Entscheidungsdatum
11.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W237 2175637-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde der XXXX geb. XXXX , StA. Äthiopien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2017, Zl. 1144981100/170454963, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.05.2020 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Z 1, § 57 und § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie§ 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 55 Abs. 3 FPG wird die Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 30.06.2020 festgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine äthiopische Staatsangehörige, gelangte im März 2017 nach Österreich und stellte am 12.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am nächsten Tag erfolgten asylrechtlichen Erstbefragung gab die Beschwerdeführerin an, mittels eines Visums zum Besuch einer Wirtschaftskonferenz nach Österreich gekommen zu sein; aufgrund "der unsicheren Lage wegen des Bürgerkriegs in Äthiopien" habe sie sich zur Antragstellung entschlossen. Ihr Vater sei im Jahr 2006, ihr Bruder im Jahr 2009 "im Bürgerkrieg getötet" worden. Sie habe nunmehr Angst um ihr Leben.
1.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl holte in weiterer Folge den Akt der Österreichischen Botschaft Addis Abeba betreffend die Ausstellung des Visums für die Beschwerdeführerin in Kopie ein.
1.2. Bei einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 15.09.2017 brachte die Beschwerdeführerin vor, XXXX Jahre alt und christlich-orthodoxen Glaubens zu sein. Sie sei in der Ortschaft XXXX 120 Kilometer entfernt von Addis Abeba aufgewachsen und habe 2009 geheiratet. Von ihrem Mann habe sie sich aber vor zwei Jahren getrennt; die beiden gemeinsamen Kinder lebten bei ihrem Vater, ihren genauen Aufenthaltsort kenne die Beschwerdeführerin nicht. Zuletzt habe sie fünf Jahre in einem Vorort von Addis Abeba gewohnt, die letzten zwei Jahre alleine. Die Beschwerdeführerin gab weiters an, noch einen lebenden Bruder zu haben, dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne; ihre Mutter lebe auf einer Landwirtschaft ihres verstorbenen Vaters in der Nähe von XXXX .
Näher zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin an, dass sie und ihre Familienmitglieder Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen seien, weil sie der Volksgruppe der Oromo angehörten. Ihr Vater sei Anfang Juli 2014 vor seinem Haus aus unbekannten Gründen erschossen worden. Nur eine Woche später sei die Beschwerdeführerin selbst in eine Demonstration geraten und von drei Männern geschlagen worden. Ihr Bruder sei im September 2016 von Unbekannten erschossen worden, es habe zum damaligen Zeitpunkt "Krawalle" gegeben. Die Beschwerdeführerin selbst sei an einem ihr nicht mehr erinnerlichen Datum festgenommen und über Nacht inhaftiert worden; man habe sie am nächsten Tag einvernommen und zu ihr nicht bekannten Personen befragt, danach sei sie freigelassen worden. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, als Oromo erneut inhaftiert und geschlagen zu werden.
1.3. Mit Bescheid vom 10.10.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihr einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Äthiopien zulässig sei (Spruchpunkt III.); schließlich hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Die Antragsabweisung begründend hielt das Bundesamt mit näheren beweiswürdigenden Erwägungen fest, dass die Beschwerdeführerin sowohl hinsichtlich ihres Familienstands als auch ihres Fluchtvorbringens unglaubhafte Angaben gemacht habe. In Äthiopien drohe ihr keine ihre Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK verletzende Situation; die Rückkehrentscheidung sei im Rahmen einer Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK iVm § 9 BFA-VG statthaft.
2. Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid in vollem Umfang am 03.11.2017 Beschwerde.
2.1 Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.11.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.
2.2. Die Beschwerdeführerin übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht in der Folge integrationsbezeugende Unterlagen und Schreiben.
2.3. Am 05.05.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Verhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführerin und ihre Rechtsvertreterin sowie ein Dolmetscher teilnahmen. In der Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin zu ihrem Gesundheitszustand, ihren familiären Angehörigen und persönlichen Beziehungen in Äthiopien und Österreich, ihren Lebensumständen im Bundesgebiet, ihrem Werdegang in Äthiopien sowie zu den Gründen für die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz näher befragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist äthiopische Staatsangehörige, gehört zur Volksgruppe der Oromo und bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Sie wurde in der etwa 120 Kilometer westlich der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba liegenden Ortschaft XXXX am XXXX geboren und wuchs dort mit ihren Eltern und zwei Brüdern auf der familieneigenen Landwirtschaft auf. Im Jahr 2005 schloss sie nach 14-jährigem Schulbesuch ihre Schullaufbahn ab. 2008 ehelichte sie ihren (nunmehrigen) Exmann und bekam mit ihm einen 2011 geborenen Sohn und eine 2014 geborene Tochter; von ihrem Ehemann trennte sich die Beschwerdeführerin im Jahr 2016. Die letzten fünf Jahre vor ihrer Ausreise wohnte die Beschwerdeführerin in Addis Abeba. In Äthiopien leben zumindest die Mutter und ein Bruder der Beschwerdeführerin; die Mutter kümmert sich noch um die familieneigene Landwirtschaft in XXXX .
Ob weitere Familienangehörige in Äthiopien leben, ist unbekannt. Ebenso ist unbekannt, ob die Beschwerdeführerin Kontakte zu Verwandten nach Äthiopien hält, ob sie dort jemals einer Arbeit nachging und welches Vermögen sie hatte bzw. noch hat.
Am 27.02.2017 stellte sie bei der Österreichischen Botschaft in Addis Abeba einen Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums zwecks Besuchs zweier Wirtschaftskonferenzen (" XXXX " in der Wirtschaftskammer Österreich sowie " XXXX "). Sie legte zu diesem Zweck falsche Arbeitgeberzeugnisse sowie einen falschen Kontoauszug vor. Am 07.03.2017 wurde ihr ein von 27.03. bis 22.04.2017 gültiges Visum C ausgestellt, mittels welchem sie am 27.03.2017 über den Luftweg nach Österreich reiste. Sie besuchte in der Folge die Konferenzen in Wien nicht und stellte am 12.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der unter Pkt. I dargelegte Verfahrensgang wird zum Inhalt der Feststellungen erhoben.
