TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/30 W260 2200666-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.03.2020
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Entscheidungsdatum

30.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W260 2200666-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg, vom 04.06.2018, Zl. 1118932905/160836010, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer") reiste illegal ins Bundesgebiet ein und hat am 14.06.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.06.2016 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zusammengefasst an, er wäre afghanischer Staatsangehöriger, würde der Volksgruppe der Paschtunen angehören, wäre sunnitischer Moslem und würde aus der Provinz Laghman stammen. Die Eltern und zwei Brüder des Beschwerdeführers würden in Afghanistan leben. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er wäre aufgrund der Armut und der unsicheren Lage ausgereist. Befragt, was er im Fall einer Rückkehr in seine Heimat zu befürchten hätte, wisse er nicht.

3. Ein vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "belangte Behörde") in Auftrag gegebenes Gutachten zur Altersfeststellung des Beschwerdeführers vom 06.10.2016 hat ergeben, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung am 28.08.2016 ein Mindestalter von 17 Jahren vorliegt.

4. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 28.12.2016 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die belangte Behörde feststellt hat, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX geboren wurde.

5. Nach Zulassung zum Asylverfahrensverfahren wurde der Beschwerdeführer am 25.01.2017 von der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor. Er gab zusammengefasst an, dass er gesund wäre und bestätigte, wie in der Erstbefragung ausgeführt, seine Volksgruppenzugehörigkeit, seine Religionszugehörigkeit und seine Herkunftsprovinz. Er hätte sechs Jahre lang die Schule in seinem Dorf besucht. Der Beschwerdeführer hätte nicht gearbeitet. Für den Lebensunterhalt wäre sein Vater aufgekommen. Außer seinen Eltern und seinen Brüdern, würden noch ein Onkel und eine Tante mütterlicherseits im Heimatdorf des Beschwerdeführers leben. Er hätte in der Erstbefragung nicht die ganze Wahrheit gesagt, da er Angst vor einer Abschiebung gehabt hätte. Es wäre auch nicht rückübersetzt worden. Heute würde er aber die ganze Wahrheit sagen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer erstmals zusammengefasst an, er hätte auf dem Rückweg von der Moschee Orangen von einem fremden Baum gepflückt und wäre vom Eigentümer des Obstes mit einer Schaufel auf den Fuß geschlagen worden. Zur Verteidigung hätte der Beschwerdeführer mit einem Stein nach dem Mann geworfen. Der Mann wäre umgekippt und der Beschwerdeführer schnell nach Hause gelaufen. Kurze Zeit später wären Leute zu ihnen nach Hause gekommen und hätten zum Vater des Beschwerdeführers gesagt, dass der Mann, den der Beschwerdeführer mit dem Stein getroffen hätte, verstorben wäre. Der Beschwerdeführer wäre durch die Hintertüre raus und zu seinem Onkel, der im selben Dorf wohnen würde, geflohen und hätte sich dort versteckt. Die Leute hätte das Haus seiner Eltern durchsucht, wären aber wieder gegangen, da sie den Beschwerdeführer nicht gefunden hätten. Der getötete Mann hätte Verbindungen zu den Taliban gehabt. In der darauffolgenden Nacht hätten diese Leute das Haus seiner Eltern angezündet. Der Onkel des Beschwerdeführers hätte den Beschwerdeführer daher nach Kabul und weiter außer Landes geschickt.

6. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu einem Tötungsdelikt in Afghanistan wurde ein Strafverfahren/Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der "Benachrichtigung von der Einstellung des Verfahrens" der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 27.04.2018 ist zu entnehmen, dass das Verfahren gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde, da kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung besteht.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 04.06.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe, wonach er einen Mann, der den Taliban nahestehen würde, aus Notwehr getötet habe, und deshalb aus Furcht vor den Taliban bzw. einer Strafverfolgung durch die afghanischen Behörden ausgereist sei, nicht habe glaubhaft machen können.

Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

8. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften und wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen.

9. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 11.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Mit E-Mail vom 11.01.2019 übermittelte die belangte Behörde ein Schreiben der afghanischen Behörde (Innenministerium) vom 22.12.2018 in englischer Sprache, wonach es keine Informationen über den vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfall in der Provinz Laghman geben würde.

11. Mit Schreiben vom 18.11.2019 übermittelte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsunterlagen.

12. Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht am 24.01.2020 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den Beschwerdeführer keine Verurteilungen aufscheinen.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.01.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters, eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu sowie in Anwesenheit eines Vertreters der belangten Behörde zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. Der Beschwerdeführer legte in der Beschwerdeverhandlung Integrationsunterlagen vor, die als Beilage ./I zum Akt genommen wurden. Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren vom Bundesverwaltungsgericht eingebracht: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stand: 13.11.2019; UNHCR- Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan vom Juni 2018, Seiten 21-25 und 98-109; Auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan 06/2019, Versorgungslage.

Den Parteien des Verfahrens wurde die Möglichkeit eingeräumt, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

14. Der Beschwerdeführer und die belangte Behörde gaben keine Stellungnahme ab.

15. Das Bundesverwaltungsgericht legte diesem Erkenntnis eine aktualisierte Rechtsmittelbelehrung bei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Provinz Lagham in Afghanistan, er ist afghanischer Staatsangehöriger.

Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Moslem, gesund, ledig und kinderlos.

Seine Muttersprache ist Paschtu.

Der Beschwerdeführer lebte von Geburt an bis zu seiner Ausreise nach Österreich gemeinsam mit seinen Eltern und Brüdern in einem Dorf in der Provinz Lagham in Afghanistan.

Er hat ebendort sechs Jahre lang die Schule besucht. Er hat keine Berufsausbildung absolviert. Der Vater ist in der Landwirtschaft tätig und hat den Lebensunterhalt der Familie bestritten. Ein Onkel und eine Tante mütterlicherseits leben im Heimatdorf des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist Zivilist.

Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer reiste 2016 aus Afghanistan aus und gelangte über den Iran, weitere Staaten und Ungarn nach Österreich, wo er illegal einreiste.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer stellte am 14.06.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan an keiner Auseinandersetzung mit einem Mann beteiligt. Der behauptete Diebstahl von Obst durch den Beschwerdeführer und der darauffolgende Streit mit dem Eigentümer der Obstbäume hat nicht stattgefunden. Der Beschwerdeführer war nicht an der Tötung eines Menschen beteiligt.

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle ihrer/seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische und/oder physische Gewalt von staatlicher Seite, und/oder von Aufständischen, und/oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Auch sonst haben sich im gesamten Verfahren keine Hinweise für eine dem Beschwerdeführer in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

1.3.1. Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Laghman aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der Aufenthaltsort der Eltern, Geschwister, des Onkels und der Tante mütterlicherseits ist derzeit nicht bekannt.

Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu seiner Familie.

Die Familie des Beschwerdeführers besitzt ein Eigentumshaus im Heimatdorf des Beschwerdeführers. Vor der Ausreise des Beschwerdeführers hat der Vater des Beschwerdeführers als Traktorfahrer in der Landwirtschaft gearbeitet und die Familie versorgt. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Familie derzeit finanziell nicht. Die Familie des Beschwerdeführers kann ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan nachhaltig nicht finanziell unterstützen.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandte in Mazar-e Sharif.

Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.3.2. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 30.03.2020, 08:00 Uhr, 8.958 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 97 Todesfälle; in Afghanistan wurden bislang ca. 40 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei ein diesbezüglicher Todesfall bestätigt wurde.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Der Beschwerdeführer ist nicht Angehöriger dieser Risikogruppe.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im Juni 2016 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Er bezog von seiner Einreise an bis August 2019 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung. Ab 05.08.2019 wurde der Beschwerdeführer von der Grundversorgung abgemeldet. Er arbeitet als Paketzusteller, ist selbsterhaltungsfähig und wohnt in einer privaten Mietwohnung.

Der Beschwerdeführer besuchte diverse Deutschkurs und hat zuletzt im Jänner 2018 die Prüfung A2 absolviert. Er verfügt über dem Niveau entsprechende Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen. Er hat österreichische Freunde und Bekannte, es konnten aber keine substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 17.1).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden, und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB, Kapitel 17.1).

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Haqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).

Al-Qaida:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 2).

1.5.9. Provinzen und Städte

1.5.9.1. Herkunftsprovinz Laghman:

Laghman liegt im Osten Afghanistans. Die Provinz wird hauptsächlich von Paschtunen bewohnt, gefolgt von tadschikischen und paschaiischen Stämmen. Die Provinz hat 484.952 Einwohner (LIB, Kapitel 3.20).

Sowohl im Oktober 2018 als auch Jänner 2019 nahm die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen ab. In einigen abgelegenen Distrikte wurde ein Anstieg der Aktivitäten von Taliban- und ISKP-Militanten verzeichnet. Laghman gilt, gemeinsam mit anderen Provinzen, als eine Hochburg des ISKP. Taliban und ISKP bekämpfen sich in dieser Provinz gegenseitig. In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durch afghanische Sicherheitskräfte durchgeführt. Im Jahr 2018 gab es 271 zivile Opfer (93 Tote und 178 Verletzte) in der Provinz Laghman. Die Hauptursachen für Opfer waren Bodengefechte, gefolgt von gezielten Tötungen und Kampfmittelrückständen/Minen (LIB, Kapitel 3.20).

In der Provinz Laghman reicht eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht aus, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.5.9.2. Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

1.5.10. Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seiner Schulbildung, seiner fehlenden Berufsausbildung und Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist und dort zur Schule gegangen ist.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt (vgl. AS 189) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Verlassens seines Heimatlandes minderjährig war. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte dieses Vorbringens kann nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ist entsprechend diesen höchstgerichtlichen Vorgaben eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung erforderlich (Ra 2018/18/0150).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass es nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung, dies insbesondere im Hinblick auf die Schilderung der Fluchtgeschichte bedarf (etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020). Dies bedeutet allerdings nicht, dass jegliche Angaben eines Minderjährigen als wahr anzusehen sind.

2.2.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

2.2.3. Der Beschwerdeführer gab als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er in seinem Heimatdorf Orangen von einem fremden Baum gepflückt hätte und vom Eigentümer des Obstes mit einer Schaufel auf den Fuß geschlagen worden wäre. Zur Verteidigung hätte der Beschwerdeführer mit einem Stein nach dem Mann geworfen. Der Mann wäre umgekippt und der Beschwerdeführer schnell nach Hause gelaufen. Kurze Zeit später wären Leute zu ihnen nach Hause gekommen und hätten zum Vater des Beschwerdeführers gesagt, dass der Mann, den der Beschwerdeführer mit dem Stein getroffen hätte, verstorben wäre. Der Beschwerdeführer wäre durch die Hintertüre raus und zu seinem Onkel, der im selben Dorf wohnen würde, geflohen und hätte sich dort versteckt. Die Leute hätten das Haus seiner Eltern durchsucht, wären aber wieder gegangen, da sie den Beschwerdeführer nicht gefunden hätten. Der getötete Mann hätte Verbindungen zu den Taliban gehabt. In der darauffolgenden Nacht hätten diese Leute das Haus seiner Eltern angezündet. Der Onkel des Beschwerdeführers hätte den Beschwerdeführer daher nach Kabul und weiter außer Landes geschickt.

Bereits die belangte Behörde wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine asylrelevante Verfolgungsgefahr als nicht schlüssig und nachvollziehbar, sowie als nicht genügend substantiiert. Der Beschwerdeführer war aus Sicht der belangten Behörde nicht in der Lage, konkret und detailliert über seine Erlebnisse zu sprechen und hat sein Vorbringen auch in wesentlichen Punkten nur auf Vermutungen gestützt. Im Laufe des Beschwerdverfahrens verstärkte sich der Eindruck der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers noch, da er auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage war, eine derzeitige, ihn selbst betreffende asylrelevante Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat aufzuzeigen.

2.2.4. Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass es zwischen den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Erstbefragung und der Einvernahme bei der belangten Behörde gravierende Widersprüche gibt bzw. der Beschwerdeführer sein späteres Fluchtvorbringen in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt hat. In der Erstbefragung gab er nämlich lediglich an, er hätte Afghanistan wegen der Armut und der unsicheren Lage verlassen (vgl. AS 9). Das Gericht würdigt - wie bereits erwähnt -, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erstbefragung und der Einvernahme bei der belangten Behörde noch minderjährig war. Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung auch nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061).

Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht.

Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben - unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind - einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN). Es ist davon auszugehen, dass jemand, der ein derartig einschneidendes Erlebnis, wie die Tötung eines anderen Menschen, wenn auch angeblich in Notwehr und nicht mit Tötungsabsicht, erlebt hat, bereits in der Erstbefragung zumindest kurz davon berichtet. Der Beschwerdeführer hat in der Erstbefragung aber mit keinem Wort erwähnt, dass es eine private Auseinandersetzung in seinem Heimatdorf gegeben hat, bei der ein Mensch ums Leben gekommen ist und auch nicht, dass dieser Vorfall eine Bedrohung durch die Taliban zur Folge gehabt hätte.

