TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/18 I413 2222859-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.04.2020
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Entscheidungsdatum

18.04.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I413 2222859-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLAMYR, LL.M, als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ägypten, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, p.A. ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 17.07.2019, Zl. XXXX ,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.12.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer reiste am 13.12.1996 legal mit einem Touristenvisum, gültig bis zum 12.01.1997, in das österreichische Bundesgebiet ein. Mit Ablauf des Visums hielt er sich ab dem 13.01.1997 unrechtmäßig in Österreich auf.

2.       Mit Bescheid der Technischen Universität Wien vom 09.06.1997 wurde der Beschwerdeführer als ordentlicher Hörer bei Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse zum Studium der Studienrichtung Bauingenieurwesen zugelassen. Da der Beschwerdeführer innerhalb der gesetzten Frist keine ausreichenden Deutschkenntnisse vorweisen konnte, verlor der Bescheid mit 09.03.1998 seine Gültigkeit und hielt sich der Beschwerdeführer erneut unrechtmäßig in Österreich auf.

3.       Er wurde am 30.05.1998 im Zuge einer polizeilichen Fahrzeuganhaltung von Beamten des österreichischen Sicherheitsdienstes während eines Streifendienstes angehalten und in weiterer Folge zur Identitätsfeststellung und wegen des Verdachts des unrechtmäßigen Aufenthaltes festgenommen. Mit Bescheid des Bundespolizeidirektion Wien vom 04.06.1998 wurde der Beschwerdeführer ausgewiesen und ihm aufgetragen, das Bundesgebiet sofort zu verlassen. Der Beschwerdeführer kam dieser Ausreiseverpflichtung nach.

4.       Der Beschwerdeführer reiste erneut mit einem Studentenvisum legal in das Bundesgebiet ein und stellte am 02.07.1998 einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck Student und wurde ihm eine solche mit Gültigkeitsdauer 30.03.1999 auch erteilt. Mit neuerlichem Antrag vom 31.03.1999 stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag und wurde ihm erneut eine Aufenthaltserlaubnis als Student bis 30.03.2000 erteilt.

5.       Am 01.03.2000 heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsangehörige XXXX .

6.       In weiterer Folge stellte der Beschwerdeführer am 04.04.2000 den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung „Familiengemeinschaft mit Österreicher“ und leitete er seine Angehörigeneigenschaft von seiner Ehefrau ab; die Niederlassungsbewilligung wurde ihm bewilligt und hatte eine Gültigkeit bis zum 10.06.2001. Am 07.06.2001 stellte der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Verlängerung der Niederlassungsbewilligung „Familiengemeinschaft mit Österreicher“ und leitete seine Angehörigeneigenschaft abermals von seiner Ehefrau ab; die Niederlassungsbewilligung wurde erneut bis zum 10.07.2002 bzw. mit 25.02.2002 unbefristet erteilt. In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer mit 07.11.2007 der Aufenthaltsstatus „Daueraufenthalt EU“ erteilt. Zuletzt wurde mit Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers vom 08.11.2012 dessen Aufenthaltsstatus „Daueraufenthalt EU“ bis 02.11.2017 bewilligt.

7.       Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.02.2007, rechtskräftig mit 02.03.2007, GZ 042 Hv 1/07h, wegen § 27 Abs 1 und 2 Z 2 1. Fall SMG, § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

8.       Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 06.12.2013, GZ 044 Hv 97/2013z, wegen §§ 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, 28a Abs 1 5. Fall, Abs 2 Z 3 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren unter Setzung einer dreijährigen Probezeit rechtskräftig verurteilt.

9.       Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.01.2018, rechtskräftig mit 19.01.2018, GZ 066 Hv 91/17k, wurde der Beschwerdeführer erneut wegen §§ 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs 2 und 28a Abs 1 5. Fall und Abs 3 1. Fall SMG sowie wegen § 50 Abs 1 Z 1 WaffG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 21 Monaten, hiervon 14 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

10.      Mit Beschluss vom 14.02.2018, GZ 066 Hv 91/17k, wurde dem Beschwerdeführer gem. § 39 Abs 1 Z 1 SMG Strafaufschub bis 19.01.2020 gewährt, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme, und zwar einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung in der Dauer von 18 Monaten mit regelmäßigen wöchentlichen psychotherapeutischen Gesprächen sowie begleitenden Harnkontrollen, zu unterziehen.

11.      Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 02.05.2019, GZ 066 Hv 91/17k, wurde der dem Beschwerdeführer mit Urteil vom 15.01.2018 unbedingte Strafteil von sieben Monaten der über ihn verhängten (teilbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

12.      Mit Schreiben vom 09.10.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Vorhaben informiert, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu erlassen; begründend wurde ausgeführt, dass seine rechtskräftigen Verurteilungen in Verbindung mit einem nachträglichen Versagungsgrund eines Aufenthaltstitels stehen. Es wurde ihm eine Frist von zehn Tagen zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt und langte eine solche mit Schriftsatz vom 15.10.2018 auch fristgerecht ein.

13.      Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 17.07.2019, Zl. XXXX , erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 5 FPG iVm § 9 BFA-VG (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt II.). Weiters erließ sie gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

14.      Mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 23.07.2019 wurde festgestellt, dass das unbefristete Niederlassungsrecht des Beschwerdeführers beendet ist. Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund der Straffälligkeit des Beschwerdeführers Ermittlungen angestellt worden seien und man zum Ergebnis gelangt sei, dass die letzte Verurteilung des Beschwerdeführers erst ein Jahr zurückliege und das Ausmaß der Tat des Beschwerdeführers im Bereich des Suchtgiftes nicht geeignet sei, eine positive Gefährdungsprognose dahingehend abzugeben, dass er sich in Zukunft wohl verhalten werde. Es wurde somit festgestellt, dass das unbefristete Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers beendet sei und ihm nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eine „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ ausgestellt werde.

15.      Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 17.07.2019 richtet sich die fristgerecht erhobene vollumfängliche Beschwerde vom 13.08.2019; es wurden die Verletzung von Verfahrensvorschriften, eine mangelnde Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung moniert und beantragt, den Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG durchzuführen bzw. den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

16.      Mit Schriftsatz vom 14.08.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 28.08.2019, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

17.      Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.12.2019 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer als Partei im Beisein seiner Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin sowie der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , als Zeuge einvernommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Ägypten und bekennt sich zum christlichen Glauben, koptisch-orthodoxe Richtung. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer hat zwei in Ägypten lebende Kinder, mit denen er auch regelmäßig Kontakt hat.

Am 01.03.2000 heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsangehörige XXXX , von der sich der Beschwerdeführer im Rahmen eines USA-Aufenthalts im Jänner 2001 trennte. Seitdem lebt der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt in keiner Lebensgemeinschaft mehr. Seit 01.03.2002 ist die Ehe mit XXXX , geborene XXXX geschieden Der Beschwerdeführer hat die Beendigung seiner Lebensgemeinschaft mit XXXX im Jänner 2001 nicht mitgeteilt und auch seine Ehescheidung den Behörden nicht gemeldet.

Der Beschwerdeführer ist 65 Jahre alt und gesund. Er war über 30 Jahre lang suchtmittelabhängig und konsumierte regelmäßig Haschisch, jedoch ist er seit einer ihm vom Gericht im Rahmen seiner Verurteilung aufgetragenen Therapie seit kurzem clean.

Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 1996 legal mit einem Touristenvisum, gültig vom 13.12.1996 bis zum 12.01.1997, in das österreichische Bundesgebiet ein; nach Ablauf des Visums wurde er mit Bescheid des Bundespolizeidirektion Wien vom 04.06.1998 ausgewiesen und ihm aufgetragen, das Bundesgebiet sofort zu verlassen. Der Beschwerdeführer kam dieser Ausreiseverpflichtung nach. Danach reiste er erneut mit einem Studentenvisum legal nach Österreich; ihm wurde in weiterer Folge eine Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck Student bis 30.03.2000 erteilt.

In weiterer Folge stellte der Beschwerdeführer aufgrund der zwischenzeitlich geschlossenen Ehe mit XXXX am 04.04.2000 den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung „Familiengemeinschaft mit Österreicher“ und leitete er seine Angehörigeneigenschaft von seiner Ehefrau ab; die Niederlassungsbewilligung wurde ihm bewilligt und hatte eine Gültigkeit bis zum 10.06.2001.

Im Jänner des Jahres 2001 kam es bereits zur Trennung von seiner Ehefrau. Am 07.06.2001 stellte der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Verlängerung der Niederlassungsbewilligung „Familiengemeinschaft mit Österreicher“ und leitete seine Angehörigeneigenschaft abermals von seiner mittlerweile von ihm getrennt lebenden Ehefrau ab; die Niederlassungsbewilligung wurde erneut bis zum 10.07.2002 erteilt.

Am 04.02.2002, weniger als ein Monat vor der Scheidung von seiner Ehefrau am 01.03.2002, beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung der Niederlassungsbewilligung unter Verweis auf die (noch) aufrechte Ehe. Ihm wurde die Niederlassungsbewilligung „Familiengemeinschaft mit Österreicher“ am 25.02.2002 unbefristet erteilt. Dass der Beschwerdeführer in Scheidung lebte und sich am 01.03.2002 scheiden ließ, gab der Beschwerdeführer den Behörden nicht bekannt.

Mit 07.11.2007 erhielt er den Aufenthaltsstatus „Daueraufenthalt EU“ erteilt. Zuletzt wurde mit Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers vom 08.11.2012 dessen Aufenthaltsstatus „Daueraufenthalt EU“ bis 02.11.2017 bewilligt.

In den Verlängerungsanträgen für seine Niederlassungsbewilligung berief sich der Beschwerdeführer stets auf seine Ehefrau und die aufrechte Ehe mit dieser, obwohl er von ihr seit Jänner 2001 getrennt lebte und am 01.03.2002 geschieden wurde. So führte er bei seinem Antrag vom11.06.2001 an, dass er seine Angehörigeneigenschaft von seiner Ehefrau ableitet, obwohl er seinen eigenen Angaben zufolge bereits die Scheidung eingereicht hatte und von dieser getrennt lebte. Den Antrag vom 04.02.2002 stellte er im Wissen um die unmittelbar bevorstehende Scheidung. Der Beschwerdeführer unterließ es, seine Scheidung der zuständigen Behörde zu melden und erschlich sich auf diese Weise einen unbefristeten Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer hat zwei volljährige erwachsene Kinder, die in Ägypten leben und die er auch regelmäßig besucht. Viele seiner Familienangehörigen, wie etwa zwei Brüder, Cousins, Nichten und Neffen leben in Österreich.

Der Beschwerdeführer absolvierte in Ägypten ein technisches Studium als Bauingenieur und arbeitete danach auch als diplomierter Bauingenieur. In Österreich arbeitete der Beschwerdeführer zwischen 20.03.1999 und 31.03.2018 teils vollbeschäftigt, teils geringfügig beschäftigt als Arbeiter und Angestellter und sowie zwischen 01.10.2004 und 30.11.2006 sowie zwischen 08.09.2011 und 31.03.2019 als selbständig Erwerbstätiger. Zeitweilig bezog er auch Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe. Seit 03.04.2018 bezieht er Notstandshilfe und Überbrückungshilfe.

Der Beschwerdeführer hat aus dem Zeitraum 01.06.2017 bis 31.03.2018 Rückstände an nicht bezahlten Beiträgen zur Sozialversicherung der Selbständigen. Er ist auch nicht bereit, diese Beitragsrückstände in Raten zu bezahlen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich mehrfach und einschlägig vorbestraft:

Erstmals wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27.02.2007, 046 042 Hv 1/07h, rechtskräftig mit 02.03.2007, wegen des Vergehens des versuchten gewerbsmäßigen Verstoßes gegen das Verbot ein Suchtgift zu erwerben, zu besitzen, zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder einem anderen zu überlassen oder zu verschaffen gemäß § 27 Abs 1 und 2 Z 2 1. Fall SMG, § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Weiters wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 06.12.2013, 044 Hv 97/2013z, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln durch den unerlaubten Erwerb und Besitz von Suchtgiften gemäß § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall SMG und wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs 1 5. Fall, Abs 2 Z 3 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren unter Setzung einer dreijährigen Probezeit rechtskräftig verurteilt, weil er Cannabiskraut und Cannabisharz in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge von Anfang Jänner 2007 bis zum 15.04.2013 anderen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen und weil er in diesem Zeitraum Cannabisharz und Cannabiskraut erworben und besessen hatte. Als strafmildernd wertete das Gericht das Geständnis und den bisherigen ordentlichen Lebenswandel, als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen und einem Vergehen und der lange Tatzeitraum.

Zuletzt wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.01.2018, 066 Hv 91/17k, rechtskräftig mit 19.01.2018, des Vergehens des Suchtgifthandels wegen §§ 28a Abs 1, fünfter Fall, Abs 3, erster Fall SMG, § 15 StGB, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs 2 SMG und wegen des Vergehens des unerlaubten Waffenbesitzes gemäß § 50 Abs 1 Z 1 WaffG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 21 Monaten, hiervon 14 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt, weil er vorschriftswidrig Cannabiskraut/Marihuana und Cannabisharz/Haschisch in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überließ, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, und solches Suchtgift unerlaubt erworben und besessen hatte, zum Eigenkonsum sowei weil er, wenn auch fahrlässig, eine Schusswaffe der Kategorie B, und zwar eine Pistole der Marke „Wiener Waffenfabrik“, Little Tom, Kaliber 6,35 mm samt Munition besessen hatte. Als strafmildernd wertete das Gericht das reumütige und überschießende Geständnis, die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes und die Sicherstellung der Tatwaffe, sowie dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit.

Der Beschwerdeführer spricht gut Deutsch, eine Unterhaltung mit ihm ist ohne Probleme möglich, lediglich bei komplexeren Themen vermag er sich auf Deutsch nicht auszudrücken; er kann jedoch keine absolvierte Sprachprüfung vorweisen. Er hat sich über die Jahre in Österreich einen Bekanntenkreis aufgebaut, seitdem er nicht mehr arbeitet, wird dieser Kreis jedoch allmählich kleiner.

Der Beschwerdeführer wird in Österreich sehr stark von seinem jüngeren Bruder, der mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist und hier einen Aufenthaltstitel hat, unterstützt; so bezahlt dieser die Rechnungen des Beschwerdeführers und kümmert sich auch sonst um ihn.

Darüber hinaus weist der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in beruflicher und kultureller Hinsicht auf und unterhält nach wie vor eine enge Beziehung zu seinem Herkunftsstaat, wo seine beiden Kinder leben und wo er eine Wohnung bestehend aus einem Zimmer und einem Bad besitzt.

1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Ägypten:

1. Politische Lage

2013 übernahm Präsident Abdel Fattah Al-Sisi, damals Verteidigungsminister und Befehlshaber der Streitkräfte (FH 4.2.2019; GIZ 12.2018), die Macht durch einen Putsch und stürzte den gewählten Präsidenten Mohamed Morsi von der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit der Muslimbrüder (FJP) (FH 4.2.2019). Al-Sisi war seit 12.8.2012 Minister für Verteidigung und Militärproduktion unter Ministerpräsident Hesham Qandil in der Regierung von Mohamed Mursi (GIZ 12.2018). Seit dem 8.6.2014 ist Abdel Fattah Al-Sisi, Präsident Ägyptens. Der Verfassung zufolge ist eine Kandidatur nur einem Zivilisten erlaubt. Al-Sisi musste aus dem Militärdienst austreten, um bei den Wahlen antreten zu können (GIZ 12.2018).

Am 17.6.2019 brach der ehemalige, erste frei gewählte Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, in einer Gerichtsverhandlung zusammen und starb später in einem Krankenhaus. Offizielle Todesursache ist Herzversagen (BAMF 24.6.2019).

Der Präsident wird durch Volksabstimmung für bis zu zwei Amtszeiten gewählt (FH 4.2.2019). Bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018 gewann Präsident Abdel Fattah Al-Sisi mit 97% der gültigen Stimmen eine zweite Amtszeit (AA 24.6.2019a; vgl. AI 26.2.2019; FH 4.2.2019) und setzte sich deutlich gegen den einzig verbliebenen Gegenkandidaten Mousa Mostafa Mousa durch (AA 24.6.2019a).

Die Wahlen waren durch Unterdrückung und Überwachungsbemühungen der Regierung beeinträchtigt, und die Amtszeit von Präsident Sisi ist von einem harten Vorgehen gegen abweichende Stimmen geprägt (TI 23.2.2019). Die Präsidentschaftswahl 2018 bot den Wählern keine echte demokratische Wahl und wurde unter anderem durch Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt (FH 4.2.2019). Vor der Abstimmung wurden lautstarke Oppositionelle inhaftiert und zum Schweigen gebracht (FH 4.2.2019). Die übrigen Kandidaten wurden im Vorfeld verhaftet oder zogen ihre Kandidatur zurück (AA 24.6.2019a). Legitime Oppositionskandidaten wurden unter Druck gesetzt, sich noch vor dem Wahlkampf zurückzuziehen. Schließlich stand Al-Sisi einem anerkannten Herausforderer gegenüber, Mousa Mostafa Mousa, dem Vorsitzenden der Oppositionspartei Al-Ghad. Mousa warb für Al-Sisi, bevor er selbst ins Rennen ging (FH 4.2.2019).

Kritische Äußerungen über Ägypten und politische Kommentare, auch in den sozialen Medien, können unter anderem als strafbare Beleidigung und Diffamierung Ägyptens oder des Staatspräsidenten bzw. als strafbares „Verbreiten falscher Gerüchte“ angesehen werden und eine Strafverfolgung nach sich ziehen (AA 1.7.2019). Bereits im Jänner 2018 verstärkten die Behörden das Vorgehen gegen Dissens und verhafteten willkürlich mindestens 113 Personen, nur weil sie friedlich ihre Meinung äußerten. Unter den Verhafteten befanden sich viele hochrangige Politiker, die den Präsidenten öffentlich kritisiert oder bei den Präsidentschaftswahlen gegen ihn kandidiert hatten. Sami Anan, der ehemalige Stabschef des Militärs, wurde im Jänner 2018 verhaftet, nachdem er seine Kandidatur angekündigt hatte. Abdelmonim Aboulfotoh, Gründer der Misr Al-Qawia-Partei, wurde im Feber 2018 in Bezug auf von ihm gegebene Medieninterviews verhaftet. Im April 2018 verurteilte ein Militärgericht Hisham Genina, den ehemaligen obersten Wirtschaftsprüfer Ägyptens, zu fünf Jahren Gefängnis, nachdem er den Präsidenten in einem Medieninterview kritisiert hatte. Im Oktober 2018 bestätigte ein Gericht eine Bewährungsstrafe von drei Monaten wegen "öffentlicher Unsittlichkeit" gegen den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Khalid Ali und disqualifizierte ihn damit erneut von der Kandidatur (AI 26.2.2019).

Die Wahl wurde durch eine geringe Wahlbeteiligung, die Nutzung staatlicher Ressourcen und Medien zur Unterstützung der Kandidatur von Al-Sisi, Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt. Die Wahlkommission drohte Nichtwählern mit Geldstrafen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen (FH 4.2.2019).

Im Feber 2019 verabschiedeten Parlamentarier in Ägypten eine Reihe von Verfassungsänderungen, welche die Macht des Präsidenten konsolidieren und gleichzeitig das Militär als die ultimative Autorität des Landes wiederherstellen soll (TI 23.2.2019). Die im April 2019 in Kraft getretenen Verfassungsänderungen eröffneten mit einer Spezialklausel dem Staatspräsidenten die Möglichkeit, über die gegenwärtig festgelegten zwei Amtsperioden hinaus bis 2030 im Amt zu bleiben. Zudem sehen diese Verfassungsänderungen erhebliche Eingriffe in die Gewaltenteilung und eine weitere Stärkung der Kontrolle des Militärs über das zivile Leben vor (AA 24.6.2019a). Die vorgeschlagenen Änderungen würden die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängern. Präsident Sisi sollte im Jahr 2022 zurücktreten (TI 23.2.2019).

Seit Amtsantritt setzt Präsident Al-Sisi den Schwerpunkt auf Reformen im Wirtschaftsbereich, um Ägypten aus der Krise zu führen (ÖB 1.2019). Arbeitsschwerpunkte der ägyptischen Regierung unter Ministerpräsident Mustafa Madbouly bleiben Stabilitätserhalt und Wirtschaftsförderung. Mit der „Egypt Vision 2030“ legte die ägyptische Regierung einen ambitionierten Entwicklungsplan vor, der sich auch an den internationalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) orientiert (AA 24.6.2019a). Nach Zuspitzung der Wirtschaftskrise (u.a. akuter Devisenmangel) wurden im Herbst 2016 im Rahmen eines vom IWF gestützten Reformprogramms der ägyptischen Regierung die Wechselkurse freigegeben und schrittweise Subventionskürzungen (Strom, Treibstoff) vorgenommen. Das Reformprogramm zeigt mittlerweile deutliche Erfolge und Verbesserungen bei den wirtschaftlichen Eckdaten, birgt aber auch weiterhin die Gefahr sozioökonomisch bedingter Unruhen, da Maßnahmen kurz- bis mittelfristig eine starke Belastung für die Bevölkerung darstellen (starker Anstieg der Inflation und Verlust von Arbeitsplätzen) (ÖB 1.2019). Durch die Preiserhöhung kam es sporadisch zu kleinen Protesten, die von der Polizei unterdrückt wurden. Die Polizei reagierte mit Härte auf die friedlich gegen Sparmaßnahmen protestierenden Demonstranten (AI 26.2.2019). Ein neues Gesetz, das im Juli 2018 verabschiedet wurde, erlaubt es dem Präsidenten, hochrangige Führer der Streitkräfte zu benennen, die er für begangene Vergehen vor Strafverfolgung schützen will. Der Zeitraum umfasst den 14.8.2013, als die Sicherheitskräfte und die Armee während der Auflösung der Sitzblockaden (Sit-ins) von Rabaa al-Adawiya und Nahda an einem einzigen Tag bis zu 1.000 Menschen töteten (AI 26.2.2019). Die vorgeschlagenen Änderungen würden auch die Rechtsstaatlichkeit und die Aufsicht über die Exekutive untergraben. Das Militär würde "Hüter des Staates" werden. Die Änderungen würden auch zur Auflösung der Nationalen Medienbehörde führen (TI 23.2.2019).

2. Sicherheitslage

Die terroristische Bedrohung ist auf ägyptischem Gebiet chronisch (FD 1.7.2019b). Es besteht landesweit weiterhin ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge. Diese richten sich meist gegen ägyptische Sicherheitsbehörden, vereinzelt aber auch gegen ausländische Ziele und Staatsbürger (AA 1.7.2019; vgl. FD 1.7.2019a).

Das Risiko besteht auch bei politischen Kundgebungen, Demonstrationen und religiösen Veranstaltungen in Ballungsräumen. Insbesondere bei christlich-orthodoxen Feiertagen ist in der Umgebung von christlichen Einrichtungen erhöhte Vorsicht geboten (BMEIA 1.7.2019). Nach der Zündung eines Sprengkörpers am 19.5.2019 in Gizeh wird empfohlen wachsam zu sein und stark frequentierte Bereiche zu meiden (FD 1.7.2019a). In den letzten Jahren wurden mehrere Terroranschläge verübt. Nach einer Reihe von Anschlägen wurde im April 2017 für drei Monate der landesweite Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wird seitdem regelmäßig alle drei Monate verlängert (AA 1.7.2019; AI 26.2.2019; vgl. FD 1.7.2019). Die Maßnahme geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher. Es kommt vor allem nachts zu verstärkten Kontrollen durch Sicherheitskräfte (AA 1.7.2019). Zu Demonstrationen kommt es seit der Wahl von Staatspräsident Al-Sisi im Mai 2014 kaum noch (AA 1.7.2019).

Es kam auch zu einem erneuten religiös motivierten Angriff, auf einen koptischen Pilgerbus in Minya, bei dem 29 Menschen getötet wurden (FD 1.7.2019). Seit 2016 ist es wiederholt zu Anschlägen auf koptische Christen und koptische Kirchen gekommen. Dabei gab es zahlreiche Tote und Verletzte (AA 1.7.2019). Am 28.12.2018 wurden bei der Aktivierung eines Sprengsatzes in der Nähe der Pyramiden von Gizeh vier Menschen getötet. Am 15.2.2019 versuchten die Sicherheitskräfte, drei in Kairo gefundene Sprengsätze zu entschärfen, von denen einer explodierte. Am 18.2.2019 tötete eine Person mit einem Sprengstoffgürtel drei Menschen (FD 1.7.2019b).

Vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet wird gewarnt (AA 1.7.2019). Am 9.2.2019 begann die ägyptische Armee ihre umfassende Operation „Sinai 2018“ gegen militante Islamisten auf der Sinai Halbinsel (AA 24.6.2019a; AI 26.2.2019).Es kam zu Angriffen auf Touristen am Strand und in Hotels. Ein besonders schwerer terroristischer Anschlag nach dem Freitagsgebet in einer Moschee im November 2017 im Dorf Bir el Abed im Nord-Sinai forderte mehr als 300 Menschenleben (AA 1.7.2019; vgl. AA 24.6.2019a; FD 1.7.2019b) und zahlreiche weitere verletzt (AA 1.7.2019). Bereits im August 2013 wurde im Gouvernorat Nordsinai der Ausnahmezustand verhängt und seitdem immer wieder verlängert. Es gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre (AA 1.7.2019). Bereits Im April 2017 wurden in Folge von Anschlägen auf zwei Kirchen in Alexandria und Tanta 45 Menschen getötet und über 100 verletzt. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hat sich zu den Anschlägen bekannt. Staatspräsident Al-Sisi verhängte einen Tag später den Ausnahmezustand, der seitdem alle drei Monate verlängert wurde. Die Politik der Härte und des permanenten Ausnahmezustands hat die Terrorgefahr jedoch nicht beseitigen können (AA 24.6.2019a). Das Österreichische Außenministerium ruft für den Nordsinai ein partielles Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 5) aus wie auch für die Saharagebiete an den Grenzen zu Libyen (einschließlich Mittelmeergebiet) und zum Sudan (BMEIA 1.7.2019). Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) besteht in den restlichen Gebieten der Sinai-Halbinsel, inklusive der Ostküste im Bereich von Nuweiba bis Taba sowie auch für das Innere des Südsinai (BMEIA 1.7.2019). Es kommt auch weiterhin zu terroristischen Anschlägen, zuletzt am 2.11.2018 in der ägyptischen Provinz Minya, wo sieben koptische Pilger starben, und am 28.12.2018 sowie am 19.5.2019 in der Nähe der Pyramiden von Gizeh, wo ausländische Touristen zu Tode kamen oder verletzt wurden (AA 24.6.2019a). Am 24.6.2019 kam es auf dem Sinai zu einem Gefecht zwischen der Armee und Kämpfern des Islamischen Staates (IS). Laut Auskunft des Innenministeriums seien dabei sieben Polizisten und vier Kämpfer des IS getötet worden (BAMF 1.7.2019).

Vor Reisen in entlegene Gebiete der Sahara einschließlich der Grenzgebiete zu Libyen und Sudan wird gewarnt (AA 1.7.2019). Die ägyptischen Behörden haben die Grenzregionen zu Libyen und zum Sudan zu Sperrgebieten erklärt (AA 1.7.2019). Minenfelder sind häufig unzureichend gekennzeichnet, insbesondere auf dem Sinai, in einigen nicht erschlossenen Küstenbereichen des Roten Meeres, am nicht erschlossenen Mittelmeerküstenstreifen westlich von El Alamein und in Grenzregionen zu Sudan und Libyen (AA 1.7.2019).

Die Kriminalitätsrate ist in Ägypten vergleichsweise niedrig. Kleinkriminalität wie Taschendiebstähle und auch vereinzelte Übergriffe speziell auf Frauen haben etwas zugenommen (AA 1.7.2019).

3.Rechtsschutz / Justizwesen

Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik. (AA 22.2.2019).

Die Todesstrafe wird verhängt und gegenwärtig auch vollstreckt. Zu diskriminierender Strafverfolgung oder Strafzumessung aufgrund bestimmter Merkmale liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. In diesem Bereich macht sich häufig der Druck der öffentlichen Meinung bemerkbar. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Vor dem Hintergrund allgemein harter und häufig menschenrechtswidriger Haftbedingungen gibt es Hinweise, dass insbesondere junge und unbekannte politische Straftäter besonders harten Haftbedingungen ausgesetzt sind. Amnestien werden wiederholt angekündigt und auch umgesetzt. Anlässlich ägyptischer Feiertage werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Im November 2016 kam es jedoch zur Amnestierung von über 100 Studenten und Journalisten, die wegen Teilnahme an Demonstrationen oder wegen ihrer Berichterstattung festgenommen wurden (AA 22.2.2019).

Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Andersdenkende inhaftieren zu können und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und Mitarbeiter ein. Die Behörden verwendeten Einzelhaft, Folter und andere Misshandlungen und ließen weiterhin Hunderter von Menschen ungestraft verschwinden. Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen wurden nicht untersucht. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten zahlreiche Menschen zum Tode (AI 26.2.2019; vgl. AI 23.5.2018). Sie hatten im August 2013 an Massenprotesten vor der al-Fateh-Moschee teilgenommen. Das Verfahren gegen die insgesamt 494 Angeklagten war grob unfair. Gerichte verließen sich bei der Urteilsfindung maßgeblich auf Berichte des nationalen Geheimdienstes und ließen Beweise zu, die nicht stichhaltig waren, darunter auch unter Folter erpresste »Geständnisse«. Zivilpersonen mussten nach wie vor mit unfairen Gerichtsverfahren vor Militärgerichten rechnen. Mindestens 384 Zivilpersonen wurde 2017 vor Militärgerichten der Prozess gemacht (AI 23.5.2018).

Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Die Gerichte handelten in der Regel unabhängig, obwohl es einzelnen Gerichten manchmal an Unparteilichkeit fehlte und diese zu politisch motivierten Ergebnissen gelangten. Die Regierung respektierte in der Regel Gerichtsbeschlüsse. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus, und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 13.3.2019).

Die ägyptische Justiz ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 12.2018).

4. Sicherheitsbehörden

Die primären Sicherheitskräfte des Innenministeriums sind die Polizei und die Zentralen Sicherheitskräfte. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und wichtigen in- und ausländischen Beamten. Zivile Behörden behielten die wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei (USDOS 13.3.2019).

Lang andauernde Haft ohne Anklage ist auf Veranlassung der Sicherheitsbehörden weit verbreitet. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019). In den meisten Fällen hat die Regierung Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, die zu einem Umfeld der Straflosigkeit beitragen, nicht umfassend untersucht. Die Regierung verfügt nicht über wirksame Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch. Die offizielle Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 13.3.2019).

Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und andere Verfassungsorgane weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 22.2.2019).

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung besagt, dass keine Folter, Einschüchterung, Nötigung oder körperlicher oder moralischer Schaden einer Person zugefügt werden darf, die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben. Das Strafgesetzbuch verbietet die Folter, um ein Geständnis von einem festgenommenen oder inhaftierten Verdächtigen zu erlangen, berücksichtigt aber nicht den psychischen oder psychologischen Missbrauch (USDOS 13.3.2019).

Folter wird durch ägyptische Sicherheitsbehörden in unterschiedlichen Formen und Abstufungen praktiziert. In Polizeigewahrsam sind Folter und Misshandlungen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu Todesfällen in Haft. Menschenrechtsverteidiger kritisierten, dass Beweise, die zu Verurteilungen in Strafverfahren führten, unter Folter gewonnen werden (AA 22.2.2019; USDOS 13.3.2019). Die Praxis der Folter ist nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt, auch wenn politische Aktivisten besonders gefährdet sind. Folter wird als Mittel zur Abschreckung und Einschüchterung eingesetzt (AA 22.2.2019). Regierungsbeamte leugneten, dass die Anwendung von Folter systematisch sei. Laut Human Rights Watch (HRW) und lokalen NGOs war Folter am häufigsten auf Polizeistationen und anderen Inhaftierungsorten des Innenministeriums zu finden (USDOS 13.3.2019).

Extralegale Tötungen werden im Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Islamisten verübt. Willkürliche Festnahmen und erzwungenes Verschwindenlassen. Inhaftierungen durch die Sicherheitsbehörden über längere Zeiträume ohne Anklage und Benachrichtigung von Angehörigen und Rechtsbeiständen sind verbreitet und üblich. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 22.2.2019).

Gefangene in Gewahrsam der Sicherheitskräfte wurden verprügelt und anderweitig misshandelt. Verhörbedienstete des nationalen Geheimdienstes folterten und misshandelten zahlreiche Personen, die Opfer des Verschwindenlassens geworden waren, um "Geständnisse" zu erpressen, die später vor Gericht als Beweismittel verwendet wurden. Das Ausmaß der Menschenrechtskrise in Ägypten hat sich erweitert. Die Behörden setzten weiterhin Folter und andere Misshandlungen in Haftanstalten ein (AI 26.2.2019).

Seitdem Präsident Abdel Fattah Al-Sisi im März 2018 eine zweite Amtszeit in einer weitgehend unfreien und unfairen Präsidentschaftswahl gewonnen hat, haben seine Sicherheitskräfte eine Kampagne der Einschüchterung, Gewalt und Verhaftungen gegen politische Gegner, Aktivisten der Zivilgesellschaft und viele andere geführt, die lediglich leichte Kritik an der Regierung geäußert haben (HRW 17.1.2019).

Die Kampagne Stop Enforced Disappearance hat von Juli 2013 bis August 2018 1.530 Fälle dokumentiert. Mindestens 230 davon ereigneten sich zwischen August 2017 und August 2018. Der Aufenthaltsort von mindestens 32 der im Jahr 2018 verschwundenen Personen blieb bis August 2018 unbekannt (HRW 17.1.2019).

6. Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Regierung setzte das Gesetz nicht konsequent um (USDOS 13.3.2019). Korruption ist auf allen Ebenen der Regierung weit verbreitet. Offizielle Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung korrupter Aktivitäten sind nach wie vor schwach und ineffektiv. Nach einer Änderung des Strafgesetzbuches im Jahr 2015 können Angeklagte in Fällen finanzieller Veruntreuung die Inhaftierung durch Zahlung von Entschädigung vermeiden; die Strafen sind meist gering. Die Administrative Control Authority (ACA), die für die meisten Antikorruptionsinitiativen zuständige Stelle, verfolgt oft politisch motivierte Korruptionsfälle, operiert allerdings undurchsichtig (FH 4.2.2019).

Die Korruptionsbehörde der Regierung (Central Agency for Auditing and Accounting) legte dem Präsidenten und dem Premierminister Berichte vor, die der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung standen (USDOS 13.3.2019).

Laut Corruption Perceptions Index 2018 befindet sich Ägypten auf Platz 105 von 180 Ländern (TI 2018). Ägypten erreichte in diesem Jahr nur 35 von 100 Punkten im Index und lag damit deutlich unter dem globalen Durchschnitt von 43 (TI 13.2.2019).

7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Internationale und lokale Menschenrechtsorganisationen bestätigten, dass die Regierung weiterhin unkooperativ ist (USDOS 13.3.2019). NGOs bleiben weiterhin Belästigungen und Einschränkungen ausgesetzt und sehen sich in den letzten Jahren mit Massenschließungen und Schikanen in Form von Bürodurchsuchungen, Verhaftungen von Mitgliedern, langwierigen Rechtsfällen und Reisebeschränkungen konfrontiert (AI 26.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Ein neues sehr restriktives Gesetz über die Gründung und Kontrolle von NGOs wurde im Mai 2017 vom Präsidenten unterzeichnet (AI 23.5.2019; FH 4.2.2019). Dieses räumt den Behörden weitreichende Befugnisse ein, um NGOs die offizielle Registrierung zu verweigern, sie aufzulösen und ihre Verwaltungsräte zu entlassen. Das Gesetz sieht fünf Jahre Gefängnis vor, sollten die Organisationen Rechercheergebnisse ohne Genehmigung der Regierung veröffentlichen (AI 23.5.2019). Die Arbeit von NGOs und Vereinigungen wird soweit eingeschränkt, dass eine freie Zivilgesellschaft unmöglich gemacht wird. Verstöße gegen das Gesetz können mit drakonischen Haftstrafen geahndet werden. Viele prominente Menschenrechtsverteidiger sind wegen ihrer Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen (u. a. aus Protest gegen das Demonstrationsgesetz) in Haft (AA 22.2.2019). Die Bestimmungen sehen Strafen bis hin zur lebenslangen Freiheitsstrafe für die Beantragung oder Annahme ausländischer Mittel zur Untergrabung der Staatssicherheit vor (USDOS 13.3.2019). Ausländische Finanzierung („Foreign Funding“) von NGOs wird mit empfindlichen Geldstrafen belegt (AA 22.2.2019). Das Gesetz ermöglichte die Errichtung einer neuen Regulierungsbehörde, die von der Sicherheitsbehörden dominiert wird. Für jede Art von Forschung oder Umfrage vor Ort und jede Art von Zusammenarbeit mit ausländischen NGOs wird die Zustimmung der Regulierungsbehörde eingefordert. Gesetzesverstöße können zu Bußgeldern und bis zu fünf Jahren Gefängnis führen (FH 4.2.2019).

Für NGOs bleibt das Klima sehr repressiv (FH 4.2.2019). Zahlreiche Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft sind weiterhin von Ermittlungsverfahren, Kontensperrungen, Ausreiseverboten, Einschüchterungen und unverhältnismäßig langer Untersuchungshaft betroffen. Zudem gibt es glaubhafte Berichte über zahlreiche Fälle erzwungenen Verschwindenlassens (AA 24.6.2019a).

8. Ombudsmann

2003 wurde per Gesetz der NCHR eingerichtet (NCHR o.D.). Das Gesetz erkennt formell die Rolle des National Council for Human Rights (NCHR) bei der Überwachung von Gefängnissen an und legt fest, dass Besuche eine vorherige Benachrichtigung des Generalstaatsanwalts erfordern. Der NCHR besuchte im Laufe des Jahres zwei Gefängnisse. Die Behörden erlaubten anderen Menschenrechtsorganisationen nicht, Gefängnisbesuche durchzuführen (USDOS 13.3.2019).

9. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Lage der Menschenrechte ist besorgniserregend (AA 24.6.2019a). Die im Januar 2014 angenommene Verfassung enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Viele dieser Grundrechte stehen jedoch unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt. In der Praxis werden diese Rechte immer weiter eingeschränkt, vor allem bürgerlich-politische Rechte. Allerdings hat Ägypten den Kernbestand internationaler Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 22.2.2018).

Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 12.2018).

Das Ausmaß der ägyptischen Menschenrechtskrise weitete sich aus, da die Behörden Gegner, Kritiker, Satiriker, aktuelle und ehemalige Menschenrechts- und Arbeitsrechtsaktivisten, Journalisten, Präsidentschaftskandidaten und Überlebende sexueller Belästigung verhafteten. Die Behörden nutzten die verlängerte Untersuchungshaft, um Gegner zu inhaftieren, und schränkten und schikanierten zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Mitarbeiter ein. Die Behörden wandten Einzelhaft, Folter und weitere Arten von Misshandlungen an und ließen Hunderte von Menschen ungestraft verschwinden. Untersuchungen von Fällen außergerichtlicher Hinrichtungen wurden unterlassen. Zivil- und Militärgerichte erließen nach unfairen Prozessen Massenurteile und verurteilten Hunderte von Menschen zum Tode. Menschen wurden aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen sexuellen Orientierung verhaftet. Die Behörden hinderten Christen daran, ihren Glauben frei auszuüben, und verabsäumten es, die Verantwortlichen für sektiererische Gewalt zur Verantwortung zu ziehen. Die Streitkräfte setzten bei einer laufenden Militäroperation im Sinai verbotene Streubomben ein (AI 26.2.2019).

Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 13.3.2019).

Weiters gibt es glaubhafte Berichte über Folter und Misshandlungen auch mit Todesfolge in Haftanstalten der Staatssicherheit und Polizeistationen. Die Todesstrafe kommt unter Staatspräsident Al-Sisi wieder verstärkt zur Anwendung und wird seit Dezember 2017 auch vermehrt vollstreckt. Im Namen der Terrorismusbekämpfung und Sicherung der Stabilität geht die staatliche Repression mit erheblichen Verletzungen grundlegender Menschenrechte einher. (AA 24.6.2019a).

10. Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten bleiben hart und potenziell lebensbedrohlich (USDOS 13.3.2019) und entsprechen nicht internationalen Standards. Haftanstalten sind gegenwärtig überfüllt. Folter und Misshandlungen sowie Todesfälle in Haft sind verbreitet. Zwangsarbeit kann in Verbindung mit Haftstrafen als Teil der Strafe verhängt werden, ausdrücklich auch in Form von schwerer körperlicher Arbeit („hard labour“) (AA 22.2.2019).

Es gab Fälle von zu Tode gefolterten Personen und andere Vorwürfe von Morden in Gefängnissen und Haftanstalten. Die Regierung hat in einigen Fällen Täter angeklagt, verfolgt und verurteilt (USDOS 13.3.2019).

Folter und andere Misshandlungen blieben in den offiziellen Hafteinrichtungen an der Tagesordnung und werden systematisch in den Haftzentren des nationalen Geheimdienstes praktiziert. Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden, werden mit unbegrenzter oder lang andauernder Einzelhaft bestraft. Im Februar 2017 änderte das Innenministerium die Gefängnisbestimmungen dahingehend, dass die Dauer der Einzelhaft auf bis zu sechs Monate verlängert werden kann. Andere Formen von Misshandlungen und mangelnde medizinische Versorgung bleiben in Gefängnissen weiterhin an der Tagesordnung (AI 23.5.2019; AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In einigen Fällen hielten Gefängnisbehörden Gefangene in kleinen Zellen fest, denen es an angemessener Beleuchtung, Belüftung oder Betten fehlte, oder Überbelegung aufwiesen (AI 26.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Mangel herrscht auch an ausreichender Nahrung. In einem Fall hielten die Behörden ein zwölfjähriges Kind mehr als sechs Monate lang in Einzelhaft (AI 26.2.2019). Zahlreiche Inhaftierte starben, weil die Gefängnisbehörden sich weigerten, sie zur medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus zu verlegen (AI 23.5.2019; vgl. AI 26.2.2019). Im September 2017 starb der ehemalige Anführer der Muslimbruderschaft Mohamed Mahdi Akef im Gefängnis an Bauchspeicheldrüsenkrebs (AI 23.5.2018).

Mursi litt seit langem an Diabetes und Hepatopathie und wurde nach Angaben seines Sohnes nicht adäquat behandelt. Dies wurde auch von britischen Parlamentsabgeordneten bestätigt, die ihn im Jahre 2018 besuchten. Mursi befand sich seit Jahren in Einzelhaft und war bereits 2018 auf einem Auge erblindet. Die wenigen Berichte über seine Haftbedingungen sprechen von nicht ausreichender und teilweise verdorbener Nahrung sowie dem Fehlen eines Bettes. Tod in Haft, vermutlich aufgrund unmenschlicher Haftbedingungen, ist kein seltenes Ereignis (BAMF 24.6.2019).

Das Strafgesetzbuch sieht einen angemessenen Zugang zu den Gefangenen vor. Nach Angaben von NGO-Beobachtern und Verwandten verhinderte die Regierung manchmal den Zugang von Besuchern zu Gefangenen (USDOS 13.3.2019).

11. Todesstrafe

Das ägyptische Strafrecht sieht die Möglichkeit, die Todesstrafe zu verhängen. Die Verhängung, Aufrechterhaltung und Durchführung der Todesstrafe haben in Ägypten seit 2017 deutlich zugenommen. Im Juni 2014 wurde nach einem seit 2011 bestehenden de-facto Moratorium die Vollstreckung der Todesstrafe wieder aufgenommen. Öffentlichkeitswirksam wurden zahlreiche Führungskader der Muslimbrüder erstinstanzlich zum Tode verurteilt. Die Verfahren entsprachen nicht rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern sind das Instrument einer politisierten Justiz, sich an der staatlichen Repression gegen die Muslimbrüder zu beteiligen und diese unter zusätzlichen Druck zu setzen. Auch bei schweren Verbrechen ohne politischen Hintergrund wird die Todesstrafe verhängt (AA 22.2.2019). Ägypten lag 2017 mit der höchsten Zahl an Hinrichtungen an sechster Stelle und lag an dritter Stelle mit der Zahl an Todesurteilen weltweit. Allein im September 2018 verhängte ein Strafgericht in Kairo in einem Massenprozess 75 Todesurteil (HRW 17.1.2019). Seit Dezember 2017 ist die Zahl der Hinrichtungen drastisch gestiegen. Die Zivilgesellschaft geht 2018 von mindestens 612 erstinstanzlichen Todesurteilen und 38 Hinrichtungen aus. In der ägyptischen Gesellschaft besteht breite Zustimmung zur Verhängung der Todesstrafe (AA 22.2.2019). Zwischen Dezember 2017 und März 2018 hat das Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS) die Hinrichtung von 39 Personen dokumentiert, die meisten davon Zivilisten, die von Militärgerichten verurteilt wurden (HRW 17.1.2019).

12. Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit ist eingeschränkt (AA 22.2.2019). Die Verfassung von 2014 erhebt den Islam zur Staatsreligion und bestimmt die Scharia zur Hauptquelle der Verfassung. Die Grenze zwischen Staat und sunnitischer Mehrheitsreligion ist nicht klar geregelt. Die Verfassung garantiert lediglich Glaubensfreiheit uneingeschränkt. Die Freiheit des Kultes und das damit verbundene Recht zum Bau von Gotteshäusern bleiben den Offenbarungsreligionen (Muslime, Christen, Juden) vorbehalten (AA 24.6.2019a; vgl. AA 22.2.2019).

Während Artikel 2 der Verfassung 2014 den Islam zur offiziellen Staatsreligion erklärt, heißt es in Artikel 64: "Glaubensfreiheit ist absolut". Die meisten Ägypter sind sunnitische Muslime. Koptische Christen bilden eine erhebliche Minderheit, und es gibt eine geringere Anzahl von schiitischen Muslimen, nicht-koptischen christlichen Konfessionen und anderen Gruppen. Religiöse Minderheiten und Atheisten sind mit Verfolgung und Gewalt konfrontiert, wobei insbesondere Kopten in den letzten Jahren zahlreiche Fälle von Zwangsvertreibung, hysischen Angriffen, Bomben- und Brandanschlägen sowie Blockade des Kirchenbaus erlitten haben (FH 4.2.2019).

90 % aller Ägypter sind Muslime, fast alle von ihnen Sunniten. Sie folgen der hanafitischen Rechtstradition, die als die liberalste der vier heute verbreiteten islamischen Rechtsschulen gilt. Ca. 9 % gehören der orthodoxen ägyptischen koptischen Kirche und ca. 1 % gehören anderen christlichen Konfessionen an. Das Religionsverständnis hat sich in den letzten Jahren jedoch je nach sozialer Gruppe in unterschiedlicher Form gewandelt. Mit dem Aufstieg des politischen Islam wurde in manchen Schichten eine engere und stärker auf äußere Formen orientierte Auslegung und dem Praktizieren der islamischen Religion populär (GIZ 2.2018).

Durch die Beschränkung der Glaubensfreiheit auf einzelne Religionen wird eine Unterscheidung zwischen „anerkannten“ und „nicht-anerkannten“ Religionen getroffen, die zu zahlreichen Formen der Diskriminierung im Alltag führt. Darunter leiden Angehörige kleinerer Glaubensgemeinschaften. So werden die in Ägypten lebenden Schiiten nicht als gleichwertige Religionsgemeinschaft anerkannt. Gleiches gilt für die etwa 2.000 Bahai, die ebenfalls keine staatliche Anerkennung genießen. 2015 wurden einzelne christliche Kirchen angegriffen und Eigentum von Kopten zerstört (AA 22.2.2019). Im August 2016 wurde ein lange erwartetes Gesetz über den Kirchenbau verabschiedet, das dem Bau von Kirchen allerdings nach wie vor administrative Hürden in den Weg legt (AA 24.6.2019a). Besonders in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokaler Ebene liegen. Traditionelle Vorstellungen von (Blut-)Rache und (kollektiver) Vergeltung sind in den ländlichen Gebieten Oberägyptens nach wie vor vorherrschend. Traditionelle Streitschlichtungsmechanismen spielen auch aufgrund der Abwesenheit funktionierender staatlicher Institutionen eine große Rolle. Dabei kommt es regelmäßig zu strukturellen Benachteiligungen der Christen. Die Konversion vom Christentum zum Islam ist einfach und wird vom Staat anerkannt, während die umgekehrte Konversion vom Islam zum Christentum zu massiven Problemen für die Betroffen führt. Zwar ist die Aufgabe des islamischen Glaubens nicht im geschriebenen Recht, wohl aber nach islamischem Recht verboten. Aufgrund innerislamischer Vorschriften gegen Apostasie haben Konvertiten in Ägypten mit gesellschaftlicher Ächtung zu rechnen. Die Behörden weigern sich in solchen Fällen häufig, neue Personaldokumente auszustellen. Der Eintrag der Religionszugehörigkeit in Personaldokumenten bleibt auch für andere religiöse Minderheiten ein Einfallstor für Diskriminierung und Ungleichbehandlung (AA 22.2.2019).

Seit März 2009 ist es beispielsweise den Bahais erlaubt, nationale Ausweise und Pässe zu haben, in denen das Feld „Religion“ offen bleibt, was jedoch zu vielfältigen Problemen im Alltag führt. Auch die Organisation innerhalb der sunnitischen Glaubensgemeinschaft mit dem Ministerium für religiöse Stiftungen an der Spitze und weitgehenden Durchgriffsrechten steht einer umfassenden Glaubensfreiheit im Weg. Um in den offiziellen Moscheen predigen zu können, müssen die Imame an der al-Azhar Universität ausgebildet worden sein. Das Ministerium gibt zudem die Themen und Schwerpunkte der Freitagspredigten vor. Das ägyptische Strafrecht sieht den Straftatbestand der Blasphemie und dafür bis zu fünf Jahre Haft vor. Es werden zum Teil lange Gefängnisstrafen wegen des Blasphemievorwurfs verhängt. Zudem wird in interreligiösen Auseinandersetzungen häufig der Vorwurf der Blasphemie gegen Angehörige religiöser Minderheiten vorgebracht, um diese unter Druck zu setzen und Gewalt gegen sie zu legitimieren. Christen und Angehörige anderer religiöser Minderheiten sind, vor allem in ländlichen Gebieten, immer wieder Gewaltakten und Einschüchterungen aus den Reihen der muslimischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt, wobei ein genügender Schutz durch die Sicherheitsbehörden nicht gewährleistet ist (AA 22.2.2019).

13. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Wiedereinbürgerung vor. Zudem darf laut Verfassung kein Bürger daran gehindert werden, das Staatsgebiet zu verlassen. Dennoch dürfen Männer, die den Wehrdienst nicht absolviert und keine Ausnahmegenehmigung erhalten haben, nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Personalausweise belegen den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 13.3.2019).

Die Behörden verlangten sporadisch von Bürgern im Alter von 18 bis 40 Jahren, eine Erlaubnis des Innenministeriums, um in bestimmte Länder zu reisen, um so den Beitritt zu terroristischen Gruppen zu erschweren und die Flucht von Kriminellen zu verhindern (USDOS 13.3.2019).

Die Regierung verhängte zunehmend Reiseverbote für Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten, die wegen Straftaten angeklagt oder untersucht wurden. Weiters gibt es kein von der Regierung auferlegtes Exil, und die Verfassung verbietet der Regierung, Bürger auszuweisen oder Bürgern die Rückkehr ins Land zu verbieten. Einige Politiker leben freiwillig außerhalb des Landes, da sie von der Regierung mit Strafverfolgung bedroht wurden (USDOS 13.3.2019).

14. Grundversorgung

Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung haben eine lange Tradition und zehren einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes auf. Daran ändert auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reformprogramm, das Kürzungen der staatlichen Subventionen für Elektrizität, Treibstoff, aber auch für Brotgetreide einschließt, nichts. So wurde z.B. nach Kürzung von Subventionen im Sommer 2017 und damit verbundenen Preissteigerungen die Zahl der Berechtigten für Lebensmittelkarten erhöht (bisher schon ca. 70 Mio. Personen) und auch der Umfang der über diese Karten zu beziehenden Güter nochmals ausgedehnt. Nicht-Ägypter haben nach hiesiger Kenntnis keinen Zugang zu diesem System (AA 22.2.2019). Im Rahmen des mit dem IWF verhandelten Reformprogramms versucht die Regierung, den notwendigen Strukturwandel in die Wege zu leiten. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 4,2 % und 2018 bei 5,3 %. Subventionen für Benzin, Diesel und Elektrizität werden von der Regierung sukzessive reduziert. Bis Juni 2021 ist eine vollständige Eliminierung aller Energiesubventionen vorgesehen (AA 24.6.2019c).

Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen, die in den 1950er und 1960er Jahren geschlossen wurden und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden, gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Für neue Verträge seit ca. 1990 gelten ohnehin die Gesetze des Marktes. Im Rahmen der Erschließung von Wüstenregionen wird ein gewisser Prozentsatz an Land und Wohnungen an arme Bevölkerungsteile verlost (AA 22.2.2019).

Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an die Ärmsten der Armen sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule (AA 22.2.2019).

Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivität

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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