1.2. Die strafgerichtlich unbescholtene Beschwerdeführerin lebt seit Ende März 2017 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet und wohnt seit Mai 2017 in der niederösterreichischen Gemeinde XXXX in alleinigem Haushalt. Dort besucht sie regelmäßig den Gottesdienst und hilft ehrenamtlich bei der Kirchenreinigung. Sie schloss mehrere freundschaftliche Bekanntschaften mit anderen Einwohnern ihrer Wohnsitzgemeinde, die sich für ihren Verbleib in Österreich einsetzen; gegenüber ihrem sozialen Umfeld in Österreich zeigte sich die Beschwerdeführerin stets freundlich, hilfsbereit und engagiert. Weiter versuchte sie, eine unselbständige Erwerbstätigkeit in der Altenbetreuung und im Bereich Hotellerie aufzunehmen, was ihr aufgrund der arbeitsmarktrechtlichen Bestimmungen nicht gelang. Sie spricht die deutsche Sprache gebrochen auf alltagstauglichem Niveau; der Abschluss einer Sprachprüfung des Niveaus A2 war ihr zuletzt aufgrund der COVID-19-pandemiebedingten Maßnahmen nicht möglich.
1.3. Die Beschwerdeführerin war vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren ihre körperliche Unversehrtheit betreffend ausgesetzt. In Äthiopien drohen ihr keine physischen oder psychischen Gewalthandlungen durch staatliche Behörden oder nichtstaatliche Personen.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Äthiopien:
Politische Lage
Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People's Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples' Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat (AA 17.10.2018).
Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).
Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed kam im April 2018 nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Seitdem hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018). Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und wurden entkriminalisiert. Abiy Ahmed hat eine Kehrtwende weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger vorgenommen. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt mit Erfolg für stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum und hat die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien de facto beendet. Im Mai 2018 gab es mehrere Dialogformate in Addis Abeba und der benachbarten Region Oromia, unter Beteiligung von Vertretern der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Abiy hat zudem angekündigt, dass die für 2020 angesetzten Wahlen frei und fair und ohne weitere Verzögerungen stattfinden sollen (AA 17.10.2018).
Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wieder aufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).
Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Asmara ein Versöhnungsabkommen und verkündeten am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018). Am 15.9.2018 kehrten frühere Oromo-Rebellen aus dem Exil in die Hauptstadt Addis Abeba zurück. Die Führung der OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Neben OLF-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurde, kam es zu Ausschreitungen (BAMF 17.9.2018). Nach offiziellen Angaben wurden nach den Ausschreitungen rund 1.200 Personen inhaftiert (BAMF 1.10.2018).
Abiy Ahmeds Entscheidung Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde weitgehend begrüßt. Die Hälfte der 20 Ministerposten der Regierung wurden an Frauen vergeben, darunter Schlüsselressorts wie das Ministerium für Handel und Industrie und das Verteidigungsministerium. Abiy hat u. a. die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt, die ehemalige UNO-Beamtin Sahle-Work Zewde wurde einstimmig vom Parlament zur Präsidentin gewählt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018, EZ 25.10.2018, GIZ 9.2018a). Die Präsidentin hat vor allem eine repräsentative Funktion, da die politische Macht beim Ministerpräsidenten liegt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018). Aisha Mohammed ist nun Verteidigungsministerin, Muferiat Kamil Friedensministerin. Letzterer sind Polizei und Geheimdienste unterstellt. Die Ernennung der beiden Frauen ist auch deshalb historisch, weil es sich um Muslime aus ethnischen Minderheiten (Oromo) handelt, die noch nie zuvor so mächtige Ämter bekleideten. Ihre Anwesenheit im Kabinett hilft Abiy Ahmed nicht nur, Geschlechterparität zu erreichen, sondern auch, seine Unterstützungsbasis unter ethnischen Minderheiten und Muslimen zu erweitern, die sich manchmal über politische Ausgrenzung beklagen (BBC 18.11.2018).
Darüber hinaus ging die Regierung gegen Offizielle vor, die der Korruption und Rechtsverletzungen verdächtigt wurden. 60 Personen wurden verhaftet, darunter der ehemalige Leiter eines militärisch geführten Geschäftskonzerns und ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes, Getachew Assefa. Dieser wurde wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen verhaftet (BBC 18.11.2018; vgl. EI 12.12.2018). Assefa war ein führendes Mitglied des Tigray-Flügels der regierenden EPRDF. Vertreter der EPRDF - darunter die Führung der TPLF - haben erklärt, dass es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass Kriminelle vor Gericht gestellt werden sollten. Ältere Vertreter der TPLF fordern, dass derartige Verhaftungen nicht politisch motiviert und nur auf Tigray abzielen dürfen. Aktivisten von Tigray erachten die Verhaftungen allerdings als politisch motiviert - mit dem Ziel, die Tigray zu schwächen. Auf einen Protest in neun Großstädten in Tigray folgte am 8.12. und 9.12.2018 eine große Kundgebung in Mekele, bei der Zehntausende teilnahmen. Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Region Tigray haben sich verschärft (EI 12.12.2018). Es bleibt abzuwarten, ob diese Säuberungen den Staat nicht zu destabilisieren drohen. Zudem sind die Gewaltkonflikte in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle, und Abiy weigert sich, Gewalt anzuwenden. Sein Ruf nach Ruhe und Einheit bleibt jedoch ungehört. Die Zahl der IDPs ist gestiegen, und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (JA 23.12.2018).
Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stößt auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird - der EPRDF. Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Griff (SFH 5.12.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (13.8.2018): Briefing Notes vom 13. August 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1442567/1226_1536220409_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-13-08-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (17.9.2018): Briefing Notes vom 17. September 2018,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1445520/1226_1539001493_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-17-09-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.10.2018): Briefing Notes vom 1. Oktober 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445533/1226_1539002314_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-01-10-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
- BBC News (18.11.2018): The women smashing Ethiopia's glass ceiling, https://www.bbc.com/news/world-africa-46110608, Zugriff 17.12.2018
- EI - Ethiopia Inside (12.12.2018): Rebranded show trials are exactly what remodeled Ethiopia does not need, https://www.ethiopia-insight.com/2018/12/12/rebranded-show-trials-are-exactly-what-remodeled-ethiopia-does-not-need/, Zugriff 17.10.2018
- EZ - Ezega (25.10.2018): Ethiopia Names First Woman President, https://www.ezega.com/News/NewsDetails/6729/Ethiopia-Names-First-Woman-President, Zugriff 6.12.2018
- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018): Äthiopien, Überblick, https://www.liportal.de/aethiopien/ueberblick/, Zugriff 11.12.2018
- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 10.12.2018
- JA - Jeune Afrique (23.12.2018): Éthiopie: Abiy Ahmed, le négus du changement, https://www.jeuneafrique.com/mag/692770/politique/ethiopie-abiy-ahmed-le-negus-du-changement/?utm_source=newsletter-ja-actu-abonnes&utm_medium=email&utm_campaign=newsletter-ja-actu-abonnes-24-12-18, Zugriff 27.12.2018
- RI - Refugees International in Reliefweb.int (14.11.2018): The Crisis Below the Headlines: Conflict Displacement in Ethiopia, https://reliefweb.int/report/ethiopia/crisis-below-headlines-conflict-displacement-ethiopia, Zugriff 11.12.2018
- SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (5.12.2018): Sind Rückführungen von äthiopischen Asylsuchenden wirklich dringend?, https://www.fluechtlingshilfe.ch/news/archiv/2018/sind-rueckfuehrungen-von-aethiopischen-asylsuchenden-wirklich-dringend.html, Zugriff 13.12.2018
Aktuelle Entwicklungen
Ende Juni 2019 kam es zu mehreren Angriffen auf führende Politiker landesweit. Der Regionalpräsident von Bahir Dar wurde, gemeinsam mit zwei weiteren Regionalregierungsmitgliedern und Dutzender weiterer Personen bei einem "Putschversuch" durch den Sicherheitsregionalleiter am 22.6.2019 getötet. Am 20.6.2019 wurde der Bürgermeister von Dembir Bolo angeschossen und schwer verletzt. In Guba wurden bei einem Angriff einer Amhara-Miliz am 23.6.2019 mehr als 50 Personen getötet. In Addis Abeba wurde der Militärstabschef durch seinen eigenen Personenschützer erschossen (ACLED 16.7.2019; vgl. TNH 16.10.2019, Standard 23.6.2019).
Die Ereignisse von Juni 2019 stehen in scharfem Kontrast zum Rückgang der Gewalt seit der Amtseinsetzung von Premierminister Abiy im April 2018 (ACLED 16.7.2019). Abiy schlug danach eine härtere Linie ein (TNH 16.10.2019; vgl. ACLED 16.7.2019). Das Internet wurde für vier Tage landesweit blockiert und hunderte Personen wurden in Zusammenhang mit der Gewalt verhaftet (ACLED 16.7.2019; vgl. TNH 16.10.2019); der Druck der Regierung hat seitdem nicht nachgelassen (TNH 16.10.2019). Amnesty International verurteilt die Regierung dafür, dass es seit Juni 2019 im Namen von Anti-Terror-Maßnahmen zu willkürlichen Festnahmen, darunter auch von Journalisten, kam (AI 4.10.2019; vgl. TNH 16.10.2019).
Ende Oktober 2019 kam es nach Gerüchten über die Misshandlung des Abiy-Kritikers und Internetaktivisten Jawar Mohammed durch Sicherheitskräfte zu Protesten und Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden (Standard 24.10.2019; vgl. Standard 25.10.2019). Aus den Protesten entwickelten sich in der Folge ethnisch und religiös motivierte Unruhen (taz 26.10.2019; vgl. EN 26.10.2019, Guardian 1.11.2019). In den darauffolgenden Tagen kam es in vielen Städten zu gewaltsamen Sicherheitsmaßnahmen, gewalttätigen Konfrontationen und Kämpfen (AS 28.10.2019). Im Zuge dieser gewaltsamen Zusammenstöße zwischen verschiedenen Volksgruppen wurden nach Angaben des Premierministers 86 Menschen getötet, darunter zehn Tote durch Sicherheitskräfte (BBC 4.11.2019; vgl. RIA 3.11.2019). Stand 25.10.2019 wurden von offizieller Seite mindestens 67 Todesopfer gemeldet (Standard 25.10.2019; vgl. Zeit 26.10.2019, EN 26.10.2019) und im Zusammenhang mit den Unruhen wurden 409 Personen verhaftet (Guardian 1.11.2019; vgl. RIA 3.11.2019). Premierminister Abiy kündigte an, dass die Behörden gegen all jene vorgehen würden, die "den Frieden und die Stabilität Äthiopiens bedrohen" (RIA 3.11.2019).
In zahlreichen Städten in der Provinz Oromia kam es zu Angriffen von Mitgliedern der Volksgruppe der Oromo. Die Opfer entstammen der ethnischen Gruppen der Oromo, Amhara und Sidama (EN 26.10.2019). Etwa 55 Menschen sind bei Kämpfen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien in der Region Oromia ums Leben gekommen (Standard 25.10.2019; vgl. Zeit 26.10.2019, EN 26.10.2019); der Großteil der Todesopfer geht auf Gewalt zwischen Zivilisten zurück (EN 26.10.2019), die übrigen Personen wurden von der Polizei getötet (Zeit 26.10.2019). Die Armee wurde in die Region Oromia entsandt (AS 28.10.2019; vgl. ZDF 26.10.2019, OKA 28.10.2019), bei deren Einsatz kamen sieben Personen ums Leben (AS 28.10.2019). Es gibt Berichte über Angriffe gegen Mitglieder und Glaubensstätten religiöser Minderheiten (EN 26.10.2019; vgl. Guardian 1.11.2019, Sputnik 29.10.2019).
Die Spannungen zwischen den Regionen Somali und Oromia sind besonders hoch, während Tigray und Amhara weiterhin über ihre gemeinsame Grenze streiten (TNH 16.10.2019). Die politische Öffnung und Zulassung vieler Parteien hat auch dazu geführt, dass viele Regionen und Völker nach Unabhängigkeit streben und ihren eigenen Staat gründen wollen. Viele Rebellen haben ihre Waffen niedergelegt, andere tun sich schwer damit, Konflikte plötzlich friedlich auszutragen (BAZ 12.10.2019). Die Proteste der Oromo haben viele Menschen dazu veranlasst, ein unabhängiges Oromia zu fordern und sich von Äthiopien zu lösen, während seit langem von der Unabhängigkeit der Tigray gesprochen wird (TNH 16.10.2019).
Am 14.10.2019 griff eine nicht identifizierte bewaffnete Gruppe in der Region Afar, an der Grenze zu Dschibuti und Eritrea, ein Dorf an, tötete 17 Zivilisten und verletzte mindestens 34 weitere. Die Beweggründe der Gruppe, die Berichten zufolge von Dschibuti aus nach Äthiopien gekommen sein soll, sind unklar. Die Regierung von Dschibuti erklärte, dass das dschibutische Militär an dem Angriff nicht beteiligt war. Als Reaktion auf die Angriffe versammelten sich Demonstranten in mehreren Städten der Region Afar, um gegen die Angriffe zu protestieren (ACLED 23.10.2019). Die Auseinandersetzungen zwischen der Bodi-Gemeinschaft und äthiopischen Soldaten in Jinka gehen weiter, da Umsiedlungsprogramme die Einheimischen vertreiben, um Platz für den neuen Gibe III-Staudamm und die Zuckerplantagen zu schaffen. Schätzungsweise vierzig Menschen sind seit dem 15.9.2019 in diesem Streit gestorben (ACLED 23.10.2019).
Quellen:
- ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (16.7.2019): Armed Conflict Location and Event Data Project, Bad Blood: Violence in Ethiopia Reveals the Strain of Ethno-Federalism under Prime Minister Abiy, https://www.acleddata.com/2019/07/15/badblood-violence-in-ethiopia-reveals-the-strain-of-ethno-federalism-under-prime-ministerabiy/, Zugriff 29.10.2019
- ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (23.10.2019): Regional Overview: Africa - 13 - 19 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/23/regionaloverview-africa-13-19-october-2019/, Zugriff 29.10.2019
- AI - Amnesty International (4.10.2019): Ethiopia: Release journalists arrested on unsubstantiated terrorism charges,
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2019/10/ethiopia-release-journalists-arrestedonunsubstantiated-terrorism-charges/, Zugriff 29.10.2019
- AS - Addis Standard (28.10.2019): Analysis: Tragedy struck Ethiopia, again. "We are dealing with a different scenario", https://addisstandard.com/analysis-tragedy-struckethiopia-again-we-are-dealing-with-a-different-scenario/, Zugriff 29.10.2019
- BAZ - Basler Zeitung (12.10.2019): Er stellte sein Land auf den Kopf, https://www.bazonline.ch/er-stellte-sein-land-auf-den-kopf-sie-wurden-ausgezeichnet-unddann/story/11390725,
Zugriff 29.10.2019
- BBC - British Broadcasting Corporation (4.11.2019): Abiy says 86 Ethiopians died in wave of violence, https://www.bbc.com/news/topics/cwlw3xz047jt/ethiopia, Zugriff 4.11.2019
- EN - Euronews (26.10.2019): Violence during Ethiopian protests was ethnically tinged, say eyewitnesses, https://www.euronews.com/2019/10/26/violence-during-ethiopian-protestswas-ethnically-tinged-say-eyewitnesses, Zugriff 29.10.2019
- Guardian, the (1.11.2019): Deadly unrest in Ethiopia hampers PM's political reform attempts, https://www.theguardian.com/world/2019/nov/01/ethiopia-unrest-abiy-ahmedjawar-mohammed-nobel-peace-prize, Zugriff 4.11.2019
- OKA - Okayafrica (28.10.2019): The Army Has Been Deployed in Ethiopia Amid Deadly Protests, https://www.okayafrica.com/ethiopia-protest-oromia/, Zugriff 29.10.2019
- RIA Nowosti (3.11.2019): 86 , https://ria.ru/20191103/1560548773.html, Zugriff 4.11.2019
- Sputnik Belarus (29.10.2019): , https://sputnik.by/incidents/20191029/1043124593/Besporyadkiv-Efiopii-tserkvi-i-mechet-sozhzheny-desyatki-chelovek-ubity.html, Zugriff 4.11.2019
- Standard, der (23.6.2019): Putschversuch in Athiopien: Armeechef und Regionalprasident getötet, https://www.derstandard.at/story/2000105290605/aethiopiens-armeechef-undregionalpraesident-bei-angriffen-getoetet, Zugriff 29.10.2019
- Standard, der (24.10.2019): Machtkampf in Athiopien fordert 16 Todesopfer, https://www.derstandard.at/story/2000110302304/machtkampf-in-aethiopien-fordert-16-todesopfer, Zugriff 29.10.2019
- Standard, der (25.10.2019): Mehr als 60 Tote bei Protesten und Gewalt in Athiopien, https://www.derstandard.at/story/2000110333475/mehr-als-60-tote-bei-protesten-undgewalt-in-aethiopien, Zugriff 29.10.2019
- taz - Die Tageszeitung (26.10.2019): Mehr als 60 Tote bei Protesten, https://taz.de/Gewaltin-Aethiopien/!5636230/, Zugriff 29.10.2019
- TNH - The New Humanitarian (ehemals IRIN News) (16.10.2019): Briefing: Five challenges facing Ethiopia's Abiy, http://www.thenewhumanitarian.org/analysis/2019/10/16/Abiy-Ethiopia-Eritrea-Nobel-peace-Tigray, Zugriff 29.10.2019
- ZDF - Zweites Deutsches Fernsehen (26.10.2019): Athiopien: 67 Tote bei Protesten, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/regierungskritische-demos-aethiopien--67-tote-beiprotesten-100.html, Zugriff 29.10.2019
- Zeit Online, die (26.10.2019): Mehr als 60 Tote bei Protesten und Gewalt,
https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-10/proteste-aethiopien-abiy-ahmed-tote, Zugriff 29.10.2019
Sicherheitslage
Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage derzeit wieder beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet (AA 4.1.2019). Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht (AA 17.10.2018). Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018).
Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 12.12.2018). Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen. Zum Beispiel haben Mitte September 2018 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräfte zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018). Ende September 2018, sollen bei Protesten in Addis Abeba, 58 Menschen getötet worden sein, staatliche Stellen berichteten von 23 Toten. Die meisten Todesopfer habe es gegeben, als jugendliche Banden der Volksgruppe der Oromo am 16.9.2018 andere Ethnien angriffen. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (BAMF 1.10.2018; vgl. BAMF 24.9.2018).
Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften in den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray haben sich fortgesetzt. Dort werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (FEWS 29.11.2018).
Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Kampf um Wasser und Weideland können in den Migrationsgebieten der nomadisierenden Viehbesitzer im Tiefland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, die oft erst durch den Einsatz der Sicherheitskräfte beendet werden (EDA 10.12.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (4.1.2019): Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504, Zugriff 4.1.2019
- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.10.2018): Briefing Notes vom 1. Oktober 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445533/1226_1539002314_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-01-10-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (24.9.2018): Briefing Notes vom 24. September 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1445536/1226_1539002669_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-24-09-2018-deutsch.pdf, Zugriff 28.12.2018
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (12.12.2018): Äthiopien, Reise & Aufenthalt - Sicherheit und Kriminalität, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aethiopien/, Zugriff 12.12.2018
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 10.12.2018
- FEWS - Famine Early Warning System Network / World Food Programme, in Reliefweb.int (29.11.2018): Ethiopia Key Message Update, November 2018, https://reliefweb.int/report/ethiopia/ethiopia-key-message-update-november-2018, Zugriff 11.12.2018
Somali Regional State (SRS / Ogaden) und Oromia
Für den SRS gilt laut österreichischem Außenministerium eine partielle Reisewarnung (BMEIA 6.12.2018). Das deutsche Außenministerium warnt vor Reisen südlich und östlich von Harar und Jijiga (AA 4.1.2019). Die Sicherheitslage ist in diesem Landesteil volatil. Lokale Gefechte zwischen der äthiopischen Armee und verschiedenen Rebellengruppen kommen vor. Zum Beispiel forderten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Armee und einer lokalen Miliz im August 2018 in Jijiga zahlreiche Todesopfer und Verletzte (AA 4.1.2019; vgl. EDA 6.12.2018, DW 8.8.2018). Es kam damals zu interkommunaler Gewalt zwischen ethnischen Somalis und in der Stadt lebenden Hochländern (UNOCHA 25.11.2018) und zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen, darunter auch Priester (AA 17.10.2018). Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie zwischen verfeindeten Ethnien können auch weiterhin vorkommen. Auch besteht das Risiko von Anschlägen. Zudem besteht Minengefahr und das Risiko von Entführungen (EDA 6.12.2018; vgl. BMEIA 6.12.2018).
Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen
Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren (AA 4.1.2019). Auch am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).
Im Süden Äthiopiens hatte es in jüngster Vergangenheit mehrfach blutige Zusammenstöße zwischen Angehörigen der Ethnien der Oromo und der Somali gegeben. Hintergrund ist der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018). Im Grenzgebiet der Oromo- und Somali-Regionen kommt es schon seit Anfang 2017 verstärkt zu gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen beider Volksgruppen. Betroffen sind vor allem die Gebiete Moyale, Guji, Bale, Borena, Hararghe und West Guji (AA 4.1.2019). Der Grenzkonflikt zwischen den Regionen Oromia und dem SRS hat sich verschärft (AA 17.10.2018).
Für die Region Oromia wurde ein hohes Sicherheitsrisiko ausgerufen. In den Regionen Oromia und Amhara kann es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei kommen. Zudem kommt es häufiger zu Entführungen an der somalisch-kenianischen Grenze, sowie grenzüberschreitender Stammesauseinandersetzungen (BMEIA 6.12.2018). In den Oromo-und Amhara-Regionen kommt es des Öfteren zu teils gewalttätigen Demonstrationen und Protestaktionen (AA 4.1.2019). Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten im SRS geflohen. Damit steigt die Gesamtzahl auf über 700.000, die in den letzten Jahren vor interkommunaler Gewalt geflohen sind, so die neueste Displacement Tracking Matrix für Äthiopien. Die meisten kamen aus der Region Oromia. Insgesamt wurden im SRS fast 1,1 Millionen Menschen vertrieben, wenn auch andere Ursachen wie Dürre und Überschwemmungen berücksichtigt werden (NRC 20.11.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (4.1.2019): Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504, Zugriff 4.1.2019
- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (6.12.2018): Äthiopien, Reise & Aufenthalt - Sicherheit und Kriminalität, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aethiopien/, Zugriff 6.12.2018
- DW - Deutsche Welle (8.8.2018): Äthiopien: Ethnische Konflikte schwelen weiter, https://www.dw.com/de/%C3%A4thiopien-ethnische-konflikte-schwelen-weiter/a-45011266, Zugriff 10.12.2018
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (6.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 6.12.2018
- NRC - Norwegian Refugee Council in Reliefweb (20.11.2018): 700,000 people flee conflict to seek safety in Somali region of Ethiopia, https://www.nrc.no/news/2018/november/700000-people-flee-conflict-to-seek-safety-in-somali-region-of-ethiopia/, Zugriff 10.12.2018
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (25.11.2018): Ethiopia Humanitarian Bulletin Issue 68 | 11 - 25 November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452480/1788_1543330695_2511.pdf, Zugriff 11.12.2018
- WZ - Wiener Zeitung (16.12.2018): Äthiopien - Mehr als 20 Tote bei ethnischen Zusammenstößen, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltchronik/1008111_Mehr-als-20-Tote-bei-ethnischen-Zusammenstoessen.html, Zugriff 17.12.2018
Andere Regionen
An der Grenze zwischen der Region Oromia und der Southern Nations Nationalities and Peoples Region (SNNPR) gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an IDPs in Äthiopien deswegen zwischen Jänner und Juli 2018 um etwa 1,4 Millionen Menschen (GIZ 9.2018a). Seit Juni 2018 sind bei Zusammenstößen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien zahlreiche Personen getötet worden (EDA 10.12.2018). Es kam bereits in der Vergangenheit zu Zusammenstößen und zu Kämpfen zwischen zwei ethnischen Gruppen: den Gedeo, einer ethnischen Minderheit mit Sitz hauptsächlich in der SNNPR, und den Guji, einer Untergruppe der Oromo, der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens. Die Gedeo sind in erster Linie Landwirte, und die Guji sind traditionell Pastoralisten. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen konzentrieren sich auf Land, Grenzziehung und Rechte ethnischer Minderheiten (RI 11.2018). Die interkommunale Gewalt, die am 13.4.2018 begann und bis Juni 2018 an den Grenzen der Zonen Gedeo (SNNPR) und West Guji (Region Oromia) anhielt, hat fast eine Million Menschen vertrieben. Etwa 142.000 Menschen wurden unmittelbar nach dem 4.8.2018 in der somalischen Region vertrieben (UNOCHA 25.11.2018). Nach zwei Jahrzehnten relativer Ruhe brachen im April 2018 Kämpfe über die benachbarten Verwaltungszonen Gedeo und West Guji aus. Bewaffnete Banden und Jugendgruppen griffen Dörfer an und zwangen rund 300.000 Menschen, ihre Häuser zu verlassen. Während der genaue Auslöser noch unklar ist, haben die Regierungsbehörden nach einer kurzen Untersuchung einige Verhaftungen vorgenommen und die Situation für gelöst erklärt, so dass die Menschen mit der Rückkehr nach Hause beginnen konnten. Wenige Monate später, im Juni 2018, brach die Gewalt erneut aus, in noch stärkerem Ausmaß. Über 800.000 Menschen wurden zur Flucht gezwungen. Viele Menschen erlebten Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und Mord. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt (RI 11.2018).
Der Konflikt, der am stärksten von interkommunaler Gewalt betroffen ist, hat sich in den letzten Monaten verschärft (BAMF 17.12.2018; vgl. RI 11.2018). Das österreichische Außenministerium nennt für die Region Amhara sowie für das Gebiet Konso in der SNNPR ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Zuletzt kam es am 13. und 14.12.2018 zu gewalttätigen Zusammenstößen. Bei Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen sind im Süden Äthiopiens nach Angaben staatlicher Stellen mindestens 21 Menschen getötet und mehr als 60 verletzt worden. Viele Menschen sind über die Grenze nach Kenia geflohen (WZ 16.12.2018; vgl. BAMF 17.12.2018).
Quellen:
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (17.12.2018): Briefing Notes vom 17. Dezember 2018
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (12.12.2018): Äthiopien, Reise & Aufenthalt - Sicherheit und Kriminalität, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aethiopien/, Zugriff 12.12.2018
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 12.12.2018
- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 10.12.2018
- RI - Refugees International in Reliefweb.int (11.2018): The Crisis Below the Headlines: Conflict Displacement in Ethiopia https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/FINAL%2BEthiopia%2BReport%2B-%2BNovember%2B2018%2B-%2BFinal.pdf, Zugriff 17.12.2018
- UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (25.11.2018): Ethiopia Humanitarian Bulletin Issue 68 | 11 - 25 November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452480/1788_1543330695_2511.pdf, Zugriff 11.12.2018
- WZ - Wiener Zeitung (16.12.2018): Äthiopien - Mehr als 20 Tote bei ethnischen Zusammenstößen, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltchronik/1008111_Mehr-als-20-Tote-bei-ethnischen-Zusammenstoessen.html, Zugriff 17.12.2018
Rechtsschutz / Justizwesen
Das äthiopische Rechtssystem enthält Elemente mehrerer westlicher Rechtssysteme und ist schwer zu systematisieren (GIZ 9.2018a). Das Gesetz bzw. die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor (GIZ 9.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018, AA 17.10.2018). In der Praxis ist davon auszugehen, dass die Gerichte nicht immer unabhängig arbeiten, was jedoch kaum nachzuweisen ist (AA 17.10.2018). Obwohl die Zivilgerichte weitgehend unabhängig arbeiten, bleiben die Strafgerichte schwach und überlastet und unterliegen politischem Einfluss (USDOS 20.4.2018). Das Justizwesen wird als korrupt und undurchsichtig wahrgenommen. Richter gelten als schlecht ausgebildet und nicht immer über die geltenden Gesetze ausreichend informiert. Dies schlägt sich entsprechend in den Verfahren nieder (GIZ 9.2018a). Strukturen und Gesetzgebung der Justiz im Hinblick auf Umgang mit straffälligen Jugendlichen entsprechen nicht internationalen Standards (AA 17.10.2018).
Sowohl religiöse als auch traditionelle Gerichte sind verfassungsmäßig anerkannt. Viele Bürger in ländlichen Gebieten haben kaum Zugang zum formalen Justizsystem und sind auf traditionelle Konfliktlösungsmechanismen angewiesen. Scharia-Gerichte können religiöse und Familienrechtsfälle übernehmen, die Muslime betreffen. Sie erhalten finanzielle Unterstützung durch den Staat und urteilen in der Mehrheit der Fälle in den vorwiegend muslimischen Somali- und Afar-Gebieten. Daneben gibt es noch weitere traditionelle Rechtssysteme, wie etwa Ältestenräte (USDOS 20.4.2018).
Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht ersichtlich. Die äthiopische Regierung bestreitet zudem Strafverfolgung aus politischen Gründen. Allerdings berichten Oppositionspolitiker, Journalisten und inzwischen auch vereinzelt muslimische Aktivisten von Einschüchterungen, willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen (AA 17.10.2018).
Das in der Verfassung verankerte Recht, nach der Verhaftung innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt zu werden, wird unter anderem wegen Überlastung der Justiz häufig nicht umgesetzt. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekanntem Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden. Hinzu kommen weitreichende Befugnisse, die z.B. das Antiterrorgesetz den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden einräumt, z.T. auch ohne gerichtliche Überwachung (AA 17.10.2018).
Das Public Defender's Office bietet kostenlose Rechtsberatung, allerdings sind dessen Ressourcen beschränkt. Zusätzlich gibt es zahlreiche sog. Legal Aid Clinics und in manchen Landesteilen dürfen auch Rechtsstudenten und -Professoren pro bono als Verteidiger auftreten (USDOS 20.4.2018). Pflichtverteidiger können erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Fall bei Gericht anhängig ist (AA 17.10.2018).
Im Juli 2018 wurde ein Amnestiegesetz in Kraft gesetzt, welches Personen, die bis zum 7.6.2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze strafrechtlich verfolgt wurden, die Möglichkeit der Amnestie eingeräumt. Es wurde nicht verlautbart, welche rechtlichen Konsequenzen die Ablehnung eines solchen Antrags zur Folge hätte. Es gibt keine Informationen darüber, ob und in welcher Zahl potenziell Betroffene seit dem 20.7.2018 von dieser befristeten Antragsmöglichkeit Gebrauch machen (AA 17.10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 12.12.2018
- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 11.12.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 18.12.2018
Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden nehmen in Äthiopien eine starke Position ein (AA 17.10.2018). Die Sicherheitskräfte handeln im Allgemeinen diszipliniert (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018), sind aber oftmals schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und besitzen ungenügende Kenntnis der gesetzlichen Vorschriften. Gewalt wird teilweise unverhältnismäßig eingesetzt (AA 17.10.2018). Straffreiheit ist weiterhin ein ernstes Problem. Allerdings lässt die Regierung Polizisten und Soldaten in Menschenrechten ausbilden (USDOS 20.4.2018).
Der National Intelligence and Security Service (NISS) ist als Sicherheits- und Abwehrbehörde gut aufgestellt und verfügt über ein funktionierendes Netz an Zuträgern in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens. Sein Schwerpunkt richtete sich in erster Linie gegen die politische inländische Opposition, regierungskritische Journalisten und gegen Gruppierungen aus Eritrea und Somalia (AA 17.10.2018).
Die Bundespolizei (Federal Police) untersteht dem Premierminister und unterliegt parlamentarischer Aufsicht. Diese Aufsicht ist allerdings locker. Jeder der neun Regionalstaaten hat eine eigene Staats- oder Sonderpolizeieinheit ["Liyu"], die jeweils den regionalen zivilen Behörden untersteht (USDOS 20.4.2018). Neben den staatlichen bzw. regionalen Polizeibehörden gibt es in allen Regionen staatliche Milizen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Dies sind von Gemeindevertretern ausgewählte, bewaffnete Personen, die ehrenamtlich Militär- und Polizeidienste leisten und im Wesentlichen Polizeiaufgaben in (teilweise sehr entlegenen) ländlichen Gebieten erfüllen (vergleichbar mit "Community Police"). In manchen Fällen werden Milizen auch im Kampf gegen bewaffnete Rebellen eingesetzt. Insbesondere im Somali Regional State (SRS) wurden lokale Milizen gegen die - im Juli 2018 entkriminalisierte - Ogaden National Liberation Front (ONLF) eingesetzt. Der Liyu-Police des SRS werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (AA 17.10.2018).
Die Streitkräfte wurden in den letzten Jahren mit dem Ziel umstrukturiert, sie von Aufgaben der inneren Sicherheit, die der Polizei obliegen, zu entbinden. Dies ist noch nicht landesweit umgesetzt. In einigen Regionen (Oromia, SRS, Gambella, Sidamo) gehen Polizei und Militär weiterhin gezielt gegen vermutete und tatsächliche Unterstützer und Angehörige der dort aktiven, z. T. militant bis terroristisch operierenden oppositionellen Gruppierungen OLF (Oromo Liberation Front), ONLF (Ogaden National Liberation Front), Ethiopian National United Patriotic Front (ENUPF) und Sidamo Liberation Front (SLF) vor. Die beiden erstgenannten Gruppierungen wurden allerdings im Juli 2018 entkriminalisiert (AA 17.10.2018). Im Zuge der Proteste, bzw. des Ausnahmezustandes in der Region Oromia wurden hauptsächlich Militär und Bundespolizei gegen Demonstranten eingesetzt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 12.12.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 18.12.2018
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung verbietet Folter (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings wird das in Verfassung verankerte Verbot in der Praxis unterlaufen (AA 17.10.2018). Der Premierminister hat eingestanden, dass Folter angewendet wird (HRW 19.10.2018). Es gibt glaubwürdige Berichte über die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung und extralegale Hinrichtungen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) während der Untersuchungshaft, durch Polizei, Militär und andere Mitglieder der Sicherheitskräfte, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht oppositioneller Tätigkeit oder der Mitgliedschaft in bewaffneten Oppositionsgruppen und ein vermuteter Zusammenhang mit Terrorismus bestehen (AA 17.10.2018). Mehrere Quellen berichteten von allgemeiner Misshandlung von Gefangenen in offiziellen Haftanstalten, in inoffiziellen Haftanstalten, Polizeistationen und Bundesgefängnissen (USDOS 20.4.2018).
Eine Untersuchung derartiger Verbrechen findet in der Regel nicht statt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Mechanismen zur Untersuchung von Missbräuchen durch die Bundespolizei sind nicht bekannt und die Regierung gibt die Untersuchungsergebnisse nur selten öffentlich bekannt. Sie bemüht sich aber, Menschenrechtsschulungen für Polizei- und Militärschüler anzubieten (USDOS 20.4.2018). Eine adäquate und konsistente Reaktion der Behörden auf z. B. in Gerichtsverfahren geäußerte Folter- und Misshandlungsvorwürfe ist nicht zu erkennen. Es wird zudem berichtet, dass sich in Einzelfällen die Sicherheitsorgane oder andere Behörden über Gerichtsurteile hinweggesetzt haben sollen (z. B. im Somali Regional State/SRS) (AA 17.10.2018).
Ermittler des Menschenrechtsrates berichten, dass Gefängnisbeamte Häftlinge schlagen und foltern (USDOS 20.4.2018). Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 12.12.2018
- HRW - Human Rights Watch (19.10.2018): Ethiopia: Ensure Justice for Abuses in Jail Ogaden, https://www.hrw.org/news/2018/10/19/ethiopia-ensure-justice-abuses-jail-ogaden, Zugriff 4.1.2019
- HRW - Human Rights Watch (13.12.2018): Ethiopia's Torture Problem and the Court of Public Opinion
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 18.12.2018
Korruption
Korruption ist gesetzlich verboten. Der Bundesstaatsanwalt ist angehalten, Korruptionsfälle zu untersuchen und zur Strafverfolgung zu bringen. Das Gesetz verpflichtet alle Regierungsbeamten und Mitarbeiter, ihr Vermögen und ihr persönliches Eigentum zu registrieren. Das Gesetz sieht finanzielle und strafrechtliche Sanktionen wegen Nichteinhaltung vor. Die Bundes-Ethik- und Korruptionsbekämpfungskommission (FEACC) meldete, dass sie zwischen Juli 2016 und Jänner 2017 das Vermögen von 6.638 ernannten Personen, Beamten und Mitarbeitern erfasst hat (USDOS 20.4.2018).
Korruption - auch bei Polizei und Justiz - bleibt ein Problem (USDOS 20.4.2018) bzw. wird diese im Alltag als Problem wahrgenommen (GIZ 9.2018a).Im Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International nimmt Äthiopien Platz 107 von 180 Ländern ein (TI 2017).
Es hat einige spektakuläre Korruptionsfälle gegeben, in die hochrangige Vertreter der Regierung verwickelt waren. In den bekannt gewordenen Fällen hat es Verurteilungen gegeben (GIZ 9.2018a; vgl USDOS 20.4.2018). Am 26.7.2017 nahm die Regierung mehr als 50 Regierungsbeamte und Geschäftsleute wegen Korruptionsvorwürfen und Missbrauchs öffentlicher Gelder im Wert von mehr als vier Milliarden Birr (181 Millionen US-Dollar) fest. Unter den Verhafteten waren ein Brigadegeneral, ein Staatsminister und der Leiter der Rechtsabteilung im Ministerium für Finanzen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Darüber hinaus beschlagnahmte die Regierung Vermögenswerte und Eigentum von mehr als 200 Personen (USDOS 20.4.2018).
Im November 2018 wurden dutzende Führungspersönlichkeiten aufgrund von Korruptionsvorwürfen in Zusammenhang mit dem staatlichen Firmenkonglomerat Metals and Engineering Corporation (Metec) festgenommen, darunter der ehemalige stellvertretende Chef des Geheimdienstes, Yared Zerihun (BBC 15.11.2018; vgl. JA 20.11.2018).
Quellen:
- BBC News (15.11.2018): Ethiopia arrests former deputy spy chief Yared Zerihun, https://www.bbc.co.uk/news/world-africa-46221238, Zugriff 11.12.2018
- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 11.12.2018
- JA - Jeune Afrique (20.11.2018): Vague d'arrestations dans l'armée en Éthiopie : " Une des décisions les plus fortes d'Abiy Ahmed ", https://www.jeuneafrique.com/667626/politique/vague-darrestations-dans-larmee-en-ethiopie-une-des-decisions-les-plus-fortes-dabiy-ahmed/, Zugriff 10.12.2018
- TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index - Results, https://www.transparency.org/country/ETH, Zugriff 10.12.2018
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Ethiopia, https://www.ecoi.net/en/document/1430108.html, Zugriff 21.12.2018
Allgemeine Menschenrechtslage
Menschenrechte und Freiheiten sind als unverletzbar und unveräußerlich in der äthiopischen Verfassung von 1995 genannt. Explizit werden Grundrechte wie Religionsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Verbot von unmenschlicher Behandlung und Recht auf Privatheit aufgeführt (AA 17.10.2018). Die Verfassung garantiert also die Menschenrechte, dies deckt sich jedoch nicht mit der Realität (AA 4.2018a).
Trotzdem ist die Menschenrechtssituation in Äthiopien unbefriedigend. Dies gilt vor allem für die Rechtsstaatlichkeit (Vorführung vor Gericht, Verfahrensdauer) und die Behinderung und Verfolgung von Journalisten. Es erfolgen Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne fristgerechte gerichtliche Überprüfung. Lange Gerichtsverfahren sind verbreitet. Hierfür ist auch eine überlastete Justiz verantwortlich (GIZ 9.2018a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: willkürliche Tötung, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Sicherheitskräfte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung durch Sicherheitskräfte; Verweigerung eines fairen öffentlichen Prozesses; Verletzung der Persönlichkeitsrechte; Beschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen; Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Regierung hat im Allgemeinen keine Schritte unternommen, um Beamte, die andere Menschenrechtsverletzungen als Korruption begangen haben, zu verfolgen oder anderweitig zu bestrafen. Straffreiheit ist ein Problem; es kommt nur zu einer begrenzten Anzahl von Anklagen von Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder von Beamten wegen Menschenrechtsverletzungen (USDOS 20.4.2018).
Legale Voraussetzungen zur Verbesserung der Menschenrechte sind erfolgt. Die Menschenrechtskommission des Parlaments ist ebenso wie das Amt des Ombudsmanns eingerichtet. Frauenrechte sind in der Verfassung verankert. Von einer Umsetzung dieser rechtlich festgeschriebenen Menschenrechte ist Äthiopien jedoch weit entfernt: Weibliche Genitalverstümmelung und sehr frühe Verheiratung sind zwar offiziell verboten, jedoch weiterhin Realität für viele Mädchen und junge Frauen (GIZ 9.2018a).
Bei Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen in Addis Abeba im September 2018 wurden rund 1.200 Menschen verhaftet. Diese Verhaftungen erfolgten teils willkürlich, was die Fortschritte in Menschenrechtsfragen unter Premierminister Abiy Ahmed ernsthaft gefährden könnte (BAMF 1.10.2018).
Der im vergangenen Jahr mehrmals ausgerufene Ausnahmezustand schränkte die Meinungs- und Versammlungsfreiheiten weitestgehend ein und verlieh den Sicherheitskräften weitreichende neue Befugnisse: u.a. Durchsuchungen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Unterbindung von Kommunikationswegen und von Versammlungen. Allerdings wurde der Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben (AA 17.10.2018).
Die Medienlandschaft Äthiopiens wird dominiert von staatlichen oder regierungsfreundlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Die staatlichen Medien werden von der Ethiopian Radio and Television Agency (ERTA) und der Ethiopian Press Agency betrieben. Es gibt private Radiosender, aber nur staatliche Fernsehsender (GIZ 9.2018a). Die Zukunft im Mediensektor ist seit dem Amtsantritt Abiys unklar. Es lassen sich erste Anzeichen einer liberaleren Politik und freieren Berichterstattung beobachten (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a). Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Regierung ihr Anti-Terrorismus-Gesetz dazu nutzt, die Meinungs- und Pressefreiheit auszuhebeln und Oppositionelle mundtot zu machen. Darüber hinaus gibt es Berichte über die politische Instrumentalisierung von Hilfsgütern seitens der Regierung und Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer zugunsten ausländischer Investoren (GIZ 9.2018a).
Internetzensur und -überwachung sind nach wie vor Thema, es ist seit dem Amtsantritt des Premiers Abiy Ahmed aber eine leichte Entspannung zu beobachten. Die Abschaltung des Internets im Zusammenhang mit lokalen gewaltsamen Auseinandersetzungen ist auch unter dem neuen Regierungschef gängige Praxis (GIZ 9.2018a). Im August 2018 wurde als Reaktion auf die Unruhen in der Region Somali das Internet zeitweise abgeschaltet. Im Anschluss wurde Mitte September 2018 im Stadtgebiet das mobile Internet für zwei Tage abgeschaltet (AA 17.10.2018; vgl. G