TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/25 W273 2188533-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2020
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Entscheidungsdatum

25.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W273 2188533-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Isabel FUNK-LEISCH als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Burgenland vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am XXXX statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) fand am XXXX statt.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.-V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass er in Afghanistan zuletzt bei einer Firma in Kandahar beschäftigt gewesen sei, welche die NATO-Streitkräfte mit Gemüse beliefert habe. Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit ausländischen Auftraggebern sei er persönlich und telefonisch von Mitgliedern der Taliban bedroht worden. Diese hätten ihn auch versucht zu überreden, dass er für sie arbeite.

4. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer erschien unentschuldigt nicht.

5. Mit Ladungsbeschluss vom XXXX wurde der Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung am XXXX als Partei geladen.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Parwan geboren und wuchs in Parwan sowie in Kabul gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zehn Geschwistern auf. Der Beschwerdeführer besuchte sieben Jahre lang die Schule in Kabul.

Der Beschwerdeführer verfügt über Berufserfahrung. Er arbeitete im Geschäft seines Vaters mit, eröffnete selbst ein eigenes Geschäft und war später am Flughafen in Kabul als Schweißer und Spengler tätig. Kurze Zeit arbeitete er in einer Speditionsfirma. Zuletzt war bei dem Unternehmen XXXX als Sicherheitsmann für den Innenbereich sowie für Elektroarbeiten in Parwan und Kandahar zuständig. Das Unternehmen XXXX verpackt Obst und Gemüse und bringt dieses in Containern zum Flughafen Kandahar.

Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan im Rahmen seiner Tätigkeit als Sicherheitsmann für den Innenbereich und Elektriker für ein Unternehmen, welches Gemüse zum Flughafen Kandahar lieferte, von den Taliban weder telefonisch noch persönlich bedroht. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban auch nicht gesucht. Die Familie des Beschwerdeführers wurde wegen der Tätigkeit des Beschwerdeführers ebenfalls nicht von den Taliban gesucht, bedroht oder verfolgt.

Der Beschwerdeführer wurde nicht von den Taliban aufgefordert, mit ihnen zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder angesprochen, noch angeworben und hatte in Afghanistan auch sonst keinen Kontakt zu den Taliban.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen. Dem Beschwerdeführer droht aufgrund seiner Tätigkeit für die Firma XXXX bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Gefahr der Verfolgung durch die Taliban oder durch anderer Personen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest XXXX durchgehend in Österreich auf. Er ist in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer besuchte Integrationskurse.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und geht keiner Erwerbstätigkeit nach.

Der Beschwerdeführer ist ehrenamtlich tätig.

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften zu österreichischen StaatsbürgerInnen knüpfen. Der Beschwerdeführer verfügt, abgesehen von einem Cousin, weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen (Ehefrau, Kinder, etc.) in Österreich. Zu seinem Cousin besteht kein finanzielles oder sonstiges Naheverhältnis.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer ist gesund, arbeits- und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer hat am linken Auge eine Art Muttermal, die Sehkraft ist dadurch nicht beeinträchtigt.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

1.4.1. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in die Provinz Parwan aufgrund der dort herrschenden allgemeinen Sicherheitslage kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Die sichere Erreichbarkeit der Heimatprovinz Parwan ist nicht gewährleistet, zumal der Beschwerdeführer durch die Provinz Kabul müsste, um nach Parwan zu gelangen.

Die Eltern des Beschwerdeführers leben derzeit in der Provinz Parwan. Der Vater des Beschwerdeführers betreibt einen Laden, einen weiteren hat er vermietet. Sämtliche Geschwister des Beschwerdeführers leben in Kabul, wo der Vater des Beschwerdeführers früher ein Lebensmittelgeschäft betrieb, in dem auch Gas und Benzin verkauft wurden. Die wirtschaftliche Lage der Familie ist gut. Der Vater des Beschwerdeführers verfügt neben seinem Wohnhaus und seinem Geschäft auch über Grundstücke, einen Obstgarten und zwei Autos. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Der Beschwerdeführer kann zumindest anfänglich mit finanzieller Unterstützung durch seine Eltern rechnen. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Familie derzeit finanziell nicht.

Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

1.4.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4.3. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 25.03.2020, 09:07 Uhr, 5.585 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 30 Todesfälle; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 74 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei zwei diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B)

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus. (LIB, Kapitel 3)

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Common Analysis Afghanistan, Kapitel V).

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen (LIB, Kapitel 21).

Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können gemäß der Definition von UN-Habitat als Slums eingestuft werden. Der Bericht über den Zustand afghanischer Städte stellte fest, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung darstellt. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.)

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar. (LIB, Kapitel 22.1)

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2). Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militäres, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

Haqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).

Al-Qaida:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 2).

1.5.8.1. Rekrutierung durch die Taliban:

Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind (Landinfo 2, Kapitel 4.1). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (Landinfo 2, Kapitel 4.1.1).

Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen Landinfo 2, Kapitel 3). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können (Landinfo 2, Kapitel 3.3).

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Landinfo 2, Kapitel 5.1). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband "herauslösen" (Landinfo 2, Kapitel 6).

1.5.9. Provinzen und Städte

1.5.9.1. Provinz Parwan

Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Provinz hat 724.561 Einwohner. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kuchi und Hazara (LIB, Kapitel 3.28).

Die Provinz Parwan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, in deren abgelegenen Distrikten Aufständische oftmals den Versuch unternehmen, terroristische Aktivitäten auszuführen. In manchen Distrikten der Provinz hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren verschlechtert. Im August 2018 waren Taliban-Aufständische in den Distrikten Koh-e-Safi, Sayyid Khel, Shinwari, Siyahgird und Surkhi Parsa aktiv. Von dort aus planten sie Angriffe auf die Provinzhauptstadt Charikar und die Luftwaffenbasis Bagram (größte NATO-Militärbasis in Afghanistan). In der Provinz werden Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeführt. Bei manchen dieser Operationen wurden auch Zivilisten getötet. Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften. Außerdem greifen Aufständische der Taliban, manchmal auch gemeinsam mit Al-Qaida, in regelmäßigen Abständen das Bagram Airfield an (LIB, Kapitel 3.28).

Parwan zählt zu jenen Provinzen, in denen willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer einzelne Elemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Im Jahr 2018 gab es 41 zivile Opfer (20 Tote und 21 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einem Rückgang von 47% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenangriffe, gefolgt von Selbstmord-/komplexen Angriffen und Bodenangriffen (LIB, Kapitel 3.28).

1.5.9.2. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.5.9.3. Mazar-e Sharif/ Herat

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1)

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Sie hat 556.205 Einwohner. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB, Kapitel 3.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).

1.5.10. Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der zweiten mündlichen Verhandlung (Niederschrift der ersten mündlichen Verhandlung vom 25.11.2019 = OZ 18, Niederschrift der zweiten mündlichen Verhandlung vom 24.01.2020 = OZ 21).

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

* UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR),

* EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO),

* Arbeitsübersetzung Landinfo report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1),

* Arbeitsübersetzung Landinfo report "Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban" vom 29.06. 2017 (Landinfo 2),

* ecoi.net Themdossier zu Afghanistan: "Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif" vom 15.01.2020 (ECOI Herat und Masar-e Sharif),

* EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seine Schul- und Berufsausbildung, seine Berufserfahrung) gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, in Kabul zur Schule gegangen ist und in mehreren Provinzen in verschiedenen Berufen gearbeitet hat (OZ 21, S. 7-8).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung (BFA-Akt, AS 65; OZ 21, S. 15). Hinsichtlich des Vorbringens, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine medizinische Behandlung bezüglich seines Auges erhalten habe (OZ 21, S. 15) ist festzuhalten, dass diesbezüglich seitens des Beschwerdeführers keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden. Zudem ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht (LIB, Kapitel 22). Der Beschwerdeführer hat in Mazar-e Sharif und Herat folglich Zugang zu staatlichen sowie privaten Krankenhäusern. Eine Verminderung der Sehkraft aufgrund des Muttermals am linken Auge liegt nach den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung nicht vor, eine andere Beeinträchtigung wurde weder vorgebracht noch durch ärztliche Atteste belegt (OZ 21, S. 15).

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan zuletzt für das Unternehmen XXXX tätig war. Der Beschwerdeführer führte in diesem Zusammenhang gleichbleibend aus, dass er in diesem Unternehmen Sicherheitsmann für den Innenbereich war und auch Elektroarbeiten durchführte, Kameras wartete und Essen verteilte (BFA-Akt, AS 77; OZ 21, S. 11). Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund der stringenten Angaben des Beschwerdeführers folglich davon aus, dass der Beschwerdeführer im Bereich der Videoüberwachung des Unternehmens tätig war und für Elektroarbeiten eingesetzt wurde. Gleichbleibende Angaben machte der Beschwerdeführer auch im Zusammenhang der Tätigkeit des Unternehmens. So führte er sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung aus, dass die Firma Gemüse lieferte (BFA-Akt, AS 71; OZ 21, S. 11). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Beschwerdeführer lediglich vor dem Bundesamt angab, dass das Unternehmen Gemüse an NATO-Kräfte liefern würde (BFA-Akt, AS 71). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er, befragt, was das Unternehmen genau mache, lediglich an: "Die Firma XXXX hat Obst und Gemüse verpackt, sie in Container gegeben und zum Flughafen Kandahar gebracht." (OZ 21, S. 11). Dass das Unternehmen NATO-Kräfte beliefern würde, brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht mehr vor. Eine Zusammenarbeit mit ausländischen Auftraggebern ergab sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung folglich nur aus der abschließenden Stellungnahme des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers (OZ 21, S. 18-19). Das Bundesverwaltungsgericht geht in der folgenden Beurteilung davon aus, dass das Unternehmen, für das der Beschwerdeführer tätig war, Obst und Gemüse an ausländische Kräfte lieferte.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wonach er aufgrund seiner Tätigkeit für ausländische Unternehmen telefonisch und persönlich von den Taliban bedroht worden sei, wurde aus den folgenden Gründen nicht festgestellt:

Zum Vorbringen der Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban:

Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme vor dem Bundesamt an, dass er zuletzt für eine Gemüsefirma gearbeitet hätte, die die NATO-Kräfte beliefert hätte (BFA-Akt, AS 71). Da diese Firma angegriffen und von den Taliban bedroht worden sei, sei diese geschlossen worden (BFA-Akt, AS 75). Er selbst habe eine Begegnung mit den Taliban gehabt: Zwei Männer seien ihm auf dem Motorrad entgegengekommen und hätten versucht ihn anzuhalten. Er sei auch auf einem Motorrad unterwegs gewesen und hätte sich in die Nähe der Firma, für die er gearbeitet habe, geflüchtet, weil dort Sicherheitskräfte gewesen seien. Dabei sei er vom Motorrad gestürzt und habe sich am Kinn verletzt, einen Zahn abgebrochen und seine Lippe habe genäht werden müssen. Wer diese Männer gewesen seien, wisse er nicht (BFA-Akt, AS 79). Später führte der Beschwerdeführer aus, dass die Männer am Motorrad Taliban gewesen seien und Waffen mit sich geführt hätten (BFA-Akt, AS 87). Zudem seien zwei seiner Brüder und ein Onkel von den Taliban getötet worden (BFA-Akt, AS 87). Aufgrund seiner Tätigkeit für eine Firma in Kabul, die zur US-Botschaft gehört hätte, seien seine Fingerabdrücke registriert worden. Die Taliban hätten mit einem Gerät Zugriff auf diese Fingerabdrücke und könnten damit erkennen, wer für welche ausländische Firmen gearbeitet hätte. Deswegen seien schon viele Menschen getötet worden. Er persönlich sei von den Taliban mit unterdrückter Nummer angerufen und bedroht worden. Auch seine Mitarbeiter und Vorgesetzte seien so bedroht worden. Deshalb habe er die Firma und das Land verlassen (BFA-Akt, AS 83). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte er aus, dass er bei ausländischen Firmen gearbeitet hätte. Einige seiner Mitarbeiter seien umgebracht worden (OZ 21, S. 9). Zwei bis drei Personen seien mit dem Motorrad gekommen. Nachgefragt sei er mit einem Freund auf einem Motorrad gefahren und sie seien von bewaffneten Personen verfolgt worden. Als sie in der Nähe der Firma gewesen seien, sei das Motorrad umgestürzt (OZ 21, S. 10). Er sei auch zwei bis dreimal von den Taliban angerufen worden und sie hätten ihn aufgefordert, ihnen Informationen zu geben und Minen bzw. Bomben für sie zu platzieren. Es gäbe nicht nur die Taliban, sondern auch andere kriminelle Gruppierungen, deshalb sei er aus Angst nach Europa geflüchtet (OZ 21, S. 10). Da seine Fingerabdrücke registriert seien, könne man herausfinden, wo, wann und wie lange er gearbeitet habe. Andererseits würden die War Lords auch immer stärker werden. Deshalb könne er nicht nach Afghanistan zurückkehren (OZ 21, S. 11).

Zur Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban machte der Beschwerdeführer zahlreiche widersprüchliche Angaben:

* So führte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt aus, dass ihm zwei Männer auf einem Motorrad entgegengekommen seien und versucht hätten, ihn anzuhalten. Er selbst sei auch auf einem Motorrad unterwegs gewesen und sei in die Nähe seiner Arbeitsstätte geflüchtet, weil dort Sicherheitskräfte gewesenen seien. Er wisse nicht, wer die Männer gewesen seien (BFA-Akt, AS 79: "[...] da sind 2 Männer auf dem Motorrad mir entgegengekommen, die haben versucht mich anzuhalten, ich war auch auf einem Motorrad und ich bin geflüchtet in die Nähe der Firma, da waren ja Sicherheitskräfte, dort bin ich dann vom Motorrad gestürzt [...]). Später führte er aus, dass die Verfolger auf dem Motorrad Taliban gewesen seien und sie zudem bewaffnet gewesen seien (BFA-Akt, AS 87). In der mündlichen Verhandlung schilderte der Beschwerdeführer hingegen, dass er hinten auf dem Motorrad eines Freundes gesessen sei. Sie seien von ca. zwei bis drei bewaffneten Personen verfolgt worden (OZ 21, S. 10: R: "Sie haben Personen auf einem Motorrad erlebt. Was ist da genau passiert?" BF: "Sie waren auf einem Motorrad und bewaffnet. Ein Freund und ich waren ebenfalls auf einem Motorrad. Sie haben uns verfolgt. Als wir in der Nähe der Company waren, sind wir umgestürzt. Wir waren mit hoher Geschwindigkeit unterwegs. In der Kurve ist das Motorrad ausgerutscht."). Die widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang sind nicht glaubhaft. Angesprochen auf den Widerspruch, dass er vor dem Bundesamt ausgeführt habe, dass er alleine auf dem Motorrad gefahren sei, als ihn zwei Männer verfolgt hätten, führte der Beschwerdeführer aus: "Die Sabrina hat bei der Einvernahme vor dem BFA selbst gesagt, dass sie verrückt wäre und nicht normal. Ich verstehe nicht, warum man so jemanden arbeiten lässt und ich kann für den Fehler nichts." (OZ 21, S. 13). Der Beschwerdeführer gab in diesem Zusammenhang äußerst unzusammenhängende und ausweichende Antworten, was die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers massiv in Zweifel zieht.

* Vor dem Bundesamt führte der Beschwerdeführer aus, dass er telefonisch von den Taliban bedroht worden sei. Auch seine Mitarbeiter und Vorgesetzten seien bedroht worden (BFA-Akt, AS 83). In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer hingegen zum ersten Mal vor, dass einige Mitarbeiter umgebracht worden seien (OZ 21, S. 9). Es handelt sich hierbei um gesteigertes Vorbringen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers betreffend die vorgebrachten Telefonanrufe durch die Taliban. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes wäre es dem Beschwerdeführer zudem möglich gewesen, ein derart einschneidendes Erlebnis wie die Ermordung von anderen Mitarbeitern, die der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung als fluchtauslösendes Element für seinen Aufbruch schilderte, in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt zumindest kurz zu erwähnen.

* Vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer zum Inhalt der Telefongespräche mit den Taliban an, dass sie gesagt hätten, dass er entweder ihrer Gruppe beitreten oder tun solle, was sie ihm sagen würden (BFA-Akt, AS 89). In der Beschwerde führte er aus, dass die Taliban ihm gedroht hätten, er solle seine Tätigkeit für die Amerikaner niederlegen oder für sie arbeiten (S. 3 der Beschwerde). In der mündlichen Verhandlung führte er hingegen aus, dass die Taliban gewollt hätten, dass er für sie arbeite und ihnen Informationen beschaffe und Minen oder Bomben platziere (OZ 21, S. 10). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes hätte es dem Beschwerdeführer hier möglich sein müssen, die Inhalte der Drohanrufe gleichbleibend anzugeben. Aufgrund der dargelegten Widersprüche sind die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers nicht als glaubhaft zu erachten.

* Hinsichtlich der Angaben des Beschwerdeführers zu den persönlichen bzw. telefonischen Bedrohungen durch die Taliban in der Einvernahme beim Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist zunächst festzuhalten, dass diese vollkommen vage und oberflächlich waren. So gab er auf die Frage nach seinen Fluchtgründen im Rahmen der freien Erzählung vor dem Bundesverwaltungsgericht an: "Wie ich vorher erwähnt habe, arbeitete ich bei ausländischen Firmen. Die erste davon hieß ECLS, welche der amerikanischen Botschaft gehörte. Für die Firma die ich nach Kandahar und Bagram arbeiten, das was in Kandahar passierte, veranlasste mich dazu, mit der Arbeit bei der Firma aufzuhören. Und veranlasste mich auch dazu, aus Afghanistan zu flüchten." (OZ 21, S. 9). Auf Nachfrage, was da passiert sei, führte der Beschwerdeführer aus: "Davor wurden dort einige Mitarbeiter umgebracht. Vor der Aufnahme bei dieser Firma wurden wir biometrisch registriert. Im Zuge dessen wurden auch unsere Fingerabdrücke registriert. Es gab mehrere Checkpoints. Sie hatten mehr Wissen über uns al

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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