TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/4 I403 2144440-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.01.2019
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Entscheidungsdatum

04.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2144440-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung („ARGE Rechtsberatung“), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.11.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 14.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, er habe im Irak zusammen mit seinem Cousin ein Textilgeschäft betrieben, welches vom Islamischen Staat (im Folgenden: IS) durch einen Brand zerstört worden sei. Zudem sei er von Regierungsbehörden verhaftet worden, ehe er gegen Bezahlung von 3.500 US-Dollar wieder freigekommen sei. Im Irak gebe es keine Sicherheit, sofern man nicht von Regierungsbehörden verhaftet werde, werde man vom IS getötet oder erpresst. Im Falle einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben.

Der Beschwerdeführer wurde am 19.09.2016 niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass der IS ihm verboten habe, sein Geschäft weiterzuführen und darüber hinaus verlangt habe, dass ihnen der Beschwerdeführer die Treue schwöre. Auch sei er im Jahr 2011 in Bagdad aufgrund seines sunnitischen Glaubensbekenntnisses von der Polizei angehalten worden. Die Polizei hätte ihn aufgefordert, 3.500 US-Dollar zu bezahlen, ansonsten hätte man ihn aufgrund seines sunnitischen Glaubens verhaftet und als Terrorist angeklagt. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer auf einer vom IS in einer Moschee ausgehängten Namensliste aufgeschienen, welcher die „Bedeutung eines Schariagerichts zugekommen sei“. Persönlich sei er nicht bedroht worden. Der konkrete Grund für die Ausreise sei jedoch der Umstand gewesen, dass sein Name auf der betreffenden Liste des IS gestanden sei.

Mit Bescheid des BFA vom 16.12.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen den am 22.12.2016 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht mit Schreiben vom 29.12.2016 in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Es wurde vorgebracht, die belangte Behörde sei aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens sowie mangelhafter Beweiswürdigung zu einer inhaltlich rechtswidrigen Entscheidung gelangt. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, die in der Beschwerde geltend gemachten Rechtswidrigkeiten amtswegig aufgreifen bzw. allenfalls dem Beschwerdeführer einen Verbesserungsauftrag erteilen und ihm einen Verfahrenshelfer beistellen, den angefochtenen Bescheid beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes II. beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, die Rückkehrentscheidung aufheben sowie auf Dauer für unzulässig erklären und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilen, in eventu dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und an die 1. Instanz zurückverweisen.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 11.01.2017 vorgelegt. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 27.06.2018 wurde der Akt der Gerichtsabteilung I403 der Kammer I neu zugewiesen und dieser am 04.07.2018 vorgelegt.

Am 12.11.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, im Zuge derer der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen im Wesentlichen wiederholte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer hält sich seit zumindest 14.03.2015 in Österreich auf. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Herkunftsland in der Stadt Mossul gelebt und 11 Jahre die Grundschule besucht. Er stammt aus dem Ostteil der Stadt. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer in Mossul ein Textilgeschäft betrieben hat.

Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in Erbil. Seine Eltern sowie eine weitere Schwester leben ebenfalls im Irak. Ein Bruder (IFA: XXXX ) sowie ein Cousin (IFA: XXXX ) des Beschwerdeführers leben derzeit als Asylwerber in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, allerdings führt er seit etwa einem Jahr eine Beziehung zu einem syrischen Flüchtling. Der Beschwerdeführer hat begonnen Deutsch zu lernen, allerdings noch keine Prüfung abgelegt. Er hält sich seit bald vier Jahren in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und bestreitet seinen Lebensunterhalt seit der Ankunft in Österreich über die Grundversorgung. Er ist nicht am Arbeitsmarkt integriert.

1.2. Zu den Fluchtmotiven und zu einer etwaigen Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer durch den Islamischen Staat verfolgt wurde. Ebenso wenig besteht eine diesbezügliche Bedrohung für die Zukunft, zumal Mossul nicht mehr der Herrschaft des IS unterliegt.

Ebenso ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer bereits 2011 von schiitischen Milizen entführt und er im Herbst 2018 von diesen wegen einer ihm unterstellten Kooperation mit dem IS gesucht worden wäre. Die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch schiitische Milizen ergibt sich daher aus seinem Vorbringen nicht.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er verfügt über Verwandte und Freunde in Mossul. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass seine Eltern die Stadt tatsächlich verlassen hätten, waren diese zunächst auch zu Verwandten geflüchtet, so dass der Beschwerdeführer jedenfalls nicht auf sich alleine gestellt wäre. Er kann sich in Mossul wieder eine Existenz aufbauen.

1.3. Zur allgemeinen Situation im Irak (auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation):

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, z.B. den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite geprägt. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider AL-ABADI die Stadt Mossul für vom IS befreit, im Dezember 2017 gab er bekannt, dass der IS besiegt sei. Es ergibt sich aus dem Länderinformationsblatt keine Gruppenverfolgung der Sunniten im Irak.

1.4. Zu den schiitischen Milizen (auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation):

Genese und Entwicklung seit 2014

Der Name „Volksmobilisierungseinheiten“ bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. „Islamischen Staates„ (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer „Reservearmee“ aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde: Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des „Badr-Politikers“ Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe.

Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata’ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

Die wichtigsten Milizen innerhalb der PMF

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Sie orientiert sich an der Tradition Khomeinis und der Staatsdoktrin Irans. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war. Mit der Namensänderung in Badr-Organisation wurde das Korps zum politischen Akteur. Als sich der Rat in „Irakischer Islamischer Hoher Rat“ umbenannte und sich gleichzeitig vom Iran distanzierte, gelang es Badr, sich als wichtigster Verbündeter Irans im Irak zu etablieren und trennte sich 2009 schließlich vom Hohen Rat. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft des Milizenbündnisses. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und arbeitet mit Kata’ib Hizbullah zusammen. Unklar ist jedoch, ob die genannten Zahlen ausschließlich Kämpfer oder auch sonstiges Personal umfassen, denn die Badr-Organisation ist Miliz und politische Partei in einem. Badr war bisher an allen wichtigen militärischen Auseinandersetzungen in den Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Ninewah beteiligt; ihr militärisches Hauptquartier befindet sich im Militärlager Camp XXXX nördlich von Bagdad. In Diyala verfügt Badr außerdem über ein Territorium, das sich zu einer eigenständigen Machtbasis im Sinne eines „Staates im Staate“ ausbauen lässt (Süß 21.8.2017).

Die Kata’ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) entstanden im Zuge der Umbenennung des Badr-Korps in Badr-Organisation und bekämpften im Gegensatz zu diesem die US-Truppen. Sie wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten. Kata’ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa’ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz’ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz’ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa’ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz’ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch Kata’ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl az-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, Kata’ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feld-kommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

Überblick über die wichtigsten PMF:

Anm.: Die folgende Darstellung ist nicht als abschließende Liste aufzufassen. Die angegebenen regionalen Eingrenzungen stellen lediglich eine Momentaufnahme dar, sind laufenden Änderungen unterworfen und ebenfalls nicht als abschließend anzusehen.

 

Name
*Gründung

Anführer und

Gruppengröße

Verbindungen,
Zusammenarbeit

Bekannte regionale
Aktivität

1

Badr-Organisation

(????? ???)

*1983/84

Hadi al-Amiri

20.000 – 50.000

Kata’ib Hizbullah

stark in Kirkuk, Tuzkhurmato, Amerli, Salah ad-Din, Diyala; milit. Hauptquartier im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad

2

Kata’ib Hizbullah

(????? ??? ????, Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades)

*2007

Abu Mahdi

al-Muhandis

ca. 30.000

Badr, Kata’ib Sayyid Shuhada, Kata’ib al-Imam Ali, Haraqat al-Nujaba

vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv

3

Asa’ib Ahl al-Haqq

(????? ??? ????, Liga der Rechtschaffenen oder Khaz’ali-Netzwerk, League of the Righteous)

*2006

Qaiz al-Khaz‘ali

mind. 3.000

unbekannt

Einfluss in neun Provinzen, u.a. Bagdad, Siyala, Tuzkhurmato, Südirak; einflussreichste Gruppe in Basra, Najaf, Kerbela, Muthanna

4

Saraya as-Salam
(????? ??????, Schwadronen des Friedens, Peace Brigades)

*2014

Muqtada as-Sadr

mind. 50.000

unbekannt

Haupteinsatzgebiet im südlichen Zentrum des Irak

5

Kata’ib al-Imam Ali

(????? ?????? ???, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions)

*2014

Shibl az-Zaidi

Badr, Kata’ib Hizbullah

bedeutend um Tuzkhurmato

6

Saraya Tali’a al-Khorasani

(????? ????? ?????????, Khorasan Brigade)

*2013

Ali Yasiri

mind. 3.000

unbekannt

Kommandozentrum in Qadir Kerem, aktiv in Kirkuk und Salah ad-Din

7

Kata’ib Sayyid ash-Shuhada

(????? ??? ???????, Bataillone der Märtyrer Sayyids, Martyrs of Sayyid Batallions)

*2013

Hajj Abu Ala

Badr, Kata’ib Hizbullah, Asa’ib Ahl al-Haqq

Unterstützungsbasis vor allem im Südirak, aktiv in Salah ad-Din

8

Harakat (Hizbullah)

an-Nujaba

(???? ??? ???? ???????,

Bewegung der Edlen)

*2013

Eqrem al-Qaibi

Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hizbullah

aktiv in Babel, Samarra und um Bagdad

9

Liwa Abu al-Fadel

al-Abbas

(???? ??? ????? ??????, Abu Fadel Abbas Brigade)

*2012

10.000

unbekannt

Kommandozentrum in Kerbela; aktiv in Bagdad und Umgebung sowie Salah ad-Din

10

Hizbullah al-Mujahidun f-il Iraq

(??? ???? ????????? ?? ??????, Kämpfer der Partei Gottes im Irak)

*2014

Abbas al-Muhammadawi

unbekannt

unbekannt

11

Faylaq al-Wa’ad

as-Sadiq

(????? ?????? ????, Legion des wahren Versprechens)

Mohammad

Hamza at-Tamimi

unbekannt

unbekannt

12

Kata’ib al-Imam al-Hussein

(?????? ?????? ?????, Bataillone des Imam Hussein)

*2014

unbekannt

unbekannt

aktiv in Salah ad-Din

13

Kata’ib al-Imam al-Gha’ib

(????? ?????? ??????, Bataillone des abwesenden Imam)

unbekannt

Splittergruppe von Kata’ib Hizbullah

aktiv in Falluja und Samarra

14

Kata’ib Ansar al-Hijja

(????? ????? ?????, Bataillone der Unterstützer von al-Hijja)

Mohammad

al-Qinani

Kata’ib Martyr Sadr

aktiv in Salah ad-Din und Anbar

15

Kata’ib al-Ghadab

(????? ?????, Bataillone der Wut)

*2014

Abu Fakkar

ash-Shammari

unbekannt

aktiv in Bagdad, Tikrit und Samarra

16

Kata’ib Ruhallah

(????? ??? ????, Bataillone der Seele Allahs)

Abu Talib

al-Mayahi

Kata’ib Ahrar

al-Iraq

aktiv im Norden Bagdads und in Salah ad-Din

17

Kata’ib Ahrar al-Iraq

(????? ????? ??????, Bataillone der freien Männer Iraks)

*2014

Abbas al-Maliki

Kata’ib Ruhallah

unbekannt

18

Saraya Ansar al-Aqida

(??????? ????? ?????, Brigade der Unterstützer des Glaubensbekenntnisses)

*2014

Jalal ad-Din

Sagir

unbekannt

um Bagdad und Samarra, am aktivsten in Dhi Qar and Kerbela

19

Saraya al-Jihad

(????? ?????, Brigade des Heiligen Krieges)

*2014

Hasan as-Sari

unbekannt

Kommandozentrum in Wasit

20

Liwa Youm al-Qaim

(?????? ??? ????, Brigade des Tages des Auferstehenden)

unbekannt

Kata’ib al-Mawt

al-Istishariyya

Bagdad

21

Liwa Dhu al-Fiqar

(?????? ?? ????, Zulfiqar-Brigade)

*2013

Abu Shahad

al-Juburi

unbekannt

Schutz eines Heiligen Schreins in Syrien

22

Liwa Assadullah

al-Ghalip

(?????? ???? ??? ????, Brigade der erobernden Löwen Gottes)

Suhail al-Araji

unbekannt

aktiv in Wasit und Bagdad

23

Liwa al-Muntadar

(???? ???????, Brigade der Erwarteten)

Daghir al-Musavi

Kata’ib Sayyid

al-Shuhada

Kommandozentrum in Basra

24

Liwa al-Youm al-Mau’ud

(???? ????? ???????, Brigade des versprochenen Tages)

*2008

unbekannt

Saraya as-Salam

unbekannt

 

Weitere Milizen:

Harakat al-Abdal, Hizbollah as-Sairun, Hizbullah al-Abrar, Kata’ib ad-Difa al-Muqaddas/Quwwa Shaheed al-Sadr, Kata’ib al-Fatah al-Mobin, Kata’ib al-Shaheed al-Awal, Kata’ib al-Shaheed al-Awal: Quw w-al-Buraq, Kata’ib at-Tayyar ar-Risali, Liwa al-Imam al-Hasan al-Mujtaba, Liwa al-Imam al-Qaim, Liwa al-Qa’im, Liwa al-Qaria, Saraya Ashura, Liwa Ammar ibn Yasir, Liwa ash-Shabab ar-Risali, Liwa as-Sadeqeyn, Saraya az-Zahra.

(Süß 21.8.2017)

Führung und Rechtsstellung der PMF

Generell kann innerhalb der Volksmobilisierung eine Dominanz der älteren Milizen und ihrer Anführer Amiri, Muhandis und Khaz’ali ausgemacht werden. Die personelle Führung des Milizenbündnisses übernimmt dabei eine Trias: Anführer ist Abu Mahdi al-Muhandis, Kommandeur der Kata’ib Hizbullah und enger Verbündeter Badrs und der iranischen Revolutionsgarden. Als eigentlicher starker Mann hinter Muhandis gilt allerdings Hadi al-Amiri, Anführer der Badr-Organisation. Einfluss übt außerdem Qasim Suleimani aus, umstrittener Kommandeur der zu den iranischen Revolutionsgarden gehörigen Quds-Brigaden. Der Iran versorgt die irakischen Milizen mit Geld und Waffen und bildet ihre Kämpfer gemeinsam mit der libanesischen Hizbullah im Iran, im Irak und im Libanon aus. Viele der Milizen vertreten deshalb folgerichtig eine islamistische Ideologie, die sich an jener des Irans orientiert. Der Iran nutzte die Gründung der Volksmobilisierung 2014 auf diese Weise dafür, ihren Einfluss im Irak erheblich zu steigern. Die größten Milizen innerhalb der Volksmobilisierung hängen dabei so stark vom Iran bzw. den iranischen Revolutionsgarden ab, dass sie als Instrument des Nachbarstaates bezeichnet werden können. Auch eine personelle Verbundenheit ist vorhanden: Muhandis und Amiri haben ihre engen Beziehungen zum Iran mehrmals selbst bestätigt. Allerdings gibt es neben besonders eng an den Iran angebundenen Milizen (Badr-Organisation und Kata’ib Hizbullah) auch solche, die zwar ressourcenmäßig vom Iran abhängig sind, aber eine gewisse Distanz zum Iran aufweisen (Saraya as-Salam).

Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

In der Tat scheint es sich so zu verhalten, dass innerhalb der PMF die radikal-schiitischen Gruppen mit Bindungen zum Iran die dominierenden Kräfte sind (Posch 8.2017).

Konfessionelle Zusammensetzung der PMF

Der absolute Großteil der PMF- Milizen besteht aus Schiiten, es gibt jedoch durchaus auch Sunniten, Christen oder sogar Jesiden in den Reihen der schiitischen Milizen [abhängig von der jeweiligen Miliz], bzw. gibt es auch gemischte Milizen, oder auch eigene Sunniten- oder Christen-Milizen (Lattimer 26.4.2017; Al-Monitor 21.8.2017).

PMF-Milizen und organisierte Kriminalität

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem Ölschmuggel im großen Stil, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker waren. So lassen sich politische Streitigkeiten innerhalb der schiitischen Milizen ebenso gut als Allokations- und Revierkämpfe von Mafiabanden interpretieren, die sich auch auf parlamentarischer Ebene wiederfinden (Posch 8.2017).

Quellen:

-        Al-Monitor (21.8.2017):Turkey fumes as Sinjar Yazidis declare 'democratic autonomy', http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/independence-iraqi-kurdistan-referendum-opposition.html#ixzz4qlVEYvfy, Zugriff 25.8.2017

-        Lattimer, Mark – Director of the Ceasefire Cetre for Civilian Rights (26.4.2017): EASO COI Meeting Report Iraq, Practical Cooperation Meeting 25.- 26. April, Brussels, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/IRQ_Meeting_Report.pdf, Zugriff 24.7.2017

-        Posch, Walter (8.2017): Schiitische Milizen im Irak und in Syrien - Volksmobilisierungseinheiten und andere, per Email

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504517740_bfa-staatendokumentation-ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31.pdf

1.5. Zur Lage in Mossul:

Zur Lage in Mossul ist festzustellen, dass der Islamische Staat im Jänner 2017 aus dem Osten und im Juli 2017 auch aus dem Westen der Stadt vertrieben wurde. Speziell im Westen der Stadt wurde viel zerstört und geht der Wiederaufbau nur langsam vor sich. Langsam wächst das Vertrauen in die staatlichen Sicherheitskräfte wieder; allerdings haben auch Milizen der PMF das Machtvakuum nach der Vertreibung des IS ausgenützt und ihre Macht in Mossul ausgebaut. Speziell in der Altstadt und im Westen der Stadt gibt es teilweise die Gefahr von Minen. Allerdings gibt es auch Medienberichte über eine langsame Verbesserung der Situation, etwa durch die Rückkehr von Kultur und Kunst.

Quellen:

- Deutsche Welle vom 09.09.2018, abrufbar unter https://www.dw.com/de/mossul-feiert-ein-kulturelles-comeback/a-45400515

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.04.2018 zur Sicherheitslage in Mossul

- Bericht des Center for Civilians in Conflict, „Mosul: Civilian Protection Challenges Post-Isis“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Darüber hinaus wurde am 12.11.2018 im Beisein des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines im Original vorgelegten irakischen Reisepasses Nr. XXXX fest.

Die Feststellungen hinsichtlich der Lebensumstände, des Gesundheitszustandes, der Arbeitsfähigkeit, der Staatsangehörigkeit, der Herkunft sowie der Glaubens- und Volkszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen diesbezüglich glaubhafte Angaben vor der belangten Behörde (Protokoll vom 19.09.2016) und in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift vom 12.11.2018). Der Beschwerdeführer gab nie gesundheitliche Beeinträchtigungen an. Dass er aus dem Ostteil Mossuls stammt, ergibt sich aus seiner entsprechenden Aussage in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Die Feststellungen zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus seinen entsprechenden Aussagen in der mündlichen Verhandlung und den folgenden Bescheinigungen:

?        Bestätigung der Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Auffrischungskurs vom 05.12.2015

?        Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs vom 22.06.2016

?        Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs vom 07.06.2018

?        2 Empfehlungsschreiben vom Oktober 2018

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung erstmals vor, eine Beziehung mit einer Syrerin zu führen, der gemeinsam mit ihrem Sohn der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei. Es bestehe kein gemeinsamer Wohnsitz, dieser sei ebenso wie eine Eheschließung geplant, wenn der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung bekomme.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte, auf das Wesentlichste zusammengefasst, vorgebracht, ursprünglich wegen des Islamischen Staates ausgereist zu sein, inzwischen aber eine Verfolgung durch schiitische Milizen zu befürchten.

Der Beschwerdeführer brachte somit verschiedene Rückkehrbefürchtungen vor; die erste habe ihren Ursprung im Jahr 2011: Er sei, so gab er im Verwaltungsverfahren an, als er in Bagdad Waren eingekauft habe, auf dem Rückweg von der Polizei aufgehalten und geschlagen worden. Bei der Schilderung dieses Vorfalls in der Einvernahme durch das BFA am 19.09.2016 meinte er zunächst, dass die Polizei ihn angehalten habe, „als sie sahen, dass ich laut Ausweis Sunnit bin“. Dies revidierte er dann allerdings wieder, als er mit der Frage konfrontiert wurde, aus welchem Ausweis dies ersichtlich sei; tatsächlich, so meinte er dann, seien alle aus Mossul Sunniten. Hier ergeben sich daher bereits erste Widersprüche. Eine vollkommen neue Deutung erfährt das Geschehen dann in der Beschwerde: Es seien keine staatlichen Behörden, sondern schiitische Milizen gewesen, die ihn angehalten und erst gegen die Zahlung von 3.500 USD freigelassen hätten. Dieses Vorbringen erstattete er auch in der mündlichen Verhandlung. In der Beschwerde wurde erklärt, es habe sich beim BFA-Protokoll um einen Übersetzungsfehler gehandelt. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass sowohl in dem Protokoll zur Erstbefragung wie auch in jenem der Einvernahme durch das BFA jeweils die Rede davon ist, dass der Beschwerdeführer durch staatliche Behörden erpresst worden sei. Es handelte sich um zwei verschiedene Dolmetscher und beide Protokolle wurden rückübersetzt und vom Beschwerdeführer unterschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher nicht von einem Übersetzungsfehler aus, so dass festgestellt werden muss, dass der Beschwerdeführer die Geschehnisse des Jahres 2011 im Verlauf des Verfahrens unterschiedlich schilderte. Der Beschwerdeführer änderte seine Geschichte, nachdem das BFA dem diesbezüglichen Vorfall im angefochtenen Bescheid keine Asylrelevanz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zugebilligt hatte. Dieses Vorbringen ist daher nicht glaubhaft; zudem würde eine einzelne kriminelle Aktivität, welche Jahre zurückliegt und außerhalb seines Wohnortes erfolgt wäre, keine Bedrohung für die Zukunft nahelegen, zumal sich die Verhältnisse im Irak durch den Sieg über den Islamischen Staat maßgeblich geändert haben.

Tatsächlich fluchtauslösend war nach den Angaben des Beschwerdeführers aber ohnehin die Bedrohung durch den Islamischen Staat gewesen. Die Furcht vor dem IS war das zentrale Vorbringen bei der Erstbefragung am 14.03.2015 und in der Einvernahme durch das BFA am 19.09.2016. Mitglieder des IS seien am 05.07.2014 in sein Geschäft gekommen und hätten von ihm verlangt, dem IS die Treue zu schwören.

Aber auch das Vorbringen rund um das Geschäft und die Bedrohung durch den IS ist unstimmig. Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung am 14.03.2015 an, dass er gemeinsam mit seinem Cousin ein Textilgeschäft gehabt habe; er wiederholte in der Einvernahme durch das BFA am 19.09.2016, dass sein Cousin sein Geschäftspartner gewesen sei und jeder pro Kopf 800 USD monatlich verdient habe. Sein Cousin XXXX gab in seiner Einvernahme durch das BFA am 10.11.2016 dagegen an, als Helfer im Geschäft seines Vaters, in dem Damenunterwäsche verkauft worden sei, gearbeitet zu haben. Auf Vorhalt, dass er in der Erstbefragung am 14.03.2015 ebenfalls gesagt habe, er habe gemeinsam mit seinem Cousin, dem Beschwerdeführer, ein Geschäft betrieben, meinte er dann, er sei eigentlich der Lieferant seines Cousins gewesen. Es sei ein Großhandel gewesen, das Geschäft habe ihm und seinem Vater gehört.

Auch was im Geschäft verkauft wurde, wurde unterschiedlich geschildert. Der Cousin des Beschwerdeführers sprach in seinen Einvernahmen immer nur von Damenunterwäsche („das war ein Damenunterwäschegeschäft“, Protokoll vom 10.11.2016, S 4), während der Beschwerdeführer zwar bei der Frage, ob in der Erstbefragung alles richtig protokolliert wurde, meinte, er habe Damenmode verkauft und dies sei nicht dokumentiert worden (Protokoll vom 19.09.2016, S 4), dann aber immer nur von einem Geschäft für Männermode sprach:

„Leiter der Amtshandlung: Was verkauften Sie alles?

Verfahrenspartei: Hosen, T-Shirts, alles Mögliche, was Männer brauchen.

LA: Alles für den Mann zum Anziehen.

VP: Alles, was Männer brauchen - nur Männermode.“

Ganz anders stellt sich dann wieder die Version dar, welche der Beschwerdeführer in der Beschwerde darlegt: Der Beschwerdeführer und sein Cousin würden tatsächlich zwei Geschäfte miteinander geführt haben; jenes des Cousins habe Damenmode verkauft, während der Beschwerdeführer in seinem Geschäft Männermode angeboten habe. Etwas anders dann wieder die Darstellung in der mündlichen Verhandlung am 12.11.2018: Es habe zwei Geschäfte gegeben und er und sein Cousin seien am jeweils anderen beteiligt gewesen. Das Geschäft des Beschwerdeführers habe Männer- und Damenmode geführt (während er in der Beschwerde ja noch von reiner Männermode gesprochen hatte). Alleine die Frage, um welches Geschäft es letztlich ging und wem dies gehörte bzw. was dort angeboten wurde, wurde daher widersprüchlich und unstimmig geschildert.

Sein Cousin XXXX gab in seiner Einvernahme durch das BFA am 10.11.2016 an, dass am 18.01.2014 Mitglieder des IS in das Geschäft gekommen seien, die Ware beschlagnahmt und ihn – nach einem Urteil des Shariagerichts - ausgepeitscht hätten. Dagegen meinte der Beschwerdeführer, dass das ganze Geschäft vom IS niedergebrannt worden sei. Zu diesem Widerspruch führte der Beschwerdeführer in der Beschwerde nur aus, dass ihm die Aussagen seines Cousins nicht angelastet werden könnten; sein Geschäft sei vom IS angezündet worden und in der Folge niedergebrannt.

Dem BFA ist daher zuzustimmen, dass bereits der Kern der Fluchtgeschäfte, nämlich dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Cousin Damenmode bzw. Damenunterwäsche verkauft habe und dadurch in den Fokus des Islamischen Staates geraten sei, nicht glaubhaft ist.

Von der erkennenden Richterin in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Vertreibung des Islamischen Staates aus Mossul nichts mehr von der Terrororganisation zu befürchten habe, meinte er: „Ja, aber es gibt auch Milizen.“ Eine Bedrohung bzw. Verfolgung durch den IS wurde daher gar nicht mehr aufrechterhalten, sondern der Anspruch auf internationalen Schutz nunmehr auf eine behauptete Bedrohung durch schiitische Milizen gestützt. Wie bereits weiter oben ausgeführt wurde, war diese vermeintliche Bedrohung im Verwaltungsverfahren noch nicht vorgebracht worden, sondern war die Entführung und Erpressung im Jahr 2011 staatlichen Instanzen zugeordnet worden, so dass bereits aus diesem Grund nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer bereits 2011 von schiitischen Milizen bedroht wurde.

In der mündlichen Verhandlung am 12.11.2018 legte er dann Fotos eines verbrannten und durchwühlten Hauses vor. Sein Elternhaus sei etwa zwei Monate vor der Verhandlung von Milizen durchsucht worden. Man habe ihn und seinen Bruder gesucht. Man habe der Familie vorgeworfen, Mitglieder des Islamischen Staates zu sein. Sein jüngerer Br

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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