TE Vfgh Erkenntnis 1996/3/1 B1822/94

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Veröffentlicht am 01.03.1996
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Index

72 Wissenschaft, Hochschulen
72/13 Studienförderung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StudFG 1992 §19

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung bei Abweisung eines Antrags auf Gewährung der Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit wegen Pflege und Erziehung eines Kindes; verfassungskonforme Auslegung geboten

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin hat, nach Absolvierung des Diplomstudiums in den Studienrichtungen Vergleichende Literaturwissenschaft und Spanisch, im Sommersemester 1994 das Doktoratsstudium der Philosophie/Naturwissenschaften aufgenommen.

Am 26. April 1994 suchte sie um Gewährung von Studienbeihilfe für dieses Doktoratsstudium an und brachte am 5. Mai 1994 einen Antrag auf Gewährung der Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit ein, und zwar u.a. mit der Begründung, daß ihr die Pflege und Erziehung ihres Kindes oblegen sei.

Dieser Antrag wurde mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Juli 1994 abgewiesen. Zur Begründung wird darin im wesentlichen ausgeführt, daß als Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Nachsicht jedenfalls das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung durch wichtige Gründe im Sinne des §19 Abs6 Z2 des Studienförderungsgesetzes 1992 bewirkt worden sein müsse. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Pflege und Erziehung eines Kindes komme, da sie in §19 Abs6 Z2 StudFG nicht als wichtiger Grund angeführt sei, dafür jedoch nicht in Betracht.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, hilfsweise die Verletzung in Rechten wegen der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §19 Abs6 Z2 StudFG, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet, in der er im wesentlichen die Verfassungskonformität der genannten Bestimmung behauptet und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die im vorliegenden Beschwerdeverfahren relevanten Bestimmungen des §19 Abs1 bis 6 StudFG, in der hier maßgeblichen Stammfassung BGBl. Nr. 305/1992, lauten:

"(1) Die Anspruchsdauer ist zu verlängern, wenn der Studierende nachweist, daß die Studienzeitüberschreitung durch einen wichtigen Grund verursacht wurde.

(2) Wichtige Gründe im Sinne des Abs1 sind:

1. Krankheit des Studierenden, wenn sie durch fachärztliche Bestätigung nachgewiesen wird,

2.

Schwangerschaft der Studierenden und

3.

jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, wenn den Studierenden daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

(3) Eine Schwangerschaft bewirkt die Verlängerung der Anspruchsdauer um ein Semester.

(4) Die Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist, bewirken die Verlängerung der Anspruchsdauer um insgesamt höchstens zwei Semester je Kind, ohne daß es eines weiteren Nachweises über die Verursachung der Studienverzögerung bedarf.

(5) Das Vorliegen eines wichtigen Grundes bewirkt nur die Verlängerung der Anspruchsdauer, ohne von der Verpflichtung zum Nachweis eines günstigen Studienerfolges im Sinne der §§20 bis 25 zu entheben.

(6) Der zuständige Bundesminister hat auf Antrag des Studierenden und nach Anhörung des zuständigen Senates der Studienbeihilfenbehörde

1. bei Studien im Ausland, überdurchschnittlich umfangreichen und zeitaufwendigen wissenschaftlichen Arbeiten oder ähnlichen außergewöhnlichen Studienbelastungen die Anspruchsdauer um ein weiteres Semester zu verlängern oder

2. bei Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne der Z1 oder des Abs2 die Überschreitung der zweifachen Studienzeit des ersten Studienabschnittes zuzüglich

eines Semesters (§20 Abs2 und §21 Abs2) oder

die Überschreitung der Studienzeit des zweiten und dritten Studienabschnittes um mehr als vier Semester (§15 Abs2) nachzusehen,

wenn das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung auf die genannten Gründe zurückzuführen und auf Grund der bisherigen Studienleistungen zu erwarten ist, daß der Studierende die Diplomprüfung (das Rigorosum) innerhalb der Anspruchsdauer ablegen wird."

              2.              Zur Frage, ob auch der im §19 Abs4 StudFG ausdrücklich geregelte Fall der Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des 3. Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist, einen wichtigen Grund iS des §19 Abs6 Z2 StudFG bilden kann, hat die belangte Behörde im bekämpften Bescheid die folgende Auffassung vertreten:

"Gemäß §19 Abs6 Z2 StudFG kann das Vorliegen wichtiger Gründe nur dann die Überschreitung der Studienzeit rechtfertigen, wenn das überwiegende Ausmaß der Studienverzögerung auf die genannten Gründe zurückzuführen ist. Von der Überschreitung der gesetzlichen Studienzeit des zweiten Abschnittes um sieben Semester müßte demnach mehr als die Hälfte durch einen wichtigen Grund im Sinne des Studienförderungsgesetzes gerechtfertigt sein.

In rechtlicher Hinsicht ist zu prüfen, ob die von Ihnen genannten Gründe das überwiegende Ausmaß Ihrer Studienzeitüberschreitung um insgesamt sieben Semester, also zumindest eine vier Semester dauernde Studienverzögerung, bewirkt haben und ob es sich dabei um einen wichtigen Grund im Sinne des Studienförderungsgesetzes handelt.

...

Pflege und Erziehung eines Kindes ist keiner der in §19 Abs2 StudFG und §19 Abs6 Z1 StudFG taxativ angeführten Gründe zur Erteilung der Nachsicht von Studienzeitüberschreitung und kann daher nicht berücksichtigt werden."

3. Die vorliegende Beschwerde hält dem folgendes entgegen:

"Durch den angefochtenen Bescheid ... fühle ich mich in meinem

... verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit

vor dem Gesetz verletzt. Dazu ist auszuführen, daß Pflege und Erziehung eines Kindes sehr wohl ein Grund zur Erteilung der Nachsicht von der Studienzeitüberschreitung ist und daher von der belangten Behörde berücksichtigt werden muß. Dies ergibt sich schon aus der Generalklausel des §19 Abs2, wonach jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, wenn den Studierenden kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens daran trifft, als Grund zur Nachsicht der Studienzeitüberschreitung heranzuziehen ist. Die Pflege und Erziehung eines Kindes ist jedoch ein solches unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, welches die Nachsicht der Studienzeitüberschreitung zu rechtfertigen vermag.

In diesem Zusammenhang ist auch auf den beiliegenden Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 9.7.1993 ... hinzuweisen, mit welchem mir insgesamt 3 Semester an Studienzeitüberschreitung für die Pflege und Erziehung meines Sohnes bewilligt wurden. Somit hat jedoch die belangte Behörde selbst schon in der Vergangenheit und auf meinen Fall bezogen anerkannt, daß die Pflege und Erziehung meines Kindes ein wichtiger Grund im Sinne des §19 Abs2 StudFG ist.

Die Ansicht der belangten Behörde, die Pflege und Erziehung eines Kindes sei kein wichtiger Grund für die Nachsicht der Studienzeitüberschreitung, widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, da die undifferenziert und ausnahmslos vertretene Rechtsansicht, in der Pflege und Erziehung eines Kindes liege kein wichtiger Grund im Sinne des §19 Abs2 StudFG, dem Sachlichkeitsgebot zuwider läuft.

Der angefochtene Bescheid nimmt seinem Inhalt nach keine Differenzierung nach dem Geschlecht vor, wirkt sich aber aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten überwiegend zum Nachteil von weiblichen Studierenden aus, die infolge der Belastung durch Haushalt, Kindererziehung und Obsorge für sonstige Angehörige gegenüber männlichen Studienkollegen benachteiligt sind (vgl. zuletzt VfGH G134/92-7).

Bei gleichheitskonformer Anwendung des §19 Abs6 Z2 iVm §19 Abs2 hätte die belangte Behörde unter Berücksichtigung des im Gleichheitsgrundsatz enthaltenen Sachlichkeitsgebotes zumindest 2 Semester für die Pflege und Erziehung meines Kindes berücksichtigen müssen; aufgrund dessen hätte mir sodann auch die Nachsicht von der Studienzeitüberschreitung erteilt werden müssen.

Es macht auch keinen Unterschied, daß die Pflege und Erziehung eines Kindes in §19 Abs4 StudFG geregelt ist und §19 Abs6 Z2 nicht ausdrücklich auf Abs4 dieser Bestimmung verweist. Dazu ist auszuführen, daß §19 Abs2 StudFG wichtige Gründe nennt und in Abs3 und Abs4 des §19 StudFG eigentlich nur eine Präzisierung dieser Gründe erfolgt. So etwa präzisiert §19 Abs3 den wichtigen Grund der Schwangerschaft im Sinne des §19 Abs2 Z2 StudFG; in §19 Abs4 StudFG ist somit auch nur eine Präzisierung eines wichtigen Grundes im Sinne des §19 Abs2 Z3 StudFG zu erblicken."

4. In ihrer Gegenschrift tritt die belangte Behörde demgegenüber mit den folgenden Argumenten für die Verfassungskonformität des §19 Abs6 Z2 StudFG ein:

"Zur Frage der Verfassungswidrigkeit des §19 Abs6 Z2 StudFG und dem daraus abgeleiteten Antrag auf ein Gesetzesprüfungsverfahren wird darauf verwiesen, daß bei der Erlassung der Bestimmung des §19 Abs6 Z2 StudFG der Gesetzgeber den gestalterischen Spielraum, der ihm auch im Hinblick auf das Gleichheitsgebot durch den Grundsatz der sachgerechten Lösung und des Willkürverbotes aufgegeben ist, nicht exzessiv überdehnt hat.

Maßgebende Überlegung war zunächst, daß die sehr großzügig bemessene Verlängerung der Anspruchsdauer in Folge Pflege und Erziehung eines Kindes, welche zudem meist noch in Verbindung mit einem weiteren Semester wegen Schwangerschaft steht, sich bei der Verlängerung der Anspruchsdauer anders auswirke, als bei der Erteilung der Nachsicht. Da bei der Erteilung der Nachsicht mehr als die Hälfte der Studienzeitüberschreitung gerechtfertigt sein muß, kommt es faktisch zu einem Verdoppelungseffekt für jedes Semester der gerechtfertigten Studienzeitüberschreitung. Die Geburt eines Kindes würde demnach regelmäßig eine Überschreitung der Studienzeit um sechs Semester bei der Nachsichterteilung rechtfertigen. Dies erschien zunächst als ungerechtfertigt großzügige Regelung in genereller Form, sodaß der Gesetzgeber davon Abstand nahm.

Überdies ist festzuhalten, daß nach den Intentionen des Studienförderungsgesetzes durch Studienbeihilfe an sich bestehende Unterhaltsleistungen der Eltern substituiert werden, die diese aus finanziellen Gründen nicht erbringen können.

Ein Anspruch der Kinder gegenüber den Eltern auf Unterhalt besteht bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit. Diese ist üblicherweise mit der Absolvierung eines Diplomstudiums gegeben.

Nur bei einer besonderen Eignung des Kindes und bei besonderer Leistungsfähigkeit der Eltern wird auch ein Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern für ein Doktoratsstudium anzunehmen sein. Mit einem Doktoratsstudium muß nach der Unterhaltsjudikatur wohl eine eindeutig höhere Berufsqualifikation und eine eindeutig bessere Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes verbunden sein, um einen Unterhaltsanspruch zu begründen. Hiefür reicht nicht aus, daß das Kind lediglich ein besonderes Interesse für das gewählte Fach aufweist.

Diese im Unterhaltsrecht begründeten Unterschiede im Anspruch an die Eltern auf Finanzierung einer Hochschulausbildung rechtfertigen grundsätzlich unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen auf Studienbeihilfe im Hinblick auf die verlangten Studienleistungen, insbesondere die Einhaltung der Studienzeit oder die Gründe, überlange Studienzeiten zu tolerieren.

Nach Ansicht der belangten Behörde besteht daher für den Gesetzgeber ein rechts- und gesellschaftspolitischer Spielraum bei der allenfalls unterschiedlichen Gestaltung von Entschuldigungsgründen für die Überschreitung der Studienzeit, je nach dem, ob es sich um Diplomstudien oder um die Förderung eines Doktoratsstudiums handelt.

Im Zuge der in den letzten Jahren verfolgten Politik, Frauen nicht nur gleich zu behandeln, sondern ihre Bildungsqualifikation sogar zu begünstigen, ist in einer Novellierung des StudFG durch das Bundesgesetz BGBl. 619/1994 auch die Pflege und Erziehung von Kindern als Nachsichtsgrund für besonders lange Studienzeitüberschreitungen, insbesondere für eine Förderung des Doktoratsstudiums durch Studienbeihilfe anerkannt worden."

5. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß die Regelung des §19 Abs6 Z2 StudFG dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz widersprechen würde, wollte man ihr den Inhalt unterstellen, daß die in §19 Abs4 StudFG ausdrücklich geregelte "Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist," nicht als ein wichtiger Grund für die Nachsicht der Studienzeitüberschreitung in Betracht käme. Es ist nämlich nicht erkennbar, worin die sachliche Rechtfertigung für die diesfalls vorgesehene Differenzierung zwischen den in §19 Abs2 StudFG geregelten Tatbeständen und jenem des Abs4 leg.cit gelegen sein könnte.

Der Hinweis in der Gegenschrift der belangten Behörde, eine derartige differenzierende Regelung würde im "gestalterischen Spielraum des Gesetzgebers liegen", geht angesichts des Umstandes, daß sich die im §19 Abs2 StudFG geregelten Tatbestände und jener des Abs4 hinsichtlich ihrer eine Studienzeitüberschreitung rechtfertigenden Bedeutung nicht maßgeblich unterscheiden, ins Leere. Aber auch die beiden anderen in der Gegenschrift für die Zulässigkeit einer solchen Differenzierung ins Treffen geführten Argumente vermögen im Rahmen einer am Gleichheitsgrundsatz orientierten Beurteilung nicht zu überzeugen: Der Gesichtspunkt, daß es bei der Erteilung der Nachsicht faktisch zu einem Verdoppelungseffekt für jedes Semester der gerechtfertigten Studienzeitüberschreitung komme, da mehr als die Hälfte der Studienzeitüberschreitung gerechtfertigt sein müsse, könnte keine sachliche Rechtfertigung für eine zwischen dem Tatbestand des §19 Abs4 StudFG und den (sonstigen) in §19 Abs2 StudFG geregelten Tatbeständen differenzierende Regelung bilden. Ebensowenig trifft es aber auch zu, daß es wegen der im Unterhaltsrecht begründeten Unterschiede im Anspruch an die Eltern auf Finanzierung einer Hochschulausbildung gerechtfertigt sei, für das Diplomstudium einerseits und das Doktoratsstudium andererseits unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen vorzusehen, was die verlangten Studienleistungen anlangt.

6. Der Verfassungsgerichtshof meint aber auch, daß die fragliche Regelung durchaus einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. Dabei übersieht er nicht, daß mit der Novelle zum Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 619/1994, nunmehr eine Rechtslage herbeigeführt ist, die derartige Bedenken explizit ausschließt. Auf Grund der nachfolgenden Überlegungen hält er jedoch auch die im vorliegenden Beschwerdefall maßgebliche, frühere Fassung des §19 Abs6 Z2 StudFG einer verfassungskonformen Auslegung für zugänglich:

Der Tatbestand der Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist, läßt sich von seinem Wortlaut her durchaus als ein Unterfall des im §19 Abs2 Z3 StudFG genannten Tatbestandes (arg: "jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis") deuten. Die dagegen von der belangten Behörde vorgetragenen Argumente, es handle sich dabei nicht um ein "Ereignis" und die Pflege und Erziehung eines Kindes sei jedenfalls nicht unvorhersehbar und grundsätzlich auch nicht unabwendbar, vermag der Verfassungsgerichtshof bei einer am allgemeinen Sprachgebrauch orientierten Auslegung der Bestimmung nicht zu teilen. In dieser Deutung würde §19 Abs4 StudFG somit eine präzisierende Regelung für eben diesen Unterfall eines "unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses" darstellen, so wie §19 Abs3 StudFG eine präzisierende Regelung hinsichtlich des in §19 Abs2 Z2 StudFG geregelten Tatbestandes der "Schwangerschaft der Studierenden" bildet.

Zum gleichen Ergebnis führt auch eine systematische Auslegung:

Im Hinblick auf den Einleitungssatz zu §19 Abs2 StudFG geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß der Begriff des "wichtigen Grundes" im Sinne des §19 Abs2 StudFG identisch ist mit jenem des Abs1 leg.cit. Wenn dies aber so ist, dann muß der Tatbestand der "Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist", im Sinne des §19 Abs4 begrifflich auch einem der in §19 Abs2 StudFG genannten Tatbestände unterfallen. Daß es nämlich Absicht des Gesetzgebers war, die generelle Regelung des §19 Abs1 StudFG auch für den im Abs4 leg.cit. ausdrücklich geregelten Fall zur Geltung zu bringen, steht für den Verfassungsgerichtshof fest.

7. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) liegt eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz insbesondere dann vor, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat. Dies ist im vorliegenden Fall geschehen.

8. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Hochschulen, Studienbeihilfen, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Gleichheit Frau-Mann, Diskriminierung mittelbare

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1822.1994

Dokumentnummer

JFT_10039699_94B01822_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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