Entscheidungsdatum
02.05.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I416 2132451-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL über den Antrag von XXXX, StA. Irak, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020, GZ: I416 2132451-1/25E, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens:
A)
Der Antrag auf Wiederaufnahme wird gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Wiederaufnahmewerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 17.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, dass er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit mehrere Drohbriefe erhalten habe sowie entführt worden sei. Überdies sei er aufgrund seiner sunnitischen Glaubenszugehörigkeit bedroht worden und habe er sich zwei Jahre lang verstecken müssen. Nach einem Entführungsversuch durch bewaffnete Unbekannte, bei welchem seine beiden Brüder verschleppt worden seien, habe er die Flucht aus dem Irak angetreten.
2. Mit Bescheid vom 21.07.2016, Zl.XXXX, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des nunmehrigen Wiederaufnahmewerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) ab. Zugleich erteilte ihm die belangte Behörde keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
3. Der Wiederaufnahmewerber erhob gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz vom 08.08.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte das Bundesverwaltungsgericht am 15.01.2020 eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Wiederaufnahmewerbers, seiner Rechtsvertretung sowie einer Dolmetscherin durch.
4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020, GZ: I416 2132451-1/25E, wurde die Beschwerde des Wiederaufnahmewerbers als unbegründet abgewiesen, da er keine asylrelevanten Verfolgungsgründe iSd Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der nunmehrige Wiederaufnahmewerber gesund ist. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die Feststellungen zum Gesundheitszustand des nunmehrigen Wiederaufnahmewerbers aus seinen Aussagen vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung ergeben. Es sei auch unter Berücksichtigung der seitens der Rechtsvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegebenen Medikamente (Toxal 50mg morgens, Arileto 5 mg abends) keine gesundheitliche Beeinträchtigung vorgebracht wurde, welche nach Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur zur Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Falle einer Rückkehr führen könnte.
5. Mit Schreiben vom 29.01.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 05.02.2020, stellte der Wiederaufnahmewerber durch seine Rechtsvertretung einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020, GZ: I416 2132451-1/25E, abgeschlossenen Asylverfahrens. Dieser wurde zusammengefasst damit begründet, dass die für den Wiederaufnahmewerber zuständige Rechtsvertreterin am 21.01.2020 die Niederschrift der öffentlichen mündlichen Verhandlung gelesen habe, wobei ihr sowohl sein seltsames Verhalten als auch seine Angaben bezüglich der eingenommenen Medikamente aufgefallen seien. Nach ihrer Recherche zu den Medikamenten Arileto und Toxal habe sie festgestellt, dass es sich beim Medikament Arileto um ein Antipsychotikum handle, sodass sie sich mit der zuständigen Betreuerin des Roten Kreuzes in Verbindung gesetzt habe. Diese habe der Rechtsvertreterin das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bestätigt. Aufgrund des dringenden Verdachts, dass der Wiederaufnahmewerber an einer Psychose leide, sei am 28.01.2020 die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters angeregt worden. Zusätzlich wurde eine Kopie der Anregung zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters vom 29.01.2020 dem Antragschreiben beigelegt.
Zusammengefasst führte die Rechtsvertretung somit aus, dass der Wiederaufnahmewerber aufgrund seiner psychischen Verfassung im Asylverfahren nicht in der Lage gewesen sei, seine Fluchtgründe konkret zu schildern. Außerdem leide er an einer Psychose, sodass er aufgrund der fehlenden medizinischen Versorgung im Irak nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren könne.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I. getroffenen Ausführungen.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt und den vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, einschließlich des rechtskräftigen Erkenntnisses vom 17.01.2020, in den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 29.01.2020 samt der beigeschlossenen Anregung zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters vom 29.01.2020.
Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrensgang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Mit Fuchs (in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 32 VwGVG, Anm. 13) ist der Systematik des VwGVG folgend anzunehmen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge - als selbstständige Entscheidungen - in Beschlussform zu erfolgen haben (ebenso Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte2, 2017, § 32 VwGVG K 29).
3.1. Rechtslage
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
Der Vollständigkeithalber wird darauf hingewiesen, dass mit Erkenntnis des VfGH vom 13.12.2016, Zl. G248/2016 ua, die Wortfolge "eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und" in §32 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, als verfassungswidrig aufgehoben wurde. Darin wurde insbesondere die vom Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 28. April 2016, Ro 2016/12/0007 und 03. August 2016, Ra 2016/12/0059, 0068 vorgenommene Auslegung des §32 Abs1 iVm §32 Abs2 VwGVG, wonach das Verwaltungsgericht den Eintritt der Bewilligungsvoraussetzung des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG abzuwarten habe, als unsachlich und in Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip gewertet, da es unsachlich und auch nicht mit dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist, mit der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag solange zuwarten zu müssen, bis der Verwaltungsgerichtshof über die Revision entschieden hat, zumal diese Entscheidung im Regelfall erst nach längerer Zeit ergehen wird. zu sehen wonach das Verwaltungsgericht den Eintritt der Bewilligungsvoraussetzung des §32 Abs1 zweiter Halbsatz VwGVG abzuwarten habe,
Gegen ein Zuwarten mit der Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag spricht auch §34 Abs1 erster Satz VwGVG, wonach das Verwaltungsgericht verpflichtet ist, über verfahrenseinleitende Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Einer erweiternden Auslegung der in §34 VwGVG normierten Ausnahmen von der Entscheidungspflicht steht der mit dieser Norm angestrebte Säumnisschutz des Rechtsschutzsuchenden entgegen.
Sohin war im gegenständlichen Fall der Wiederaufnahmeantrag nicht wegen fehlender Prozessvoraussetzungen zurückzuweisen, sondern eine inhaltliche Entscheidung zu treffen.
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 Blg. NR, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall
Der gegenständliche Antrag zielt darauf ab, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020 rechtskräftig abgeschlossene vorangegangene Verfahren wiederaufzunehmen.
Die Rechtzeitigkeit des Antrages auf Wiederaufnahme gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG, datiert vom 29.01.2020, ist ausgehend von der Behauptung, dass der Rechtsvertreterin der Umstand der psychischen Erkrankung des Wiederaufnahmewerbers erst am 21.01.2020 bekannt wurde, gegeben. Der letzte Tag der zweiwöchigen Frist war der 04.02.2020. Für die Berechnung der verfahrensrechtlichen Frist sind die §§ 32 und 33 AVG maßgeblich, sodass die Tage von der Übergabe an den Zustelldienst zur Übermittlung an das erkennende Gericht bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) nicht eingerechnet werden. Der am 05.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangte schriftliche Antrag war somit iSd § 32 Abs. 2 VwGVG rechtzeitig.
Der Antrag auf Wiederaufnahme erweist sich aber als nicht berechtigt, da die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens - die Wiederaufnahmegründe sind taxativ in § 32 Abs. 1 VwGVG aufgezählt - nicht vorliegen.
Der vom Wiederaufnahmewerber geltend gemachte Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt unter anderem voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089, mwN).
Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt weiters die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraus, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist (vgl. VfGH 20.02.2014, U 2298/2013); ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159).
Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das Bundesverwaltungsgericht entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH 19.04.2007; 22.02.2001, 2000/04/0195; 19.04.2007, 2004/09/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9).
Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, ihre Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist (sogenannte "nova reperta"), nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (sogenannte "nova causa superveniens") (vgl. zB. VwGH 08.11.1991, 91/18/0101; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 19.03.2003, 2000/08/0105; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG, Bd. 4 [2009] § 69 Rz 28).
"Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismittel" sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (VwGH 11.03.2008, 2006/05/0232).
Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG - die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind - handelt es sich beim "Verschulden" im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff.).
Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, 2001/07/0017; 22.12.2005, 2004/07/0209).
Wie bereits im Rahmen des Verfahrensganges dargestellt, begründet die Rechtsvertretung des Wiederaufnahmewerbers den Antrag im Wesentlichen damit, dass der Wiederaufnahmewerber aufgrund seiner psychischen Verfassung im Asylverfahren nicht in der Lage gewesen sei, seine Fluchtgründe konkret zu schildern. Außerdem leide er an einer Psychose, sodass er aufgrund der fehlenden medizinischen Versorgung im Irak nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren könne. Seine psychische Erkrankung sei seiner zuständigen Rechtsvertretung jedoch erst nach Durchsicht der Niederschrift der öffentlichen mündlichen Verhandlung sowie daraufhin durchgeführten Recherchen und Telefonaten am 21.01.2020 bekannt geworden.
Im der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am 15.01.2020 erklärte der Wiederaufnahmewerber auf die Frage des Richters, ob er sich körperlich und geistig in der Lage fühlt, der Verhandlung zu folgen: "Ich bin bereit, aber ich habe Angst und bin unruhig". Direkt im Anschluss wurde der Wiederaufnahmewerber gefragt, ob er an chronischen Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen leide, woraufhin er mit "Nein" antwortete (Protokoll vom 15.01.2020, S. 3). Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Wiederaufnahmewerber von seiner Rechtsvertreterin nach der Einnahme von Medikamenten befragt (Protokoll vom 15.01.2020, S. 10), und erklärte er auf Nachfrage des erkennenden Richters: "Ich weiß nicht wie sie heißen, aber eines nehme ich wegen dem Stress und eines wegen der Schlaflosigkeit." Die Rechtsvertreterin brachte sodann ohne Vorlage von Unterlagen vor, dass der Wiederaufnahmewerber Toxal 50mg abends und Arileto 5mg morgens einnehme.
Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020 heißt es diesbezüglich auf S. 63 "Es wurde auch unter Berücksichtigung der seitens der Rechtsvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegebenen Medikamente keine gesundheitliche Beeinträchtigung vorgebracht, welche nach Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur zur Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Falle einer Rückkehr führen könnte." Der nunmehrige Wiederaufnahmewerber war in der mündlichen Verhandlung rechtlich vertreten und brachte die anwesende Rechtsvertreterin selbst zwei Medikamente zur Sprache, ohne diesbezüglich weitergehendes Vorbringen zu erstatten. Der Wiederaufnahmewerber wusste, dass er Medikamente zur Behandlung von Stress, somit einer psychischen Einschränkung, nehme und war sich auch die Rechtsvertreterin über die Medikamenteneinnahme augenscheinlich im Klaren.
Wenn im Antragsschriftsatz nun angeführt wird, der Wiederaufnahmewerber legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein seltsames Verhalten an den Tag, ist dem entgegenzuhalten, dass der Wiederaufnahmewerber in der Lage war, die zahlreich gestellten Fragen mit inhaltlicher Substanz zu beantworten und war die Verhandlungsfähigkeit gemäß dem persönlichen Eindruck des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung gegeben.
Es ist grundsätzlich auch Sache des Wiederaufnahmewerbers darzutun, dass die von ihm behaupteten neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verwaltungsverfahren ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht worden sind. Der Argumentation der Rechtsvertretung, dass der Wiederaufnahmewerber aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, entsprechende Maßnahmen zu setzen und er aufgrund seiner paranoiden Überzeugung in Verbindung mit der Schwere seiner psychischen Erkrankung kein Vertrauen in seine Rechtsvertretung und Bezugsbetreuer gehabt habe, sodass die Krankheit nicht früher vorgebracht werden konnte, kann unter Zugrundelegung der Ausführungen der Rechtsvertretung im Schriftsatz vom 29.01.2020 nicht gefolgt werden. Dies trifft auch auf die seitens der Rechtsvertretung nunmehr angeregte Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters zu.
Der in der mündlichen Verhandlung anwesenden Rechtsvertretung war bekannt, welche Medikamente der Wiederaufnahmewerber einnimmt, und hat diese kein Vorbringen in Hinblick auf eine berücksichtigungswürdige gesundheitliche Beeinträchtigung erstattet. Überdies wird im Antragsschriftsatz behauptet, dass der Wiederaufnahmewerber bereits in den Räumen der Rechtsvertretung zweifelhaftes Verhalten zeigte, sodass voraussetzbar ist, dass sich die Rechtsvertretung vor Beginn der mündlichen Verhandlung zum Gesundheitszustand ihres Vertretenden erkundigt bzw. mit seiner Bezugsbetreuerin in Verbindung setzt. Des Weiteren wird im Wiederaufnahmeantrag geschildert, dass der Wiederaufnahmewerber bereits im Jahr 2017 in der Psychiatrie XXXXstationär aufgenommen geworden sei. Das Vorliegen einer - wie behauptet - bereits seit Jahren vorliegenden psychischen Erkrankung hätte von der Rechtsvertretung des Wiederaufnahmewerbers bei gehöriger Aufmerksamkeit längst im Verwaltungsverfahren geltend gemacht werden können, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht.
Der angeführte Wiederaufnahmegrund gründet sich somit auf einen Sachverhalt, der dem Wiederaufnahmewerber bereits seit dem Jahr 2017 bekannt gewesen sein müsste, war er doch seit diesem Zeitpunkt rechtsvertreten und war es ihm möglich im Zuge von Stellungnahmen ärztliche Unterlagen bezüglich seines psychischen Gesundheitszustandes vorzulegen. Der Wiederaufnahmewerber hätte überdies auf die explizit gestellten Fragen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht eine psychische Erkrankung erwähnen können. Auch aus diesen Gründen war bezüglich des Verschuldens des Wiederaufnahmewerbers die Vorwerfbarkeit vorauszusetzen.
Darüber hinaus wurde im Wiederaufnahmeantrag lediglich unsubstantiiert eine psychische Erkrankung des Wiederaufnahmewerbers vorgebracht, dies ohne Vorlage von unterstützenden Bescheinigungs- oder Beweismitteln wie beispielsweise medizinische oder ärztliche Unterlagen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ergibt sich sohin für das erkennende Gericht, dass es der Rechtsvertretung des Wiederaufnahmewerbers nicht gelungen ist, einen die Wiederaufnahme rechtfertigenden Grund geltend zu machen. Es erübrigte sich somit ein näheres Eingehen auf die Eignung der Tatsachen, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten.
Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.01.2020, GZ: I416 2132451-1/25E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens liegen somit nicht vor und war der Antrag des Wiederaufnahmewerbers als unbegründet abzuweisen.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Zur Frage der Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung äußerte sich der Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) dahingehend, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, in Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde." (vgl. VfGH vom 14.03.2012, U 466/11).
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Antrag auf Wiederaufnahme geklärt erschien und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).
Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder im gegenständlichen Antrag vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die gegenständliche Entscheidung weicht auch nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089; 19.04.2007, 2004/09/0159; 11.03.2008, 2006/05/0232; 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259; u.a.) zur Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ab.
Schlagworte
Asylverfahren Bindungswirkung Erwachsenenvertreter Fluchtgründe gesundheitliche Beeinträchtigung nova reperta psychische Erkrankung Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung WiederaufnahmeantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2132451.2.00Im RIS seit
13.08.2020Zuletzt aktualisiert am
13.08.2020