TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/3 W199 2138025-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.04.2020
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Entscheidungsdatum

03.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W 199 2138025-3/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2018, Zl. 1094883506 - 151757935, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.01.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 12.11.2015 den Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Begründend gab er bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizeiinspektion XXXX ) am selben Tag und bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt; Regionaldirektion XXXX in XXXX ) am 29.9.2016 an, er habe Syrien wegen des Krieges verlassen; es gebe keine Zukunft mehr. Er habe Probleme bekommen, weil viele seiner Brüder gesucht worden seien.

Mit Bescheid vom 4.10.2016, 1094883506 - 151757935, wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 4.10.2017 (Spruchpunkt III).

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 7.10.2016 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt.

Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtete sich eine Beschwerde vom 20.10.2016. Am 24.11.2016 brachte der Beschwerdeführer eine als Beschwerde bezeichnete Beschwerdeergänzung ein.

1.1.2. Mit Beschluss vom 24.1.2018, W 199 2138025-1/15E, behob das Bundesverwaltungsgericht in Erledigung dieser Beschwerde den Bescheid vom 4.10.2016 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurück und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Begründend beschäftigte es sich mit dem Flüchtlingsbegriff der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) und - vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - mit der Frage der Asylrelevanz einer Gefährdung wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion.

1.2. Im fortgesetzten Verfahren vernahm das Bundesamt (Regionaldirektion XXXX ) den Beschwerdeführer am 13.3.2018 ein.

Mit einer als Bescheid bezeichneten Erledigung vom 24.4.2018 wies es den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab.

1.3. Gegen diese Erledigung richtete sich eine Beschwerde vom 18.5.2018, die das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 24.8.2018, W 199 2138025-2/4E, als unzulässig zurückwies, weil die Erledigung vom 24.4.2018 nicht wirksam zugestellt, daher nicht als Bescheid zustandegekommen und somit kein tauglicher Anfechtungsgegenstand für eine Beschwerde war.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 8.11.2018 persönlich zugestellt.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 3.12.2018.

4. Am 21.1.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm und der ein Dolmetscher für die arabische Sprache beigezogen wurde. Das Bundesamt hatte auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. Das Bundesverwaltungsgericht erhob Beweis, indem es den Beschwerdeführer in der Verhandlung vernahm und - außer den Akten des Verfahrens - folgende Unterlagen einsah, die auch in der Verhandlung erörtert wurden:

* Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Syrien (13.5.2019, 17.10.2019)

* United States Department of State. Syria 2018 Human Rights Report (https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/03/SYRIA-2018.pdf; März 2019)

* UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. 5., aktualisierte Fassung (November 2017)

* UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen. Syrien: Militärdienst (30.11.2016)

* UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria. "Illegal Exit" from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria (Feber 2017)

* Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (13.11.2018, Stand: November 2018)

Dem Beschwerdeführer wurde in der Verhandlung eine Frist für eine Stellungnahme eingeräumt; am 4.2.2020 gab er eine Stellungnahme ab (su.), am selben Tag brachte er eine Ergänzung dazu ein (su.).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Situation in Syrien wird festgestellt:

1.1.1. Politische Lage

2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Asad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte es mit massiver Repression gegen die Protestierenden, va. durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Es gibt Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Sie werden durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppen kontrolliert. Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppen zurückerobert. Trotz den großen Gebietsgewinnen durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppen ausgeübt wird, weiter fort.

Präsident Bashar al-Asad regiert die Arabische Republik Syrien seit 2000. 2014 wurde er wiedergewählt. Die Wahl wurde nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten abgehalten, sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch bezeichnet. Am 16.4.2016 fanden Parlamentswahlen statt. Die regierende Baath-Partei - die von der Verfassung als Regierungspartei vorgesehen ist - gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die Opposition bezeichnete diese Wahl, die auch nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" wurde gewählt. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen. Mitte September 2018 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten - zum ersten Mal seit 2011 - Kommunalwahlen abgehalten, welche die Baath-Partei gewann; dies galt als wenig überraschend.

Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von verschiedenen Rebellengruppen kontrolliert. Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, die unter kurdischer Kontrolle stehen. Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Auf diese Weise konnte sich die syrische Armee auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und Jazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre. Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung.

Die PYD beansprucht, in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Das Ziel der PYD ist die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syrien. Die PYD ist in den kurdisch kontrollierten Gebieten die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat. Ihr militärischer Arm, die YPG, ist zudem die dominierende Kraft in dem von den USA unterstützten Militärbündnis Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen Daesh (di. der Islamische Staat, IS, ISIS, ...) forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus.

1.1.2. Sicherheitslage

Die militärische Intervention Russlands und die indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden. Mitte 2016 kontrollierte die syrische Regierung etwa ein Drittel des Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt. Anfang 2019 waren noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten SDF stehen; und die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban-Flüchtlingslagers.

Trotz militärischen Erfolgen des Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, so die Provinz Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours. Daesh kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak. Ende März 2019 wurde mit Baghuz seine letzte Bastion von den "Syrian Democratic Forces" erobert. Daesh ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten.

Auf Grund militärischer Auseinandersetzungen in und um Idlib ist die Sicherheitssituation im Nordwesten sehr schwierig. In der Stadt Aleppo selbst hat sie sich wieder verschlechtert; es kommt vermehrt zu Artilleriebeschuss, der den westlichen Teil der Stadt berührt. Neben politisch motivierten Verhaftungen durch die Jihadistenallianz Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) kommt es in den Regionen Idlib und Aleppo auch zu Entführungen mit Lösegeldforderungen durch bewaffnete Gruppen. Auch in der türkisch kontrollierten Grenzregion kommt es zu Anschlägen der YPG auf türkische Streitkräfte und mit ihnen alliierte Milizen.

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation "Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) Afrin ein. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppen beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin. Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten.

US-Präsident Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen. Nachdem er Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. In deren Folge riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Nach etwa einer Woche waren die US-Streitkräfte aus Nordsyrien abgezogen.

Im Zuge der türkischen Militäroffensive kam es zu einer Einigung zwischen der Kurdischen Selbstverwaltung (dominiert von der PYD) und der syrischen Regierung, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Armee ist am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt. Laut dieser Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein.

Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter den wichtigsten Städten wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Gebieten, die von der Regierung beherrscht werden. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. In den größeren Städten wie Damaskus und Homs und ihren Einzugsgebieten ist die Sicherheitslage relativ stabil, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen kommt, zumeist auf regierungsnahe Personen.

Die Regierung greift auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren.

1.1.3. Rechtsschutz; Justizwesen

1.1.3.1. Gebiete unter der Kontrolle des Regimes

Das Justizsystem besteht aus mehreren Gerichtstypen, darunter sind Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht; Scharia-Gerichte sind für sunnitische und schiitische Muslime zuständig, Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen, in denen es auch eigene Berufungsgerichte gibt. Nach manchen Personenstandsgesetzen wird die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten angewandt.

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden üben auf die Gerichte jedoch oft politischen Einfluss aus. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein. 2012 wurde in Syrien ein Anti-Terror-Gericht eingerichtet. Es soll Verhandlungen auf Grund "terroristischer Taten" gegen Zivilisten und Militärpersonal führen, die Definition von Terrorismus im Gesetz ist sehr weit gefasst. Verschiedene Organisationen kritisieren das Anti-Terror-Gericht und die Militärgerichte wegen Mängeln bezüglich des fairen Verfahrens.

Das Recht auf ein öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird jedoch in der Praxis nicht respektiert. Regierungsbehörden verhafteten Zehntausende Menschen, ua. Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, religiöse Führer sowie Mitarbeiter von Nicht-Regierungsorganisationen, Hilfsorganisationen und medizinischen Einrichtungen, ohne ihnen Zugang zu einem fairen öffentlichen Verfahren zu garantieren. Bei Vorwürfen, welche die nationale Sicherheit oder politische Vergehen betreffen, soll es häufig zu geheimen Verhaftungen kommen.

In Syrien herrscht eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Anwendung der Gesetze vor. In keinem Teil Syriens gibt es Rechtssicherheit oder verlässlichen Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne zivile Kontrolle operieren können. Generell ist die Willkür in Syrien seit dem Ausbruch des Konfliktes gestiegen.

Die Verwaltung in den von der Regierung kontrollierten Gebieten arbeitet in Routineangelegenheiten mit einer gewissen Zuverlässigkeit, va. in Personenstandsangelegenheiten.

1.1.3.2. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes

In Gebieten, die oppositionelle Gruppen beherrschen, wurden unterschiedlich eingerichtete Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, die sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an Rechtsnormen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere dem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, während wieder andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und von den dominanten bewaffneten Gruppen dieser Gebiete beeinflusst. Manchmal münden Gerichtsverhandlungen vor Scharia-Räten der Opposition in öffentliche Hinrichtungen, ohne dass der Angeklagte hätte Berufung einlegen oder Besuch von seiner Familie erhalten können.

1.1.3.3. Gebiete unter kurdischer Kontrolle

Die kurdischen Behörden setzen in den von ihnen kontrollierten Gebieten einen Rechtskodex durch, beruhend auf einer "Sozialcharta". Sie wird beschrieben als eine Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht mit Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung an europäischem Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse europäische Standards für faire Verfahren. Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden. Es wurde eine von der PYD geführte Verwaltung geschaffen, die auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst. Der Rechtskodex, "Verfassung von Rojava" genannt, betont seine demokratische Struktur, in der Praxis herrscht die PYD vor und missachtet und unterdrückt andere kurdische Akteure. Die kurdischen Behörden haben den sogenannten "Defense of the People Court" eingerichtet, der über ehemalige Daesh-Mitglieder in kurdischer Gefangenschaft urteilen soll.

1.1.4.1. Sicherheitsbehörden und regimetreue Milizen

Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, nicht jedoch über ausländische und einheimische militärische oder paramilitärische Einheiten, zB russische Streitkräfte, Hisbollah, Islamische Revolutionsgarden und nicht uniformierte Milizen wie die National Defence Forces (NDF). Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden ist weit verbreitet. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann einen Haftbefehl im Fall von Verbrechen durch Militäroffiziere, Mitglieder der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffiziere (im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten) ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis ist keine rechtliche Verfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Missbrauchs und Korruption bekannt, die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und generell außerhalb des Gesetzes. Es gibt keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern. Auch Russland, der Iran, die libanesische Hizbollah und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, auch mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte.

1.1.4.2. Streitkräfte

Die Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe und den Geheimdiensten.

Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sog. Quta'a-System. Dabei wird jeder Division ein bestimmtes Gebiet zugeteilt. Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere Einheiten eingebaut, um eine bessere Kontrolle auszuüben und ihre Effektivität im Kampf zu verbessern.

1.1.4.3. Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen von Polizeikräften: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Bereitschaftspolizei.

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten.

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe von Techniken, um Syrer einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Dazu gehören Belohnungen, aber auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen bzw. deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte, aber auch andere Gruppen und Einzelpersonen müssen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen.

1.1.4.4. Volkskomitees, National Defence Forces, Viertes Korps, Fünftes Korps

Die National Defence Forces (NDF) sind eine Dachorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und wurden aus sogenannten Volkskomitees gegründet. Sie sind nicht Teil der syrischen Armee, aber offiziell als "Verbündete", als legitime Institutionen anerkannt, die Waffen tragen dürfen und zudem operative und logistische Unterstützung durch die syrische Armee erhalten.

Die regierungstreuen Milizen sind jedoch auch eine Konkurrenz für die Regierung, zB bei der Rekrutierung, da sie teilweise einen höheren Sold zahlen können. Manche der bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch vergleichsweise offen. Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps (Fifth Storming Corps/Fifth Assault Corps) gegründet. Auch diese beiden Einheiten sollten Strukturen bieten, in denen regierungstreue Milizen integriert und so unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden können. Zudem sollte das Fünfte Korps um freiwillige Rekruten werben. Rekruten können, ähnlich wie bei den NDF, ihren Wehrdienst anstatt in der regulären syrischen Armee auch im Fünften Korps ableisten.

1.1.4.5. Ausländische Kämpfer bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte auf der Seite des Regimes

Die militärische Intervention Russlands konnte 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden. Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern und ausländischen Kämpfern, darunter Pakistanis und Afghanen. Zudem unterstützt der Iran auch lokale paramilitärische Gruppen. Die iranischen Offiziere unterstützen Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die Hizbollah und irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert, ausgebildet und versorgt, ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert. Die Truppenstärke der afghanischen Fatemiyoun-Brigade, die seit Ende 2013 in Syrien eingesetzt wird, beläuft sich je nach Quelle auf 2000 bis 4000 bzw. 6000 bis 10.000 Kämpfer. Die aus pakistanischen Kämpfern zusammengesetzte Einheit der Zainabiyoun-Brigade, die seit 2015 in Syrien eingesetzt wird, hat eine Truppenstärke von wahrscheinlich durchschnittlich unter 1000 Kämpfern.

1.1.5. Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen tatsächlich oder vermeintliche Oppositionelle. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden.

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt an unbekannten Orten fest. Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, damit die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, dies wird dann jedoch nicht eingehalten. Große Summen werden gezahlt, damit Gefangene freigelassen werden. In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Sie werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen.

Auch die Rebellengruppen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt. Opfer sind va. tatsächlich oder vermeintlich regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen.

Berichten zufolge begehen die Konfliktparteien Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte, einschließlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, allerdings ist Straflosigkeit weit verbreitet, sodass die Zivilbevölkerung die Hauptlast des Konflikts zu tragen hat. Die Situation in Syrien ist als "Abschlachtung, kompletter Verlust jeglicher Menschlichkeit, Gipfel des Horrors" bezeichnet worden.

1.1.6. Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Syrien 2018 auf Platz 178 von 180 untersuchten Ländern. Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption vor, die Regierung hat die Regelungen jedoch nicht effektiv durchgesetzt. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden. Regierungstreue Milizen verlangen beispielsweise für das Passieren ihrer Checkpoints Bestechungsgelder. Das Fünfte Korps verlangt von lokalen Gemeinden Gelder für die Gewährleistung von Sicherheit. Milizen erpressen Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß. Auch in der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung Ranghöherer, etwa um eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten, einen Einsatz an der Frontlinie zu vermeiden oder überhaupt den Wehrdienst selbst zu umgehen.

1.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage

1.1.7.1. Es wird geschätzt, dass etwa eine halbe Mio. Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet worden ist.

Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen, offizielle Parteien zu gründen, und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet, um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, "Verschwindenlassen" und Folter.

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz chemischer Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik, der Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung.

Bewaffnete terroristische Gruppen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende HTS sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener verantwortlich. Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der SDF werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die YPG. Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der PYD und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter politischer Gegner sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten, mit den kurdischen Gruppen zusammenzuarbeiten. Familienmitglieder gesuchter Aktivisten sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben.

Die menschenrechtliche Situation ist in den kurdisch kontrollierten Gebieten insgesamt deutlich weniger gravierend als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer Gruppen befinden.

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist es, dass bestimmte Personen auf Grund ihrer tatsächlichen oder der ihnen zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen, dem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.

1.1.7.2. Todesstrafe

Das syrische Recht sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus, Hochverrat und weitere Delikte die Todesstrafe vor. Va. die durch das Regime betriebene unterschiedslose Diffamierung politischer Gegner und bewaffneter Rebellen als "Terroristen" oder die sehr weite Fassung des Begriffs Hochverrat ermöglicht den Missbrauch der Todesstrafe zu politischen Zwecken. Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für Syrien berichtete von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle. Menschenrechtsorganisationen berichteten von summarischen Hinrichtungen mutmaßlicher Deserteure.

1.1.7.3. Religionsfreiheit

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, die Verfassung sieht jedoch vor, dass der Präsident Muslim sein muss.

Zur Klärung von Fragen des Familienstandes verlangt die Regierung von den Bürgern, ihre Glaubenszugehörigkeit registrieren zu lassen. Die Religionszugehörigkeit wird nicht im Pass und auf der Identitätskarte vermerkt, sondern auf der Geburtsurkunde und auf Dokumenten, die zur Eheschließung und für Pilgerreisen notwendig sind. Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu registrieren. Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften".

Nach Schätzungen dürften die Sunniten 74 % der Bevölkerung stellen, sie setzen sich ua. aus arabischen, kurdischen, tscherkessischen, tschetschenischen und turkmenischen Bevölkerungsteilen zusammen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer-Schiiten machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %, verschiedene christliche Gruppen 10 %. Nach Berichten ist davon auszugehen, dass viele Christen auf Grund des Bürgerkrieges das Land verließen und die Zahl nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden.

Die Alawiten, zu denen Bashar al-Asad gehört, genießen einen privilegierten Status in der Regierung und dominieren auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär.

Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Laut Experten stellt die Regierung die bewaffnete Opposition auch als religiös motiviert dar, indem sie sie mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang bringt, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen. Dies führte dazu, dass manche Führer religiöser Minderheitengruppen der Regierung Präsident Asads ihre Unterstützung aussprechen. Die Minderheiten sind in ihrer Einstellung der syrischen Regierung gegenüber allerdings gespalten. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen.

1.1.8. Bewegungsfreiheit

Die Regierung und bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein. Die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung wird auch durch aktive Kampfhandlungen eingeschränkt, etwa durch Belagerungen, die auch zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu Mangelernährung, Hunger und Todesfällen führten. Seit der zweiten Hälfte 2018 stehen jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und im Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben. Manche wichtigen Verkehrswege konnten wieder geöffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in den von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig, und an den Straßen befinden sich nach wie vor zahlreiche Checkpoints, an denen Soldaten regelmäßig Bestechungsgelder verlangen sollen. Die Situation ist aber nicht vergleichbar mit anderen Phasen des Krieges, in denen viele Gebiete unerreichbar waren. Es ist jedoch noch immer schwierig, von Rebellen gehaltene Gebiete, zB in Idlib oder Nordaleppo, zu erreichen.

Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich seit Mai 2018 und der damaligen Wiedereroberung oppositioneller Gebiete durch die Regierung verbessert. Checkpoints werden von den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bemannt. Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen oder auch, wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen. Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann recht willkürlich sein.

Die Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten auf Grund der politischen Einstellung einer Person, ihrer Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern. Das Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt.

1.1.9. Grundversorgung und Wirtschaft

Schätzungen setzen die Kosten für den Wiederaufbau bei 250 Mrd. US-Dollar fest. Internationale Sanktionen, große strukturelle Schäden, der verringerte Konsum und die geminderte Produktion, reduzierte Subventionen und die hohe Inflation senken ua. den Wert des syrischen Pfunds und die Kaufkraft privater Haushalte. Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert mehr und mehr die katastrophale wirtschaftliche Lage und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion. Der fehlende Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterkunft und Nahrung drängt Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut. Über die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung ist arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit wird auf über 75 % geschätzt. Der finanzielle Druck trifft va. Personen in ländlichen Gegenden, aber auch dort gibt es regionale Unterschiede. Der Think Tank Middle East Institute berichtet, dass es in Damaskus immer schwieriger wird, ohne Beziehungen eine Arbeitsmöglichkeit zu finden.

13,1 Mio. Menschen in Syrien sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon leben etwa 1,16 Mio. in Gebieten, die für Hilfsorganisationen schwer zu erreichen sind. In den zentralen Vierteln der Hauptstadt Damaskus und Teilen der Gouvernements Lattakia und Tartous ist die Versorgungslage dagegen besser. In Gebieten im Nordwesten und Nordosten Syriens sowie Landesteilen mit einem hohen Anteil an Binnenvertriebenen ist die humanitäre Lage besonders angespannt. Die kritische Versorgungslage hat in Regionen mit besonders hohem Anteil Binnenvertriebener (zB in der Provinz Idlib, aber auch in Zufluchtsorten in den Provinzen Homs, Damaskus und Tartous) darüber hinaus vereinzelt zu Ablehnung und Abweisung von Neuankömmlingen geführt, die als Konkurrenten in Bezug auf die ohnehin sehr knappen Ressourcen gesehen werden. Nach wie vor verhindert das Regime Hilfslieferungen über die Konfliktlinien in Oppositionsgebiete.

Das Bildungssystem wurde durch die Beschädigung von Schulgebäuden und die Nutzung von Schulen als militärische Einrichtungen stark beeinträchtigt.

Die syrische Regierung bemüht sich, den Wiederaufbau voranzutreiben. Am wenigsten vom Konflikt betroffen sind neben dem Stadtzentrum der Hauptstadt Damaskus die Hafenstädte Tartous und Lattakia sowie Suweida und Hasakah. Der Konflikt in Syrien beschädigte große landwirtschaftlich nutzbare Gebiete, Tausende Landwirte wurden vertrieben. Dies verursachte einen starken Anstieg der Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel. Die Lebensmittelsicherheit hat sich 2018 durch die verbesserte Sicherheit und besseren Marktzugang ein wenig verbessert.

Die Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung ist infolge gezielter Zerstörung va. in umkämpften Gebieten eingeschränkt.

1.1.10. Medizinische Versorgung

Die Sicherheitslage hatte verheerende Auswirkungen auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Der Zugang zu medizinischen Versorgungsgütern, qualifiziertem Personal und spezialisierter Versorgung ist in vielen Teilen Syriens auf Grund unterbrochener Verkehrswege, der Flucht von Personal des Gesundheitssektors und Zugangsbeschränkungen für humanitäre Hilfe mangelhaft. Unter den Millionen Menschen, die außer Landes geflohen sind, waren 2017 geschätzte 27.000 Mediziner - mehr als die Hälfte der Ärzte, die vor dem Konflikt in Syrien tätig waren. Laut Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation sind 33 % der öffentlichen Gesundheitszentren funktionsunfähig, 21 % teilweise funktionsunfähig und 46 % voll funktionsfähig. Von den Krankenhäusern waren 24 % funktionsunfähig, 24 % teilweise funktionsunfähig und 52 % voll funktionsfähig.

Komplexere Operationen und spezialisierte Behandlungen für chronische Krankheiten können derzeit nur in Damaskus oder den Küstenorten Tartous und Lattakia durchgeführt werden.

Gezielte Angriffe des syrischen Regimes gegen zivile Gesundheitseinrichtungen dauern weiterhin an. Schätzungen zufolge sterben mehr Syrer am fehlenden Zugang zu Gesundheitsversorgung als durch die Kämpfe selbst.

1.1.11. Wehr- und Reservedienst, Wehrdienstverweigerung und Desertion

1.1.11.1. Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche Syrer ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend, zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten. Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Sie ist de facto ein Teil der syrischen Armee. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert.

Ein syrischer Mann bleibt nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts wurden Reservisten nur selten einberufen. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, nach denen die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn der Betreffende besondere Qualifikationen hat (das gilt zB für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Junge Männer im Alter von 17 Jahren sind dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss ihn durch Tätigkeiten ableisten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind. Wer physisch tauglich ist, wird entsprechend seiner schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder sie bestrafen müssen.

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen.

Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen, Wehr- bzw. Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als vom allgemeinen Gesetz. Einem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Desgleichen wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen.

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen gesuchter Personen. Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren unter Druck gesetzt oder inhaftiert wurden.

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Novelle zum Militärdienstgesetz, die besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht geleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8000 US-Dollar oder dem Äquivalent in syrischer Währung leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen der Altersgrenze geleistet werden, ansonsten ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 Dollar für jedes Jahr, um das sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 Dollar oder das Äquivalent in syrischer Währung nicht übersteigen soll. Außerdem kann das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert, den Betrag zu zahlen, konfisziert werden.

Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder ihn aufschieben. Auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. In der Praxis ist jedoch unklar, wie die Gesetze derzeit umgesetzt werden. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Das Risiko der Willkür besteht immer.

Da der Bedarf an Rekruten immer mehr wächst, werden die Regeln, die den Wehrdienst betreffen, immer willkürlicher angewandt, va. was Aufschubs- und Ausnahmeverfahren betrifft. Die Regierung soll für den Wehrdienst auch in stärkerem Ausmaß auf früher "geschützte" Teile der Bevölkerung zurückgreifen, wie auf Studenten, Beamte und Gefangene.

Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist der Aufschub des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann der Aufschub durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden.

Syrische Männer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis im Ausland können sich gegen Zahlung eines "Wehrersatzgeldes" vom Wehrdienst befreien lassen. Diese Zahlung beträgt je nach Wohnort zwischen 4000 und 5000 Dollar. Bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren müssen 8000 Dollar gezahlt werden. Für im Ausland geborene und weiterhin wohnhafte Syrer im wehrpflichtigen Alter beträgt diese Zahlung 2500 Dollar. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dies auch für Syrer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind.

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, muslimische Führer müssen dafür eine Abgabe zahlen. Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern der religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und die Mitglieder der Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen.

Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Das Dienstverhältnis von Staatsangestellten wird beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen.

1.1.11.2. Wehrdienstverweigerung/Desertion

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck politischen Dissenses und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.

Desertion wird in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die außer Landes geflohen sind, droht eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahren Haft in Kriegszeiten.

Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren ergriffen werden, also zB bei Deserteuren, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen.

Syrische Männer müssen sich bei ihrer Rekrutierungsstelle melden, wenn sie das Einberufungsalter erreichen. Tun sie das nicht, so können sie von der Militärpolizei verhaftet und wegen Wehrdienstverweigerung nach dem Militärstrafgesetz bestraft werden. Es gibt kein Recht auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen. Wehrdienstverweigerer, die sich nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem vorgeschriebenen Termin melden, können zu Haftstrafen von einem bis zu sechs Monaten (in Friedenszeiten) verurteilt werden und haben den regulären Wehrdienst zu leisten. Melden sie sich innerhalb der 30 Tage freiwillig, dann wird die Strafe um die Hälfte reduziert. In Kriegszeiten beträgt die Strafe bis zu fünf Jahren, abhängig von den Umständen.

In der Praxis werden Wehrdienstverweigerer verhaftet und für eine Zeit angehalten, bevor sie ihrer militärischen Einheit überstellt werden. Während der Anhaltung laufen sie Gefahr, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt zu werden. Die Regierung soll auch Leute verhaftet haben, um ihre Angehörigen im Wehrdienstalter unter Druck zu setzen, damit sie den Wehrdienst leisten.

Nach Berichten ist es nicht klar, wie man von der Verpflichtung erfährt, sich zum Wehrdienst zu melden, oder wie lange es dauert, bis der Betroffene zur Anhaltung (zB bei Checkpoints) ausgeschrieben wird. Es soll sogar - zumindest in einigen Fällen - vorgekommen sein, dass Männer bei Checkpoints festgenommen und zum Wehrdienst verpflichtet worden sind, die nicht einberufen worden waren. Da die Regierung ihre militärischen Kapazitäten erhöhen möchte, hat sie nach Berichten ihre Bemühungen zur Einberufung und Mobilisierung von Reservisten in Gebieten unter ihrer Herrschaft verstärkt, auch an festen oder mobilen Checkpoints, bei Razzien, Hausdurchsuchungen und der Durchsuchung öffentlicher Verkehrsmittel. Auch jüngere Burschen, die wie 18 Jahre alt aussehen, sollen an Checkpoints angehalten worden sein. Viele Männer im Einberufungs- oder Reservistenalter sollen sich verstecken oder das Land verlassen haben, aus Angst, an Checkpoints belästigt und eingezogen zu werden.

Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen das Land nur mit Erlaubnis der Rekrutierungsstelle verlassen.

Seit 2011 hat der syrische Staat für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst meldeten, so im Oktober 2018. Es gibt keine Informationen darüber, wie viele Personen die Amnestie vom 17.2.2016 für Deserteure, Wehrdienstverweigerer und Reservisten genutzt haben. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend sowie als bisher wirkungslos kritisiert. Die Behörden haben viele Personen, die im Rahmen früherer Amnestien freigelassen wurden, später erneut inhaftiert.

Es gibt Berichte, wonach Männer, die sich zu schießen weigerten, die desertierten oder die verdächtigt wurden, ihre Desertion zu planen, nicht förmlich beschuldigt wurden, sondern unmittelbar getötet oder willkürlich in Haft genommen, in Einzelhaft gehalten und gefoltert und getötet wurden. Andere sollen zu ihrer Einheit zurückgeschickt worden sein.

1.1.11.3. Nicht-staatliche bewaffnete Gruppen

Die Rekrutierung zu regierungsfreundlichen Milizen geschieht im Allgemeinen auf freiwilliger Basis. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den NDF oder anderen regierungstreuen Gruppen an. In vielen Fällen sind sie lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Weiters kann damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in die Strukturen der syrischen Armee zu integrieren, wodurch es möglicherweise nicht mehr möglich ist, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden. Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen gesuchter Wehrdienstverweigerer beteiligt.

Bei den oppositionellen Milizen in Syrien ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Die Frage ist, ob man sich dem Druck durch die Milizen und die Gesellschaft entziehen kann. Zwangsrekrutierung per se durch Milizen in Syrien ist nicht dokumentiert, aber Nötigung und sozialer Druck, sich ihnen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten ein Problem. So herrscht zB in Idlib, wo es zahlreiche Gruppen gibt, großer Druck, sich einer bewaffneten Gruppe anzuschließen.

1.1.11.4. Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG)

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind die bewaffneten Einheiten der PYD. Seit 2014 gibt es in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst für Männer von 18 bis 30 Jahren. Der Wehrdienst sollte sechs Monate dauern, dauerte in den letzten Monaten jedoch 12 Monate. Wer den Wehrdienst verweigert, muss zur Strafe 15 Monate Wehrdienst leisten. Mehrfach sind Männer von der YPG rekrutiert worden, die älter als 30 Jahre waren. Dies waren Leute, die PYD-kritisch politisch aktiv waren und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung bestraft werden sollten. Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten leisten, es gibt aber auch Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen. Anderen Quellen zufolge gibt es keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), jedoch kann es einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen geben, die gegen Daesh kämpfen. Nach wieder anderen Quellen ist es in mehreren Fällen zur Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung minderjähriger Mädchen gekommen. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen gehindert wurden, die YPG wieder zu verlassen, der sie freiwillig beigetreten waren.

1.1.12. Ethnische Minderheiten

Die Bevölkerung besteht zum Großteil aus Arabern (Syrer, Palästinenser, Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen.

2011 lebten in Syrien zwischen zwei und drei Mio. Kurden, ds. etwa 10 % der Bevölkerung. Die Lebensumstände waren für die Kurden in Syrien lange Zeit sehr kritisch. Im Nachgang einer Volkszählung 1962 wurde rund 120.000 Kurden die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt. Sie und ihre Nachfahren galten den syrischen Behörden seither als geduldete Staatenlose. Die Zahl dieser Ausgebürgerten, die wiederum in registrierte (ajanib) und unregistrierte (maktumin) Staatenlose unterteilt wurden, dürfte 2011 bei über 300.000 gelegen haben. Die schweren Diskriminierungen, die alle Kurden im Nordosten trafen, blieben bis 2012 bestehen. So durfte in den Schulen und Universitäten nicht in kurdischer Sprache gelehrt werden und kurdische Publikationen waren verboten. Da sich die syrische Regierung in den Anfangsjahren des Konfliktes aus den kurdischen Gebieten zurückzog, hatten die Kurden mehr Freiheiten, sodass zB die kurdische Sprache an Schulen unterrichtet werden konnte. Die syrische Regierung erkennt die Legitimität der föderalen kurdischen Gebiete jedoch nicht an.

Im Gefolge der Volkszählung von 1962 verloren etwa 150.000 Kurden ihre Staatsangehörigkeit. Ein Gesetzesdekret ordnete diese Volkszählung von einem Tag 1962 an, und die Regierung führte sie unangekündigt in der Provinz Hasakah durch. Wer - aus welchem Grund immer - nicht registriert war oder nicht über die nötigen Dokumente verfügte, war ab diesem Tag "Ausländer". Daher besitzen diese Kurden und ihre Nachkommen keine Personalausweise und kamen nicht in den Genuss von Regierungsmaßnahmen wie Gesundheitsversorgung und Schulbildung. - 2011 erließ Präsident Asad ein Dekret, wonach staatenlose Kurden in der Provinz Hasakah, die als "Ausländer" registriert waren, um die Staatsangehörigkeit ansuchen konnten. Es war unklar, wie viele Kurden von dem Dekret Nutzen zogen. Der Flüchtlingshochkommissär der Vereinten Nationen berichtete, dass ungefähr 40.000 die Staatsangehörigkeit nicht erhalten konnten. Das Dekret bezog sich auch nicht auf die etwa 160.000 "nicht registrierten" staatenlosen Kurden. Mit der Machtübernahme durch die kurdische PYD in Nord- und Nordostsyrien hat sich diese bis dahin bestehende staatliche Diskriminierung von Kurden faktisch entspannt.

1.2. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, ist XXXX geboren, gehört der ethnischen Gruppe der Kurden an und ist sunnitischer Muslim; seine Muttersprache ist Kurmandschi. Er stammt aus der Stadt XXXX in der Provinz XXXX und hält sich seit dem Spätherbst 2015 in Österreich auf.

Er hat keinen Militärdienst geleistet, weil er erst 2012, also im Alter von 50 Jahren, die syrische Staatsangehörigkeit erworben hat. In Syrien droht ihm keine Einberufung zum Militär- bzw. Reservedienst.

Die Fluchtgründe, die er vorgebracht hat, werden den Feststellungen nicht zugrundegelegt: dass er nämlich wegen der Teilnahme an Demonstrationen von Polizisten erpresst worden sei sowie dass er von syrischen Sicherheitsbehörden festgenommen und angehalten worden sei.

2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

2.1.1. Die Feststellungen zur Lage in Syrien beruhen auf dem Bericht des Bundesamtes (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) und auf den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (November 2017). Auf den "Erwägungen" beruhen ua. die Feststellungen über Verbrechen der syrischen Konfliktparteien (letzter Absatz des Abschnitts über "Folter und unmenschliche Behandlung"; S 16 f. der "Erwägungen"). Der Bericht des United States Department of State 2017 stützt diese Feststellungen; auf ihm beruht die Darstellung der Lage der staatenlosen bzw. nicht registrierten Kurden (S 53 des Berichts; dritter Absatz im Abschnitt über ethnische Minderheiten).

Der Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 13.11.2018 stützt diese Feststellungen.

Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen; sie stützen sich ihrerseits auf die Berichte zahlreicher anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Organisati

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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