TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/26 W238 2179347-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.03.2020
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Entscheidungsdatum

26.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W238 2179347-1/35E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung (ohne Zustellvollmacht), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 07.10.2019 und am 05.03.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer stellte am 14.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der Volksgruppe der Hazara schiitisch-muslimischen Glaubens sei. Seine Muttersprache sei Dari; er spreche auch Farsi. Er stamme aus der Provinz Ghazni, habe aber die letzten zwei Jahre mit seiner Familie (Mutter, Geschwister, Ehefrau) im Iran gelebt. Er habe zu Hause Unterricht erhalten. Zuletzt sei er im Iran als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Als Fluchtgrund gab er an, dass er Afghanistan aufgrund finanzieller Probleme verlassen habe. Da er sich illegal im Iran aufgehalten habe und bereits einmal nach Afghanistan abgeschoben worden sei, habe er den Iran verlassen. Nach Afghanistan könne er nicht zurückkehren, weil es dort keine Arbeit für ihn gebe.

3. Anlässlich der am 28.07.2017 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (im Folgenden: BFA), wiederholte der Beschwerdeführer seine Angaben hinsichtlich Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunftsprovinz, Familienstand, Muttersprache und weiterer Sprachkenntnisse sowie Aufenthaltsort seiner Angehörigen im Iran. Er habe sechs Jahre in Afghanistan die Schule besucht. Im Iran habe er auf Baustellen gearbeitet. Er gab an, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehme. Als seine Religion bezeichnete er den schiitischen Islam und führte aus, in Afghanistan nie wegen seines Glaubens verfolgt worden zu sein. Er erläuterte seinen Fluchtgrund, wobei er angab, dass sein Wohnort in Afghanistan nicht sicher gewesen sei. Er habe keine weiterführenden Schulen besuchen können. Arbeit habe er auch keine gefunden. Sein Vater, ein Lehrer, sei ermordet worden; er sei von Unbekannten erschossen worden, als er mit dem Auto unterwegs gewesen sei. Seine Mutter sei mit der Familie daraufhin im Jahr 2014 in den Iran gegangen. Vom Iran aus sei er einmal nach Afghanistan abgeschoben worden. Er sei dann wieder zurück in den Iran gegangen und von dort weiter nach Europa gereist. Als weiteren Fluchtgrund nannte er den Wunsch zu studieren. Der Beschwerdeführer legte Unterlagen zum Beweis seiner Integration in Österreich vor.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 30.11.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wiederholte der Beschwerdeführer zunächst, dass er afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und schiitischer Moslem sei. Sein Fluchtvorbringen ergänzte der Beschwerdeführer dahingehend, dass sein Vater, ein Lehrer, von Taliban getötet worden sei. Sein Auto sei auf dem Heimweg in Brand gesteckt worden. Der Beschwerdeführer habe bei der Einvernahme nicht die Möglichkeit gehabt, sich ausführlich zu seinen Fluchtgründen zu äußern. Im Bescheid sei nicht auf die Todesumstände seines Vaters eingegangen worden, obwohl er diese geschildert habe. Dem Beschwerdeführer stehe im Falle der Rückkehr keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, zumal er Afghanistan bereits mit 13 Jahren verlassen habe und dort über keinerlei Anknüpfungspunkte verfüge. Ein Aufenthaltstitel sei ihm zu Unrecht nicht erteilt worden. Der Beschwerdeführer halte sich seit zwei Jahren in Österreich auf, spreche gut Deutsch. Er sei gewillt, sich weiterzubilden und zu arbeiten.

6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 12.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 07.06.2018 langten eine Vollmachtbekanntgabe des nunmehrigen Rechtsvertreters sowie ein als "Beschwerdeergänzung" bezeichneter Schriftsatz beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde vorgebracht, dass die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei, weshalb der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen ergänzen wolle, das durch konkretes Nachfragen der Behörde leicht "herauszufinden gewesen wäre". Im Anschluss wurde das Fluchtvorbringen in wesentlichen Aspekten (hinsichtlich des Todes des Vaters) ergänzt und erneuert (Apostasie, "westliche Orientierung"). Auch wurden erstmals gesundheitliche Probleme in Form von Gedächtnisverlust und Erinnerungsproblemen des Beschwerdeführers geltend gemacht. Befunde wurden nicht vorgelegt. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er ein "Iran-Rückkehrer" ohne soziales oder familiäres Netz in Afghanistan sei, der einer ethnischen Minderheit angehöre. Er verfüge weder über eine abgeschlossene Schulbildung noch über eine Berufsausbildung und habe im Iran nur Hilfstätigkeiten ausgeführt. Dem Beschwerdeführer stehe daher keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Auch sei der Beschwerdeführer schon sehr gut in Österreich integriert.

8. Am 07.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter sowie zwei Vertreter der belangten Behörde teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen wurde. Nach Eröffnung des Beweisverfahrens und Vorlage von Unterlagen seitens des Beschwerdeführers machte der Beschwerdeführer auf Nachfrage zu seinem aktuellen Gesundheitszustand psychische Probleme seit seiner Kindheit (Konzentrationsstörungen) geltend. In Österreich sei er seit dreieinhalb Jahren in ärztlicher Behandlung, er habe auch Medikamente eingenommen, die jedoch nicht geholfen hätten. Seit fünf bis sechs Monaten sei er nicht mehr in ärztlicher Behandlung. Er legte eine Ambulanzkarte des psychosozialen Dienstes Wien mit fünf Terminen aus dem Jahr 2016 vor. Befunde wurden erneut nicht vorgelegt. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers beantragte die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer an starken Konzentrationsstörungen sowie an Gedächtnisverlust leide. Die Verhandlung wurde zur Durchführung des beantragten Beweises auf unbestimmte Zeit vertagt. Dem Beschwerdeführer wurde unter Bezugnahme auf die ihm obliegende Mitwirkungspflicht aufgetragen, sämtliche Beweismittel bis 21.10.2019 vorzulegen.

9. Der Beschwerdeführer legte am 18.10.2019 sowie (nach Ablauf der ihm gesetzten Frist) am 13.11.2019 medizinische Unterlagen vor.

10. Über Veranlassung des Bundesverwaltungsgereichtes wurde - auf Basis einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 13.11.2019 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie unter Einbeziehung sämtlicher bis dahin vorliegender Unterlagen - ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 28.11.2019 erstattet.

11. Den Parteien des Verfahrens wurden daraufhin Ladungen für eine fortgesetzte mündliche Verhandlung am 05.03.2020 übermittelt. Dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter wurde die Ladung am 17.01.2020 zugestellt. Unter einem wurde den Parteien das Sachverständigengutachten zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 41 Abs. 2 dritter Satz AVG iVm § 17 VwGVG aufgefordert, innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung der Ladung alle ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel geltend zu machen. In diesem Zusammenhang wurde auf die rechtliche Möglichkeit des Gerichtes verwiesen, das Ermittlungsverfahren nach § 39 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG für geschlossen zu erklären.

12. Am 30.01.2020 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung der Frist (u.a.) für die Vorlage weiterer Beweismittel bis zum 27.02.2020.

13. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Verfahrensförderungspflicht nach § 39 Abs. 2a AVG mitgeteilt, dass die Frist zur Geltendmachung von Tatsachen und Beweismitteln um eine Woche bis längstens 14.02.2020 verlängert wird.

14. Am 14.02.2020 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme u.a. zu den in der Ladung angeführten Länderberichten. Medizinische Unterlagen wurden beigeschlossen.

15. Am 28.02.2020 reichte der Beschwerdeführer (erneut außerhalb der ihm gesetzten Frist) medizinische Beweismittel sowie eine weitere Stellungnahme zu seiner gesundheitlichen Situation nach.

16. Die vorgelegten medizinischen Unterlagen wurden dem Sachverständigen zwecks Vorbereitung der Teilnahme an der Verhandlung mit Schreiben vom 02.03.2020 zur Kenntnis gebracht.

17. Am 05.03.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht die fortgesetzte öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter sowie zwei Vertreter der belangten Behörde teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Dari sowie der bereits befasste medizinische Sachverständige zwecks Erörterung und Ergänzung seines Gutachtens vom 28.11.2019 beigezogen wurden.

Der Beschwerdeführer wurde vom Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinen Fluchtgründen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

Nach Einvernahme des Beschwerdeführers erstattete der medizinische Sachverständige ein ergänzendes Sachverständigengutachten, nahm zu den vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen sowie den von ihm vorgelegten Beweismitteln ausführlich Stellung und stand für Fragen zur Verfügung. Im Anschluss daran beantragte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens "zwecks Klärung der Widersprüche zwischen dem bereits vorliegenden Sachverständigengutachten und den vorliegenden Befunden".

Im Zuge der Verhandlung wurden vom Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Der Beschwerdeführer hatte dazu bereits im Vorfeld der Verhandlung am 14.02.2020 eine Stellungnahme erstattet. Die Vertreter der belangten Behörde verwiesen auf die dem Bescheid zugrunde gelegten Berichte.

Der Beschwerdeführer legte die Bestätigung über den Besuch eines Lehrganges zur Absolvierung des Pflichtschulabschlusses vor.

Am Ende der Verhandlung wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 39 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG vom Bundesverwaltungsgericht für geschlossen erklärt. Dem Beweisantrag des Beschwerdeführers wurde mit näherer Begründung nicht gefolgt (vgl. dazu die beweiswürdigenden Erwägungen).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person, Fluchtgründen, Rückkehrmöglichkeit und (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

1.1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch dieses Erkenntnisses enthaltenen Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Muttersprache ist Dari. Er verfügt auch über Sprachkenntnisse in Farsi und Deutsch.

Der Beschwerdeführer ist nach wie vor schiitischer Moslem, hält sich aktuell aber nicht an sämtliche Vorschriften des islamischen Glaubens, wie das tägliche Gebet, das Verbot des Konsums von Schweinefleisch und Alkohol sowie das Fasten zu Ramadan.

Er wurde XXXX in Afghanistan, Provinz Ghazni, Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren. Im Alter von 18 Jahren (im Jahr 2014) reiste er in den Iran aus, wo er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 für knapp zwei Jahre lebte.

Der Beschwerdeführer stellte am 14.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz im Zuge der Erstbefragung mit der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan und seinem illegalen Aufenthalt im Iran. Anlässlich der Einvernahme vor dem BFA nannte er als Fluchtgründe die schlechte Sicherheitslage in seinem Herkunftsort, die fehlenden (Weiter-)Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, den Tod seines Vaters, welcher Lehrer gewesen und unterwegs von Unbekannten erschossen worden sei, sowie seinen Wunsch zu studieren.

In der Beschwerde ergänzte er sein Fluchtvorbringen dahingehend, dass sein Vater von Taliban getötet worden sei. Sein Auto sei auf dem Heimweg in Brand gesteckt worden.

In einem als "Beschwerdeergänzung" bezeichneten Schriftsatz wurde das bisherige Vorbringen erheblich gesteigert und neues Vorbringen erstattet. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass sein Vater Lehrer in Kandahar und Kabul gewesen sei. Im Alter von 13 Jahren sei der Beschwerdeführer in den Iran geflohen. Weshalb im Einvernahmeprotokoll als Zeitpunkt der Ausreise das Jahr 2014 aufscheine, könne er sich nicht erklären. Grund der Flucht sei die Ermordung seines Vaters gewesen. Dieser sei wegen seiner Lehrtätigkeit auf dem Weg von Kandahar in das Heimatdorf angegriffen und ermordet worden. Ein Nachbar habe das Auto des Vaters ausgebrannt mit dem Leichnam gefunden. Zwei bis drei Monate nach der Ermordung des Vaters sei das Haus der Familie in der Nacht bombardiert worden. Der Beschwerdeführer habe dabei Verletzungen erlitten, mit denen Erinnerungsprobleme einhergegangen seien. Die Familie habe flüchten können. Von seiner Mutter wisse er, dass nach der Bombardierung mehrere Männer in das Haus eingedrungen seien, alles beschossen und durchsucht hätten. Dabei seien die Papiere der Familie mitgenommen worden. Im Iran sei der Beschwerdeführer eineinhalb Jahre lang zwei- bis dreimal pro Woche zum Arzt gegangen, um seinen Gedächtnisverlust zu therapieren. Danach habe er drei Jahre u.a. als Bauarbeiter gearbeitet. Der Beschwerdeführer sei entgegen der Niederschrift des BFA nie zu seiner Konfession befragt worden. Er sei bereits in Afghanistan säkular erzogen worden. Auch im Iran habe der Beschwerdeführer keine Moschee besucht. Er empfinde sich selbst als Atheist, lehne die Einhaltung religiöser Vorschriften ab, trinke Alkohol, esse Schweinefleisch und faste nicht. Das Vorbringen des Beschwerdeführers verstoße nicht gegen das Neuerungsverbot, da das Verfahren der Behörde mangelhaft gewesen sei. Der Beschwerdeführer würde in Afghanistan wegen Apostasie aus religiösen Gründen verfolgt werden. Zudem wäre der Beschwerdeführer als "westlich orientierter" Mann bzw. Rückkehrer aus dem Westen, der traditionelle und religiöse Moralvorstellungen ablehne bzw. die österreichischen Wert- und Moralvorstellungen teile, in Afghanistan Verfolgung ausgesetzt.

In der Verhandlung am 05.03.2020 wurde vorgebracht, dass der Vater des Beschwerdeführers Christ und seine Mutter Moslemin gewesen seien. Sein Vater sei wegen des christlichen Glaubens getötet worden. Die unbekannten Täter hätten danach versucht, auch die Familie des Beschwerdeführers umzubringen.

Aufgrund des Glaubens seines Vaters seien seine Eltern zudem nach der Heirat vom Erbe ausgeschlossen und von Verwandten angefeindet worden.

Seinen Glauben an den Islam habe der Beschwerdeführer bereits im Iran aufgegeben. Religiöse Vorschriften habe er nie eingehalten. Dies habe er nach der Einreise in Österreich im Asylverfahren aber nicht vorgebracht, weil ihm noch nicht klar gewesen sei, dass er in Österreich frei über seinen Glauben sprechen könne. Der Beschwerdeführer bezeichnete sich in der Verhandlung zunächst als Atheist. Sodann gab er auf Nachfrage des Gerichtes an, an Gott zu glauben, jedoch Religionen abzulehnen. Die Angehörigen der islamischen Religion würden einander gegenseitig töten und bekämpfen. Außerdem würden Frauen- und Kinderrechte nicht eingehalten.

Nach Afghanistan könne er nicht zurückkehren, weil er den Islam ablehne und "sie" denken würden, er stamme aus einer Familie "Ungläubiger".

Weiters wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer als "Iran-Rückkehrer" und als Rückkehrer aus Europa wegen der Anpassung an die österreichische Gesellschaft und seiner "westlichen Orientierung" die Unterstellung einer oppositionellen politischen ("westlichen") bzw. unislamischen Gesinnung in Afghanistan zu gewärtigen habe.

Schließlich wurde eine Verfolgung von Hazara in Afghanistan geltend gemacht.

Zu den vorgebrachten Fluchtgründen wird vom erkennenden Gericht im Einzelnen Folgendes festgestellt:

Weder war der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt noch wäre er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan einer solchen - etwa in Form einer Verfolgung durch nichtstaatliche oder staatliche Akteure wegen der Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters - ausgesetzt.

Der Vater des Beschwerdeführers war nicht Christ. Die Eltern des Beschwerdeführers wurden von Verwandten (aus diesem Grund) weder enterbt noch angefeindet.

Der Vater des Beschwerdeführers arbeitete als Lehrer und wurde im Jahr 2014 getötet, als er mit dem Auto unterwegs war.

Einige Monate danach kam es im Zuge von Gefechten im Heimatdorf des Beschwerdeführers zu einem - nicht gezielt gegen die Familie gerichteten - Granaten- bzw. Bombeneinschlag im Haus der Familie. Es wird nicht festgestellt, dass nach diesem Vorfall Männer in das Haus der Familie eindrangen, schossen, das Haus durchsuchten und die Papiere der Familie mitnahmen.

Die Mutter des Beschwerdeführers reiste nach dem Granaten- bzw. Bombeneinschlag im Haus mit ihm und seinen Geschwistern in den Iran aus.

Von wem, unter welchen genauen Umständen und aus welchem Grund der Vater des Beschwerdeführers getötet wurde, kann nicht festgestellt werden. Ob der Tod des Vaters gezielt und aus asylrelevanten Motiven, etwa wegen der beruflichen Tätigkeit des Vaters, oder im Zuge allgemeiner Kampfhandlungen herbeigeführt wurde, kann ebenso wenig festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer hat allfällige Feinde seines Vaters nie gesehen bzw. kennengelernt.

Dem Beschwerdeführer würde im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan im Zusammenhang mit dem zumindest sechs Jahre zurückliegenden Tod seines Vaters oder mit der beruflichen Tätigkeit seines Vaters nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit und Aktualität Verfolgung (von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren) drohen.

Insbesondere hätte er in Afghanistan aufgrund des (muslimischen) Glaubens seines Vaters keine Verfolgung zu gewärtigen.

Der Beschwerdeführer, ein schiitischer Moslem, wuchs in Afghanistan eingebettet in den afghanischen Familienverband als Angehöriger der muslimischen Religion auf und lebte ab dem 18. Lebensjahr im islamisch geprägten Iran. Er hält sich allerdings gegenwärtig nicht an die Vorgaben der islamischen Religion. Er betet nicht fünfmal täglich und fastet auch nicht zu Ramadan; er isst Schweinefleisch und trinkt gelegentlich Alkohol. Der Beschwerdeführer glaubt jedoch weiterhin an Gott, hat sich nicht aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und dies auch nie öffentlich zum Ausdruck gebracht. Auch ist eine areligiöse Überzeugung kein wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden; er versteht eine Konfessionslosigkeit nicht als eigene innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, das er auch in Afghanistan leben würde. Er ist nach außen hin weder religionsfeindlich noch jemals spezifisch gegen den Islam aufgetreten. Der Beschwerdeführer hat sich auch nicht aktiv einer neuen religiösen Überzeugung zugewendet.

Auch wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich knapp zwei Jahre im Iran aufhielt und seit November 2015 in Europa lebt, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre. Er hat keine "westliche Lebenseinstellung" als wesentlichen Bestandteil seiner Identität angenommen, welche im Widerspruch zur Gesellschaftsordnung in Afghanistan steht. Eine solche würde ihm auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unterstellt werden.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet:) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Hazara), seiner Religion (schiitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung ausgesetzt wäre.

1.1.3. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wird festgestellt, dass er derzeit an keinen (lebensbedrohenden) Krankheiten leidet. Er ist körperlich völlig gesund.

Vorausgeschickt wird, dass die aktuell vorherrschende - in Afghanistan derzeit aber noch ohne Meldung großer Fallzahlen aufgetretene - Pandemie aufgrund des Corona-Virus kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Zum psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist vorauszuschicken, dass er selbst in der Verhandlung lediglich angab, unter Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen sowie Schlaflosigkeit zu leiden.

Beim Beschwerdeführer besteht als gesicherte Diagnose eine Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion (ICD-10: F43.21.). Es liegen insoweit eine leichtgradige depressive Symptomatik mit subdepressiver Stimmungslage, negativ getönter Befindlichkeit und Einschlafstörung vor.

Es ist zwar nicht auszuschließen, dass eine Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat aufgrund der daraus erwachsenen psychischen Belastung zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Anpassungsstörung führen könnte. Die psychiatrische Beschwerdesymptomatik ist jedoch auch im Herkunftsstaat behandelbar. Der Beschwerdeführer befindet sich in Österreich seit dem Jahr 2016 unregelmäßig in psychologischer und psychiatrischer Behandlung bzw. Therapie. Er ist auf eine antidepressive und schlaffördernde Medikation eingestellt, die bereits zu einer Besserung der Symptomatik führte. Derzeit erhält der Beschwerdeführer Tresleen 50 mg 1x1 und Trittico retard 150 mg 2/3 abends. Eine Weiterführung der medikamentösen Behandlung ist erforderlich, wobei der Beschwerdeführer auch andere Medikamente mit gleicher Wirkung einnehmen kann. Eine stützende psychologische/psychotherapeutische Therapie wäre für einen weiteren Heilungsverlauf förderlich; notwendig ist eine solche aber nicht.

Beim Beschwerdeführer liegt keine psychische Erkrankung in einem Ausmaß vor, welche die Wahrnehmungsfähigkeit oder die Wiedergabefähigkeit beeinträchtigen würde. Es ist auch keine psychische Erkrankung fassbar, die den Beschwerdeführer außer Stande setzen würde, Erlebtes wiederzugeben und Fragen adäquat zu beantworten.

Es liegt keine psychische Erkrankung in einem Ausmaß vor, die zu einer Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit bzw. zu einer Störung der Gedächtnisleistung führen würde. Es liegt auch keine maßgebliche Störung der Konzentrationsfähigkeit vor.

Es ist keine psychische Störung gegeben, die medizinisch erklärt, warum der Beschwerdeführer bei den bisherigen Einvernahmen unterschiedliche Angaben zu seiner Religionszugehörigkeit gemacht hat.

Dass der Beschwerdeführer - über die festgestellte psychiatrische Beschwerdesymptomatik hinaus - aktuell an einem stumpfen Schädel-Hirn-Trauma bzw. an ausgeprägten neurokognitiven Störungen nach Schädel-Hirn-Trauma, an komplexer/chronischer posttraumatischer Belastungsstörung oder an Depressio mit derzeit mittelschwerer bzw. schwerer depressiver Episode leidet, konnte nicht festgestellt werden. Ebenso wenig konnten bei ihm ausgeprägte kognitive Schwierigkeiten, eine verlangsamte Auffassungsgabe, Konzentrationsstörungen, eine Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, deutliche Schwierigkeiten beim Erinnerungsabruf länger zurückliegender Ereignisse, eine deutliche Beeinträchtigung in allen Lebensbereichen oder Suizidgedanken festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig. Es liegt keine psychische Erkrankung vor, die ihn in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würde. Seine Arbeitsfähigkeit ist für Tätigkeiten mit einfachem bis mittlerem geistigem Anforderungsprofil (unabhängig von einer Behandlungsmöglichkeit im Herkunftsstaat) gegeben. Der Beschwerdeführer ist auch in der Lage, sich im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aktiv um einen Arbeitsplatz zu bemühen.

Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan vier Jahre die Schule; zusätzlich erhielt er zwei Jahre Heimunterricht. Er kann lesen und schreiben.

Im Iran arbeitete der Beschwerdeführer auf Baustellen und in einem Lebensmittelgeschäft. Mit diesem Einkommen sorgte er für seinen Unterhalt sowie für den Unterhalt seiner Mutter.

Der Vater des Beschwerdeführers kam im Jahr 2014 in Afghanistan ums Leben. Die Mutter, zwei Brüder und eine Schwester sowie die Ehefrau des Beschwerdeführers leben im Iran. Die Familie lebt von Ersparnissen und dem Erlös vom Verkauf ihres Hauses. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie.

Weiters hat der Beschwerdeführer Angehörige in Afghanistan (z.B. Onkeln mütterlicherseits und väterlicherseits sowie deren Familien). Wo diese leben, konnte nicht festgestellt werden. Sie besitzen in Afghanistan Vermögen.

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer (oder seine Kernfamilie) ein schlechtes Verhältnis mit den in Afghanistan lebenden Verwandten hat.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal die Provinz für den Beschwerdeführer nicht sicher erreichbar wäre.

Der Beschwerdeführer kann sich stattdessen im Rückkehrfall in einer der relativ sicheren Städte Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen und mittelfristig dort eine Existenz aufbauen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und einer in Afghanistan gesprochenen Sprache vertraut und wuchs in einem afghanischen Familienverband auf. Nach seiner Ausreise aus Afghanistan im Alter von 18 Jahren lebte der Beschwerdeführer im Iran mit seiner Familie weiterhin nach der afghanischen Tradition. Der Beschwerdeführer lebte zwar nie in Herat oder Mazar-e Sharif und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts des sechsjährigen Unterrichts, seiner Schreib- und Lesekompetenz, seiner Sprachkenntnisse (Dari, Farsi, Deutsch), seines stabilen Gesundheitszustandes, seiner Arbeitsfähigkeit und seiner auf Baustellen und in einem Lebensmittelgeschäft gewonnenen beruflichen Erfahrungen könnte sich der Beschwerdeführer dennoch sowohl in Herat als auch in Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese zumindest anfänglich mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Ihm wäre der Aufbau einer Existenzgrundlage in Herat oder Mazar-e Sharif möglich. Er ist in der Lage, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat weiters die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif auf dem Luftweg (via Kabul) sicher erreichen.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet mit XXXX . Er hat keine Kinder. Er hat Familie in Afghanistan und im Iran. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten.

Der Beschwerdeführer verfügt über freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen.

Er erledigte in Österreich ehrenamtliche Arbeit sowie (entlohnte) gemeinnützige Arbeit. Konkret übernahm der Beschwerdeführer Dolmetschertätigkeiten, Reinigungsarbeiten im Quartier und Pflege älterer Personen. Er organisierte in der Asylunterkunft für ca. sechs Monate Deutschkurse und vermittelt im Wege des Roten Kreuzes regelmäßig in seiner Muttersprache Erste-Hilfe-Regeln an andere Asylwerber.

Des Weiteren absolvierte der Beschwerdeführer Deutschkurse auf Niveau A2 und B1, legte jedoch bislang keine Deutschprüfung erfolgreich ab. Er besuchte die Veranstaltungen "gewaltfreie Kindererziehung", "kostenlose Freizeitangebote in Wien und Kulturpass" sowie "Umgang mit Gewalt". Er nahm an einer 12-teiligen Dialogreihe des BMI teil. Er absolvierte einen Brückenkurs als Vorbereitung für den Pflichtschulabschluss. Seit 03.02.2020 besucht der Beschwerdeführer den Pflichtschulabschlusskurs.

Die Bindung des Beschwerdeführers zu Afghanistan ist angesichts seiner Aufenthaltsdauer im Herkunftsstaat in den ersten 18 Lebensjahren - insbesondere auch unter dem Aspekt seiner Sozialisierung in einem afghanischen Familienverband, seiner Muttersprache Dari und der daraus abgeleiteten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur sowie der Beibehaltung afghanischer Traditionen während seines knapp zweijährigen Aufenthalts im Iran im Kreis seiner Familie - deutlich intensiver als jene zu Österreich, zumal noch Angehörige von ihm in Afghanistan leben. Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung am 14.11.2015 im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

1.2.1. Betreffend die Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, die in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie die in Berichten von EASO - EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2019, EASO Afghanistan Security Situation von Juni 2019, EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Key socio-economic indicators Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von April 2019 - enthaltenen Informationen wie folgt auszugsweise festgestellt:

Sicherheitslage:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB 13.11.2019, S. 12).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban

Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Ghazni

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Ghazni liegt an keiner internationalen Grenze. Die Provinz ist in 19 Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt sowie Distrikte Ab Band, Ajristan, Andar (auch Shelgar genannt), De Hyak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur, Nawa, Nawur, Qara Bagh, Rashidan, Waghaz, Wali Muhammad Shahid (Khugyani) und Zanakhan. Nach Schätzungen der CSO für den Zeitraum 2019-20 leben 1.338.597 Menschen in Ghazni. Die Provinz wird von Paschtunen, Tadschiken und Hazara sowie von mehreren kleineren Gruppen wie Bayats, Sadats und Sikhs bewohnt. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken.

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben.

Aufgrund der Präsenz von Taliban-Aufständischen in manchen Regionen der Provinz, gilt Ghazni als relativ unruhig, so standen beispielsweise Ende 2018, einem Bericht zufolge, acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft. Im Jänner 2019 wurde berichtet, dass die administrativen Angelegenheiten der Distrikte Andar, Deh Yak, Zanakhan, Khwaja Omari, Rashidan, Jaghatu, Waghaz und Khugyani aufgrund der Sicherheitslage bzw. Präsenz der Taliban nach Ghazni-Stadt oder in die Nähe der Provinzhauptstadt verlegt wurden. Aufgrund der Sicherheitslage sei es für die Bewohner schwierig, zu den neuen administrativen Zentren zu gelangen. Dem Verteidigungsminister zufolge, sind in der Provinz mehr Taliban und Al-Qaida-Kämpfer aktiv, als in anderen Provinzen. Dem Innenminister zufolge, hat sich die Sicherheitslage in der Provinz verschlechtert und die Taliban erlitten bei jüngsten Zusammenstößen schwere Verluste.

In Ergänzung zur Afghan National Police (ANP), der Afghan Local Police (ALP) und der paramilitärischen Kräfte des National Directorate of Security (NDS) entsteht im Distrikt Jaghuri im Rahmen eines Pilotprojekts eine neu eingerichtete Afghan National Army Territorial Force. Diese lokale Einheit soll die Bevölkerung schützen und Territorium halten, ohne von lokalen Machthabern oder Gruppeninteressen vereinnahmt zu werden. Während des Angriffs auf Ghazni-Stadt im August 2018 wurden die afghanischen Regierungskräfte von US-amerikanischen Streitkräften unterstützt - laut einer Quelle nicht nur durch Luftangriffe, sondern auch von US-Spezialeinheiten am Boden. Ghazni liegt im Verantwortungsbereich des 203. ANA Tandar Corps das der Task Force Southeast untersteht, die von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird.

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden (UNAMA 24.2.2019). Im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA Ghazni mit insgesamt 186 zivilen Opfern (77 Tote, 109 Verletzte) zu den fünf Provinzen mit den größten Auswirkungen des Konflikts auf Zivilisten in Afghanistan.

Einem UN-Bericht zufolge, war Ghazni neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistans. Mehr als die Hälfte aller Luftangriffe fanden in diesem Zeitraum in den Provinzen Helmand und Ghazni statt. Anfang April 2019 beschloss die Regierung die "Operation Khalid", welche unter anderem auf Ghazni fokussiert. Auch die Winteroperationen 2018/2019 der ANDSF konzentrierten sich unter anderem auf diese Provinz. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen; ebenso werden Luftangriffe in der Provinz durchgeführt. Bei manchen militärischen Operationen werden beispielsweise Taliban getötet. Außerdem kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Auch verlautbarte die Regierung im September 2019 nach wie vor Offensiven gegen die Aufständischen in der Provinz zu führen, um das Territorium der Taliban zu verkleinern.

Mitte August 2018 eroberten die Taliban große Teile der Stadt Ghazni, was zu heftigen Kämpfen zwischen den Aufständischen und den Regierungskräften führte. Nach fünf Tagen erlangte die Regierung wieder die Kontrolle über die Provinzhauptstadt. Die dabei durchgeführten Luftangriffe führten zu zivilen Opfern und zerstörten Häuser von Zivilisten (. UNAMA verzeichnete 262 zivile Opfer (79 Tote, 183 Verletzte) im Zusammenhang mit dem Talibanangriff im August 2018. Zeitgleich mit dem Angriff auf die Stadt Ghazni eroberten die Taliban den Distrikt Ajristan westlich der Provinzhauptstadt. Im November 2018 starteten die Taliban eine Großoffensive gegen die von Hazara dominierten Distrikte Jaghuri und Malistan, nachdem die Aufständischen bereits Ende Oktober das benachbarte Khas Uruzgan in der Provinz Uruzgan angegriffen hatten. Bis Ende November 2018 wurden die Taliban aus Jaghuri und Malistan vertrieben.

(LIB 13.11.2019, S. 87 ff.).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

Balkh

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89; S. 92f).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019).

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108f). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89, S. 99f).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD, Sicherheitslage und sozio-ökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 02.10.2019, 3.1.).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul.

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht "man kenne seine Nachbarn nicht mehr". Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin.

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch. Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind, leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans.

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen.

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an.

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt.

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara.

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden.

(LIB 13.11.2019, S.290 ff.).

Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben

Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie.

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor.

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung ge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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