TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/16 W136 2199520-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.03.2020
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Entscheidungsdatum

16.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W136 2199506-1/10E

W136 2199520-1/11E

W136 2199515-1/9E

W136 2199524-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , und 4. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Ralf Heinrich HÖFLER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 17.05.2018, 1.) Zl. 1096102008-151825434, 2.) Zl. 1096101305-151825507, 3.) Zl. 1096102509-151825809 und 4.) 1096103506-151825876 nach mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die nunmehrige Erstbeschwerdeführerin reiste mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer, und den beiden gemeinsamen Kindern, dem Dritt- und der Viertbeschwerdeführerin, alle afghanische Staatsangehörige, in die Republik Österreich ein, wo sie am 19.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

2. Bei der Erstbefragung am 20.11.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie ihrem zehn Jahre älteren Cousin versprochen gewesen sei, auf dem Weg zur Universität aber einen Mann kennen gelernt habe, den sie lieber heiraten habe wollen. Aus Angst vor ihrer Familie habe sie sich zur Flucht in den Iran entschlossen, wo sie ihren jetzigen Ehemann islamisch geheiratet und rund vier Jahre mit ihm gelebt habe. Sie habe hin und wieder mit ihren Geschwistern telefoniert, ihre Eltern hätten ihr aber nicht verziehen und mit ihr nichts mehr zu tun haben wollen. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat habe sie Angst vor ihrer Familie, die ihrem Mann und ihr nie verzeihen würden. Sie würden ihn hart bestrafen, wenn sie ihn finden.

Der Zweitbeschwerdeführer gab im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er den Bus gefahren sei, der seine (jetzige) Frau jeden Tag zur Universität gebracht habe. Nachdem ihre Freundschaft intensiver geworden sei, hätten sie heiraten wollen. Die Familie seiner Frau habe sie jedoch mit einem zehn Jahre älteren Cousin verheiraten wollen. Da sie diese Ehe nicht gewollt bzw. ihr eine Zwangsheirat gedroht habe, hätten sie beschlossen, ohne Wissen der Familie seiner Ehefrau in den Iran zu flüchten, wo sie geheiratet und ihre Familie gegründet hätten. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen teilte er mit, dass sie islamisch gesehen unerlaubt gehandelt bzw. einen Tabubruch begangen hätten. Aus der Sicht seiner Schwiegerfamilie habe er seine Gattin entführt und würde man ihn bei einer Rückkehr in Afghanistan fertigmachen. Er habe Angst vor ihrem Onkel, der der Stellvertreter des afghanischen Präsidenten sei, und der Familie seiner Frau.

3. Am 22.02.2018 wurden die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi bzw. Dari (der Zweitbeschwerdeführer) niederschriftlich einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie den Sohn ihres Onkels mütterlicherseits heiraten habe sollen. Ihre Mutter habe zu ihr gesagt, dass sie ihn akzeptieren sollte, und dem Onkel zugesagt. Nach einer Verlobungsfeier ohne ihrem Verlobten und dessen Mutter sei sie ein- bis eineinhalb Jahre verlobt gewesen, wobei sich ihr Verlobter immer im Iran aufgehalten habe. Eines Tages sei sie von dessen Mutter aufgesucht und gefragt worden, warum sie deren Sohn akzeptiert hat. Dieser sei nämlich gewalttätig, würde Frauen schlagen und habe seiner Mutter die Hand gebrochen, bevor er in den Iran geflüchtet sei. Ihr Verlobter habe sie aus dem Iran übers Telefon eingeschränkt und ihr gesagt, was sie machen darf und was nicht. Sie habe dann den Fahrer eines Vans kennen gelernt, der sie und andere Studierende von zu Hause bzw. von der Universität abgeholt hat. Anfangs hätten sie sich geschrieben, in der Folge getroffen. Sie hätten etwa sechs Monate etwas zusammen unternommen. Als sie XXXX eines Tages gefragt habe, ob sie mit ihm in den Iran reisen möchte, habe sie zugestimmt. Ein Freund von XXXX habe die Reisepässe, sie habe das Visum und ein Ticket besorgt. Sie sei in den Iran zum Bruder von XXXX gereist und habe von dessen Festnetzanschluss ihren Bruder angerufen. Dadurch habe dieser die Telefonnummer herausbekommen. Daraufhin sei der Bruder ihres (jetzigen) Ehemannes von einem Bekannten ihres Vaters angerufen und darüber informiert worden, dass sein Bruder die Nichte des afghanischen Vizepräsidenten entführt habe, bzw. aufgefordert worden, sie wieder zurückzubringen, da sonst etwas passieren würde. Eine Studienkollegin habe nachfolgend XXXX Bescheid gegeben, dass sich Verwandte nach der Erstbeschwerdeführerin erkundigt hätten. Deshalb sei er sofort über Pakistan in den Iran gereist. Ihre Eltern hätten erfahren, dass sie mit XXXX geflüchtet sei. Wie sie in der Folge von ihrem Vater angezeigt worden sei, 16.000 Dollar und Schmuck von Cousin XXXX in den Iran mitgenommen zu haben, sei der in Afghanistan lebende Bruder ihres Mannes etwa eine Woche im Iran inhaftiert worden. Auch sie sei im Iran von der Polizei als Beschuldigte einvernommen worden. Sie habe die Vorwürfe bestritten. Die Hochzeit mit ihrem Cousin sei für zwei Tage nach ihrer Flucht geplant gewesen. Als ihr Onkel und dessen Sohn von ihrer Flucht in den Iran erfahren hätten, hätten sie ihre Mutter beschuldigt und eine andere Tochter, nämlich XXXX gefordert. Ihr Cousin sei in den Iran zurückgekommen, um nach ihr zu suchen, und sie und XXXX hätten in Isfahan (Iran) geheiratet. Ihr Cousin sei aber von der iranischen Polizei nach Afghanistan abgeschoben worden. Danach seien sie etwa zwei bis drei Jahre in Isfahan gewesen und hätten zwei Kinder bekommen. Dann habe ihr eine Tante väterlicherseits telefonisch mitgeteilt, dass ihr Bruder XXXX getötet wurde und dass die Cousins wieder in den Iran eingereist sind, um nach ihnen zu suchen. Der Cousin habe allen gesagt, wenn er die Erstbeschwerdeführerin nicht erwischt, dann ihre Tochter. Wie sie dann ihre Schwester XXXX angerufen und gesagt habe, dass sie zur Trauerfeier ihres Bruders kommen möchte, habe diese geantwortet, dass ihr Bruder tot, dass die Erstbeschwerdeführerin aber schon vorher für sie und ihre Familie gestorben sei. Abschließend teilte sie mit, dass sie Angst vor ihrem Onkel, dem afghanischen Vizepräsidenten hätten, der sie überall ausfindig machen könnte. Sie sei von ihrem Verwandten bedroht und könnte deswegen nicht zurück. Was sie in Afghanistan gemacht habe, den Geschlechtsverkehr vor der Hochzeit, sei streng verboten. Die Frau würde gesteinigt werden. Auf die Frage, welche Personen nach ihr suchen, zählte sie ihre Eltern, einen Cousin und einen Onkel mütterlicherseits auf. Befragt, warum ihre Eltern nach ihr suchen, erklärte sie, dass ihr Vater sie angezeigt habe, 16.000 Dollar mitgenommen zu haben. Außerdem würde man bestraft werden, wenn man in Afghanistan verlobt ist und flüchtet. Und ihr Onkel mütterlicherseits würde nach ihr suchen, weil sie die Verlobte seines Sohnes sei. Sein Sohn sei jetzt im Iran. Auf die Frage, wieso ihre Schwester die Heirat mit dem Cousin ablehnen habe können, sie aber nicht, erwiderte sie, dass sie die Ehre ihrer Familie verletzt habe, weil sie geflüchtet sei. Außerdem habe ihre Schwester gesagt, dass sie bereit sei, zu sterben, bevor sie ihn heiratet. Sie sei (noch) klein bzw. jung gewesen. Bezüglich Konsequenzen für ihre Schwester, teilte sie mit, dass diese von ihren Eltern beschützt gewesen sei. Die Eltern seien immer unter dem Druck von ihrem Onkel gewesen. Jetzt hätten ihre Eltern aber keinen Kontakt zum Onkel mehr. Auf Nachfrage, wieso sie die Ehe zu ihrem Cousin nicht ablehnen konnte, ihre Schwester aber schon, antwortete sie, dass sie auch eine andere Geschichte hinter sich gehabt habe, zumal sie eine Beziehung und eine Abtreibung gehabt habe. Ihre Schwester habe gemeint, dass sie ihn heiraten muss, weil er das nicht mitbekommen wird. Sie habe Angst gehabt, dass ihre Eltern von der Abtreibung erfahren könnten. Zwei Schwestern seien vom Vater an seine Verwandten gegeben worden und ihre Mutter habe sie an ihre Verwandten geben wollen. Obwohl sie dies verneint habe, habe ihre Mutter ihm trotzdem zugesagt. Sie habe gesagt, dass sie sich umbringen wird, wenn sie ihn heiraten muss, worauf ihre Mutter ihr entgegnet habe, dass sie ihr keine Angst machen kann. Befragt, wieso sie Angst gehabt hat, dass ihre Eltern von der Abtreibung erfahren, wenn sie diesen Mann nicht heiratet, erklärte sie, dass eine Frau vor der Heirat keine Beziehung haben dürfte. Hätten ihre Eltern es erfahren, hätten sie sie umgebracht. Vor ihrem älteren Bruder habe sie auch Angst gehabt. Bis sie nicht verheiratet gewesen sei, hätten ihre Eltern es nicht gewusst. Zu ihren Gründen für ihre Hochzeit mit XXXX teilte sie mit, wie sie ihm ihre Geschichte erzählt habe, habe er gesagt, dass sie ihren Cousin heiraten kann. Dann habe er sie gefragt, ob sie flüchten möchte. Das habe sie gewollt, also habe sie es gemacht. Weiters gab sie an, dass sie bereits in Afghanistan eine sexuelle Beziehung zu XXXX gehabt und dass ihre Mutter die Heirat mit ihrem Cousin gewollt habe. Befragt, ob es für sie ein Problem war, sich so zu kleiden, wie auf dem Foto ihrer Heiratsurkunde, also mit Hijab, gab sie verneinend an, dass es für sie egal sei, ob sie sich anzieht, wie sie jetzt sei, oder wie im Iran mit Hijab. Bezüglich eines Lebens an einem anderen Ort in Afghanistan, etwa in Mazar-e Scharif, erklärte sie, dass sie dort gewesen sei, dass sie aber nicht in anderen Provinzen leben hätten können, weil ihr Cousin oder ihr Onkel sie gefunden hätten. In Mazar hätten alle ihren Vater gekannt. Hinsichtlich einer möglichen Hilfe durch die Polizei gab sie an, dass sie mit ihrer Geschichte selbst Angst bzw. Angst gehabt habe, dass die Polizisten von ihrer damaligen Beziehung erfahren könnten. Zur Frage, wieso sie nach so langer Zeit noch von irgendwem gesucht werden sollte, gab sie an, sie wisse es nicht, würde aber immer noch hören, dass sie auf der Suche nach ihnen seien. Sie habe gehört, dass sie das deswegen machen würden, weil ihr Vater reich sei. Es sei eine Feindschaft mit ihrem Vater. Ihre Schwester habe zu ihr gesagt, dass der Onkel mütterlicherseits gesagt hat, dass ihr Cousin sie heiraten soll, damit er sich rächen kann. Es habe auch einen Grundstücksstreit gegeben. Auf Nachfrage erklärte sie, dass ihr Onkel mütterlicherseits nach ihr suchen würde. Der Politiker vielleicht auch, um ihrem Vater zu helfen. Durch diese Beziehung habe ihr Vater versucht, sie in Afghanistan ausfindig zu machen. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen teilte sie mit, dass sie Angst vor ihrem Onkel, vor ihren Eltern, vor der Polizei, vor Daesh und den Taliban habe. Bezüglich der Polizei fürchte sie, dass sie vom Onkel mütterlicherseits angezeigt wird, weil sie nicht mehr Jungfrau sei. Ihr Vater sei Analphabet und sehr traditionell eingestellt, sein Wunsch sei aber gewesen, dass jedes seiner Kinder eine Ausbildung machen kann. Auf Hinweis, dass studierende Frauen nicht üblich seien, erwiderte sie, dass sie im Iran geboren und etwas anders eingestellt seien. Sie hätten studieren können, aber nicht für sich selber entscheiden dürfen. Ihre Schwester XXXX habe ihren Verlobten auch nicht geheiratet, weil sie nicht einverstanden gewesen sei. Ihr Bruder habe sich scheiden lassen, weil er mit seiner Frau nicht einverstanden gewesen sei bzw. sich mit ihr nicht (mehr) verstanden habe. Zu einer allfälligen Einschränkung ihrer Rechte in Afghanistan berichtete sie, dass es in ihrer Heimat keine Gleichberechtigung von Frauen und Männern geben würde und dass Frauen keinen Wert hätten. Sie habe die Burka tragen müssen und das Haus als Frau nicht verlassen können. Sie habe zwar die Schule besuchen dürfen, danach aber sofort wieder nach Hause zurückkehren müssen. Weiters habe sie in Afghanistan nicht die Freiheit arbeiten zu gehen bzw. sich anzuziehen, wie sie möchte. Sie habe Burka tragen müssen, obwohl sie in die Universität gebracht worden sei. Befragt, ob die anderen Studentinnen auch alle Burka getragen hätten, erwiderte sie, manche schon, manche nicht. Manche hätten das Gesicht verschleiert. Ferner habe sie in Afghanistan als Frau nicht arbeiten gehen können und keine Freiheit gehabt. Manche Frauen würden auch verfolgt werden. Zudem könnte man als Frau keine voreheliche Beziehung haben. Darauf hingewiesen, dass ihre Schwester in Afghanistan arbeiten würde, entgegnete sie, dass sie verheiratet und ihr Mann vielleicht damit einverstanden sei. Auf die Frage, ob ihr Mann ihr erlauben würde, in der Heimat zu arbeiten, antwortete sie, sie glaube nicht. Sie wisse es aber nicht.

Der Zweitbeschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen zusammenfassend im Wesentlichen vor, dass er als Van Fahrer Studenten zur Universität und nach Hause gebracht habe. Dabei habe er seine Frau kennengelernt. Sie hätten einige Zeit telefonischen Kontakt gehabt und sich nach ein oder zwei Monaten getroffen. Die Erstbeschwerdeführerin habe ihm mitgeteilt, dass sie gezwungen sei, jemand zu heiraten, den sie nicht möchte. Sie habe erklärt, dass sie dann Selbstmord begehen würde und er schuld sei, weil er sie nicht unterstützt. Sie sei unter Druck gewesen. Er habe dann gesagt, dass sie flüchten können. Daraufhin habe sie ihm die Tazkira gebracht und er habe die Pässe besorgt. Seine Frau habe erst beim zweiten Versuch ein Visum bekommen. Er habe als lediger Mann kein Visum bekommen und sei in Mazar geblieben. Im Iran habe seine Frau ihre Angehörigen vom Haus seines Bruders angerufen. Die Person, mit der ihr Vater gesprochen habe, habe in der Nähe seines Bruders gewohnt. Diese habe seinem Bruder mitgeteilt, dass der Zweitbeschwerdeführer eine Angehörige des Ministers entführt habe. Als ihm dann eine Freundin seiner Frau berichtet habe, dass nach ihr gesucht wird, habe er sich zur Flucht in den Iran entschieden. Er sei schließlich zu seiner Mutter und seiner Schwester nach Zawara gekommen, wo dann die Trauung stattgefunden habe. Sein Schwiegervater habe ihn angezeigt und gesagt, dass er mit seiner Tochter geflüchtet bzw. schuld an ihrer Flucht sei. Sein Bruder sei in Haft genommen und jeden Tag einvernommen worden. Der Bruder habe gesagt, dass er den Aufenthaltsort des Zweitbeschwerdeführers nicht kennen würde. Sein Bruder sei beschuldigt worden, ihnen die Flucht organisiert zu haben. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen teilte er mit, dass er Angst vor seinen Schwiegereltern, vor dem Bruder seiner Frau und vor ihrem Verlobten XXXX habe. Außerdem hätten sie als Verwandte eines großen Politikers Angst vor den Taliban und anderen Gruppierungen. Der Verlobte seiner Frau würde ihn umbringen, sollte dieser ihn erwischen.

4. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde bezüglich der Erstbeschwerdeführerin insbesondere fest, dass es wenig plausibel erscheinen würde, dass XXXX lediglich der Schwester der Erstbeschwerdeführerin von der Abtreibung berichtet hat, nicht aber ihren Eltern, wenn er ihr tatsächlich damit Schaden zufügen hätte wollen. Weiters wäre es naheliegend, dass die Familie von XXXX die Abtreibung als Druckmittel gegen ihre Familie verwendet hätte, einer Ehe mit ihm zuzustimmen, wenn eine solche tatsächlich durchgeführt worden wäre. Hinsichtlich einer Anzeige durch ihren Onkel mütterlicherseits habe sie keine näheren Angaben machen können. Bezüglich dessen Kenntnis von einem vorehelichen Geschlechtsverkehr habe sie lediglich erklärt, dies nicht zu wissen. Ferner habe sie ihr Fluchtvorbringen in der Einvernahme massiv gesteigert. Sie habe in der Erstbefragung nämlich weder die Beziehung vor ihrem jetzigen Ehemann, noch die Anzeige gegen ihre Person in Afghanistan erwähnt. Zudem sei es wenig plausibel, dass gerade die Erstbeschwerdeführerin (zwangsweise) verheiratet werden sollte, während ihre Schwester eine derartige Heirat jedoch einfach und ohne Konsequenzen ablehnen konnte. Sie habe eine konkrete Begründung, weshalb gerade sie als einzige Tochter ihres Vaters gezwungen gewesen sei, einen Mann zu heiraten, den sie nicht gewollt hat, nicht geben können. Aus ihren Angaben würde vielmehr hervorgehen, dass ihre Familie eine eher offene Einstellung gehabt hat und als weniger traditionell angesehen werden kann. Jedes Kind habe eine Ausbildung machen können und ihre Familie sei bezüglich der Eheschließungen sehr tolerant und offen gewesen. Ihre Schwester XXXX habe ihren Verlobten nicht heiraten müssen, ihre Schwester XXXX habe die Heirat mit ihrem Cousin ablehnen und ihr Bruder habe sich scheiden lassen können. Dass sie als einzige in ihrer Familie zu einer Heirat gezwungen worden wäre, würde nicht nachvollziehbar erscheinen und sei daher nicht als glaubhaft anzusehen. Ebenso wenig sei es nachvollziehbar, dass ihr Cousin mehrere Jahre gewartet hat, bevor er sich wieder auf die Suche nach ihr gemacht hat. Während ihres rund vierjährigen Aufenthalts im Iran sei es jedenfalls zu keiner persönlichen Bedrohung bzw. Gewaltanwendung ihr bzw. ihrem Gatten gegenüber gekommen. Schließlich hätte sie ihre Schwester XXXX nie angerufen und den Wunsch geäußert, zur Trauerfeier ihres Bruders zu kommen, wenn sie tatsächlich verfolgt worden wäre bzw. scheint es wenig plausibel, dass ihre Familie nach ihr sucht, wenn sie nach Aussagen ihrer Schwester für diese "gestorben" sei. Abschließend sei aus ihren Angaben auch nicht hervorgegangen, dass sie seit ihrer Einreise in Österreich eine "westliche" Lebensführung und damit eine Lebensweise angenommen hat, welche einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde.

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers wird zusammenfassend im Wesentlichen ausgeführt, dass die von ihm vorgebrachte Verfolgung aus der von seiner Gattin in deren Verfahren angegebenen drohenden Zwangsheirat resultieren würde. Diese habe die ihr drohende Zwangsheirat in Afghanistan jedoch nicht glaubhaft vorbringen können. