TE Bvwg Beschluss 2020/5/12 I408 2230643-1

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Veröffentlicht am 12.05.2020
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Entscheidungsdatum

12.05.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 2230643-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Ungarn, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.04.2020, Zl. XXXX, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Gegen die Beschwerdeführerin bestand bis zum 02.01.2019 ein Aufenthaltsverbot im Bundesgebiet. Seit 09.01.2019 ist sie erneut in Österreich meldebehördlich registriert.

Mit Schreiben vom 12.07.2019 verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) die Beschwerdeführerin dahingehend, dass mangels Vorliegens einer Erwerbstätigkeit eine Ausweisung gemäß § 66 FPG beabsichtigt sei. Unter Setzung einer 14-tägigen Frist wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, eine Reihe von Fragen zu ihren persönlichen Verhältnissen zu beantworten.

Die Beschwerdeführerin erstattete die entsprechende Stellungnahme fristgerecht am 25.07.2019 und führte darin im Wesentlichen aus, um eine Arbeitsstelle bemüht zu sein, in Österreich mit ihrer Lebensgefährtin über einen gemeinsamen Haushalt zu verfügen und von dieser auch finanziell unterstützt zu werden.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 15.04.2020 wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass bei der Beschwerdeführerin keine Aussicht auf eine Arbeitsstelle ersichtlich sei und überdies ein schützenswertes Privatleben offensichtlich nicht bestehen würde.

Mit Schriftsatz vom 28.04.2020 bekämpfte die Beschwerdeführerin diesen Bescheid in vollem Umfang und führte im Wesentlichen aus, dass sie arbeitsfähig, arbeitswillig und durch die Beziehung zu ihrer Lebensgefährtin auch finanziell abgesichert sei.

Die belangte Behörde legte Beschwerde und Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo sie am 04.05.2020 einlangten.

In ihrer Entscheidung setzt sich die Behörde weder mit der Lebensgemeinschaft der Beschwerdeführerin noch mit deren Versuch einer beruflichen Integration auseinander. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde zu der Feststellung, es würde "offensichtlich kein schützenswertes Privatleben in Österreich" vorliegen (Seite 7 des angefochtenen Bescheides), gelangt. Weder wurde die Beschwerdeführerin persönlich einvernommen noch deren angegebene Lebensgefährtin zu den Details der Beziehung (Dauer, Intensität) befragt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben ausgeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes. Auszüge aus der Grundversorgung, dem Zentralen Melderegister sowie aus dem Strafregister wurden durch das Bundesverwaltungsgericht ergänzend eingeholt.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Zur Zurückweisung an die belangte Behörde:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der VwGH hat die Möglichkeit der Zurückverweisung nur auf krasse bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken eingeschränkt. Das ist u. a. dann der Fall, wenn die belangte Behörde den relevanten Sachverhalt - wie im vorliegenden Fall - nur ansatzweise erhoben hat.

Im gegenständlichen Fall hat es die belangte Behörde unterlassen, den maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln. Bei einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist jedenfalls die Notwendigkeit gegeben, im Sinne einer Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK, das Bestehen eines etwaigen schutzwürdigen Familien- bzw. Privatlebens zu prüfen. Das vor knapp einem Jahr am 12.07.2019 eingeräumte (schriftliche) Parteiengehör ist zum einen nicht zeitnah und wurde zum anderen nicht ausreichend gewürdigt. So bringt die Beschwerdeführerin darin erstmals vor, in einer Partnerschaft zu leben, dessen unbenommen unterließ die belangte Behörde im weiteren Verlauf des Verfahrens jegliche weiteren Ermittlungsschritte hinsichtlich dieser Beziehung. So wäre jedenfalls festzustellen gewesen, wie lange die Beziehung bereits andauert und in welcher Intensität sie vorliegt, dies zumal die Beschwerdeführerin angab, von ihrer Lebensgefährtin finanziell unterstützt zu werden und mit dieser im gemeinsamen Haushalt zu leben, was jedenfalls ein Indiz für eine möglicherweise nicht unerhebliche Intensität darstellt.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass in dem von der belangten Behörde am 14.04.2020 eingeholten Sozialversicherungsauszug seit Juli 2019 nur 4 kurzfristige Arbeitsversuche ausgewiesen sind. Gleichzeitig ergibt sich aber aus diesem Auszug, dass die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt bei ihrer Lebensgefährtin mitversichert war. Abgesehen vom Parteiengehör vom 12.07.2019 und der dazu ergangenen Stellungnahme der Beschwerdeführerin sind keine weiteren Erhebungsschritte ersichtlich. Gerade bei einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist für ein ordnungs- und gesetzmäßiges Verfahren essenziell, die Beschwerdeführerin persönlich zu hören und den wesentlichen Sachverhalt vollumfänglich und zweifelsfrei zu ermitteln.

Es liegen somit gravierende Ermittlungslücken der belangten Behörde vor.

Es hat sich kein Hinweis darauf ergeben, dass die Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst eine wesentliche Beschleunigung oder Vereinfachung des Verfahrens darstellen würde, sie ist auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Die belangte Behörde wird sich daher mit der Beschwerdeführerin zu ihrem Privat- und Familienleben, zu ihrer Selbsterhaltungsfähigkeit sowie zu ihren Bemühungen um berufliche Integration persönlich auseinanderzusetzen und einen neuen Bescheid zu erlassen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 14.12.2015, Ra 2015/09/0057, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN) und es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylverfahren aufenthaltsbeendende Maßnahme Ausweisung Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Ermittlungspflicht Integration Interessenabwägung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Selbsterhaltungsfähigkeit Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2230643.1.00

Im RIS seit

13.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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