In der Einvernahme bei der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer dazu auf die Frage, ob bei der Erstbefragung alles richtig protokolliert und rückübersetzt wurde an, dass er damals nicht die ganze Wahrheit gesagt hätte. Er hätte Angst vor einer Abschiebung gehabt. Aber heute würde er die ganze Wahrheit sagen. Es wäre auch nicht rückübersetzt worden. Auf Nachfrage, woher er den Inhalt trotz der nicht erfolgten Rückübersetzung kenne, antwortete der Beschwerdeführer, dass die Dolmetscherin ihm nicht gesagt hätte, dass diese Einvernahme etwas mit dem Verfahren zu tun hätte. Sie hätte ihm auch nicht gesagt, dass er die Wahrheit sagen soll. Die Dolmetscherin hätte ihm Angst gemacht. Sie hätte etwas von Fingerabdrücken in Ungarn gesagt und dass alle nach Ungarn zurückgeschickt werden würden (vgl. AS 189f). Die belangte Behörde hat diesem Vorbringen bereits zu Recht entgegenhalten, dass dadurch der Eindruck entsteht, dass der Beschwerdeführer wahrheitsmäßige Aussagen nur zu seinem persönlichen Vorteil nutzen will und zudem nicht gewillt ist, grundsätzlich wahrheitsgemäße Aussagen zu tätigen (vgl. AS 359).

Aus Sicht des erkennenden Richters sind die Angaben des Beschwerdeführers, weshalb er seine Fluchtgründe in der Erstbefragung nicht erwähnt hat, als Schutzbehauptung zu werten. Dem Beschwerdeführer wurde die Erstbefragung rückübersetzt und er hat mit seiner Unterschrift bestätigt, alles verstanden zu haben (vgl. AS 11). Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Dolmetscherin ein Interesse daran gehabt hat, den Beschwerdeführer einzuschüchtern oder falsch zu übersetzen. Zudem gab der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung auch an, dass er sowohl bei der Erstbefragung als auch bei der Einvernahme bei der belangten Behörde alles richtig gesagt hätte, ihm die Niederschrift der Erstbefragung und der Einvernahme bei der belangten Behörde rückübersetzt wurde und er die Dolmetscher sowohl bei der Erstbefragung als auch bei der Einvernahme bei der belangten Behörde gut verstanden hätte (vgl. S 15f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 30.01.2020).

Dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung seinen späteren Fluchtgrund nicht erwähnt hat, muss ihm daher - auch in Anbetracht seiner damaligen Minderjährigkeit und den Ausführungen zur Beweiskraft der Erstbefragung - zu Last gelegt werden und mindert seine Glaubwürdigkeit.

2.2.5. Der Beschwerdeführer hat sein Fluchtvorbringen, dass er eine Auseinandersetzung mit einem Mann gehabt hätte, diesen dabei erschlagen hätte und daraufhin gesucht worden wäre, sowie das Haus seiner Eltern in Brand gesetzt worden wäre, zwar in der Einvernahme bei der belangten Behörde und in der Beschwerdeverhandlung im Wesentlichen gleichbleibend erzählt und sind keine besonderen Widersprüche in seinen Aussagen erkennbar.

Dennoch enthält das Vorbringen einige Ungereimtheiten und konnte der Beschwerdeführer in Summe nicht glaubhaft machen, dass er die Vorfälle tatsächlich selbst erlebt hat:

Die belangte Behörde bemängelte zu Recht, es wäre nicht nachvollziehbar, dass 20 bis 30 Minuten nach der Tat, nämlich dem tödlichen Steinwurf auf den Mann aus seinem Dorf, bereits Familienmitglieder dieses Mannes vor der Haustüre der Familie des Beschwerdeführers gestanden seien und nach dem Beschwerdeführer gesucht haben (vgl. AS 357). Der Beschwerdeführer hat nämlich nicht angegeben, dass es Augenzeuge dieser Tat gegeben hat. Wie die Bedroher so schnell nach der Tat gewusst haben sollen, dass der Beschwerdeführer der Täter gewesen sei, ist tatsächlich nicht nachvollziehbar.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er vor den Verfolgern, die in sein Elternhaus gekommen sein sollen, geflüchtet wäre und sich bei seinem Onkel versteckt hätte, der im selben Dorf, und zwar wenige hundert Meter vom Haus des Beschwerdeführers entfernt, gelebt hätte. Es ist nicht nachvollziehbar, dass ihn die Verfolger nicht bei seinem Onkel gesucht haben. Der Beschwerdeführer sagte dazu, dass diese Männer nicht gewusst hätten, dass er sich dort versteckt habe (vgl. S 17f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 30.01.2020). Diese Rechtfertigung überzeugt nicht, da der Beschwerdeführer weiters angibt, dass der Mann, den er getötet hätte, im selben Ort gelebt hätte und sie sich auch gekannt hätten (vgl. S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 30.01.2020). Wenn die Familienmitglieder des Getöteten sogar in der Lage waren - wie vom Beschwerdeführer behauptet -, den Beschwerdeführer innerhalb von 20 Minuten bei seinen Eltern aufzuspüren, dann wären es vielmehr lebensnah gewesen, den Beschwerdeführer auch bei seinem Onkel zu suchen.

In der Einvernahme bei der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer an, dass der von ihm getötete Mann mächtig gewesen wäre und Verbindungen zu den Taliban gehabt hätte (vgl. AS 194). Die belangte Behörde wertete dieses Vorbringen als nicht glaubwürdig, da der Beschwerdeführer nur die Vermutung ausgesprochen hat, dass der Getötete den Taliban nahestehe. Tatsächlich belegen konnte er eine Verbindung zwischen dem angeblich Getöteten und den Taliban nach Ansicht der belangten Behörde nicht (vgl. AS 360). Dass ein Zusammenhang zu den Taliban besteht ist auch aus Sicht des erkennenden Richters nicht glaubwürdig, zumal der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung von sich aus nicht erwähnt hat, dass jener Mann, den er mit einem Stein getroffen hätte, Verbindungen zu den Taliban gehabt hätte, oder dass er Bedrohung seitens der Taliban zu befürchten hätte.

Erst auf Vorhalt seiner Angaben bei der belangten Behörde sagte der Beschwerdeführer, in seinem Dorf wären die Taliban an der Macht. "Derjenige" hätte Kontakt zu den Taliban gehabt (vgl. S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 30.01.2020). Weitere Ausführungen blieb der Beschwerdeführer schuldig.

Zur Überprüfung des Vorbringens des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde Nachforschungen bei den afghanischen Behörden angestellt.

Das afghanische Innenministerium gab mit Schreiben in englischer Sprache vom 22.12.2018 bekannt, dass den Behörden in der Provinz Laghman kein derartiger Fall bekannt ist. Auf Vorhalt, dass die belangte Behörde Erhebungen dahingehend gepflegt hat, ob der Beschwerdeführer in Afghanistan wegen einer Straftat gesucht wird und die afghanischen Behörden der belangten Behörde mitgeteilt haben, dass diese nicht der Fall ist, antwortete der Beschwerdeführer, dass er dazu nichts sagen möchte (vgl. S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 30.01.2020).

Das Schreiben der afghanischen Behörden und die darauffolgende Reaktion des Beschwerdeführers zeigen zusammengefasst auf, dass die Angaben des Beschwerdeführers nicht der Wahrheit entsprechen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die österreichischen Strafverfolgungsbehörden aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu einem angeblichen Tötungsdelikt in Afghanistan ein Ermittlungsverfahren eingeleitet haben, dieses Verfahren aber eingestellt wurde, da kein weiterer Grund zur Verfolgung besteht (vgl. AS 235).

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er bei dem Vorfall, als er vom späteren Getöteten beim Diebstahl von Orangen erwischt worden wäre, geschlagen und mit einer Schaufel am Fuß verletzt worden wäre. In der Beschwerdeverhandlung zeigte er eine Narbe auf seinem linken Schienbein, die er davongetragen hätte (vgl. S 16 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 30.01.2020). Auf Nachfrage des Behördenvertreters gab der Beschwerdeführer an, dass die Narbe mit einem Stoffstück versorgt worden wäre. Der Behördenvertreter stellte daraufhin den Antrag, ein medizinisches Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass die Narbe, nicht wie vom Beschwerdeführer angegeben, bloß durch ein Tuch versorgt wurde, sondern viel mehr professionell behandelt wurde. Dies sei relevant, weil die Glaubhaftigkeit des Beschwerdeführers durch die offensichtliche Falschaussage, was die Versorgung der Wunde betrifft, auch durch diesen Umstand zusätzlich erschüttert werde. Der noch zu bestellende Gutachter habe jedenfall

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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