Entscheidungsdatum
03.04.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22Spruch
W 199 2151626-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2017, Zahl: 15-1091474708/161455260, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.01.2019 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, welcher der ethnischen Gruppe der Kurden angehört, stellte am 10.9.2015 beim österreichischen Generalkonsulat in Istanbul einen Einreiseantrag ("Befragungsformular im Familienverfahren"), ebenso ihr Ehemann XXXX . Darin gab sie an, sie habe wegen des Krieges und der Zerstörung ihr Herkunftsland verlassen, ihre Kinder hielten sich in Österreich auf. Die Frage, auf welche Person sich der Antrag auf Familienzusammenführung beziehe, wurde im Formular mit " XXXX " beantwortet, dem Sohn der Beschwerdeführerin.
Der Akt, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) vorgelegt hat, enthält sodann die erste und die letzte Seite eines Bescheides des Bundesamtes vom 20.4.2015, 14-1022368310/14738921, mit welchem dem damals minderjährigen XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.
In einem Aktenvermerk des Bundesamtes (Regionaldirektion XXXX in XXXX ) vom 11.11.2015 zur Wahrscheinlichkeitsprognose wurde "Asyl wahrscheinlich" angegeben und der erwähnte rechtskräftige Bescheid angeführt. Mit Schreiben vom 10.12.2015 übermittelte das Bundesamt dem Österreichischen Generalkonsulat Istanbul eine "Mitteilung [g]emäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005", wonach die Gewährung des Status des Asylberechtigten an die Beschwerdeführerin wahrscheinlich sei.
Am 19.10.2016 reiste die Beschwerdeführerin legal in das Bundesgebiet ein. Am 24.10.2016 stellte sie den Antrag, ihr internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet), ebenso ihr Ehemann. (Das Verfahren über den Asylantrag des Mannes wurde beim Bundesamt zur Zahl 15-1091475400/161455561 und wird beim Bundesverwaltungsgericht zur Zahl 2151622-1 geführt.) Bei ihrer Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Landespolizeidirektion XXXX , Polizeianhaltezentrum XXXX ) am selben Tag und bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt am 5.1.2017 gab die Beschwerdeführerin an, sie habe keine eigenen Fluchtgründe, sie sei aus Syrien geflüchtet, weil es dort nicht mehr sicher sei.
2.1. Mit dem Bescheid, dessen Spruchpunkt I angefochten ist (in der Folge der Einfachheit halber als angefochtener Bescheid bezeichnet), wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es der Beschwerdeführerin den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihr die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 7.3.2018 (Spruchpunkt III).
Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 13.3.2017 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt.
2.2. Der Antrag auf internationalen Schutz, den der Ehemann der Beschwerdeführerin gestellt hatten, wurde vom Bundesamt in der gleichen Weise wie ihr eigener Antrag erledigt.
3. Gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 24.3.2017.
Mit Schreiben vom 11.7.2018 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Beschwerdeverfahrens mit, dass es beabsichtige, in seinem Erkenntnis Feststellungen zur Lage in Syrien zu treffen und sich dabei auf näher genannte Unterlagen und Berichte zu stützen. Es stellte es den Parteien des Verfahrens frei, innerhalb zweier Wochen dazu Stellung zu nehmen sowie ein ergänzendes Vorbringen zu erstatten, das sich auf den Gegenstand des Verfahrens beziehe.
Das Bundesamt äußerte sich nicht; die Beschwerdeführerin gab am 2.8.2018 eine Stellungnahme ab (su.).
4. Am 11.1.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann XXXX als Parteien teilnahmen und der ein Dolmetscher für die arabische Sprache und die Sprache Kurmandschi beigezogen wurde. Das Bundesamt hatte auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. Das Bundesverwaltungsgericht erhob Beweis, indem es die Beschwerdeführerin und ihren Mann in der Verhandlung vernahm und - außer den Akten des Verfahrens - folgende Unterlagen einsah, die auch in der Verhandlung erörtert wurden:
* Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Syrien (18.5.2018)
* United States Department of State. Country Report on Human Rights Practices 2017 - Syria (20.4.2018)
* UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. 5., aktualisierte Fassung (November 2017)
* UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen. Syrien: Militärdienst (30.11.2016)
* UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria. "Illegal Exit" from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria (Feber 2017)
* Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (13.11.2018, Stand: November 2018)
Der Vertreter der Beschwerdeführerin in der Verhandlung gab dazu eine mündliche Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Situation in Syrien wird festgestellt:
1.1.1. Politische Lage
Seit 2011 herrscht in Syrien Gewalt. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg mit unzähligen Milizen und Fronten geworden. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen beherrschen verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten sie Regierungsstrukturen, auch irregulär aufgebaute Gerichte. Das Gebiet, das unter kurdischer Kontrolle steht, wird auf etwa ein Viertel des Staatsgebietes geschätzt. Russland, der Iran, die libanesische Hizbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. vom Iran unterstützter Milizen hat das Regime große Landesteile von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Im Juli 2018 übernahm es die Kontrolle über das Gebiet einer zuvor von den USA, Russland und Jordanien verhandelten sog. Deeskalationszone im Südwesten Syriens.
Präsident Bashar al-Asad regiert die Arabische Republik Syrien seit 2000. 2014 wurde er wiedergewählt. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Wahl wurde nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten abgehalten, sie wurde als undemokratisch bezeichnet.
Am 16.4.2016 fanden Parlamentswahlen statt. Die regierende Baath-Partei - die von der Verfassung als Regierungspartei vorgesehen ist - gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die Opposition bezeichnete auch diese Wahl, die auch nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" wurde gewählt. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.
Im Norden Syriens stehen Gebiete unter kurdischer Kontrolle ("Rojava"). Die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) hielt die kurdische Bevölkerung davon ab, sich an der Revolution zu beteiligen. Auf diese Weise konnte sich die syrische Armee auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. Die PYD bezeichnet das in den kurdischen Gebieten etablierte System als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischen Konföderalismus". Tatsächlich liegt die Macht bei der militärischen Führung. In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, damit legitimiert die Partei ihre Macht. In Gebieten, in denen sie neben Behörden der Regierung besteht, haben sich viele Institutionen entwickelt, dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten, in denen sie mehr Kontrolle hat, bleibt die Macht in ihrer Hand zentralisiert.
1.1.2. Sicherheitslage
Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die alle Städte und Regionen Syriens betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in vielen Orten zerfallen, das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch.
Präsident Asad hat mit russischer Unterstützung die Oberhand im syrischen Bürgerkrieg gewonnen. Teile des Landes, insbesondere an den Landesgrenzen, sind jedoch weiter in der Hand Aufständischer.
Nachdem die syrischen Truppen im Dezember 2016 Aleppo eingenommen hatten, zogen große Teile der regulären Armee ab; dadurch verschlechterte sich die Sicherheitslage, weil damit den Milizen freie Hand gelassen wurde. Im Juni 2017 unternahm die Regierung den Versuch, großflächig gegen die Milizen in Aleppo vorzugehen. Die Milizen sind ua. auch für eine steigende Zahl an Entführungen, damit Lösegelderpressungen, sowie für Morde verantwortlich.
Anfang November 2016 begann eine Offensive zur Rückeroberung der Stadt Raqqa, der syrischen Hochburg von Daesh (di. der Islamische Staat, IS, ISIS, ...). An der Offensive waren etwa 30.000 Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer von den USA unterstützten kurdisch-arabischen Rebellenallianz, beteiligt, von denen ein Großteil von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gestellt wird. Am 17.10.2017 erklärten die SDF den Sieg über Daesh in Raqqa. Das große Ausmaß an Zerstörung von Infrastruktur und Wohnungen führt zu schweren Mängeln in der Gesundheits- und Grundversorgung.
Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der "Operation Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation wurde gestartet, um gegen Daesh und auch gegen die kurdischen Einheiten vorzugehen, die entlang der syrisch-türkischen Grenze aktiv sind. Im März 2017 wurde die Operation für erfolgreich beendet erklärt. Im Oktober 2017 gab der türkische Präsident Erdogan eine neue Operation in der syrischen Provinz Idlib bekannt, deren Ziel es ist, die Ausbreitung von kurdischen und al-Qaida-Einheiten entlang der türkischen Grenze zu verhindern. Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Erdogan kündigte außerdem an, auch Manbij angreifen zu wollen. Nach der zwei Monate andauernden "Operation Olivenzweig" eroberten im März 2018 von der Türkei unterstützte syrische Rebellengruppen die Stadt Afrin. Zuvor baten die Kurden die syrische Regierung um Unterstützung bei der Verteidigung Afrins, daraufhin zogen regierungstreue Einheiten, nicht jedoch die syrische Armee selbst, nach Afrin. Nach der Einnahme Afrins durch türkische Truppen kündigte die YPG den Beginn eines Guerilla-Kampfes gegen die Türkei und pro-türkische Kräfte an.
In den ersten Monaten 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges. Ende Feber 2018 begann nach wochenlangen Bombardements die Bodenoffensive der Regierung auf Ost-Ghouta. Mitte April 2018 erklärten die russischen Behörden und die syrischen Streitkräfte die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave für beendet. Im April 2018 fand in Douma, in Ost-Ghouta, ein mutmaßlicher Giftgasangriff mit Dutzenden Todesopfern statt, für den die syrische Regierung verantwortlich gemacht wurde.
Im April 2018 griff die syrische Armee Yarmouk und Hajar al-Aswad, etwa acht Kilometer südlich von Damaskus, an. Das Gebiet wurde vor allem von Kämpfern des Daesh und der Nusra-Front beherrscht. Die Rebellen stimmten schon bald einem Evakuierungsabkommen zu, jedoch hielten die Luftschläge weiterhin an, und die bewaffneten Gruppen gaben ihr Gebiet zunächst trotz der Vereinbarungen nicht auf.
Die sog. Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppe stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist, sie unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen.
Im Mai 2017 unterzeichneten Russland, der Iran und die Türkei ein Abkommen, das die Einrichtung sog. Deeskalationszonen vorsieht. Weder die Regierung noch die Opposition unterzeichneten das Abkommen. Die Gruppe Jabhat Fatah ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra) und Daesh sind von den Vereinbarungen ausgenommen. Nachdem die Zonen beschlossen wurden, begannen in Ost-Damaskus Deeskalationsmaßnahmen, jedoch wurde in dieser Gegend gleichzeitig ein Versöhnungsabkommen geschlossen. Das Ausmaß der Kampfhandlungen in den Provinzen Hama, Homs und Idlib blieb vorerst gleich oder stieg sogar an.
Im November 2017 brachte die syrische Armee Deir ez-Zour, das zuvor von Daesh besetzt war, wieder unter ihre Kontrolle. Daesh verlor 2017 beinahe sein ganzes Territorium in Syrien und im Irak. Der russische Präsident Putin ordnete Mitte Dezember den Abzug eines "Großteils der russischen Truppen" aus Syrien an. Russland wird jedoch weiterhin eine ständige militärische Präsenz in Syrien unterhalten.
1.1.3. Rechtsschutz; Justizwesen
1.1.3.1. Gebiete unter der Kontrolle des Regimes
Das Justizsystem besteht aus mehreren Gerichtstypen, darunter sind Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht; Scharia-Gerichte sind für sunnitische und schiitische Muslime zuständig, Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen, in denen es auch eigene Berufungsgerichte gibt. Nach manchen Personenstandsgesetzen wird die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten angewandt. Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden sind in der Praxis jedoch oft politischen Einflüssen ausgesetzt. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein.
Wenn Personen, von denen angenommen wird, dass sie Regierungsgegner sind, vor Gericht gebracht werden, so ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um das Anti-Terror-Gericht, das 2012 aufgebaut wurde, oder um ein Militärgericht handelt. Das Anti-Terror-Gericht hält sich in seiner Arbeitsweise nicht an grundlegende Bedingungen einer fairen Gerichtsverhandlung. Manchmal dauern die Verhandlungen nur wenige Minuten und "Geständnisse", die unter Folter gemacht wurden, werden als Beweismittel akzeptiert. Außerdem wird das Recht auf Rechtsberatung stark eingeschränkt. In Militärgerichten haben Angeklagte kein Recht auf einen Anwalt. Manchmal werden Angeklagte auch nicht über ihr Urteil informiert. In den ersten zweieinhalb Jahren seit seiner Errichtung soll das Anti-Terror-Gericht mehr als 80.000 Fälle behandelt haben.
1.1.3.2. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes
In Gebieten, die oppositionelle Gruppen beherrschen, wurden unterschiedlich eingerichtete Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, die sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an Rechtsnormen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere dem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, während wieder andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und von den dominanten bewaffneten Gruppen dieser Gebiete beeinflusst. Manchmal münden Gerichtsverhandlungen vor Gerichten der Opposition in öffentliche Hinrichtungen, ohne dass der Angeklagte hätte Berufung einlegen oder Besuch von seiner Familie erhalten können.
Daesh hat in den von ihm kontrollierten Gebieten seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern sind Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird oder die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden.
1.1.3.3. Gebiete unter kurdischer Kontrolle
In "Rojava" wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, die als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht. Es wurden Komitees gegründet, welche die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln. Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung besteht, fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf, sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden.
1.1.4.1. Sicherheitsbehörden und regimetreue Milizen
Die Regierung erhält die Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte aufrecht, kann jedoch jene über paramilitärische, nicht-uniformierte Pro-Regime-Milizen, die oft autonom und ohne Aufsicht oder Führung der Regierung arbeiten, nicht immer gewährleisten. Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden ist weit verbreitet. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann einen Haftbefehl im Fall von Verbrechen durch Militäroffiziere, Mitglieder der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffiziere (im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten) ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis ist keine rechtliche Verfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Missbrauchs und Korruption bekannt, die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und generell außerhalb des Gesetzes. Es gab 2016 keine Berichte von Aktionen der Regierung zur Reform der Sicherheitskräfte oder der Polizei. Die Shabbiha bzw. die NDF und andere paramilitärische Gruppen mit Verbindung zum Regime sind an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, darunter auch an Massakern, willkürlichen Tötungen, Entführungen von Zivilisten, willkürlichen Festnahmen und Vergewaltigungen als Kriegstaktik. Die Einheiten, die auf der Seite der Regierung kämpfen, sind sehr vielfältig. Manche gehören regulären Streitkräften an, andere verschiedenen Milizen. Manche bestehen aus nicht mehr als ein paar Dutzend Männern, andere halten Tausende Männer unter Waffen und besitzen ihre eigenen Trainingscamps und Netzwerke. Auch Russland, der Iran, die libanesische Hizbollah und der Irak unterstützen die syrische Regierung, auch mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte.
1.1.4.2. Streitkräfte
Die Streitkräfte bestehen aus der Armee, der Marine und der Luftwaffe. Sie sind für die Verteidigung des nationalen Territoriums und den Schutz des Staates vor internen Bedrohungen verantwortlich. Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von etwa 295.000 Personen gehabt haben. Sie kann das gesamte syrische Staatsgebiet nicht mehr unabhängig sichern. Sechs Jahre mit Überläufen zu den Regimegegnern, Desertionen und Verlusten durch den Konflikt haben die Mannstärke aus den Vorkriegszeiten stark dezimiert, sie wird für 2014 und 2015 auf 100.000 bis 175.000 Mann geschätzt, großteils mangelhaft ausgerüstete und trainierte Wehrdiener.
Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sog. Quta'a-System. Dabei wird jeder Division ein bestimmtes Gebiet zugeteilt. Es verbindet jeden Sektor (quta'a) mit einer Division und somit Karriere und Leben eines Offiziers mit einer Armee-Division und dem dazugehörigen Gebiet. Im Zuge des Konfliktes hat das Regime jedoch loyale Einheiten in größere Einheiten eingebaut, um eine bessere Kontrolle auszuüben und ihre Effektivität im Kampf zu verbessern.
1.1.4.3. Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste
Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen. Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren.
Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe von Techniken, um Syrer einzuschüchtern oder sie dazu zu bringen, dass sie den Vorstellungen der Sicherheitskräfte entsprechend handeln. Dazu gehören Angebote von lukrativen und prestigeträchtigen Positionen oder anderen Belohnungen, jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikane von Einzelpersonen und/oder ihren Familienmitgliedern, die Androhung von Inhaftierung (ohne Anklage), Verhör und Haftstrafen nach langen Gerichtsverhandlungen. Die bürgerliche Gesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte, aber auch andere Gruppen und Einzelpersonen müssen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen.
1.1.4.4. Polizei
Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen von Polizeikräften: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Polizei gegen Unruhen.
1.1.4.5. Shabbiha-Milizen und Volkskomitees
Die Shabbiha sind bewaffnete Milizen, welche die regierende Baath-Partei unterstützen und der Asad-Familie treu sind. Sie kämpfen, um die Opposition zu unterdrücken und sich zu bereichern. Sie wurden in den 1970er Jahren in der Gegend von Latakia gegründet und bestanden aus einem Schmugglernetzwerk. 2000 wurden sie von Bashar al-Asad aufgelöst, 2011 nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf. Sie bestehen aus etwa 10.000 Mitgliedern und gehen skrupellos gegen die Opposition vor.
Zu Beginn des Konfliktes 2011 wurden außerdem die sog. Volkskomitees spontan gegründet oder von Nachrichtendiensten oder Pro-Asad-Geschäftsmännern als Gegenstück zur Mobilisierung oppositioneller Demonstranten rekrutiert. Die Volkskomitees, die anfangs nur ihre Wohngegenden nach Zeichen des Widerstandes überwachen und Demonstrationen auflösen sollten, entwickelten sich mit der Zeit zu lokalen Autoritäten und später zu bewaffneten Milizen, nachdem der Staat an Macht verlor und die Opposition militarisiert wurde. Diese Milizen wurden von der Opposition häufig als "Shabbiha" bezeichnet.
1.1.4.6. Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF)
Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF) sind eine Schirmorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und paramilitärische Gruppen, die sich erstmals 2013 organisierte. Sie wurden aus kriminellen Gruppen, Shabbiha und Volkskomitees, die lokal organisiert sind, gegründet und dienen dem Regime und der Armee. Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten. Diese Gruppen nehmen am bewaffneten Konflikt teil. Sie nehmen Personen fest, die sie der Unterstützung der Opposition verdächtigen, inhaftieren und foltern sie. Die Kämpfer der NDF gelten als regimetreuer als die wehrdienstleistenden Soldaten der syrischen Armee. Ihre Arbeit variiert je nach Gebiet, und manche Gruppen sind disziplinierter als andere. Es gibt Gruppen, die zu den NDF gehören und auf Religionszugehörigkeit basieren, zB christliche oder alawitische Gruppen. Als dezidiert Freiwillige sind Angehörige der NDF bei Rebellen verhasster als reguläre Soldaten, die unter Umständen zwangsrekrutiert worden sind, deshalb laufen NDF-Mitglieder noch größere Gefahr, bei Gefangennahme getötet zu werden.
Ihre genaue Mannstärke ist nicht bekannt, Schätzungen aus 2016 schwanken zwischen 60.000 und 100.000 Personen. Die NDF sind auf Grund aktueller Entwicklungen, darunter der Gründung des Fünften Korps der syrischen Streitkräfte, in einem Zustand der Zersplitterung und Fragmentierung. Die Gründung des Fünften Korps sollte ua. auch dazu dienen, eine einsatzfähige Einheit unter Kontrolle der syrischen Armee zu bilden und dabei die NDF aufzulösen, die dafür bekannt sind, zu plündern, die Bevölkerung zu terrorisieren und Schutzgelder zu erpressen. Die organisatorischen Strukturen zwischen NDF und der syrischen Armee und anderen regulär bewaffneten Gruppen sind schwer zu definieren. Manchen Berichten zufolge operieren die NDF unter dem Kommando der syrischen Armee, dabei erhalten sie Informationen und die taktische Führung von der Armee, in anderen Fällen können die Hizbollah und iranische Einheiten spezielle NDF-Kader trainieren und befehligen.
1.1.4.7. Ausländische Kämpfer bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte auf der Seite des Regimes
Zusätzlich zu den lokalen Pro-Regime-Milizen gibt es va. seit 2013 einen stetigen Zustrom ausländischer schiitisch-islamistischer Kämpfer, die vom Iran und den mit ihm verbündeten regionalen paramilitärischen Gruppen unterstützt und trainiert werden. Der Iran führt eine Koalition von beinahe 30.000 Kämpfern. Sie bestehen aus mindestens 7000 iranischen und etwa 20.000 ausländischen Kämpfern, darunter sind 6000 bis 8000 Mann der libanesischen Hizbollah, 4000 bis 5000 irakische schiitische Milizionäre und 2000 bis 4000 afghanische schiitische Kämpfer. Diese Zahlen enthalten jedoch nicht die lokalen paramilitärischen Gruppen, die vom Iran in Syrien unterstützt werden. Diese Koalition stellt einen unverhältnismäßigen Anteil der einsatzfähigen Infanterie, die in größeren Operationen zu Gunsten der Regierung eingesetzt wird. Der Iran hat eine hoch entwickelte Infrastruktur aufgebaut, um diese Einheiten zu trainieren, auszurüsten, zu verwalten und in der Region seinen eigenen strategischen Prioritäten entsprechend einzusetzen. Iranische Einheiten übernahmen wichtige Operationen, was zu "Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen" von niedrigrangigen syrischen Offizieren führte und auch ranghöhere Offiziere betraf, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten.
Russland zählt ebenfalls zu den Verbündeten Asads und unterstützt die syrische Regierung militärisch, so auch mit fortschrittlicher Waffentechnologie, Unterstützung der syrischen Luftwaffe und russischen Spezialeinheiten.
1.1.5. Folter und unmenschliche Behandlung
Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen nutzt das Regime schon seit Jahrzehnten, um Widerstand zu unterdrücken. Das Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Manche Folteropfer werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter. Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar um die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern.
Rebellengruppen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von tatsächlich oder vermeintlich Andersdenkenden und Rivalen. Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie seien Mitglieder regierungstreuer Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel. Auch Daesh misshandelt, foltert und bestraft Menschen brutal. Er bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.
Berichten zufolge begehen die Konfliktparteien Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte, einschließlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, allerdings ist Straflosigkeit weit verbreitet, sodass die Zivilbevölkerung die Hauptlast des Konflikts zu tragen hat. Die Situation in Syrien ist als "Abschlachtung, kompletter Verlust jeglicher Menschlichkeit, Gipfel des Horrors" bezeichnet worden.
1.1.6. Korruption
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Syrien 2015 auf Platz 173 von 176 untersuchten Ländern. Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption vor, die Regierung hat die Regelungen jedoch nicht effektiv durchgesetzt. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden. Milizen verlangen zB Bestechungsgelder für das Passieren von Straßensperren, die sie kontrollieren. In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es ist möglich, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten. Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weit verbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie - zB im Falle wichtiger Dokumente - auf den Schwarzmarkt zurückgreifen. Rebellen, Daesh und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß.
1.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage
1.1.7.1. Es wird geschätzt, dass seit dem Beginn der Revolution 2011 bis Mitte 2017 etwa 475.000 Personen getötet worden sind. Regimeeinheiten führten weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in Haft starben. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie und Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte. Die staatlichen Sicherheitskräfte halten Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. - Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen.
Auch aufständische Gruppen begehen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von Leuten, die als politisch Andersdenkende wahrgenommen werden, und an Rivalen. Daesh begeht systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, die auch auf Zivilisten abzielen. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen, Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt. Frauen erleben willkürliche und schwere Bestrafungen, auch Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des Daesh entsprechend kleiden.
Daesh-Kämpfer richten gefangengenommene Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörige rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffende hin.
Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet.
1.1.7.2. Todesstrafe
Die Todesstrafe ist für verschiedene Verbrechen in Kraft. Zahlreiche Todesurteile wurden durch das Anti-Terrorgericht und Militärgerichte oftmals in mangelhaften Gerichtsverfahren verhängt.
1.1.7.3. Religionsfreiheit
In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, die Verfassung sieht jedoch vor, dass der Präsident Muslim sein muss.
Die Religionszugehörigkeit einer Person wird nicht auf der Identitätskarte vermerkt, muss jedoch beim Zivilregister registriert werden. Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu haben. Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet auch "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften". Ein zum Islam konvertierter Erwachsener kann nicht zu seinem ursprünglichen Glauben zurück konvertieren.
Nach Schätzungen der US-Regierung stellen die Sunniten 74 % der Bevölkerung. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Schiiten, machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden. Diese Zahl könnte auf Grund des Zuzugs von Jeziden, die aus dem Irak nach Syrien geflüchtet sind, mittlerweile höher sein.
Am Beginn des Konfliktes waren Angriffe auf Minderheiten kein zentraler Bestandteil des Krieges. Die Handlungen des Regimes haben jedoch dazu beigetragen, dass die konfessionelle Dimension des Konfliktes eskaliert ist.
Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder bestimmter Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen, den bewaffneten Aufstand oppositioneller Gruppen niederzuschlagen. Das Regime wandte Taktiken an, die darauf abzielten, die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass er als ein solcher gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht. Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte auf Städte und Wohngegenden mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Stellungnahmen und Veröffentlichungen ausdrücklich als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizieren und eine Unterstützerbasis haben, die fast nur aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass es zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt gab. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei. Auch Daesh ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich. Dies führte dazu, dass manche Mitglieder religiöser Minderheiten die Regierung Präsident Asads als ihren einzigen Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Gleichzeitig sehen sunnitische Araber viele der syrischen Christen, Alawiten und Schiiten auf Grund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als Verbündete der syrischen Regierung an. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen. Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Asad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestoweniger werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer willkürlicher Verhaftungen, von Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden außerdem zu Opfern von Angriffen aufständischer extremistischer Gruppen.
Infolge des Aufstiegs und der Verbreitung extremistischer bewaffneter Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch deren Kämpfer ausgesetzt. Gruppen wie Daesh oder Jabhat Fatah al-Sham setzen Minderheiten Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind. In Gebieten, die Daesh kontrolliert, wurden Christen gezwungen, eine Schutzsteuer zu zahlen oder zu konvertieren, oder sie liefen Gefahr, getötet zu werden. In Raqqa hielt Daesh Tausende jezidische Frauen und Mädchen gefangen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt worden waren, um sie zu verkaufen oder an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen.
Jabhat Fatah al-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, laut Jabhat Fatah al-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.
1.1.8. Bewegungsfreiheit
Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generell unsichere Lage im Land schränken die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport lebensnotwendiger Güter stark ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, die von den Rebellen beherrscht werden, die Rebellen und Daesh wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung beherrschte Gebiete an. In Gebieten unter ihrer Herrschaft beschränken Daesh und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung.
Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern.
Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten auf Grund der politischen Einstellung einer Person, ihrer Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt.
In Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden, funktionieren Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, nicht mehr. In Gebieten, die von der Regierung beherrscht werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden, sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen und sich keine neuen Identitätsdokumente ausstellen lassen. Infolge des Bürgerkrieges sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt.
1.1.9. Grundversorgung und Wirtschaft
Die syrische Wirtschaft verschlechtert sich weiterhin im Zuge des Konfliktes und schrumpfte zwischen 2010 und 2016 um mehr als 70 %.
Aktuelle Wirtschaftsdaten sind praktisch nicht verfügbar oder sehr mit Vorsicht zu beurteilen. Der fehlende Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterkunft und Nahrung verschärfte die Auswirkungen des Konfliktes weiter und drängte Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit und Armut. Die Hauptursachen der Armut sind der Verlust von Eigentum und Arbeitsplatz, der Verlust des Zugangs zu grundlegenden Leistungen, einschließlich solchen des Gesundheitswesens, und zu sauberem Wasser sowie steigende Lebensmittelpreise. 2015 lebten 83,4 % der Syrer unter der Armutsgrenze, 50 % in extremer Armut. 13,5 Mio. Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Das Bildungssystem wurde durch die Beschädigung von Einrichtungen und die Nutzung von Schulen als militärische Einrichtungen stark beeinträchtigt. Fast 1,75 Mio. Kinder erhalten keine Schulbildung, 7400 Schulen, also etwa ein Drittel der Schulen landesweit, wurden beschädigt, zerstört oder anderweitig unzugänglich.
1.1.10. Medizinische Versorgung
Die Gesundheitsversorgung hat sich in Syrien durch den andauernden Konflikt dramatisch verschlechtert. Eine ausreichende Versorgung kann nur in einigen vom Regime gehaltenen Gebieten sichergestellt werden, doch auch hier kann es zu gravierenden Einschränkungen kommen.
1.1.11. Ethnische Minderheiten
Die Bevölkerung besteht überwiegend aus Arabern (hauptsächlich Syrer, Palästinenser und Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen. Dazu kommen die chaldäischen und assyrischen Christen. Innerhalb der Minderheiten gibt es eine Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern des Regimes.
Etwa 190.000 "nicht registrierte" Kurden sind staatenlos. Die Regierung betrachtet sie als Ausländer. Im Gefolge der Volkszählung von 1962 verloren etwa 150.000 Kurden ihre Staatsangehörigkeit. Ein Gesetzesdekret ordnete diese Volkszählung von einem Tag 1962 an, und die Regierung führte sie unangekündigt in der Provinz al-Hasakah durch. Wer - aus welchem Grund immer - nicht registriert war oder nicht über die nötigen Dokumente verfügte, war ab diesem Tag "Ausländer". Daher besitzen diese Kurden und ihre Nachkommen keine Personalausweise und kamen nicht in den Genuss von Regierungsmaßnahmen wie Gesundheitsversorgung und Schulbildung. - 2011 erließ Präsident Asad ein Dekret, wonach staatenlose Kurden in der Provinz al-Hasakah, die als "Ausländer" registriert waren, um die Staatsangehörigkeit ansuchen konnten. Der Flüchtlingshochkommissär der Vereinten Nationen berichtete, dass ungefähr 40.000 die Staatsangehörigkeit nicht erhalten konnten. Das Dekret bezog sich auch nicht auf die etwa 160.000 "nicht registrierten" staatenlosen Kurden. Mit Machtübernahme der kurdischen PYD in Nord- und Nordostsyrien hat sich diese bis dahin bestehende staatliche Diskriminierung von Kurden faktisch entspannt.
1.1.12. Frauen
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander: von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des Daesh bis zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der PYD, wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind.
Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch. In oppositionellen Gebieten, die von radikal-islamistischen Gruppen beherrscht werden (zB in Idlib), sind Frauen besonders eingeschränkt. Extremistische Gruppen wie Daesh oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen diskriminierenden Beschränkungen aus.
Die unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften Syriens haben seit Langem das Recht, bestimmte Angelegenheiten des Familienrechtes entsprechend ihren jeweiligen religiösen Vorschriften zu regeln. Das Syrische Personenstandsgesetz von 1953 regelt das Familienrecht mit Novellen von 1975, 2003 und 2010, es basiert vorwiegend auf islamischen Rechtsquellen der hanefitischen Rechtslehre. Es gilt für alle Syrer, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, erlaubt jedoch drusischen, jüdischen oder christlichen Gemeinden eine beschränkte rechtliche Autonomie in Personenstandsangelegenheiten wie Verlobung, Bedingungen bei der Eheschließung, Eheschließung, Gehorsam der Ehefrau, Unterhalt für Ehefrauen und Kinder, Annullierung und Scheidung der Ehe, Mitgift, Pflege und seit 2010 Erbe und Nachlass. Dieses Gesetz und die Scharia-Gerichte, die es anwenden, haben jedoch klaren Vorrang gegenüber den nicht-muslimischen Gerichten. Nicht nur die verschiedenen Religionsgruppen, sondern auch unterschiedliche Konfessionen haben eine eigene Gesetzgebung in gewissen personenstandsrechtlichen Angelegenheiten. So gibt es zB drei orthodoxe, ein katholisches und ein evangelisches Personenstandsgesetz. Viele Abschnitte des Familien- und Strafrechtes behandeln Frauen und Männer ungleich, so das Personenstandsgesetz und das Staatsbürgerschaftsrecht. Eine christliche oder jüdische Frau kann einen muslimischen Mann heiraten, eine muslimische Frau jedoch nicht einen nicht-muslimischen Mann. Gemischtreligiöse Ehen sind in Syrien selten, es gibt sie aber. Sie werden häufig geheim geschlossen oder nicht offiziell registriert, weil sie von der Gesellschaft verurteilt werden.
Das Alter der Heiratsfähigkeit ist bei Männern 18 und bei Frauen 17 Jahre. Eine Frau, die jünger als 17 Jahre ist, braucht die Zustimmung ihres gesetzlichen Vormundes. Bei einer Frau, die 17 Jahre oder älter ist, wird das Gericht den Vormund nach seiner Meinung fragen, kann die Frau jedoch auch gegen seinen Willen verheiraten. Ehen sollten in oder durch ein Gericht geschlossen werden. Ehen, die außerhalb des Gerichts geschlossen werden, können jedoch auch als gültig angesehen werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Diese Ehen werden oft als "traditionelle Ehen" oder "'urfi-Ehen" bezeichnet. 'Urfi-Ehen werden nicht immer registriert. Andere Gründe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet oder dass es sich um eine weitere Ehe handelt, die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein weiterer Grund ist, dass Männer, die in der Armee dienen, eine Genehmigung für eine Eheschließung benötigen. Selbst wenn nicht alle Bedingungen erfüllt werden, tendieren Richter dazu, 'urfi-Ehen zu registrieren, va. wenn bereits Kinder in der Ehe geboren wurden. Wenn eine 'urfi-Ehe registriert ist, wird sie als rechtsgültige Ehe angesehen. Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn es die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt, ist deren Datum das Datum der Eheschließung. Da es auch möglich ist, Kinder ex post facto zu registrieren (oft gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe), und da Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das "echte Hochzeitsdatum" festlegt. Stellvertreterehen und die Registrierung einer Ehe durch einen Stellvertreter sind möglich, selbst wenn beide Ehepartner von einem Stellvertreter repräsentiert werden. Für Kinder, die in eine bestehende Ehe geboren werden, gilt automatisch der Ehemann der Mutter als Vater.
Es gibt unterschiedliche Gründe, auf deren Basis eine gerichtliche Scheidung beantragt werden kann. Dabei müssen bestimmte Beweise vorgelegt werden. Eine Ehe, die in einer Kirche geschlossen wird, wird vom Staat als gültig anerkannt. Nach der Zeremonie sendet die Kirche die Unterlagen an das Zivilregisterbüro. Nach dem christlichen Familienrecht ist die Ehe ein Sakrament, es ist daher sehr schwierig, sich scheiden zu lassen. Die katholische Kirche erkennt Scheidung nicht an, nur die Annullierung ist unter bestimmten Bedingungen möglich. Dies führt teilweise zu drastischen Maßnahmen wie der Konversion eines Ehepartners zum Islam, um eine Scheidung zu erwirken. Das islamische Recht sieht nach einer Scheidung zwei Konzepte des Sorgerechtes für Kinder vor: die Vormundschaft (wilaya), die immer der Vater innehat, und die physische Obhut/Obsorge (hadana). Im Falle einer Scheidung kann die Mutter die physische Obsorge über die Kinder erhalten, bis sie ein bestimmtes Alter erreichen; dies hängt von der Konfession ab. Laut Syrischem Personenstandsgesetz liegt diese Altersgrenze für Mädchen bei 15 und für Buben bei 13 Jahren. Die Gesetze bezüglich Vormundschaft sind für alle Religionen bzw. Konfessionen anzuwenden, zur Obsorge haben jedoch die jüdischen und christlichen Gemeinden eigene Regelungen. In manchen Fällen werden Scharia-Gerichte gegenüber nicht-islamischen Gerichten bevorzugt, in der Hoffnung, vorteilhaftere Urteile zu erreichen.
Frauen, deren Ehemänner als vermisst gelten, können sich unter bestimmten Umständen weder scheiden lassen noch gelten sie als Witwen, solange es keinen Beweis für den Tod des Ehemannes gibt. Wenn er vermisst wird, bleibt er dennoch der Vormund der Ehefrau, und sie gilt rechtlich weiterhin als verheiratet. Gleichzeitig hat sie aber den Ernährer der Familie verloren und ist so von ihrer Verwandtschaft abhängig. Dies gilt auch für Frauen, deren Männer inhaftiert sind und die nicht wissen, ob sie überhaupt noch am Leben sind.
Frauen können die syrische Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben.
Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung vollzieht dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet. Die gesellschaftliche Tabuisierung sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oft Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden, auch wenn dies nur vermutet wird.
Der Zugang alleinstehender Frauen zu Dokumenten hängt von ihrem Bildungsgrad, der individuellen Situation und den bisherigen Erfahrungen ab. So werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können.
Die Situation von Kurdinnen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind auch in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert. Dies gilt jedoch nur für kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, nicht jedoch für arabische Frauen in den kurdischen Gebieten oder für kurdische Frauen im Rest Syriens. 2013 akzeptierte die kurdische Autonomieregierung wichtige Maßnahmen, um die Rechte von Frauen zu verbessern.
1.1.13. Rückkehr
Laut der International Organization for Migration (IOM) sind zwischen Jänner und Juli 2017 602.759 vertriebene Syrer in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. 93 % davon waren Binnenvertriebene, 7 % kehrten aus der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak nach Syrien zurück.
Nach Schätzungen des Flüchtlingshochkommissärs sind 2017 über 600.000 Binnenvertriebene in ihre syrischen Herkunftsgebiete zurückgekehrt. Allerdings ist nicht bekannt, wie viele daraufhin ein weiteres Mal vertrieben wurden. Zwischen Jänner und Mitte September 2017 hat der Flüchtlingshochkommissär die Rückkehr von 57.000 syrischen Flüchtlingen aus Nachbarländern dokumentiert. Die Rückkehr von Flüchtlingen ist ua. darauf zurückzuführen, dass sie nach Familienangehörigen suchen und sich um ihr zurückgelassenes Eigentum kümmern möchten und dass syrische Flüchtlinge in den Aufnahmeländern mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, zB mit eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten, untragbaren Lebenshaltungskosten und kostspieliger medizinischer Versorgung. Außerdem kehren einige Flüchtlinge möglicherweise nur für einen kurzen Zeitraum zurück, um die Lage zu beurteilen, bevor sie entscheiden, ob es sicher und praktikabel ist, ihre Familien aus den Asylstaaten wieder in die Heimat zu bringen. In vielen Rückkehrgebieten ist es ungewiss, ob die Verbesserungen der Sicherheitslage dauerhaft gewährleistet sind.
Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (zB illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen.
Nach dem Gesetz Nr. 18/2014 müssen Personen, die das Land ohne einen gültigen Reisepass, ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen unzulässigen Grenzübergang verlassen oder betreten, mit Gefängnis oder einer Geldstrafe rechnen, die von den Umständen des Falles abhängt. Es ist unklar, ob dieses Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Rückkehrer auf Grund dieses Gesetzes verfolgt worden sind. Einer (behördlichen) Genehmigung bedürfen Beamte, Karrieresoldaten und Männer zwischen 18 und 42 Jahren.
Im Zuge der Militäroperationen zur Wiedereroberung zentraler Gebiete Syriens versucht die Regierung, neue Verhältnisse zu schaffen, indem sie Stadtplanungsgesetze ändert. Das Gesetz Nr. 10, das Präsident Asad am 2.4.2018 verkündete, erlaubt den Behörden, Zonen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen für Entwicklung und Wiederaufbau vorzusehen und Immobilienentwicklungsgesellschaften zu gründen, welche die Planung und Durchführung solcher Projekte überwachen. Es ermöglicht die Enteignung von Flüchtlingen, denn nach dem Gesetz fallen alle Grundstücke, Wohnungen und Häuser dem syrischen Staat zu, wenn die Besitzer nicht binnen eines Monats (beginnend mit 11.4.2018) Besitzurkunden bei der neu installierten Behörde vorlegen können. Personen, die ihren Besitz beanspruchen können, erhalten Aktien der neu eingerichteten Immobiliengesellschaften, die dem geschätzten Wert ihres Besitzes entsprechen. Auf Grund der aktuellen Konfliktsituation ist es wahrscheinlich, dass der geschätzte Wert weit niedriger als der tatsächliche Marktwert ist. Das Gesetz hat ua. den Zweck, zuvor oppositionelle Gebiete in strategisch wichtigen Gegenden mit loyalen Personen zu besiedeln und so die Entstehung potentieller zukünftiger Herde des Widerstandes zu verhindern.
1.2. Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige, gehört der ethnischen Gruppe der Kurden an und ist sunnitische Muslimin; ihre Muttersprache ist Kurmandschi. Sie stammt aus der Stadt Qamishli in der Provinz XXXX und hält sich seit Herbst 2016 in Österreich auf. Ihre drei Söhne sind vor ihr nach Österreich gekommen. Sie selbst ist im Rahmen einer Familienzusammenführung - ihr Sohn, dem in Österreich Asyl gewährt worden war, war damals minderjährig - nach Österreich gekommen.
Die Fluchtgründe, die sie vorgebracht hat, werden den Feststellungen nicht zugrundegelegt: dass ihr nämlich in Syrien die Verfolgung durch Behörden drohe, weil sich ihre drei Söhne dem Wehrdienst entzogen hätten. Es droht ihr auch keine Verfolgung in Syrien aus dem Grund, dass sie in Österreich einen Asylantrag gestellt hat.
2. Beweiswürdigung:
Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Lage in Syrien beruhen auf dem Bericht des Bundesamtes (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) und auf den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (November 2017). Auf den "Erwägungen" beruhen ua. die Feststellungen über Verbrechen der syrischen Konfliktparteien (letzter Absatz des Abschnitts über "Folter und unmenschliche Behandlung"; S 16 f. der "Erwägungen"). Der Bericht des United States Department of State 2017 stützt diese Feststellungen; auf ihm beruht die Darstellung der Lage der staatenlosen bzw. nicht registrierten Kurden (S 35 des Berichts; zweiter Absatz im Abschnitt über ethnische Minderheiten).
Die Feststellungen zur "Rückkehr" beruhen - neben dem Bericht des Bundesamtes - auf den "Erwägungen" des Flüchtlingshochkommissärs (S 28; zweiter Absatz des Abschnitts) und auf seiner Information (UNHCR, Relevant Country of Origin Information ..., S 3 f.; vorletzter Absatz des Abschnitts).
Der Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 13.11.2018 stützt diese Feststellungen, auf ihm beruhen Feststellungen über die jüngste Entwicklung.
Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen; sie stützen sich ihrerseits auf die Berichte zahlreicher anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen.
2.2.1. Die Feststellungen zur ethnischen Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin, zu ihrer Religion und zu ihrer Muttersprache stützen sich auf ihre glaubwürdigen Angaben.
2.2.2. Das Bundesverwaltungsgericht folgt den Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen nicht, dass sie nämlich in Syrien gefährdet sei, weil sich ihre drei Söhne dem Wehrdienst entzogen hätten, und zwar aus folgenden Gründen:
2.2.2.1.1. Die Beschwerdeführerin gab, als sie am 10.9.2015 beim österreichischen Generalkonsulat in Istanbul einen Einreiseantrag stellte, an, sie wolle wegen des Krieges und der Zerstörung ihr Herkunftsland verlassen, ihre Kinder hielten sich in Österreich auf.
Bei ihrer Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Landespolizeidirektion XXXX , Polizeianhaltezentrum XXXX ) am 24.10.2016 gab die Beschwerdeführerin an, sie habe keine eigenen Fluchtgründe; sie stelle den Antrag, weil ihren Söhnen XXXX und XXXX in Österreich Asyl gewährt worden sei.
Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt am 5.1.2017 gab sie an, sie sei aus Syrien geflüchtet, weil es dort nicht mehr sicher sei; das Leben sei wegen des Krieges schlecht gewesen, man habe das Haus nicht mehr verlassen können. Sie wolle auch anführen, dass sich ihre Tochter seit anderthalb Monaten in Österreich aufhalte. Die Beschwerdeführerin wurde (zweimal) auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht, gab aber an, sie habe keine weiteren Fluchtgründe. Sie verneinte die Frage, ob es jemals Übergriffe auf sie persönlich gegeben habe und oder ob jemand an sie herangetreten sei.
2.2.2.1.2. In ihrer Beschwerde führt die Beschwerdeführerin aus, der Lebensstandard in " XXXX " sei sehr schlecht. Ihr Mann habe in einem staatlichen Unternehmen gearbeitet, sie selbst sei Hausfrau gewesen. Da es generell sehr unruhig und unsicher gewesen sei, hätten die beiden das Haus nicht mehr verlassen können. Da sie Kurden seien und im Ausland Asylanträge gestellt hätten, wäre es denkbar, dass sie im Fall ihrer Rückkehr nach Syrien als politische Gegner des Regimes angesehen würden. Insbesondere für Kurden sei die Situation in Syrien schlecht. - Den beiden mittlerweile erwachsenen Kindern der Beschwerdeführerin sei Asyl gewährt worden.
In ihrer Stellungnahme vom 2.8.2018 verwies die Beschwerdeführerin zunächst auf das bisherige Vorbringen und darauf, dass sie im Rahmen der Familienzusammenführung mit ihrem Sohn XXXX nach Österreich gekommen sei, der noch minderjährig gewesen sei, als er den Einreiseantrag gestellt habe. Sie sei allerdings erst nach Eintritt seiner Volljährigkeit nach Österreich eingereist.
Ende Dezember 2017 sei die syrische Polizei zum Bruder ihres Mannes gekommen, einem direkten Nachbarn der Familie, und habe nach ihrem Mann und ihrem Sohn XXXX gesucht. Beide hätten zum Militärdienst einberufen werden sollen, sie seien mündlich aufgefordert worden, sich bei der Stellungskommission zu melden. Die Stellungnahme macht weitere Ausführungen zur allfälligen Militärdienstpflicht des Ehemannes der Beschwerdeführerin und den Konsequenzen bei einer Rückkehr nach Syrien. Familienangehörige könnten insofern Repressalien und Verfolgungshandlung