Entscheidungsdatum
13.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W122 2209166-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018, Zl. 16-1109017503-160407950, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.08.2019, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger des Iran und der persischen Volksgruppe sowie der Religion des Zoroastrismus zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 9 ff.).
2. Im Rahmen der Erstbefragung (AS 9 bis 19) gab der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zu Protokoll, dass er dauernd aufgrund seiner Religionszugehörigkeit und seiner Stellung als regierungskritischer Rapper (Künstler) von der Regierung gesucht und belästigt worden sei.
3. Am 15.07.2016 langte ein medizinisches Sachverständigengutachten bei der belangten Behörde ein, in welchem eine Alterseingrenzung des BF zum Untersuchungszeitpunkt im Altersbereich von mindestens 17,5 bis maximal 22,3 Jahren festgestellt wurde.
4. Mittels Verfahrensanordnung vom 06.03.2017 wurde dem BF gemäß § 13 Abs. 2 AsylG mitgeteilt, dass er sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet aufgrund der Begehung eines Verbrechens gemäß § 17 StGB verloren habe.
5. Am 14.03.2017 wurde der BF vom Landesgericht für Strafsachen Graz als Jugendgericht wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, 27 Abs. 2 SMG, 27 Abs. 2a SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten, unter Setzung einer Probezeit im Ausmaß von 3 Jahren, rechtskräftig seit 18.03.2017, verurteilt (14 Hv 25/17k gemäß AS 233 ff.).
6. Am 17.10.2017 wurde der BF vom Bezirksgericht Innsbruck gemäß § 259 Z 3 StPO von der gegen ihn erhobenen Anklage wegen §§ 15, 127 StGB freigesprochen (8 U 198/17y-5 gemäß AS 253 f.). Der Berufung der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen dieses Urteil wurde vom Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht, mit Urteil vom 05.06.2018, nicht Folge gegeben (21 BI 75/18i gemäß AS 253 bis 257).
7. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme im Asylverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.08.2018 (AS 247 bis 310) gab der BF, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi, zunächst zu Protokoll, dass seine Angaben, welche er im Zuge der Erstbefragung (AS 9 bis 19) getätigt habe, der Wahrheit entsprechen würden. Er fügte jedoch diesbezüglich hinzu, dass es sich dabei lediglich um eine kurze Befragung gehandelt habe. Dies sei der Grund warum er nicht alle seine fluchtrelevanten Probleme im Zuge dieser Erstbefragung geschildert habe. Des Weiteren gab der BF an gesund zu sein und erklärte, dass er der Volksgruppe der Perser sowie der Religion des Zoroastrismus angehöre. Früher, somit davor, sei er muslimisch schiitischen Glaubens gewesen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass er musikalisch talentiert sei und die Stimme für religiöse Gebete gehabt habe. Somit habe er, auf Anraten seiner Lehrer, mit 7 Jahren begonnen als sogenannter "Maddah" auf religiösen Festen Gebete professionell vorzusingen und vorzulesen. Er sei diesbezüglich der Beste in seinem Bezirk gewesen. Mit 15 Jahren habe er jedoch zum allerletzten Mal eine Moschee besucht. Er habe in diesem Alter gemerkt, dass er etwas Anderes, nicht ihm Vorgegebenes, machen wollte. Er habe mit zunehmendem Alter das religiöse System des Irans immer besser kennengelernt und sich schlussendlich dazu entschieden, aus diesem System auszubrechen, um in die Musikbranche als Rapper zu gehen. Diese Entscheidung habe ihm sehr viel Stress und Angst bereitet. Der BF habe seine Musik auch im Internet veröffentlicht. Da er aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als "Maddah" bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt und für die islamische Religion sehr viel Werbung gemacht habe, sei dieser Wechsel mit besonderer Unterdrückung verbunden gewesen. Im Iran sei es verboten als Rapper aufzutreten. Dies da Rapper dortzulande meistens gegen das Regime singen würden. Die Regierung aber auch die Gesellschaft würden Rappen als kriminelle Tat ansehen. Die Regierung sei der Auffassung, dass Musiker ungläubige Menschen und somit gegen die Regierung gerichtet sind. Seine Entwicklung, weg von einer religiösen Person in eine andere Richtung, sei für die Regierung untragbar. Der BF fürchte im Falle einer Festnahme seine Ermordung.
Zu etwaigen Verfolgungen von staatlicher Seite aufgrund seiner Religionsangehörigkeit sowie politischer Gesinnung in seiner Heimat befragt, gab der BF an, dass solche niemals stattgefunden hätten.
Zu seinem Ausreisegrund befragt, führte der BF des Weiteren aus, dass es sehr oft persönliche und direkte Übergriffe gegen ihn, aufgrund seiner Stellung als Rapper, in seiner Heimat gegeben habe. Ab dem Zeitpunkt, als er mit 15 Jahren, daher 2013, in der Moschee sein geändertes Gedankengut geäußert habe sowie Rapper geworden sei, hätten die Übergriffe auf ihn begonnen. Er habe damals in der Moschee zum Beispiel die Frage geäußert, warum in der Moschee andere Gemeinschaften, wie beispielsweise die Sunniten, beleidigt werden. Er sei auf der Straße von religiösen Leuten aus seiner Ortschaft in der Heimat angegriffen und geschlagen worden. Auf einer Party in Nordteheran, auf welcher der BF im Alter von 16 Jahren als DJ eingeladen gewesen sei, habe die BASIJ die Wohnung gestürmt und alle Musikinstrumente zerstört. Er sei in weiterer Folge zusammen mit den anderen Partygästen von der BASIJ mitgenommen und für eine Nacht in der Polizeistation festgehalten worden. Auf Nachfrage der belangten Behörde, gab der BF an, dass er im Iran zusammen mit einem Freund eine Musikgruppe namens "Big Ben" gegründet habe. Zuerst habe er Partymusik veröffentlicht, in Folge dann politische Songs. Die Songs würden "Khoda" (Gott) und "Hip Hops Soldat" heißen. Er habe jedoch niemanden beschimpft, sondern lediglich die Realität gesagt. In einem Song habe er die Frage gestellt, warum ohne Ziel gebetet werde. Diesen Song hätten viele Personen angehört und daraufhin habe sich der BF in Gefahr gefühlt. Neben der BASIJ sei er auch von der SEPA im Iran gesucht worden. Er habe folglich seinen Bezirk verlassen und sei nach Parand zu einem Freund für 2 Monate gezogen. Auf Nachfrage konnte der BF das Datum der Veröffentlichung des besagten Songs nicht angeben.
Bei einer Rückkehr in seine Heimat drohe dem BF die Todesstrafe aufgrund seiner musikalischen Tätigkeit als Rapper.
Der BF gab darüber hinaus an, dass er auch in Österreich als Musiker sehr aktiv sei und unter anderem eine CD, gemeinsam mit anderen Künstlern, veröffentlicht habe. Die auf dieser CD befindlichen Songs seien auch über die Internet-Plattform Youtube ersichtlich. Er sei auch in einer Musikgruppe mit welcher er in Österreich bereits Auftritte gehabt habe.
Zu seinem Privatleben befragt, gab der BF unter anderem an, dass er in Österreich weder Deutschkurse noch sonstige Schulen, Kurse oder Ausbildungen absolviert habe und auch kein Mitglied eines Vereins oder einer Organisation sei. Er sei jedoch im " XXXX " gemeinnützig tätig.
Zu seinem Strafdelikt befragt, gab der BF an, dass er psychische Probleme gehabt habe. Er habe kein Geld zum Leben und kein Dach über dem Kopf gehabt und ein Freund habe ihn dazu gezwungen einmalig Drogen zu verkaufen.
Des Weiteren wurden mit dem BF in der Einvernahme die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen erörtert und gab er hierzu folgende Stellungnahme ab: "... ich kenne die allgemeine Situation in meiner Heimat. ... Ich möchte keine schriftliche Stellungnahme dazu abgeben."
Im Übrigen gab der BF zu der Anmerkung der belangten Behörde, dass er im bisherigen Asylverfahren noch keine Beweismittel vorgelegt habe, an, dass er Beweismittel habe vorlegen wollen, diese jedoch im Bus verloren habe. Er werde versuchen diese in Folge vorzulegen. Er verfüge über keine Personaldokumente. Sein Reisepass sei ihm im Iran entzogen worden als er 15 Jahre alt wurde. Dies werde im Iran so gemacht, damit man ab dem 18ten Lebensjahr zum Militär geht.
8. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018 (AS 345 bis 495), zugestellt am 15.10.2018, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei. Einer Beschwerde gegen den oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 55 Abs. 1a bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise des BF. Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG habe der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 14.02.2017 verloren. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG werde gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stützte sich auf umfangreiche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat, Iran (Seite 26 bis 66 des bekämpften Bescheides; AS 420 bis 460), insbesondere auch zur politischen Lage, zur Sicherheitslage, zum Rechtsschutz/Justizwesen, zu den Sicherheitsbehörden, zu Folter und unmenschlicher Behandlung, zu Korruption, zu NGOs und Menschenrechtsaktivisten, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur Meinungs- und Pressefreiheit sowie Internet, zur Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und Opposition, zu Haftbedingungen, zur Todesstrafe, zur Religionsfreiheit, zur Bewegungsfreiheit, zur Aus- und Einreise, zu gefälschten Dokumenten, zur Grundversorgung und Wirtschaft, zu Sozialbeihilfen, zur medizinischen Versorgung und zur Behandlung nach der Rückkehr. Es finden sich umfangreiche und nachvollziehbare Quellenangaben, wobei die Quellen hierfür hinreichend aktuell sind.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte des Weiteren unter anderem fest, dass der BF mit Hinblick auf seine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle und, dass die sofortige Ausreise des BF aus dem Staatsgebiet demzufolge erforderlich sei.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der behaupteten Identität des BF aufgrund fehlender Dokumente keine Glaubwürdigkeit zuzusprechen gewesen sei sowie, dass der BF nicht glaubhaft darstellen habe können, einer persönlichen Verfolgung im Iran ausgesetzt zu sein. Es habe insbesondere nicht festgestellt werden können, dass der BF Probleme mit den Behörden im Iran hatte. Dem Fluchtvorbringen des BF wurde im Rahmen einer umfangreichen Beweiswürdigung die Glaubwürdigkeit versagt.
In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom BF vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Es wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass seine Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei. Des Weiteren wurde erläutert, weshalb einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen sei, weshalb gemäß § 55 Abs. 1a keine Frist für die freiwillige Ausreise des BF bestehe und weshalb der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 14.03.2017 verloren habe. Abschließend wurde ausgeführt, weshalb gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen worden sei.
9. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 11.10.2018 wurde der BF gemäß
§ 52a Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ein Rückkehrberatungsgespräch bis zum 29.10.2018 in Anspruch zu nehmen.
10. Mit weiterer Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 11.10.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
11. Gegen den oben genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde erhoben, welche am 07.11.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde zunächst beantragt, dass das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und dem BF gemäß § 3 AsylG internationalen Schutz gewähren möge. In eventu möge das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG feststellen, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Iran zukommt. In eventu möge das Bundesverwaltungsgericht feststellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei sowie des Weiteren feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen würden und dem BF daher gemäß § 58 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen sei. In eventu möge das Bundesverwaltungsgericht entsprechend § 66 Abs. 2 AVG und § 28 Abs. 3 und 4 VwGVG den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen, das erlassene Einreiseverbot ersatzlos beheben sowie eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG durchführen. Darüber hinaus erging die Anregung dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
In der Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF seine geltend gemachte Kritik am iranischen Regime in Österreich fortsetze und bereits mehrere einschlägige Musikstücke veröffentlicht habe. Die vom BF geäußerte Furcht vor Verfolgung seitens des iranischen Staats sei demzufolge wohlbegründet und asylrelevant. Aufgrund der Veröffentlichung diverserer Musikvideos im Internet könne nicht ausgeschlossen werden, dass das iranische Regime über die Person des BF Bescheid wisse und folglich mit einer staatlichen Verfolgung des BF zu rechnen sei. Der BF sei auch aufgrund seiner westlichen Orientierung, welche als potentielle Regimekritik im Iran aufgefasst werde, mit unverhältnismäßigen Strafen in seiner Heimat bedroht. Aus den angeführten Länderberichten sowie aus den vom BF getätigten Aussagen gehe hervor, dass dieser im Falle seiner Rückkehr unter anderem mit Bestrafungen im Sinne von körperlicher Gewalt und Freiheitsentzug zu rechnen habe, welche einem realen Risiko im Sinne des Art 3 EMRK entsprechen würden. Zudem sei, angesichts der vom BF begangenen Straftaten, die von der belangten Behörde getroffene Prognoseentscheidung hinsichtlich der vom BF ausgehenden Gefahr deutlich übertrieben. So sei insbesondere auch das erkennende Strafgericht davon ausgegangen, dass die individuelle Schuld des BF nicht als besonders schwer einzustufen gewesen sei. Der BF habe sich seit diesen Verfehlungen unauffällig verhalten. Die Annahme einer Wiederholungsgefahr sei nicht gerechtfertigt. Abschließend wurde in der Beschwerde erläutert, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ein rechtliches Grundinteresse berühre und somit nur äußerst restriktiv zu handhaben sei.
12. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 09.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.11.2018, Geschäftszahl L516 2209166-1/3E, wurde der oben angeführten Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheids stattgegeben und dieser gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG ersatzlos behoben. Es wurde somit festgestellt, dass der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt. Zudem wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids stattgegeben und dieser gemäß § 55 Abs. 1a FPG ersatzlos behoben. Abschließend sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, dass der BF keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG darstelle, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Aufgrund der ersatzlosen Behebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung lagen in Folge auch die Voraussetzungen für die Anwendung des § 55 Abs. 1a FPG nicht mehr vor.
Die Trennung der Spruchpunkte sei aufgrund ihrer Zweckmäßigkeit hinsichtlich der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für den betroffenen BF und der Spruchreife der Spruchpunkte VI und VII gemäß § 59 Abs. 1 letzter Satz AVG zulässig gewesen.
14. Am 27.06.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Mitteilung, ebenfalls vom 27.06.2019, der ehemaligen Lebensgefährtin des BF, XXXX, vorgelegt, in welcher diese über Belästigungen und Bedrohungen des BF gegen ihre Person berichtete. In dieser Mitteilung gab die ehemalige Lebensgefährtin des BF an, aufgrund der geschilderten Vorfälle, den BF bei der Polizei anzeigen zu wollen.
15. Am 10.07.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Innsbruck vorgelegt. Bei der betreffenden Mitteilung handelt es sich um eine Verständigung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, wonach gegen den BF ein Strafantrag vom 10.07.2019 wegen § 105 Abs. 1 StGB beim Landesgericht Innsbruck (8 St 169/19x-1) eingebracht wurde.
16. Am 19.07.2019 teilte die ehemalige Lebensgefährtin, XXXX, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass sie ihre obengenannte Anzeige gegen den BF zurückziehe. Die Mitteilung ging zusammen mit dem entsprechenden Verweis in der Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, bezüglich der obengenannten Beschwerde des BF gegen den obengenannten Bescheid, am 25.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
17. Am 21.08.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, nach der das gegenständliche Erkenntnis verkündet wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Die Identität des BF steht nicht fest. Der BF stammt aus Teheran, Iran und ist Angehöriger der persischen Volksgruppe. Er bekennt sich zum Glauben des Zoroastrismus, praktiziert seine Religion jedoch nicht. Bevor der BF sich zum Glauben des Zoroastrismus bekannte war dieser schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer ist psychisch und physisch gesund. Der BF besuchte im Iran mehrere Jahre die Schule und arbeitete in einer Schuhmacherei, einem Restaurant sowie bei einer Essensauslieferung.
Der BF hat eine Großmutter sowie einen Bruder und eine Schwester, welche im Iran leben. Die Großmutter und Schwester des BF leben in Teheran. Der Bruder des BF lebt in XXXX . Der Vater des BF ist verstorben. Die Mutter des BF ist, aus Sicht des BF, unbekannten Aufenthaltes.
Der BF war im Iran seit seiner Kindheit musikalisch aktiv und trug im Kindes- und frühen Jugendalter religiöse Lieder und Gedichte im Rahmen von muslimisch religiösen Veranstaltungen vor. Der BF erlangte durch diese musikalisch, religiöse Tätigkeit einen gewissen lokalen Bekanntheitsgrad in seinem Bezirk. Mit 15 Jahren wandte sich der BF innerlich vom Islam und damit verbunden von seinen Teilnahmen an religiösen Veranstaltungen ab. Der BF interessierte sich seit diesem Zeitpunkt zunehmend für Rapmusik und wurde diesbezüglich auch selbst musikalisch aktiv. Der BF nahm seit seinem 15ten Lebensjahr an Gesellschafts-Veranstaltungen, welche einen gewissen Bezug zur Rapmusik aufweisen, teil. So nahm der BF im Alter von 16 Jahren an einer privaten Geburtstagsparty in einer Wohnung in Nordteheran teil. Bei dieser Party trat der BF als DJ auf. Aufgrund der Musik-Lautstärke wurde die Veranstaltung von der örtlichen Polizei geräumt und beendet. Der BF war aufgrund seines persönlichen Wandels und seiner Abkehr vom islamischen Glauben mit temporärer zwischenmenschlicher und teilweiser unsachlicher sowie beleidigender Kritik und Häme in seinem (ehemaligen) gesellschaftlichen Umfeld konfrontiert. Der BF wurde in seiner iranischen Heimat von Behörden, im Speziellen von der SEPA und BASIJ nicht gesucht und verhaftet.
Der BF veröffentlichte vor seiner Abreise aus dem Iran, der genaue Zeitpunkt konnte nicht festgestellt werden, unter dem Account seines Bruders auf einer iranischen Website namens " XXXX " ein Musikvideo mit der Bezeichnung " XXXX ", in welchem er keinerlei religiöse oder politische Aussagen tätigte. Die diesbezüglich veröffentlichten und nach wie vor abrufbaren Aussagen des BF beziehen sich ausschließlich auf Inhalte moderner Jugendkultur. Der BF veröffentlichte zu dieser Zeit unter dem Pseudonym " XXXX " ein weiteres Musikvideo, in welchem er die Frage stellte, warum seine Mitmenschen ohne Ziel beten würden. Dieses Video wurde zwischenzeitlich vom Bruder des BF gelöscht und ist somit nicht mehr im Internet auffindbar bzw. abrufbar. Der genaue Zeitpunkt der Löschung konnte nicht festgestellt werden. Der BF sieht es persönlich nicht als seine Aufgabe an gegen die iranische Regierung zu kämpfen, vielmehr möchte er der Jugend durch seine Musik Hoffnung geben. Der BF veröffentlichte keine weiteren politischen oder anderweitig gesellschafts- bzw. religionskritischen Musikvideos sowie sonstige einschlägige Inhalte.
Konkrete, gegen die Person des BF gerichtete, Verfolgungshandlungen aufgrund seiner religiösen Orientierung bzw. persönlichen, geistigen Entwicklung und politischer Einstellung sowie seines Interesses und seiner Teilnahme an der Rap-Musik-Kultur in Teheran, durch staatliche Behörden des Irans, einschließlich im Speziellen Beschuldigungen durch Mullahs, liegen nicht vor.
Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der BF Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Der BF reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 19.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF spricht geringfügig Deutsch. Der BF macht derzeit eine Musikausbildung und befindet sich in der Grundversorgung. Der BF knüpfte in Österreich freundschaftliche Kontakte. Er musiziert und macht im Speziellen Rap mit seinem österreichischen Freundeskreis. Der BF wirkte aktiv als Künstler an der Gestaltung von zwei Musik-Alben mit und nahm an zwei öffentlichen Konzerten in Österreich teil. Der BF hat keine Deutschkurse besucht und auch sonst an keinen integrativen Maßnahmen teilgenommen.
Der BF ist ledig und hat eine ca. 2 Monate alter Tochter, namens XXXX , in Österreich. Er lebt im Flüchtlingsheim und somit nicht mit seiner Tochter und der Mutter derselben im gemeinsamen Haushalt zusammen. Der Beschwerdeführer führt mit der Mutter seiner Tochter und mit dieser keine partnerschaftliche Beziehung.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich bescholten. Er wurde am 14.03.2017 vom Landesgericht für Strafsachen Graz als Jugendgericht wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer bedingten Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt. Am 17.10.2017 wurde der BF vom Bezirksgericht Innsbruck von der gegen ihn erhobenen Anklage wegen versuchten Diebstahls freigesprochen.
Gegen den BF wurde am 10.07.2019 ein Strafantrag beim Landesgericht Innsbruck wegen Nötigung eingebracht. Die Mutter der Tochter des BF teilte zuvor am 27.06.2019 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass sie gegen den BF wegen Belästigungen und Bedrohungen des BF gegen ihre Person Anzeige erheben wollte.
Der BF veröffentlichte gemeinsam mit Freunden im Juni 2018 ein Musikvideo, namens " XXXX " sowie ein weiteres Video, namens " XXXX ", im September 2018 auf der Internetplattform "Youtube". Diese Musikvideos beinhalten überwiegend deutschen Sprechgesang. Die Passagen, welche vom BF auf Farsi gesungen werden, handeln von einer Welt ohne Grenzen und der Gleichheit aller Menschen. Weite Teile des Textes des Sprechgesangs, sowohl auf Deutsch als auch auf Farsi, sind ohne nähere Kenntnis des Textes unverständlich.
Es wird festgestellt, dass der BF im Falle der Rückkehr in den Iran weder in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde noch als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre.
Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des BF in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden.
1.2. Zur maßgeblichen Situation im Iran:
Politische Lage
Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel "Revolutionsführer" (GIZ 3.2019a).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).
Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA 12.1.2019). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).
Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).
Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).
Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems" sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).
Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a). Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem "Implementation Day" am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73
Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA15.2.2019a).
Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.2.2019). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).
Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017
war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr 2018 zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in "politischen" Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen (ÖB Teheran 12.2019).
Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 12.1.2019).
Sicherheitslage
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.
Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkonten. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).
Verbotene Organisation
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität. die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen. deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten. können der Spionage beschuldigt werden (AA 12.1.2019).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komalah-Partei. die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK). die aus Belutschistan stammende Jundallah. und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK). die eng mit ihrer Schwesterorganisation. der PKK. zusammenarbeitet (AA 12.1.2019). Die politischen Gruppierungen KDPI. Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 12.2018) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Auch die Volksmudschahedin (MEK. MKO. PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).
Im FFM-Bericht des Danish Immigration Service erklärt eine Quelle. dass sie noch nie davon gehört hätte. dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau. wie z.B. dem Verteilen von Flyern. angeklagt wurde. Andererseits ist es aber laut einer anderen Quellen schon möglich. dass man inhaftiert wird. wenn man mit politischem Material. oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an. welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).
Rechtsschutz / Justizwesen
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik. in welcher versucht wird. demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt. dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben. unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich. dass Exekutivorgane. v.a. der Sicherheitsapparat. trotz des formalen Verbots. in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten. dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association";IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019). Obwohl das Beschwerderecht rechtlichgarantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).
In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";
- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).
Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen
- auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen ("Qisas"), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes ("Diya") kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).
Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei
Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019).
Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt
zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse.
Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).
Sicherheitsbehörden
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium. die Ordnungskräfte des Innenministeriums. die dem Präsidenten berichten. und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC). welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte. eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern. sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten. die den strikten Moralkodex nicht befolgen. involviert (US DOS 13.3.2019). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an (AA 12.1.2019). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung. die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten. wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 12.2018).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei. Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei). Internetpolizei. Drogenpolizei. Grenzschutzpolizei. Küstenwache. Militärpolizei. Luftfahrtpolizei. eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein. deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut. haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft. Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 12.1.2019). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.2.2019). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017, vgl. BTI 2018).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela'at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Basij und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU- Menschenrechtssanktionsliste (AA 12.1.2019).
Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018). Der Oberste Führer hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009, zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde (US DOS 13.3.2019).
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht einmal nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügelungen durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 12.2018).
In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus. Dazu kommt es vorrangig in nicht registrierten Gefängnissen. aber auch aus offiziellen Gefängnissen wird von derartigen Praktiken berichtet. insbesondere dem berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis. welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht. Foltervorwürfen von Inhaftierten gehen die Behörden grundsätzlich nicht nach (AA 12.1.2019. vgl. US DOS 13.3.2019). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen. die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen. unter ihnen auch Minderjährige. erhalten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben (AI 22.2.2018. vgl. US DOS 13.3.2019). Sie wurden wegen Diebstahls oder tätlichen Angriffen verurteilt. aber auch wegen Taten. die laut Völkerrecht nicht strafbar sind. wie z. B. außereheliche Beziehungen. Anwesenheit bei Feiern. an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen. Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder Teilnahme an friedlichen Protestkundgebungen. Gerichte verhängten Amputationsstrafen. die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Die Behörden vollstrecken auch erniedrigende Strafen (AI 22.2.2018).
Bei Delikten. die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen. können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbst Alkohol weder besessen noch konsumiert haben, unter Umständen ist bereits die bloße Anwesenheit bei einer Veranstaltung, bei der Alkohol konsumiert wird, für die Betroffenen gefährlich. Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 12.2018). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018).
Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase, um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidiger und jugendlichen Straftätern. Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen. Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019, vgl. HRW 17.1.2019).
Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefolt