TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2019/21/0312

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2019, W186 2222961-1/11E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A C, zuletzt in W, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH in 1170 Wien, Wattgasse 48, 3. Stock), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige der Republik Moldau, reiste am 7. Juli 2019 visumfrei in den Schengenraum ein. Am 20. Juli 2019 wurde sie von Beamten der Landespolizeidirektion Wien nach einem mutmaßlichen Taxibetrug angehalten und in der Folge einvernommen. Sie erklärte, freiwillig nach Moldawien ausreisen zu wollen, blieb aber in Österreich. Am 13. August 2019 wurde sie abermals von der Polizei betreten. Daraufhin wurde gegen sie mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14. August 2019 eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot unter Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde erlassen.

2        Mit sofort in Vollzug gesetztem Mandatsbescheid vom 14. August 2019 ordnete das BFA gegen sie gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung an. In der Begründung des Bescheides führte es zu den gesundheitlichen Voraussetzungen für die Haft aus:

„Es ist weiters aufgrund Ihres Gesundheitszustandes davon auszugehen, dass auch die subjektiven Haftbedingungen, wie Ihre Haftfähigkeit, gegeben sind. Wie aus dem Anhalteprotokoll vom 13.08.2019 und der Mail vom 14.08.2019 ersichtlich sind Sie haftfähig. Sollten Sie ärztlicher Hilfe bedürfen, so kann Ihnen eine solche auch im Stande der Schubhaft gewährt werden.“

3        Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid und die „fortdauernde“ Anhaltung in Schubhaft eine Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG. Sie brachte darin - vertreten durch ihren Rechtsberater - insbesondere vor, dass sie an einer psychiatrischen Erkrankung leide. Bei Einvernahmen habe sie den Niederschriften zu Folge desorientiert und aggressiv gewirkt. Das BFA habe sich aber im Zuge der Schubhaftverhängung nicht ausreichend mit ihrer gesundheitlichen Situation auseinandergesetzt. Nicht nachvollziehbar seien die Ausführungen im Schubhaftbescheid, wonach sich die Haftfähigkeit der Mitbeteiligten aus dem Anhalteprotokoll vom 13. August 2019 sowie aus einem E-Mail vom 14. August 2019 ergebe. Das Anhalteprotokoll III sei nämlich gar nicht ausgefüllt worden, und ein E-Mail vom 14. August 2019, aus welchem auf die Haftfähigkeit geschlossen werden könnte, befinde sich nicht im Akt. Dort befinde sich vielmehr ein E-Mail des Vereins Menschenrechte Österreich, in welchem Zweifel hinsichtlich der Haft- und Geschäftsfähigkeit der Mitbeteiligten geäußert worden seien. Aufgrund des persönlichen Eindrucks des Rechtsberaters sowie aufgrund des Akteninhalts liege die Annahme einer psychiatrischen Erkrankung nahe. Zur Abklärung der Haftfähigkeit werde daher die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt. Außerdem werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Einvernahme der Mitbeteiligten beantragt.

4        Das BFA bestritt im Zuge der Aktenvorlage das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung der Mitbeteiligten. Es liege der Verdacht nahe, dass sie eine psychiatrische Auffälligkeit „größtenteils spiele“, um sich aus der Anhaltung freipressen zu können. Die Mitbeteiligte sei aktuell uneingeschränkt haftfähig. Es sei beabsichtigt, sie am 10. September 2019 in ihr Heimatland abzuschieben.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Schubhaftbeschwerde statt, indem es den Schubhaftbescheid aufhob und die Anhaltung in Schubhaft seit dem 14. August 2019 für rechtswidrig erklärte.

6        Begründend stützte sich das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass die Schubhaft nicht verhältnismäßig sei. Zwar möge es zutreffen, dass die Mitbeteiligte haftfähig sei; angesichts ihrer ungeklärten und im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auch nicht klärbaren gesundheitlichen Situation könne die Güterabwägung des BFA aber nicht nachvollzogen werden. Der Verwaltungsgerichtshof habe in einem ähnlich gelagerten Fall die Verhängung und Fortsetzung der Schubhaft als unrechtmäßig erkannt (VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0106); die Einholung und Erörterung eines psychiatrischen Gutachtens innerhalb der dem Bundesverwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Wochenfrist habe der Verwaltungsgerichtshof für nicht durchführbar gehalten. Tatsächlich sei eine solche Beweisaufnahme für das Gericht nicht möglich; der diesbezügliche Antrag sei daher zurückzuweisen gewesen.

7        Im „(faktischen und zeitlichen) Rahmen der vorliegenden Beschwerde“ sei allerdings „zu erkennen“, dass der Zustand der Mitbeteiligten - selbst wenn sie haftfähig sei - „prekär“ sei und „nicht in einer Weise beurteilt werden könnte, dass die Verhältnismäßigkeit ihres Freiheitsentzuges abschließend beurteilt werden könnte“. Dabei falle auch noch ins Gewicht, dass ein Termin für eine (begleitete) Abschiebung nicht feststehe und im Rahmen einer polizeilichen Einvernahme wegen des Verdachts der Vergewaltigung der Mitbeteiligten ein Kontakt mit einer österreichischen Opferschutzorganisation stattgefunden habe. Aus der Protokollierung ergebe sich ebenfalls der Verdacht einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung.

8        Insgesamt komme das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass in diesem Fall die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft nicht vorlägen.

9        Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, da der Sachverhalt „im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte“.

10       Ein Fortsetzungsausspruch sei nicht zu treffen gewesen, weil die Schubhaft zum Entscheidungszeitpunkt bereits beendet gewesen sei.

11       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

12       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

13       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

14       Das BFA bringt unter diesem Gesichtspunkt in der Revision vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe.

15       Richtig ist, dass angesichts des widerstreitenden Vorbringens in der Beschwerde und im Vorlagebericht betreffend den Gesundheitszustand der Mitbeteiligten insoweit von einem aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt im Sinn § 21 Abs. 7 BFA-VG keine Rede sein konnte. Im vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Erkenntnis VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0106, hat der Verwaltungsgerichtshof in Rn. 18 zwar eingeräumt, dass die - auch hier beantragte - Einholung eines (psychiatrischen) Sachverständigengutachtens im Hinblick auf die einwöchige Entscheidungsfrist nach § 22a Abs. 2 erster Satz BFA-VG für den Fortsetzungsausspruch nicht immer möglich sein mag; umso mehr bedarf es aber in solchen Fällen - wie im genannten Erkenntnis ebenfalls ausgeführt wurde - der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, um sich - gegebenenfalls unter Beiziehung eines Arztes - mit dem tatsächlichen Gesundheitszustand der angehaltenen Person auseinanderzusetzen.

16       Allerdings wurde vom Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall, was die Amtsrevision nicht beanstandet, kein Fortsetzungsausspruch getroffen, sondern nur der Schubhaftbescheid beurteilt und - als Ergebnis dieser Beurteilung - aufgehoben und die darauf gegründete Anhaltung für rechtswidrig erklärt. Es handelte sich also um eine reine Kontrolltätigkeit und - anders als beim Fortsetzungsausspruch - nicht um eine Entscheidung in der Sache, sodass es dem Bundesverwaltungsgericht nicht möglich war, entscheidungswesentliche Begründungsmängel des Schubhaftbescheides zu sanieren. Unzureichend begründete Schubhaftbescheide sind nach Maßgabe der erhobenen Schubhaftbeschwerde für rechtswidrig zu erklären, sofern es sich um einen wesentlichen Begründungsmangel handelt, also um einen solchen, der zur Folge hat, dass die behördliche Entscheidung in ihrer konkreten Gestalt die konkret verhängte Schubhaft nicht zu tragen vermag (vgl. zum Ganzen VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0007, Rn. 10 bis 13).

17       An einem derartigen wesentlichen Mangel litt der hier zu beurteilende Schubhaftbescheid, enthielt er doch trotz deutlicher Anhaltspunkte für eine zumindest eingeschränkte Haftfähigkeit der Mitbeteiligten keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung mit ihrem Gesundheitszustand. Vielmehr wurde, wie auch die Schubhaftbeschwerde aufgezeigt hat, für die Bejahung der Haftfähigkeit auf das im maßgeblichen Teil gar nicht ausgefüllte Anhalteprotokoll sowie auf ein E-Mail verwiesen, aus dem sich ganz im Gegenteil Hinweise auf eine mögliche psychiatrische Erkrankung ergaben.

18       Die Rechtswidrigerklärung des Schubhaftbescheides und der darauf gegründeten Anhaltung sind daher - im Ergebnis - zu Recht erfolgt, auch wenn die dafür weiters ins Treffen geführte Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, es würde kein Termin für eine Abschiebung feststehen, aktenwidrig war (das BFA hatte in seinem Vorlagebericht ausdrücklich auf den Abschiebetermin am 10. September 2019 hingewiesen, dessen Planung insbesondere durch eine Flugbuchung auch in den dem Bundesverwaltungsgericht übermittelten Akten nachvollziehbar ist; tatsächlich ist die Abschiebung der Mitbeteiligten an diesem Tag erfolgt).

19       In der Revision werden somit letztlich keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210312.L00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten