RS Vfgh 2020/6/25 G272/2019

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Veröffentlicht am 25.06.2020
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Index

58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art12 Abs1 Z2
B-VG Art15 Abs6
B-VG Art131 Abs2
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Wr ElektrizitätswirtschaftsG 2005 §2 Abs1, §78c Abs2
ElWOG 2010 §7 Abs1 Z83
E-ControlG §1, §24
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Kein Verstoß einer ausführungsgesetzlichen Bestimmung des Wiener ElektrizitätswirtschaftsG 2005 gegen eine grundsatzgesetzliche Vorschrift des ElWOG 2010 betreffend das Verbot der Zählpunktesaldierung; Verbot auf technisch verbundene Anlagen nicht anwendbar

Rechtssatz

Abweisung eines Antrags des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG - Gerichtsantrag) auf Aufhebung des §78c Abs2 Wiener ElektrizitätswirtschaftsG 2005 - WElWG 2005 idF LGBl 19/2019.

Aus der Kompetenzdeckungsklausel des §1 Abs1 E-ControlG ergibt sich, dass, wenn die E-Control in Wahrnehmung ihrer Aufsichtsbefugnisse gemäß §24 E-ControlG einschreitet, sie - abweichend von der allgemeinen Kompetenzverteilung - im Rahmen der unmittelbaren Bundesverwaltung agiert. Dies selbst dann, wenn sie insoweit auch die Energiewirtschaftsgesetze der Länder, etwa landesgesetzliche Legaldefintionen, vollzieht, um die Berechnung des ansonsten bundesgesetzlich determinierten Netznutzungsentgelts zu überprüfen. Daher ist gemäß Art131 Abs2 iVm Art130 Abs1 B-VG auch das BVwG zur Entscheidung diesbezüglicher Beschwerden zuständig und hat gemäß §11 VwGVG jene Rechtsvorschriften anzuwenden, die auch die belangte Behörde anzuwenden hatte. Die E-Control und das BVwG haben daher durchaus auch landesgesetzliche Vorschriften zu vollziehen, nicht "lediglich anzuwenden", ohne dass dies im vorliegenden Fall der Zuständigkeit des BVwG schaden würde.

Die grundsatzgesetzliche Regelung des §7 Abs1 Z83 ElWOG 2010 in der Fassung vor der kleinen Ökostromnovelle 2017, die hier den Maßstab der Verfassungsmäßigkeit des §2 Abs1 Z84 WElWG 2005 bildet, ist ihrerseits einer Auslegung zugänglich, die ihre historische Zwecksetzung im Blick hat. Der Vorgänger des ElWOG 2010, das ElWOG, BGBl I 143/1999, sah bis zu seiner letzten Fassung BGBl I 112/2008 und bevor es mit dem 2. Bundesrechtsbereinigungsgesetz, BGBl I 61/2018, endgültig außer Kraft trat, keine Legaldefinition des Zählpunktes und auch kein Verbot der Saldierung ebensolcher vor. Eine solche wurde erst mit dem neuen ElWOG 2010, BGBl I 110/2010, eingeführt. Die Gesetzesmaterialien führen dazu nichts aus.

Hingegen findet sich bereits in der Stammfassung des WElWG 2005, LGBl 46/2005, das noch in Umsetzung des früheren ElWOG ergangen ist, in §2 Abs1 Z52 die Legaldefinition des Zählpunktes. Im Sinne dieses Gesetzes bezeichnet "'Zählpunkt' den Einspeise- oder Entnahmepunkt, an dem ein Wirkenergiefluss erfasst und registriert wird". Bevor also bundes-grundsatzgesetzlich der Zählpunkt definiert wurde, fand er sich bereits im betreffenden Landes-Ausführungsgesetz. Ein Verbot der Zählpunktesaldierung bestand weder grundsatz- noch ausführungsgesetzlich.

Der OGH hat in seiner Rsp die Zusammenfassung von Zählpunkten zugelassen (OGH 31.08.2005, 7 Ob 148/05y), und zwar nicht bloß die Zusammenzählung von mehreren Zählpunkten einer technisch (notwendig) verbundenen Anlage, sondern auch bloß mehrere Zählpunkte von Anlagen, die denselben Eigentümer hatten, sodass die Gebührenpflicht in der Höhe einfach gestaltbar war. Diese Rsp führte zu der soweit ersichtlich niemals beabsichtigten Möglichkeit, Zählpunkte auch solcher Anlagen zu saldieren, die nicht technisch verbunden waren. Darauf reagierte der Gesetzgeber mit einem allgemeinen Verbot der Zählpunktesaldierung.

In diesem Sinne wurde, um derartige Praktiken der Zählpunktesaldierung zum Zweck des Umgehens von Systemnutzungsentgelten hintanzuhalten, mit dem ElWOG 2010 erstmals das Verbot der Zählpunktesaldierung - an legistisch missglückter Stelle - in die Legaldefinition des Zählpunktes aufgenommen. In der Sache handelt es sich dabei freilich um eine entgeltbezogene Regelung, deren eindeutiger Zweck es ist, dass sich Netzbenutzer zählpunktabhängige Entgelte nicht dadurch ersparen können, dass sie ihre Zählpunkte zusammenrechnen, und unabhängig davon, ob mehrere Zählpunkte technisch notwendig sind, um eine einheitliche Anlage zu betreiben. Es war jedoch weder vom Bundes-Grundsatz-, noch vom Landes-Ausführungsgesetzgeber intendiert, mit dem Verbot der Zählpunktesaldierung hinsichtlich bloß rechtlich oder wirtschaftlich verbundener Anlagen auch ein solches Verbot betreffend technisch verbundene Anlagen auszusprechen.

Es ist daher dem Gesetzgeber des ElWOG 2010 nicht vernünftigerweise zusinnbar, dass er mit dem Verbot der Zählpunktesaldierung auch die Fälle jener Anlagen erfassen wollte, die aus technischen oder rechtlichen Gründen über eine Vielzahl von Zählpunkten verfügen müssen, wie etwa das Straßenbahnnetz von Wien.

Vielmehr ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass bei Straßenbahnanlagen die Addition der Zählpunkte auf Grund der technischen Zusammenhänge immer schon zulässig gewesen ist, und dass eine Zahlungspflicht nicht pro Zählpunkt, sondern pro Straßenbahnanlage besteht.

Angesichts des eindeutigen Zwecks des Verbots der Zählpunktesaldierung, bloß missbräuchliche Zusammenrechnungen technisch nicht verbundener Anlagen zu unterbinden, vermag der VfGH daher nicht zu finden, dass §7 Abs1 Z83 ElWOG 2010 in der Fassung vor der kleinen Ökostromnovelle 2017 dem §78c Abs2 WElWG 2005 entgegensteht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Elektrizitätswesen, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Auslegung historische, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G272.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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