Entscheidungsdatum
24.04.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W227 2169818-1/5E
W227 2169822-1/4E
W227 2169819-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerden der syrischen Staatsangehörigen (1.) XXXX , geboren am XXXX , (2.) XXXX , geboren am XXXX , und (3.) XXXX , geboren am XXXX , gegen die Spruchteile I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17. August 2018, Zlen. (1.) 1103969806 / 160157511, (2.) 1103967703 / 160157481 und (3.) 1103982710 / 160157490, zu Recht:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben und (1.) XXXX , (2.) XXXX sowie (3.) XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass (1.) XXXX , (2.) XXXX und (3.) XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Der (57-jährige) Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet, die Drittbeschwerdeführerin ist ihre Tochter. Sie sind syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens, Angehörige der arabischen Volksgruppe und stammen aus der Provinz XXXX .
Am 1. Februar 2016 stellten sie jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei ihrer Erstbefragung brachten sie zusammengefasst vor, Syrien im Dezember 2015 wegen des dort herrschenden Bürgerkrieges illegal zu Fuß über die syrisch/türkische Grenze verlassen zu haben.
In Folge legten sie ihre syrischen Personalausweise und ihr Familienbuch vor.
2. Bei der Einvernahme vor dem BFA gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, Staatsbedienstete der syrischen Bundesbahn gewesen zu sein. Er habe mit seiner Familie in der Stadt XXXX , Provinz XXXX , gelebt. Die Stadt sei im Laufe des Konfliktes von oppositionellen bewaffneten Gruppierungen eingenommen worden. Da er Staatsbediensteter gewesen sei, sei er von der Opposition als Sympathisant der Regierung angesehen worden und aus diesem Grund von oppositionellen Gruppierungen festgenommen worden. Letztlich sei er freigekommen, weil er sich bereit erklärt habe, für die Opposition als Spion tätig zu werden - was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei.
Weiters sei ein Offizier des syrischen Regimes in seine Arbeitsstätte gekommen und habe alle Angestellten aufgefordert worden, eine Waffe zu tragen, um ihre Heimat zu schützen. Der Erstbeschwerdeführer sei dieser Aufforderung jedoch nicht nachgekommen. Zwei Wochen später sei er an einem Kontrollpunkt angehalten worden. Da er keine Waffe bei sich getragen habe, sei er als Verräter beschuldigt und vom syrischen Regime verhaftet worden. Nach ungefähr zwei Wochen sei das Gebäude, in dem er gefangen gehalten worden sei, von einer Rakete getroffen worden, wodurch er aus der Haft habe entkommen können. In Folge habe er sich eine Zeit versteckt gehalten und dann beschlossen, mit seiner Familie in die Türkei zu flüchten.
Weiters gab er an, dass seine beiden Söhne bereits vor ihm aus Syrien geflüchtet seien. Sein Sohn XXXX sei drei Jahre beim Militär und dabei 32 Monate in Haft gewesen. Sein anderer Sohn sei - bevor er zum Militärdienst eingezogen worden wäre - in den Libanon geflüchtet. Bei jedem Kontrollpunkt sei der Erstbeschwerdeführer von Offizieren des syrischen Regimes gefragt worden, warum seine Söhne geflüchtet seien und aufgefordert worden, dafür zu sorgen, dass diese ihrer Pflicht für das syrische Regime nachkommen. Andernfalls zeige dies, dass er gegen die Regierung sei.
Die Zweitbeschwerdeführerin berief sich in ihrer Einvernahme auf die Fluchtgründe ihres Ehemannes und brachte zusätzlich vor, dass sie sowohl von der syrischen Regierung als auch von der Opposition wegen ihres Ehemannes bedroht worden sei. Sie sei jeweils aufgefordert worden, ihren Ehemann zu überzeugen, für die jeweilige Gruppierung zu kämpfen. Zudem habe sie Angst gehabt, dass ihre Tochter - die Drittbeschwerdeführerin - von syrischen Offizieren entführt und vergewaltigt werden könnte.
Die Drittbeschwerdeführerin führte in ihrer Einvernahme zusammengefasst aus, dass sie auf ihrem Schulweg an den Kontrollpunkten der syrischen Regierung tagtäglich mit Problemen konfrontiert gewesen sei. Einerseits habe sie Angst gehabt, von Offizieren entführt und vergewaltigt zu werden - einigen ihrer Freundinnen sei dies passiert; andererseits sei sie über ihre beiden Brüdern befragt worden. Man habe sie gefragt, warum ihre Brüder geflüchtet seien. Eines Tages sei sie sogar angehalten und für eine längere Zeit über ihre Brüder verhört worden. Zudem sei ihre Mutter jeden Tag verhört und bedroht worden.
In Folge legte der Erstbeschwerdeführer sein Familienbuch und die Drittbeschwerdeführerin ihre Mittelschulzeugnisse sowie eine Deutschkursbestätigung (Sprachniveau A1) vor.
3. Mit den angefochtenen Bescheiden wies das BFA die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (jeweils Spruchteil I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (jeweils Spruchteil II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG befristete Aufenthaltsberechtigungen bis zum 17. August 2018 (jeweils Spruchteil III. [bei der Drittbeschwerdeführerin berichtigt mit Bescheid vom 23. August 2017]).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgeschichte zur Gänze unglaubwürdig sei. Hätten die von ihm geschilderten Bedrohungen tatsächlich so stattgefunden, wie von ihm vorgebracht, wäre er sofort nach seiner Flucht aus der Haft aus Syrien ausgereist. Stattdessen sei er weitere sechs Monate - in denen es zu keinen weiteren Vorfällen gekommen sei - in Syrien geblieben, weshalb von einer weiteren Bedrohung durch das syrische Regime nicht auszugehen sei. Eine asylrelevante Verfolgung liege demnach nicht vor.
Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin sei auszuführen, dass deren Fluchtgeschichte unglaubwürdig sei, weil die ihres Ehemannes unglaubwürdig sei.
Bezüglich der Drittbeschwerdeführerin begründete das BFA die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz damit, es habe nicht festgestellt werden können, dass es in ihrer Herkunftsregion vermehrt zu Vergewaltigungen gekommen sei. Zudem werde die Unglaubwürdigkeit ihrer Fluchtgeschichte dadurch bestärkt, dass die Fluchtgeschichte ihrer Eltern unglaubwürdig sei. Wären sie und ihre Mutter tatsächlich tagtäglich bedroht worden, wären sie schon viel früher aus Syrien ausgereist.
4. Gegen die Spruchteile I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerden.
Im Wesentlichen brachten sie vor, dass sie nach der Flucht des Erstbeschwerdeführers aus der Haft nicht sofort aus Syrien geflüchtet seien, weil die Grenze zur Türkei nicht offen gewesen sei. Bei einer Rückkehr drohe den Beschwerdeführern eine asylrelevante Verfolgung aufgrund einer ihnen unterstellten politischen Gesinnung. Da sich der Erstbeschwerdeführer geweigert habe, eine Waffe zu tragen, und sich somit geweigert habe, für das syrische Regime zu kämpfen, werde ihm - und in Folge auch seiner Familie - eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin sei auszuführen, dass aus den dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Länderberichten klar hervorgehe, dass Frauen in Syrien tagtäglich sexuellen Belästigungen und Verfolgungen ausgesetzt seien, weshalb es nicht nachvollziehbar sei, dass das BFA dem diesbezüglichen Vorbringen der Drittbeschwerdeführerin keinen Glauben geschenkt habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zu den Beschwerdeführern
Die Beschwerdeführer sind syrische Staatsangehörige sunnitischen Glaubens und Angehörige der arabischen Volksgruppe. Sie tragen die im Spruch angeführten Namen, sind am XXXX (Erstbeschwerdeführer), am XXXX (Zweitbeschwerdeführerin) sowie am XXXX (Drittbeschwerdeführerin) geboren und stammen aus der Stadt XXXX , Provinz XXXX . Sie verließen Syrien im Dezember 2015 illegal zu Fuß über die syrisch/türkische Grenze.
Dem Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bzw. der Bruder der Drittbeschwerdeführerin - XXXX , geboren am XXXX - wurde mit Bescheid vom 14. September 2016 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Das BFA legte seiner Entscheidung Folgendes zu Grunde: XXXX leistete im Jahre 2010 seinen Militärdienst in Syrien. Im Jahr 2011, als der Bürgerkrieg ausbrach, wurde er als Reservist für die syrischen Streitkräfte eingezogen. Er versuchte zu desertieren, was ihm jedoch nicht gelang. Er wurde festgenommen und befand sich anschließend drei Jahre in Haft. Als er nach seiner Freilassung wiederum aufgefordert wurde, für das syrische Regime zu kämpfen, flüchtete er aus Syrien.
Im Falle einer Rückkehr besteht für die Beschwerdeführer die Gefahr, als Familienangehörige eines Wehrdienstverweigerers, eine unmenschliche Behandlung zu erfahren.
Weiters besteht für die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die Gefahr, aufgrund ihrer Abstammung aus einem oppositionellen Gebiet eine unmenschliche Behandlung zu erfahren.
Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien
1.2.1. Politische Lage
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten. Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert.
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten, wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer "Farce".
Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden.
Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Op-position bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrol-lierten Gebieten stattfand, als "Farce". Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen. Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrol-lierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten. Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen.
Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort. Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert. Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen.
Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiter-partei Kurdistans (PKK). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 8 ff)
1.2.2. Die Situation in der Provinz Idlib
Die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz.
Anfang Januar 2019 drängte die Jihadistenallianz Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) die protürkische National Liberation Front (NLF) zurück und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen.
Im Mai 2017 wurde durch eine Vereinbarung zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, eine Deeskalationszone eingerichtet, die ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch, und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte dieser Deeskalationszone zurück. Anfang September 2018 erfolgte eine neue Welle von Luftangriffen auf die Provinz Idlib. Russland und Iran bekräftigten ihre Absicht, gemeinsam mit der syrischen Regierung in Idlib anzugreifen. Die Türkei stellte sich dagegen. Mitte September einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib. Es wurde verhandelt, dass diese 15 bis 20 Kilometer breit sein soll, schwere Waffen abgezogen werden und Kämpfer der radikal-islamistischen HTS die Zone verlassen sollen. Die Schaffung der Zone sollte bis Mitte Oktober abgeschlossen sein. Die Türkei war mit der Sicherstellung des Abzugs der Rebellen und schwerer Waffen betraut. So konnte die Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei die befürchtete Regimeoffensive auf Idlib vorerst abwenden. Trotz anfänglicher Zurückhaltung konnte die Türkei bis Oktober 2018 den schrittweisen Abzug schwerer Waffen in die Wege leiten und erklärte die entmilitarisierte Zone für errichtet. Im November flammten jedoch die Konflikte zwischen regierungstreuen Einheiten und HTS wieder auf.
Im Februar 2019 kam es zu erneuten Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib und im März 2019 erstmals seit September 2018 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz Idlib. Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus. Seit Beginn der Kämpfe bis Juni 2019 wurden laut Vereinten Nationen geschätzte 330.000 Personen vertrieben und etwa 2.000 Personen, darunter 532 Zivilisten, wurden auf beiden Seiten des Konfliktes getötet. Mehrere Gesundheitseinrichtungen wurden zum Ziel von Angriffen.
Auf Grund der erwähnten militärischen Auseinandersetzungen in und um Idlib ist die Sicherheitssituation im Nordwesten laut Auskunft der ÖB Damaskus sehr schwierig. In der Stadt Aleppo selbst hat sich die Sicherheitslage auf Grund des Spillover des Konfliktes in Idlib wieder verschlechtert; es kommt vermehrt zu Artilleriebeschuss, der den westlichen Teil der Stadt tangiert. Neben politisch motivierten Verhaftungen durch die HTS kommt es in den Regionen Idlib und Aleppo auch zu Entführungen mit Lösegeldforderungen durch bewaffnete Gruppen. Auch in der türkisch kontrollierten Grenzregion kommt es zu Anschlägen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) auf türkische Streitkräfte bzw. mit ihnen alliierte Milizen.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 18 ff)
1.2.3. Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an. Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden.
NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren.
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt ("incommunicado") an unbekannten Orten fest. Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür, dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken.
In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines "Freilassungsabkommens" auszutauschen.
Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung. Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien.
Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen.
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien.
Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Misstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen.
Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt. Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 34 ff)
1.2.4. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen
Die syrische Regierung hat schon vor dem Ausbruch des aktuellen Konflikts abweichende politische Meinungen nicht bzw. nur in sehr begrenztem Umfang geduldet. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen der Opposition und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände reagierte die Regierung Berichten zufolge mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Bei der Frage, wo die politische Opposition beginnt, wendet die Regierung laut Berichten sehr weite Kriterien an: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form - so auch friedliche Proteste, die organisiert oder spontan im Rahmen einer politischen Partei oder auf individueller Ebene virtuell im Internet oder auf der Straße kundgetan wurden - führten Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Mitglieder oppositioneller Parteien, Teilnehmer von Protesten gegen die Regierung, Aktivisten, Wehrdienstentzieher und Deserteure, bestimmte Berufsgruppen (z.B. Journalisten und Bürgerjournalisten, Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, Ärzte, Hochschuldozenten) und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, durch Vergeltungsmaßnahmen in Form von Reiseverboten, Enteignungen, Zerstörung ihres Privateigentums, Zwangsvertreibungen, willkürlichen Verhaftungen, Isolationshaft, Folter und sonstigen Formen der Misshandlung sowie summarischen und extra-legalen Hinrichtungen bestraft wurden. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden Berichten zufolge häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben.
Seit 2011 wird in zahlreichen Berichten von weitverbreiteten und systematischen willkürlichen Festnahmen und dem Verschwindenlassen von Männern und männlichen Jugendlichen berichtet, wovon insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, sunnitische Araber aus Gebieten betroffen sind, die derzeit oder früher von oppositionellen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden bzw. wurden. Berichten zufolge werden sie aufgrund ihrer vermeintlichen Teilnahme an Kämpfen gegen die Regierung, ihrer vermeintlichen Unterstützung bewaffneter Gruppen oder ganz allgemein wegen ihrer vermeintlich oppositionellen Ansichten ins Visier genommen. Die Festnahmen beruhen laut Meldungen oft allein darauf, dass ein Mann oder Junge aus einem Gebiet stammt, das mit der Opposition in Verbindung gebracht wird. Die weitverbreiteten Festnahmen finden Berichten zufolge vor allem an Kontrollstellen, bei Razzien in wiedereroberten Gebieten und bei Evakuierungen statt, jedoch auch an öffentlichen Orten (einschließlich Krankenhäusern, Behörden, Flughäfen und Grenzübergängen). Bei Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben oder desertiert sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Oppositionelle wahrgenommen und verhaftet, zwangsrekrutiert und schwer misshandelt werden. Wie aus Berichten hervorgeht, meiden deshalb syrische Männer im wehrfähigen Alter - so auch männliche Jugendliche - Kontrollstellen der Regierung, da sie befürchten, misshandelt und getötet zu werden oder unter Zwang zu verschwinden.
Berichten ist zu entnehmen, dass die Regierung im Allgemeinen weiterhin Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zumindest zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, mit der bewaffneten Opposition in Verbindung bringt. Dies ist Berichten zufolge Teil einer umfassenden Politik, die Zivilpersonen aufgrund ihrer Verbindungen ins Visier nimmt, wenn sich die Betroffenen in einem Gebiet aufhalten oder aus einem Gebiet stammen, das als regierungsfeindlich angesehen wird und/oder dem Lager der bewaffneten Opposition zugerechnet wird. Es wurde gemeldet, dass Zivilpersonen in diesen Gebieten zahlreichen Bestrafungen unterzogen wurden. Dies beinhaltet Massenverhaftungen, Folter, sexuelle Gewalt insbesondere der Einsatz von Vergewaltigungen als Kriegswaffe, extra-legale Hinrichtungen durch die Streitkräfte der Regierung und regierungsnahe Gruppen im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen sowie umfassenden Artilleriebeschuss und Luftangriffe.
Es wurde gemeldet, dass die Regierung zahlreiche Gebiete, die unter der Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, belagert hat und auf diese Weise Zivilpersonen von der Grundversorgung - z. B. von Lebensmitteln und medizinischer Versorgung - abgeschnitten hat. Personen, die Nahrungsmittel oder andere Grundversorgungsgüter in belagerte Gebiete transportierten oder versuchten, aus einem belagerten Gebiet zu fliehen, wurden Berichten zufolge schikaniert, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die Belagerungstaktik der Regierung in Gebieten, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden, zielt Berichten zufolge darauf ab, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zu bestrafen, die Unterstützung der bewaffneten Regierungsgegner in der Bevölkerung zu unterminieren und Zivilisten und Kämpfer zum Aufgeben zu zwingen.
Laut Berichten sind die Regierungstruppen im Rahmen lokaler Waffenstillstandsvereinbarungen zunehmend dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung aus belagerten, von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten zu evakuieren, nachdem sie diese Gebiete zuvor über lange Zeiträume belagert und bombardiert haben. Im Rahmen von lokalen Waffenstillstandsvereinbarungen in Barza, Tishreen, Qabun und den "Vier Städten" (Madaya und Zabadani in der Provinz Damaskus-Umgebung und Fu'ah und Kefraya in der Provinz Idlib) hat die unabhängige internationale Untersuchungskommission dokumentiert, wie regierungsnahe Truppen von einzelnen Personen, die sich ergeben hatten, verlangt haben, sich einem Versöhnungsverfahren zu unterziehen und der Regierung Treue zu geloben, damit sie in den betreffenden Gebieten bleiben können, während oppositionelle Einzelpersonen und Kämpfer von diesem Verfahren ausgeschlossen wurden und im Rahmen von organisierten Evakuierungen aus den Gebieten deportiert wurden.
Laut der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission werden solche Evakuierungen von der Regierung strategisch eingesetzt, um Bevölkerungstransfers auf der Grundlage politischer Loyalitäten zu erzwingen und die (vermeintlichen) Anhänger der Opposition in ein Gebiet im Nordosten des Landes zu verbannen. Die Untersuchungskommission stellt fest, dass die Evakuierungen in einigen Fällen mit Zwangsvertreibungen von Zivilpersonen gleichzusetzen sind. In Gebieten, die die Regierung von bewaffneten oppositionellen Gruppen zurückerobert hat, hat sie Berichten zufolge zahlreiche Personen verhaftet, insbesondere Männer und Jungen über zwölf Jahren, von denen sie vermutete, dass sie die oppositionellen Gruppen unterstützen oder mit ihnen sympathisieren.
(UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte Fassung, Stand: November 2017, Punkt III. A. 1.)
1.2.5. Wehrdienst
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten. Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert.
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden.
Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.
Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Den Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen.
Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen.
Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren. Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert, den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 40 ff)
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen.
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab.
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.
Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt.
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte "externe Desertion"), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.
Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben.
Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen.
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen. Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 44 ff)
Amnestien
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerern und Deserteuren eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffrei-heit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. So erließ die syrische Regierung im Oktober 2018 das Präsidialdekret Nr. 18/2018, welches De-serteuren und Wehrdienstverweigerern im In- und Ausland Straffreiheit gewähren soll, aus-genommen "Kriminelle", sowie Personen, die auf Seite der bewaffneten Opposition gekämpft haben. Deserteure und Wehrdienstverweigerer in Syrien hatten laut Dekret vier Monate Zeit, sich bei den Behörden zu melden, jene im Ausland sechs Monate. Die Wehrpflicht ist jedoch laut Gesetz auch nach Inanspruchnahme der Amnestie noch abzuleisten. Diese Amnestie ist inzwischen ausgelaufen. Eine Verlängerung der Amnestie wurde immer wieder kolportiert, ist aber bisher nicht erfolgt. Zur Amnestie vom 17. Februar 2016 für Deserteure, Wehrdienstverweigerern und Reservisten gibt es keine Informationen darüber, wie viele Personen diese genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert, sowie als bisher wirkungslos. Die Behörden haben viele Personen, die im Rahmen von früheren Amnestien freigelassen wurden oder Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet hatten, später erneut inhaftiert.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 46)
Personen, die sich einem Schießbefehl widersetzten, desertierten oder einer geplanten Desertion verdächtigt wurden, werden in der Regel nicht formell angeklagt. Stattdessen wurden sie entweder zum Zeitpunkt der Desertion umgehend hingerichtet oder willkürlich inhaftiert, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und extralegal hingerichtet. Andere wurden nach einer Untersuchung zurück in ihre Einheit geschickt. Regierungskräfte griffen bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde durch Plünderung und Brandstiftung zerstört. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandte) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.
(UNHCR-Bericht: Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen, Stand: Februar 2017, S. 12 f und S. 22 ff)
1.2.6. Rückkehr
Im Juli 2018 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,5 Millionen Menschen. Die Zahl der Binnenvertriebenen belief sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen. 2018 sind insgesamt etwa 1,2 bis 1,4 Millionen IDPs in Syrien zurückgekehrt. Mit März 2019 waren 5.681.093 Personen in den Nachbarländern Syriens und Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert. 2018 sind laut UNHCR insgesamt etwa 56.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt. Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind.
Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar und es herrschen weiterhin Zugangsbeschränkungen und Beschränkungen bei der Datenerhebung für UNHCR. Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig, und über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse.
Das Fehlen von vorhersehbarer und nachhaltiger physischer Sicherheit in Syrien ist der Hauptfaktor, der die Rückkehrvorhaben von Flüchtlingen negativ beeinflusst. Weiters werden das Fehlen einer adäquaten Unterkunft oder Wohnung oder fehlende Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu sichern als wesentliche Hindernisse für die Rückkehr genannt. Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wird der Wunsch nach Familienzusammenführung genannt. Rückkehrüberlegungen von syrischen Männern werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst. Es ist schwierig Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind. Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren.
Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person diese Tätigkeit in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien wie Angriffe der Regierung verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt. Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen, kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken. Es wird regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut deutschem Auswärtigen Amt glaubwürdig, können im Einzelfall aber nicht verifiziert werden.
Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exilpolitische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten. Es gibt Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in Deutschland lebende Verwandte ausüben. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen. Der Sicherheitssektor nützt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um, wie in der Vergangenheit, lokale Informanten zur Informationsgewinnung und Kontrolle der Bevölkerung zu institutionalisieren. Die Regierung weitet ihre Informationssammlung über alle Personen, die nach Syrien zurückkehren oder die dort verblieben sind, aus. Historisch wurden Informationen dieser Art benutzt, um Personen, die aus jedwedem Grund als Bedrohung für die Regierung gesehen werden, zu erpressen oder zu verhaften. Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren. Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört - inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrten, IDPs aus Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, und Personen, die in durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung geschlossen haben. Sie wurden gezwungen Aussagen über Familienmitglieder zu machen und in manchen Fällen wurden sie gefoltert.
Daten der Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass 14% von mehr als 17.000 befragten IDP- und Flüchtlingshaushalten, die im Jahr 2018 zurückgekehrt sind, während ihrer Rückkehr angehalten oder verhaftet wurden, 4% davon für über 24 Stunden. In der Gruppe der (ins Ausland) Geflüchteten wurden 19% verhaftet. Diese Zahlen beziehen sich spezifisch auf den Heimweg und nicht auf die Zeit nach der Rückkehr. Syrische Flüchtlinge benötigen für die Heimreise üblicherweise die Zustimmung der Regierung und die Bereitschaft vollständige Angaben über ihr Verhältnis zur Opposition zu machen. In vielen Fällen hält die Regierung die im Rahmen der "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien nicht ein, und Rückkehrer sind Belästigungen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden oder auch Inhaftierung und Folter ausgesetzt, mit dem Ziel Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten.
Laut UNHCR ist unter den in Syrien herrschenden Bedingungen eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde derzeit nicht möglich und UNHCR fördert oder unterstützt die Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien weiterhin nicht.
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 85 ff)
1.2.7. Risikogruppen
In seinen Richtlinien "zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" vom November 2017 geht UNHCR u.a. von folgenden "Risikoprofilen" aus:
* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen (u.a. Wehrdienstverweigerer sowie deren Familienangehörige und Zivilpersonen, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Bezirken, Dörfern und Gemeinden leben)
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zu den Beschwerdeführern basieren auf ihren vorgelegten Unterlagen und den am 24. April 2020 eingeholten Strafregisterauskünften.
Die Feststellungen betreffend den Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bzw. des Bruders der Drittbeschwerdeführerin beruhen auf seinen Angaben vor dem BFA.
Dass die Beschwerdeführer als Familienangehörige eines Wehrdienstverweigerers im Falle einer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung erfahren werden, ergibt sich aus den getroffenen Länderfeststellungen, wonach Familienangehörige eines Wehrdienstverweigerers Repressalien ausgesetzt sein können. Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung erfahren haben. Berichten zufolge werden tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn oder Kollegen zugeschrieben. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden.
Dass den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr aufgrund ihrer Herkunft aus einem oppositionellen Gebiet die Gefahr droht, eine unmenschliche Behandlung zu erfahren, beruht ebenfalls auf den getroffenen Länderfeststellungen, wonach die Regierung davon ausgeht, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, generell Verbindungen zur bewaffneten Opposition haben. Diese Zivilpersonen sind daher der Gefahr ausgesetzt, als regierungsfreundlich angesehen und unmenschlich behandelt zu werden.
2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten (nun aktualisierten) Quellen, die schon das BFA seinen Bescheiden zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen auch die Beschwerdeführer nicht entgegentraten, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerden (Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. dazu VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).
3.1.2. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien besteht für die Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, weil sie als Familienangehörige eines Wehrdienstverweigerers (Sohn bzw. Bruder) Gefahr laufen, maßgeblich verfolgt zu werden. So geht aus den Länderfeststellungen klar hervor, dass Familienangehörige von Wehrdienstverweigerern Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung, Folter und Inhaftierung ausgesetzt sind und somit für sie die Gefahr besteht, im Falle einer Rückkehr, eine unmenschliche Behandlung zu erfahren. Sie gehören daher der sozialen Gruppe der Familie an (vgl. zur sozialen Gruppe der Familie etwa VwGH 14.01.2003, 2001/01/0508; 13.11.2014, Ra 2014/18/0011, jeweils m.w.N.).
Zusätzlich würden die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Herkunft aus der Provinz XXXX , die seit 2015 unter Kontrolle oppositioneller Gruppierungen steht, als politische Gegner des syrischen Regimes angesehen werden.
Sie fallen damit (auch) in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der "Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen" ([u.a. Wehrdienstverweigerer, Familienangehörige eines Wehrdienstverweigerers; Zivilpersonen, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Bezirken, Dörfern und Gemeinden leben]"; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0521, m.w.N.).
Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für die Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht.
Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0168; 29.06.2015, Ra 2014/18/0070).
Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, ist sind den Beschwerdeführern gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.
Da die Beschwerdefu¿hrer ihre Antra¿ge auf internationalen Schutz nach dem 15. November 2015 stellten, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG i.d.F. BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gema¿ß § 75 Abs. 24 leg. cit. hier anzuwenden.
Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung erwarten lässt (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie etwa VfGH 18.06.2012, B 155/12; EGMR Tusnovics v. Austria, 07.03.2017, 24.719/12).
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)
3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.2.2. Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass den Beschwerdeführern der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen ist