August 1970, vertreten durch Dr. Heinz-Dieter Flesch, Rechtsanwalt in Voitsberg, Bahnhofstraße 9, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Jänner 1996, Zl. 4.325.403/6-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Ghanas, der am 14. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 21. Juli 1992, mit dem festgestellt worden war, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, mit Berufung bekämpft.

Nach der mit hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/19/1135, wegen der rechtsirrigen Anwendung des Asylgesetzes 1991 ausgesprochenen Aufhebung ihres über diese Berufung ergangenen Bescheides vom 10. Jänner 1994 wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 4. Jänner 1996 die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG neuerlich ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 30. Oktober 1991 ausgeführt, er sei weder Mitglied einer Partei noch einer politischen Organisation und sei weder aus religiösen noch aus ethnischen Gründen verfolgt worden. Sein Vater sei bei der Armee als Sergeant beschäftigt und habe immer Freunde und Militärs zu sich nach Hause eingeladen, wobei dem Beschwerdeführer der Grund dieser Zusammenkünfte nicht bekannt gewesen sei. Im Juli 1991 sei das gemeinsame Wohnhaus vom Militär umstellt, sein Vater mitgenommen und eingesperrt sowie der Beschwerdeführer selbst derart geschlagen worden, daß er bewußtlos habe ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Nach einem dreiwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus hätten seine Mutter und ein Soldat dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß sein Vater und dessen Gäste an einem Putsch beteiligt gewesen seien und daß auch der Beschwerdeführer der Mitwisserschaft verdächtigt werde. Er habe mit langer Haft und schließlich mit seiner Hinrichtung zu rechnen. Der Beschwerdeführer sei aus diesem Grund aus Ghana geflüchtet.

In seiner Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer seine Ausführungen vor der Behörde erster Instanz und machte ergänzend geltend, im Juli 1991 habe das Militär die Teilnehmer des Treffens, darunter auch seinen Vater, verhaftet. Von den ca. neun Teilnehmern hätten einige entkommen können. Der Beschwerdeführer selbst sei, da angenommen worden sei, er sei Mitglied der Gruppe, bewußtlos geschlagen worden. Der ihn im Krankenhaus besuchende Soldat sei ein Freund seines Vaters gewesen und habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus verhaftet werden würde, weil er verdächtigt werde, an dem Putsch teilgenommen zu haben.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides zunächst ausgeführt, der Beschwerdeführer habe einerseits bei seiner niederschriftlichen Einvernahme behauptet, sein Vater sei im Juli 1991 vom Militär zuhause festgenommen und er selbst sei krankenhausreif geschlagen worden. Andererseits habe der Beschwerdeführer in seiner Berufung divergierend dazu behauptet, die Armee habe das Elternhaus gestürmt, als sein Vater und dessen Freunde versammelt gewesen seien. Auf Grund dieser Widersprüche könne dem Vorbringen des Beschwerdeführers volle Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden, weil - obwohl es sich um ein einschneidendes, für die Flucht maßgebliches Erlebnis gehandelt habe - dem Beschwerdeführer die genauen Umstände der Verhaftung seines Vaters nicht bekannt seien. Dieser Argumentatione der belangten Behörde ist - wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht - entgegenzuhalten, daß gravierende Divergenzen zwischen den Ausführungen bei der Ersteinvernahme und dem Berufungvorbringen nicht erkennbar sind. So hat der Beschwerdeführer seine erstinstanzlichen Darlegungen insoweit nur dahin ergänzt, daß bei der Verhaftung seines Vaters auch andere im Haus befindliche Personen festgenommen worden seien. Entgegen den Feststellungen der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer in der Berufung nicht von einer Erstürmung des Hauses gesprochen, sondern ebenso wie in seinem erstinstanzlichen Vorbringen angegeben, daß das Haus von Militär umstellt worden sei. Insoweit stehen die Feststellungen der belangten Behörde in Widerspruch zum Inhalt der Verwaltungsakten.

Soweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer entgegengehalten hat, einerseits könnten die gegen seinen Vater gesetzten Maßnahmen, da sie nicht gegen den Beschwerdeführer persönlich gerichtet gewesen seien, nicht als Fluchtgrund anerkannt werden, während andererseits die dem Beschwerdeführer selbst widerfahrenen Mißhandlungen lediglich als Übergriffe von Einzelpersonen, nicht aber als asylbegründende staatliche Verfolgung gewertet werden könnten, ist ihr zwar zunächst insoweit zuzustimmen, daß aus gegen Familienmitglieder gerichteten Verfolgungshandlungen allein noch nicht auf die Verfolgung anderer Familienmitglieder geschlossen werden kann (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1997, Zl. 95/01/0490). Der Beschwerdeführer hat aber auch geltend gemacht, daß er als Mitglied der Putschistengruppe bzw. als Mitwisser angesehen worden sei. Unter Bedachtnahme auf dieses nicht von vornherein als unschlüssig anzusehende Vorbringen kann der belangten Behörde aber nicht gefolgt werden, wenn sie ohne auf entsprechenden Ermittlungen basierende Feststellungen die gegen den Beschwerdeführer persönlich gesetzten Mißhandlungen, die auch eine durchaus relevante Intensität (Bewußtlosigkeit, dreiwöchiger Krankenhausaufenthalt) erreicht haben, lediglich als nicht dem Staat zurechenbare Übergriffe von Einzelpersonen, die ohne politische Motivation erfolgt seien, gewertet hat.

Der belangten Behörde ist insbesondere zu widersprechen, wenn sie in Verkennung der Rechtslage die Auffassung vertreten hat, daß sich die mangelnde Intensität der gegen den Beschwerdeführer gesetzten Maßnahmen schon daraus ergebe, daß er keine davon herrührenden sichtbaren Verletzungsmerkmale geltend gemacht habe. Denn wohl kann das Vorliegen von Verletzungsmerkmalen ein Indiz für die Schwere erlittener Mißhandlungen sein, doch ist die Asylrelevanz von Verfolgungshandlungen nicht an sichtbare Merkmale und Folgen von Mißhandlungen gebunden.

Die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, der Beschwerdeführer wäre, sollte er tatsächlich den Behörden seines Heimatlandes als Putschist und Staatsfeind bekannt gewesen sein, sofort in Polizeigewahrsam genommen und in ein - als existent angenommenes - Inquisitenspital gebracht worden, stützt sich lediglich auf durch keine Ermittlungsergebnisse untermauerte Vermutungen, wobei dem Beschwerdeführer hinsichtlich des Bestehens von Inquisitenspitälern kein Parteiengehör eingeräumt worden ist. Insbesondere kann durch diese Argumentation die vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren geäußerte Furcht, unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus inhaftiert zu werden, nicht entkräftet werden.

Soweit die belangte Behörde aus dem Umstand, daß dem Beschwerdeführer von einem Soldaten Mitteilung über die drohende Verfolgung gemacht worden sei, den Schluß gezogen hat, im Fall tatsächlicher staatlicher Verfolgungsabsicht wäre dieser Soldat gegen den Beschwerdeführer eingeschritten, sodaß seinen diesbezüglichen Angaben volle Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden könne, ist ihr entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung - ohne mit dieser behördlichen Argumentation konfrontiert worden zu sein - ausgeführt hat, bei dem Soldaten habe es sich um einen Freund seines Vaters gehandelt. Diese Erklärung für das Verhalten des Soldaten kann angesichts der von der belangten Behörde nicht bezweifelten beruflichen und politischen Stellung des Vaters des Beschwerdeführers nicht von vornherein als unschlüssig angesehen werden.

Nicht gefolgt werden kann der belangten Behörde auch insoweit, als sie das Vorliegen von Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention mit der Begründung verneint hat, daß der Beschwerdeführer nicht behauptet habe, im Falle seiner Festnahme drohe ihm "eine differenzierte Behandlung". Unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers beruht die von ihm erlittene und die ihm drohende Verfolgung darauf, daß er auf Grund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung Mittäter bzw. Mitwisser staatsfeindlicher Aktivitäten gewesen sei. Die dem Beschwerdeführer aus diesem Grund drohenden strafrechtlichen Sanktionen wären daher in der politischen Gesinnung des Beschwerdeführers begründet. Um solche gegen einen Asylwerber gerichtete staatliche Maßnahmen als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention zu werten, bedarf es aber keiner "differenzierten Behandlung", weil das Vorliegen von Verfolgung schon in der in der Flüchtlingskonvention ausdrücklich angeführten, zu diesen Maßnahmen führenden politischen Gesinnung des Asylwerbers begründet ist. Die angeführte Rechtsansicht der belangten Behörde findet somit im Gesetz keine Deckung.

Die belangte Behörde hat somit bei Erlassung des angefochtenen Bescheides einerseits die Rechtslage verkannt (sichtbare Merkmale von Mißhandlungen als Voraussetzung für Asylrelevanz, "differenzierte Behandlung" als Voraussetzung für das Vorliegen von Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung) und somit den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Andererseits liegt zufolge der aufgezeigten Aktenwidrigkeit und der Mängel des dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor. Da in einem solchen Fall die Rechtswidrigkeit des Inhaltes vorgeht, war der angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996010149.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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