TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/18 I414 2228531-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I414 2228531-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. ALGERIEN, gesetzlich vertreten durch XXXX vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl XXXX vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt.

III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der sonstigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 26.03.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am nachfolgenden Tag wurde der Beschwerdeführer von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er Staatsangehöriger Algeriens sei. Er habe sein Herkunftsstaat im November 2014 verlassen und sei mit dem Flugzeug in die Türkei gereist. In der Folge sei er schlepperunterstützt über weitere Länder nach Österreich gereist. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, dass es zwischen seiner Familie und Verwandte zu Grundstücksstreitigkeiten gekommen sei. Aufgrund dieser Streitigkeiten sei er beschuldigt worden, einen Raubüberfall begangen zu haben und im Jahr 2008 von einem Gericht zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt worden. Nach seiner Entlassung habe er sich entschlossen Algerien zu verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX nach einem polizeilich bekannten Raubüberfall bei der Flucht in den U-Bahnschacht von einer U-Bahn erfasst. Er zog sich dabei eine offene Schädelbasisfraktur mit einer Contusionsblutung und einer Subrarachnoidalblutung zu, des Weiteren ein Thoraxtrauma mit Lungencontusion.

Mit Schreiben vom 22.04.2015 teilte Ungarn mit, dass der Beschwerdeführer am 23.05.2015 in Ungarn einen Asylantrag gestellt habe und sich Ungarn auf Basis der Dublin Verordnung für zuständig erklärte.

Aus dem medizinischen Sachverständigengutachten im Auftrag des Landesgerichtes für XXXX vom XXXX zu Zl. XXXX, geht zusammengefasst hervor: Der Beschwerdeführer leidet an einer schweren hirnorganischen Störung mit ausgeprägten somatische, neurologischen, kognitiven und psychischen Folgeschäden. Der Beschwerdeführer habe bei der Flucht nach einem Handtaschenraub im U-Bahntunnel ein schweres Schädelhirntrauma mit offenem Schädelbasisbruch an der linken Kopfseite mit Hirnrindenprellung, Blutungen, Hirnschwellung und auch schwere körperliche Schäden erlitten.

Der Beschwerdeführer sei kaum mehr imstande, sich verständlich zu artikulieren. Aufgrund seiner neuropsychiatrischen Krankheit könne er in einer Verhandlung seine Interessen nicht vernünftig wahrnehmen und einer Verhandlung geistig folgen. Zusammenfassend sei der Beschwerdeführer verhandlungsunfähig und es sei nicht naheliegend, dass sich aus neuropsychiatrischer Sicht eine rechtsrelevante Besserung einstellen werde.

Die Staatsanwaltschaft Wien stellte am 14.12.2016 das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen §§ 127, 129 und 130 StGB ein.

Aus dem medizinischen Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie im Auftrag des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX geht zusammengefasst hervor: Der Beschwerdeführer befinde sich derzeit stationär an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum XXXX. Der Beschwerdeführer leide an einem hirnorganischen Psychosyndrom bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma. Der Beschwerdeführer habe plötzliche und grundlose Aggressionsdurchbrüche. Er verweigere die Einnahme von Medikamente. Er sei selbst- und fremdgefährdet, daher sei eine Unterbringung im Sinne des UGB notwendig.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kontaktierte am 07.05.2018 den in Deutschland lebenden Bruder des Beschwerdeführers. Sein Bruder teilte telefonisch mit, dass er im gegenständlichen Verfahren hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht mitwirken werde.

Aus dem vorgelegten Befundberichtes vom 09.05.2018 geht hervor, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Grunderkrankung, welche sich nicht mehr verbessern werde, von einer 24-Stunden-Pflege abhängig sei und er selbständig keine Tätigkeiten wie Körperpflege, Medikamenten- und Essensaufnahme mehr durchführen könne. Zudem sei der Beschwerdeführer nicht transportfähig.

Aus dem neuropsychiatrischen Sachverständigengutachten vom XXXX im Auftrag des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX geht zusammengefasst hervor: Das schwere organische Psychosyndrom zeige spezielle Auswirkungen in der Wahrnehmung, im Denken, im Handeln und in der Einsichtigkeit. Therapiemöglichkeiten bestünden nur im Hinblick auf eine Besserung der Aggressivität. Drei Jahre nach dem Schädel-Hirn-Trauma sei eine wesentliche Änderung der psychischen Symptomatik nicht mehr zu erwarten, so dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch auf Dauer die Verhandlungsfähigkeit nicht gegeben sein werde.

Am 14.12.2018 wurden von der belangten Behörde ein Mitbewohner sowie eine Pflegefachkraft des Beschwerdeführers als Zeugen einvernommen.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXXvom XXXX, Zl. XXXX wurde ein Erwachsenenvertreter zur Besorgung der Vertretung vor Ämter, Behörden und Gerichten, zur Einkommenssicherung, Entscheidung über medizinische - psychiatrische sowie medikamentöse Behandlungen und zur Entscheidung über Änderungen des Wohnortes einschließlich Vertretung beim Abschluss von Heimverträgen, bestellt. Die gerichtliche Vertretung endet spätestens mit 03.12.2022, sofern sie nicht erneuert wird.

Mit dem Bescheid vom XXXX, Zl. XXXX, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt V.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Algerien medizinisch versorgt werde und notfalls mit Unterstützung seiner Familie ein ausreichendes Auskommen sichern könne und daher nicht in eine hoffnungslose Lage kommen würde. Aufgrund der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.07.2018 sowie vom 27.11.2019 könne die Behandlung in Algerien fortgesetzt werden. Ferner könne der Beschwerdeführer mit Unterstützung seiner Familie rechnen. Eine stationäre und ambulante Behandlung des Beschwerdeführers in Algerien stehe zu Verfügung. Außerdem stehe eine neurologische Rehabilitationsklinik mit 24-Stunden-Pflege zur Verfügung. Die Kosten für Medikamente würden zumindest bis zu 80% vom algerischen Staat, bei chronisch Kranken auch bis zu 100% der Medikamentenkosten übernommen werden. Der Beschwerdeführer habe auch die Möglichkeit in Algerien einen Behindertenausweis zu erhalten und die damit verbundenen Vergünstigungen und Leistungen in Anspruch zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 06.02.2020.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass aus dem aktuellen Länderinformationsblatt zu Algerien hervorgehe, dass zwar grundsätzlich die medizinische Versorgung allgemein zugänglich und kostenfrei sei. Der Standard entspreche jedoch nicht dem europäischen Niveau. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise sei nicht sichergestellt. Krankenversichert sei zudem nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgehe. Die staatliche medizinische Betreuung in Algerien stehe auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings seien Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt. Die Versorgung für Behinderte in Algerien sei äußerst schwierig und prekär. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in Algerien sozialversichert sein werde oder dass er tatsächlich in die Kategorie der chronisch Kranken fallen würde. Es bleibe offen, wie der Beschwerdeführer in die staatliche Sozialversicherung aufgenommen werden könne und wie lange ein allfälliges Verfahren dauern würde. Selbst wenn der Beschwerdeführer unter die Kategorie "chronisch Kranke" fallen würde, würden dem Beschwerdeführer laut Anfragebeantwortung nur die Kosten der erforderlichen Medikamente ersetzt werden, jedoch maximal nur ein Teil der erforderlichen Behandlung.

Auch die allfällige monatliche Unterstützung aufgrund eines Behindertenstatus von 4.000 bis 10.000 algerische Dinar (umgerechnet ca. 30 bis 70 Euro) würde nicht ausreichen, um die erforderliche 24-Stunden-Betreuung des Beschwerdeführers zu gewährleisten. Darüber hinaus gehe die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer Kontakt zu seiner Familie in Algerien habe. Die belangte Behörde stütze sich dabei lediglich auf eine Aussage des in Deutschland lebenden Bruders, welcher gesagt haben soll, dass er sich mit seiner Familie beraten wolle. Diese Aussage lasse offen, ob der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr von der sich allfälligen noch in Algerien befindlichen Familie aufgenommen und betreut bzw. unterstützt werden würde.

Der Beschwerdeführer wäre in Algerien einem realen Risiko einer Verletzung von Art 2 EMRK und Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt und es würden Anhaltpunkte vorliegen, dass der Beschwerdeführer in Algerien einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde.

Mit Schriftsatz vom 06.02.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 14.02.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Algerien und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer reiste aus Algerien in die Türkei aus und gelangte schlepperunterstützt über weitere Länder nach Österreich. Er hält sich seit (mindestens) 26.03.2015 in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX von einer U-Bahn erfasst. Er zog sich dabei eine offene Schädelbasisfraktur mit einer Contusionsblutung und einer Subrarachnoidalblutung zu, des Weiteren ein Thoraxtrauma mit Lungencontusion.

Der Beschwerdeführer leidet seitdem an einem hirnorganischen Psychosyndrom mit aggressiven Durchbrüchen bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma, an einer Hemiparese links, an intrakranieller Blutung sowie an Harn- und Stuhlinkontinenz. Das schwere organische Psychosyndrom zeigt spezielle Auswirkungen in der Wahrnehmung, im Denken, im Handeln und in der Einsichtigkeit.

Der Beschwerdeführer ist von einer 24-Stunden-Pflege abhängig und kann selbständig keine Tätigkeiten wie Körperpflege, Medikamenten- und Essensaufnahme durchführen.

Dem Beschwerdeführer wurden nachfolgende Medikamente verschrieben: Inderal 10 mg, Quentialan 100 mg, Solian 200 mg, Rivotril 2 mg, Depakine 500 mg, Mefenam 500 mg, Quetialan 200 mg, Simvastatin 40 mg, Oleovit Tropfen, Prophylaxesalbe, Betaisodana Wundgel, Melaxole Pulver, Hepamerz Granulat, Rivotril 2 mg, Risperidon 0,5 mg, Novalgin, Lecicarbon Zäpfchen und Praxiten 15 mg.

Eine Änderung der psychischen Symptomatik ist nicht mehr zu erwarten. Therapiemöglichkeiten bestehen nur in Hinblick auf Besserung der Aggressivität.

Es liegt hinsichtlich des Beschwerdeführers Selbst- und Fremdgefährdung vor.

Der Beschwerdeführer ist verhandlungsunfähig.

Ein längerer Transport ist dem Beschwerdeführer nicht zumutbar.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seinem Unfall und seinen stationären Aufenthalten in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen.

Der in Deutschland lebende Bruder des Beschwerdeführers hat kein Interesse, seinen Bruder zu unterstützen.

Es kann nicht festgestellt werden, ob die Familie des Beschwerdeführers in Algerien lebt oder ob sie in der Lage wäre, den Beschwerdeführer zu unterstützen.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX, Zl. XXXX wurde ein Erwachsenenvertreter zur Besorgung der Vertretung vor Ämter, Behörden und Gerichten, zur Einkommenssicherung, Entscheidung über medizinische - psychiatrische sowie medikamentöse Behandlungen und zur Entscheidung über Änderungen des Wohnortes einschließlich Vertretung beim Abschluss von Heimverträgen, bestellt. Die gerichtliche Vertretung endet spätestens mit 03.12.2022, sofern sie nicht erneuert wird.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten verfolgt wird.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 14.06.2019

Medizinische Versorgung

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB 13.12.2018; vgl. AA 4.4.2018). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 4.4.2018). Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 60er Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 13.12.2018).

Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier, entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich - und forciert von Deutschland auch in Letzterem - niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift diesbezüglich für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten (ÖB 13.12.2018).

Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich (ÖB 13.12.2018).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil (Krankenhausbett zum Beispiel 100,- Dinar = etwas mehr als 1 Euro pro Nacht) zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 4.4.2018).

Seit der Ära Boumedienne ist in Algerien die medizinische Versorgung kostenlos und wurde vom Staat garantiert. Daran hat sich bis heute im Prinzip nichts geändert. Die Finanzierung erfolgt über Sozialversicherungsbeiträge, die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt werden (den größeren Teil, derzeit 12,5%, trägt der Arbeitgeber, wesentlich weniger, 1,5%, der Beschäftigte) und Staatszuweisungen aus dem Budget des Gesundheitsministeriums. Algerien gibt 7,21% seines BIP (2014) für das Gesundheitswesen aus (Deutschland: 11,3%). Die Versorgung mit Standard-Medikamenten (Schmerzmittel, Antibiotika, Herz-Kreislauf-Mittel) zumindest in den Städten ist durch die Apotheken gewährleistet. Spezielle chirurgische Eingriffe, die über die Grundversorgung hinausgehen, werden jedoch nur nach langer Wartezeit durchgeführt. Sehr wohlhabende Familien, wie auch der Präsident selbst, lassen sich gern in Frankreich behandeln. Eine Infrastruktur für Notfälle, z.B. Notrufe, gibt es nicht (außer bei Verkehrsunfällen); es ist Sache der Betroffenen, Hilfe zu organisieren (GIZ 12.2016c).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (4.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432978/4598_1526980677_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-demokratischen-volksrepublik-algerien-stand-februar-2018-04-04-2018.pdf, Zugriff 3.6.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016c): Algerien - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/algerien/gesellschaft/, Zugriff 2.3.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 3.6.2019

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.07.2018

In Algerien sind die angegebenen Medikamente (bzw. deren Wirkstoffe) sowie Alternativmedikamente verfügbar. Ambulante Behandlung durch einen Psychiater und einen Internisten ist ebenfalls verfügbar. Stationäre und ambulante Behandlung durch einen Physiotherapeuten ist verfügbar. Stationäre und ambulante Behandlung durch einen Neurologen ist ebenfalls verfügbar. Eine neurologische Rehabilitationsklinik mit 24-Stunden Pflege steht zur Verfügung. EEG und MRT sowie Computertomographie sind verfügbar. Ambulante Behandlung durch einen Rehabilitationsmediziner ist verfügbar [Anm.: Siehe BMA 11199].

Eine Kostenaufstellung für die Medikamente findet sich in BDA-6838. Um Refundierungen zu erhalten, muss der Patient in einer von vier Kassen sozialversichert sein und über eine CHIFA-Karte verfügen. Dann muss der Patient nur 20% der Kosten des Medikaments bezahlen, 80% werden von der Sozialversicherung übernommen - jeweils vom Referenzpreis. Sollte der tatsächliche Verkaufspreis höher als der Referenzpreis sein, ist diese Differenz jedenfalls vom Patienten zu tragen. Im gegenständlichen Fall könnte der Asylwerber in die Kategorie der chronisch Kranken fallen, bei denen Kosten zu 100% übernommen werden. Eine Auflistung der Behandlungskosten findet sich ebenfalls in BDA-6838. Die Kosten für die Behandlung ist in staatlichen Einrichtungen deutlich günstiger als in privaten, eine Kostenübernahme durch die Sozialversicherung erfolgt aber in keinem Fall.

Einzelquellen:

Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt:

? International SOS via MedCOI (1.6.2018): BMA-11199

? Belgian Desk of Accessibility (BDA) via MedCOI (5.7.2018): BDA-6838

Anfragebeantwortung der Österreichischen Botschaft in Algier vom 23.04.2019

In Algerien zahlt die Sozialversicherung die chronischen Krankheiten nur wenn der Patient regelmäßig die Beiträge zur Sozial- und Zusatzversicherung trägt.

Die Bedürftigen und die Arbeitslosen, die keinen Anspruch auf Krankengeld haben, können von einer Unterstützung von 1/3 (80%) beim Rathaus ihres Wohnsitzes beziehen, jedoch nach einem langen Verfahren, das sehr lange dauern könnte (1 bis 2 Jahre).

Einzelquelle:

VA der ÖB Algier (23.04.2019): Antwort des VA, übermittelt via E-Mail vom 23.4.2019.

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 27.11.2019

Die Vertrauensärztin der ÖB Algier berichtet, wie folgt:

Auf Anfrage hin teilen wir Ihnen mit, dass der Betroffene nach Übersendung der folgenden Unterlagen einen Behindertenausweis erhalten kann:

? Ein dafür vorgesehenes Formular ist von der betroffenen Person und ihrem behandelnden Arzt auszufüllen.

? Der Wohnort ist anzugeben;

Beizubringen sind:

? Familienstandsurkunde;

? Geburtsurkunde;

? ärztliches Attest;

? Handschriftlicher Antrag zum Erhalt eines Behindertenausweises;

? ehrenwörtliche Erklärung;

? 3 Passfotos;

? Kopie des Personalausweises.

Das Dossier muss zwischen dem 1. und dem 10. eines jeden Monats eingereicht werden, und die Wartezeit für den Erhalt der Karte wird auf 3 Monate geschätzt.

Sobald der Betroffene seinen Behindertenausweis erhält, kann er seine CHIFA-Karte (Sozialversicherungsausweis) anfordern, wodurch ein Teil der Behandlungskosten rückerstattet werden kann.

Darüber hinaus bietet der Behindertenausweis folgende Vorteile:

? Freie Fahrt mit Bus, U-Bahn, Straßenbahn;

? Ermäßigung der Zugtarife;

? Monatliche finanzielle Unterstützung von 4.000 DA bis 10.000 DA je nach Art der Behinderung.

Schließlich sehen die Vorschriften für psychische Behinderungen keine besondere medizinische Hilfe (psychologische Nachsorge usw.) vor.

Faisant suite à votre demande, nous vous informons que la personne concernée peut obtenir une carte d'handicapé suite à la transmission des documents suivants:

- Formulaire en pièce jointe à remplir par l'intéressé et par son médecin traitant ;

- Résidence;

- Fiche familiale;

- Extrait de naissance;

- Certificat médical;

- Demande manuscrite pour l'obtention d'une carte d'handicapé;

- Déclaration sur l'honneur (en pièce jointe);

- 3 photos d'identité;

- Photocopie de la Carte d'identité.

Le dossier doit être déposé entre le 1er et le 10 de chaque mois et le délai d'attente pour recevoir la carte est estimé à 3 mois.

Une fois la carte d'handicapé obtenue, l'intéressé pourra demander sa carte CHIFA (permettant le remboursement d'une partie des frais médicaux).

En outre, la carte d'handicapé fera bénéficier l'intéressé des avantages suivants: - Déplacements gratuits par bus, métro, tramway;

- Réduction dans les tarifs de trains;

- Aide financière mensuelle variant de 4.000 DA à 10.000 DA en fonction de la nature du handicap.

Enfin, aucune aide médicale particulière (suivi psychologique etc.) n'est prévue par la règlementation pour un handicap psychique.

Einzelquelle:

VA der ÖB Algier (21.11.2019): Antwort des VA, übermittelt via E-Mail vom 21.11.2019.

Politische Lage

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik. Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden. Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret (BS 2018). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 17.4.2019). Präsident Abdelaziz Bouteflika übernahm sein Amt erstmals im April 1999 (AA 17.4.2019). Am 17.4.2014 wurde er mit über 81% für eine vierte Amtszeit wiedergewählt (AA 17.4.2019; vgl. ÖB 13.2.2018).

Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region. Die nächsten Präsidentschaftswahlen waren für den 18.4.2019 festgelegt (KAS 27.2.2019). Mehrere Oppositionsparteien wollten einen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellen - konnten sich allerdings nicht einigen (TB 22.2.2019; vgl. TS 26.3.2019).

Seit Februar 2019 kommt es in Algier und vielen anderen Städten zu massiven Protesten, um gegen die erneute Kandidatur des kranken, 81-jährigen Präsidenten Bouteflikazu protestieren. Es wird ein Wechsel des politischen Systems und der Abgang der politischen Führung des Landes gefordert (AA 17.4.2019; vgl. BAMF 18.2.2019).

Die Proteste verliefen meist friedlich (BAMF 25.2.2019), dennoch setzte die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen. Einige Menschen wurden vorübergehend festgenommen und nach ein paar Stunden wieder freigelassen (BAMF 25.2.2019; vgl. TB 22.2.2019). Staatliche wie auch regierungstreue Medien wurden in ihrer Berichterstattung eingeschränkt. Am 28.2.2019 demonstrierten rund hundert algerische Medienvertreter in Algier. Mehrere Journalisten wurden festgenommen. Am 1.3.2019 soll es landesweit zu ca. 200 verletzten Demonstranten und Polizisten gekommen sein (BAMF 4.3.2019).

Am 11.3.2019 verkündete Präsident Bouteflika in einer "Botschaft an das Volk", dass die für den 18.4.2019 geplanten Wahlen abgesagt wurden und dass er selbst keine fünfte Amtszeit mehr anstrebe. Außerdem entließ er die bisherige Regierung unter Premierminister Ouyahia und ernannte den bisherigen Innenminister Noureddine Bedoui zum neuen Premierminister. Generalstabschef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah verblieb im Amt. Dieses Angebot von Bouteflika wurde von den Demonstranten abgelehnt (AA 17.4.2019).

Am 26.3.2019 forderte Ahmed Gaid Salah das Verfassungsgericht und das Parlament auf, den Präsidenten gem. Artikel 102 der Verfassung aus gesundheitlichen Gründen für amtsunfähig zu erklären (AA 17.4.2019; vgl. BAMF 1.4.2019; NZZ 26.3.2019). Nachdem auch die Machteliten, die bisher hinter Präsident Bouteflika standen, seinen Rücktritt gefordert hatten, ernannte dieser am 31.3.2019 eine Übergangsregierung. Zu der 27-köpfigen Übergangsregierung gehören sechs alte und 21 neue Minister (BAMF 1.4.2019). Wie das Staatsfernsehen mitteilte, gehörten von den 27 Ministern lediglich acht der vorherigen Regierung an. Neu besetzt wurden unter anderem die Spitzen von Außenministerium, Finanzministerium, Innenministerium und Energieministerium. Der am 11.3.2019 zum Regierungschef ernannte Noureddine Bedoui bleibt im Amt (TS 1.4.2019). Am 3.4.2019 erklärte Bouteflika mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt (TS 3.4.2019).

Die Bestätigung der Regierung durch das Parlament und Beauftragung von Senatspräsident Abdelkader Bensalah als Übergangspräsidenten ist am 9.4.2019 erfolgt. Präsidentschaftswahlen wurden für den 4.7.2019 anberaumt (AA 17.4.2019; BAMF 15.4.2019). Bouteflikas Nachfolger Abdelkader Bensalah unterzeichnete das entsprechende Dekret, wie die algerische Nachrichtenagentur APS meldete (TS 10.4.2019; vgl. ZO 11.4.2019) und das algerische Militär kündigte an, die politische Übergangsphase zu "begleiten", indem sie die Wahlvorbereitungen kritisch überwachen würden (TS 10.4.2019; vgl. ZO 11.4.2019). Salah versprach auch den Kreis um das ehemalige Staatsoberhaupt zu entmachten und die Mitglieder der amtierenden Führung des Landes sollten für mögliche Vergehen wie Korruption zur Verantwortung gezogen werden (ZO 11.4.2019). Die landesweiten Proteste fanden weiterhin statt (AA 17.4.2019). Der 77-jährige Bensalah, einer der engsten Vertrauten Bouteflikas, ist seit mehr als 16 Jahren Präsident der oberen Parlamentskammer (TS 9.4.2019; vgl. ZO 11.4.2019) und ein langjähriger Weggefährte des Ex-Präsidenten (TS 9.4.2019). Bensalah darf bei der Wahl nicht selbst kandidieren (ZO 11.4.2019). Ihm fällt laut Verfassung die Verantwortung für die Übergangsphase zu. Gegen die Parlamentsentscheidung gab es erneut Demonstrationen in mehreren Städten Algeriens. Viele Demonstranten sehen in ihm einen Vertreter der alten Politikelite. Sie forderten einen vollständigen Wechsel an der Staatsspitze (TS 9.4.2019).

Weder der Rücktritt von Präsident Bouteflika noch die Ankündigung von Neuwahlen für den 4.7.2019 konnten weitere Demonstrationen verhindern. Tausende Menschen kamen zusammen, darunter auch erstmals eine einflussreiche Richtervereinigung, die erklärte, die Beaufsichtigung der angekündigten Präsidentschaftswahl boykottieren zu wollen. Die Protestierenden fordern den Rücktritt der gesamten Wirtschafts- und Machtelite ("le pouvoir") um Bouteflika (BAMF 15.4.2019). Am 10.5.2019, richteten sich die Proteste in der Hauptstadt hauptsächlich gegen Übergangspräsident Bensalah (BAMF 13.5.2019) und am 17.5.2019 verlangten die Demonstrierenden die für den 4.7.2019 geplanten Neuwahlen zu verschieben. Es sollen keine ehemaligen Machtinhaber, wie z.B. der Armeechef Ahmed Gaid Salah, an einer neuen Regierung beteiligt sind.

Seit Beginn der Proteste gehen noch mehr Menschen auf die Straßen, aber auch die Sicherheitsmaßnahmen wurden erhöht. Panzerfahrzeuge wurden eingesetzt und Kontrollen an den Einfallstraßen in die Hauptstadt eingerichtet. Meldungen der Nachrichtenagentur AFP zufolge, soll es wieder zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften und zum Einsatz von Tränengas gekommen sein. Über Verletzte wurde nichts bekannt. Am 19.5.2019 haben auch tausende Studenten in Algier gegen die Fortsetzung einer Regierung mit alten Machtinhabern demonstriert (BAMF 20.5.2019).

Nachdem sich lediglich zwei Kandidaten für die Wahl am 4.7.2019 gemeldet hatten, jedoch nicht die geforderten Voraussetzungen erfüllten, hat der Verfassungsrat den Termin erneut verschoben. Interimspräsident Bensalah muss jetzt innerhalb seiner Amtszeit, die am 9.7.2019 endet, einen neuen Termin festsetzen (BAMF 3.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (17.4.2019): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 27.5.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (3.6.2019): Briefing Notes 3 Juni 2019, Zugriff 4.6.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (20.5.2019): Briefing Notes 20 Mai 2019, Zugriff 4.6.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.4.2019): Briefing Notes 1 April 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2006127/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.04.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (25.2.2019): Briefing Notes 25 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003661/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_25.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (18.2.2019): Briefing Notes 18 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003659/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_18.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019

- BBC - BBC News Africa (12.4.2019): Algeria protests: Police arrest 108 in Friday clashes, https://www.bbc.com/news/world-africa-47915798, Zugriff 28.5.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report, https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 28.5.2019

- KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (27.2.2019): Algerien vor der Präsidentschaftswahl, https://www.kas.de/laenderberichte/detail/-/content/algerien-vor-der-praesidentschaftswahl, Zugriff 28.5.2019

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (26.3.2019): Die algerische Armee lässt Präsident Bouteflika fallen, https://www.nzz.ch/international/militaer-fordert-absetzung-von-praesident-bouteflika-ld.1470236, Zugriff 28.5.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 29.5.2019

- TB - Tagesblatt (22.2.2019): Tausende protestieren in Algerien: Polizei löst Demonstration auf, https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/tausende-protestieren-in-algerien-polizei-lost-demonstration-auf-ld.1096496, Zugriff 28.2.2019

- TS - Tagesscshau (3.4.2019): Rücktritt von Präsident Bouteflika - Ein historischer Moment in Algerien, https://www.tagesschau.de/ausland/bouteflika-ruecktritt-107.html, Zugriff 13.6.2019

- TS - Tagesschau (9.4.2019): Nach Bouteflika-Rücktritt Neuer Übergangspräsident für Algerien, https://www.tagesschau.de/ausland/algerien-bouteflika-bensaleh-101.html, Zugriff 28.5.2019

- TS - Tagesschau.de (26.3.2019): Protest gegen Bouteflikas fünfte Kandidatur, https://www.tagesschau.de/ausland/algerien-proteste-101.html, Zugriff 28.5.2019

- ZO - Zeit Online (11.4.2019): Algerien: Präsidentschaftswahl soll im Juli stattfinden, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/algerien-wahl-praesident-abdelaziz-bouteflika-proteste, Zugriff 28.5.2019

Sicherheitslage

Demonstrationen finden seit Mitte Februar 2019 fast täglich in allen größeren Städten statt, die größten Protestmärsche nach den Freitagsgebeten. Auch wenn diese bisher weitgehend friedlich verlaufen sind, können gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 29.5.2019). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 13.12.2018). Das Risiko von Terroranschlägen islamistischer Gruppen und Entführungen mit kriminellem oder terroristischem Hintergrund ist besonders hoch (BMEIA 29.5.2019; vgl. AA 29.5.2019). Landesweit kann es zu Behinderungen durch Demonstrationen und Streiks kommen (BMEIA 29.5.2019). Da jedoch Algerien in den 1990er Jahren ein Jahrzehnt des Terrorismus erlebt hat, bevorzugt die große Mehrheit der Algerier Frieden und lehnt Instabilität ab (BS 2018). Algerien steht auch aufgrund seines riesigen Staatsgebietes vor Herausforderungen. Dies erschwert den Kampf gegen den Terrorismus noch mehr. Die Überreste von terroristischen Gruppen aus den 90er Jahren in der Sahara und einigen nördlichen Regionen stellen immer noch eine massive Einschränkung der Regierungsführung dar (BS 2018).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark reduziert worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten z.B. Mali führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d'unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des "Islamischen Staates" (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 13.12.2018).

Islamistischer Terrorismus und grenzübergreifende Kriminalität in der Sahelregion stellen weiterhin Bedrohungen für die Stabilität Algeriens dar. Algerien ist massiv in der Bekämpfung des Terrorismus engagiert und hat sein Verteidigungsbudget auf mehr als 10 Mrd. EUR erhöht (somit das höchste in Afrika). Eine kleine Anzahl islamistischer Extremisten operiert vor allem in der Sahara und den Berberregionen. Unsicherheit in der Region und die Aktivitäten des IS in einigen Nachbarländern machen diese jedoch zu einer potenziellen Bedrohung (BS 2018).

Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich jedoch inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien und zu Mali. Es kommt jedoch mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 13.12.2019).

Spezifische regionale Risiken

Von Terroranschlägen und Entführungen besonders betroffen ist die algerische Sahararegion, aber auch der Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). Die Gefahr durch den Terrorismus, der sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte richtet, besteht fort (AA 29.5.2019). 2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret (ÖB 13.12.2019).

Vor Reisen in die Grenzgebiete zu Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Marokko sowie in die sonstigen Saharagebiete, in ländliche Gebiete, Bergregionen (insbesondere Kabylei) und Gebirgsausläufer (Nord-Westen von Algier und Wilaya de Batna) wird gewarnt (BMEIA 29.5.2019; vgl. AA 29.5.2019, FD 29.5.2019; ÖB 13.12.2018). Ausgenommen davon sind nur die Städte Algier, Annaba, Constantine, Tlemcen und Oran (BMEIA 29.5.2019; ). Im Rest des Landes besteht weiterhin hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 29.5.2019). Praktisch nicht mehr existent sind die früher häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei von wohlhabenden Einheimischen mit kriminellem Hintergrund (Lösegeldforderung). In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Es wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 13.12.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (29.5.2019): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/algeriensicherheit/219044#content_0, Zugriff 29.5.2019

- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (29.5.2019): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 29.5.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report, https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 29.5.2019

- FD - France Diplomatie (29.5.2019): Conseils aux Voyageurs - Algérie - Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/algerie/, Zugriff 29.5.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 29.5.2019

Sicherheitsbehörden

Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a). Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen (GIZ 12.2016a). Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 13.3.2019). Sie ist in den blauen Uniformen sehr präsent und in den Städten überall wahrnehmbar (GIZ 12.2016a). Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 180.000 [Anm. GIZ: 180.000; USDOS: 130.000] Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 13.3.2019). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium und verfügt über zahlreiche spezielle Kompetenzen und Ressourcen, wie Hubschrauber, Spezialisten gegen Cyberkriminalität, Sprengstoffspezialisten usw. Mit ihren schwarzen Uniformen sind sie besonders außerhalb der Städte präsent, z.B. bei den häufigen Straßensperren auf den Autobahnen um Algier (GIZ 12.2016a).

Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armée Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.3.2019). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 13.12.2018). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption, aber die Regierung veröffentlicht keine Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 29.5.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004261.html, Zugriff 29.5.2019

Korruption

Gesetzlich sind zwar bis zu zehn Jahre Haft für behördliche Korruption vorgesehen, jedoch wird das Gesetz von der Regierung nicht effektiv durchgesetzt. Korruption bleibt ein Problem. Manchmal üben Beamte straflos korrupte Praktiken aus (USDOS 13.3.2019). Das dem Justizministerium unterstellte Zentralbüro zur Bekämpfung der Korruption ist das hauptverantwortliche Regierungsorgan (GIZ 12.2016a). Korruption in der Regierung beruht hauptsächlich auf einer überbordenden Bürokratie und mangelnden transparenten Strukturen (USDOS 13.3.2019). Auf dem Corruption Perceptions Index für 2018 liegt Algerien auf Platz 105 von 180 (TI 2018).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien -

Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019

- TI - Transparency International (2018): Table of Results: Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/DZA, Zugriff 29.5.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004261.html, Zugriff 29.5.2019

Grundversorgung

Algeriens Wirtschaft hängt stark vom Export von Erdöl und Erdgas ab. Dank anhaltend hoher Öl- und Gaspreise konnte Algerien über Jahre hinweg ein kontinuierliches Wachstum von durchschnittlich 3% verzeichnen. Die weiteren Prognosen mussten jedoch aufgrund des derzeitigen Preisverfalls bei Öl und Gas bereits nach unten korrigiert werden. Die "rente petrolière" ist langfristig fragil - hinzu kommt die Unsicherheit über die künftige politische Entwicklung und die Stabilität des Landes. Für das Jahr 2017 verdüsterten sich somit die Aussichten. Ein neues Budgetgesetz sieht u.a. eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, höhere Grund- und Immobilienabgaben sowie eine höhere Besteuerung von Mieten, Kraftstoff und Gütern des täglichen Bedarfs vor. Öffentliche Ausgaben werden drastisch eingeschränkt - manche Stimmen sprechen bereits von einer "Kriegserklärung" an die algerische Gesellschaft (GIZ 12.2016b).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 13.12.2018).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speise-Öl gelten im Januar 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren "Selbsthilfegruppen" in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 17.4.2018).

Nach offiziellen Angaben wird mittlerweile zum ersten Mal von einer Arbeitslosenquote von unter 10% ausgegangen, davon sind 70% jünger als 30 Jahre alt. Diese jungen Leute machen wiederum rund 70% der Bevölkerung aus. Die Arbeitslosigkeit ist die Folge des Niedergangs des verarbeitenden Gewerbes und der Landwirtschaft, die in der Ära Boumedienne viele Arbeitsplätze geschaffen haben. Allerdings beträgt die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe von 16-24 Jahren über 20%. Gegenwärtig werden die betroffenen Jugendlichen ermuntert, eine freiberufliche Perspektive aufzubauen, dazu werden Kredite und steuerliche Anreize geboten (GIZ 12.2016b). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d'emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 13.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (4.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432978/4598_1526980677_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-demokratischen-volksrepublik-algerien-stand-februar-2018-04-04-2018.pdf, Zugriff 3.6.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016b): Algerien - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/algerien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 3.5.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 3.6.2019

Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 13.12.2018; vgl. AA 4.4.2018). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 13.12.2018). Laut deutscher Botschaft wird das Gesetz auch angewendet; die algerischen Behörden erklären jedoch, das Gesetz sollte nur abschreckende Wirkung entfalten (ÖB 13.12.2018).

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge ("harraga") sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 4.4.2018).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 13.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (4.4.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1432978/4598_1526980677_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-demokratischen-volksrepublik-algerien-stand-februar-2018-04-04-2018.pdf, Zugriff 3.6.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (13.12.2018): Asylländerbericht Algerien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1454442/5818_1544771170_alge-ob-bericht-2018-12-13.docx, Zugriff 3.6.2019

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Erstbefragung des Beschwerdeführers vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Algerien mit Stand 14.06.2019.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Herkunft und seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit ergeben sich aus seinen Angaben des Beschwerdeführers vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.03.2015 (AS 23 ff).

Mangels identitätsbezeugender Dokumente steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest.

Die Feststellung zur Ausreise des Beschwerdeführers aus Algerien und seiner Asylantragstellung in Österreich ergibt sich aus seinen Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung am 27.03.2015 (AS 23 ff).

Die Feststellungen zum Unfallhergang sowie seinen Verletzungen ergeben sich aus der Behandlungsbestätigung sowie aus dem Intensivbericht der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 18.05.2015 (AS 115 ff und AS 119 ff).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den medizinischen Sachverständigengutachten vom XXXX (AS 445 ff), XXXX (AS 269 ff), XXXX (AS 495 ff) sowie aus dem Befundbericht vom XXXX (AS 327).

Die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer von einer 24-Stunden-Pflege abhängig ist und sich nicht selbst versorgen kann (Körperpflege, Medikamenten- und Essensaufnahme), ergeben sich aus dem Befundbericht vom XXXX (AS 327) sowie aus dem Pflegebericht vom XXXX (AS 651 ff).

Die Feststellungen zu den Medikamenten ergeben sich aus dem Schreiben der Universitätsklinik Tulln vom XXXX(AS 189 ff), aus dem Schreiben des Geronto-psychiatrischen Zentrums XXXX vom XXXX (AS 213 ff) sowie aus dem Befundbericht vom XXXX(AS 327).

Die Feststellung, wonach eine Änderung der psychischen Symptomatik nicht zu erwarten ist, ergibt sich aus dem neuropsychiatrischen Fachgutachten vom XXXX (AS 495 ff).

Die Feststellung, wonach durch Therapiemöglichkeiten nur in Hinblick auf eine Besserung der Aggressivität besteht, ergibt sich aus dem neuropsychiatrischen Fachgutachten vom XXXX (AS 495 ff).

Die Feststellung zur Selbst- und Fremdgefährdung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem medizinischen Fachgutachten vom XXXX (AS 269 ff) sowie aus dem Pflegebericht vom XXXX (AS 651 ff).

Die Feststellung, wonach ein längerer Transport des Beschwerdeführers nicht zumutbar ist, ergibt sich aus dem Befundbericht vom XXXX (AS 327).

Die Feststellung, wonach sich der Beschwerdeführer seit seinem Unfall und nach stationären Aufenthalten in Krankenhäusern durchgehend in Pflegeeinrichtungen befindet, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt sowie aus dem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer nicht verhandlungsfähig ist, ergibt sich aus den medizinischen Fachgutachten im Auftrag des Landesgerichtes sowie des Bezirksgerichtes vom XXXX sowie vom XXXX.

Die Feststellung, wonach der in Deutschland lebende Bruder des Beschwerdeführers kein Interesse hat seinen Bruder zu unterstützen, oder im Verfahren mitzuwirken, ergibt sich aus dem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 07.05.2018 (AS 319).

Die Negativfeststellung hinsichtlich der Familie des Beschwerdeführers in Algerien, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der psychiatrisch klinischen Untersuchung am XXXX (AS 451). So gab der Beschwerdeführer an, dass er 3 Geschwister habe, er könne jedoch nicht sagen, ob es Schwestern oder Brüder seien. Auch aus dem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 07.05.2018 geht nicht hervor, ob die Familie des Beschwerdeführers in Algerien lebt (AS 319). Darüber hinaus ist der in Deutschland lebende Bruder des Beschwerdeführers nicht gewillt im Verfahren mitzuwirken. Falls der Beschwerdeführer Familienangehörige in Algerien hätte, steht nicht fest, ob sie überhaupt in der Lage wären den Beschwerdeführer wirtschaftlich und/oder sozial zu unterstützen, daher war auch diesbezüglich eine negative Feststellung zu treffen.

Die Feststellung zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters sowie zur Besorgung der Vertretung des Beschwerdeführers, ergibt sich aus dem Beschluss des BG XXXX vom XXXX zu Zl. XXXX (AS 715 ff).

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren die Aussage eines Beschwerdeführers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und sich das erkennende Gericht vor allem auf die unmittelbaren Angaben eines Beschwerdeführers stützt. Nachdem ein Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wird er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität der Person und der Reiseroute des Fremden und hat sich von Gesetzes wegen nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen.

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer am 27.03.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Da der Beschwerdeführer kurz nach seiner Erstbefragung verunfallte und seither verhandlungsunfähig ist, war eine niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde nicht möglich. Auf Grund der medizinischen Sachverständigengutachten wird sich hinsichtlich seiner Verhandlungsfähigkeit nichts ändern, daher kann sich der erkennende Richter sowie die belangte Behörde nur auf seine Angaben in der Erstbefragung stützen.

In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, wegen familiären Streitigkeiten Algerien verlassen zu haben. Aufgrund der Grundstücksstreitigkeiten wä

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten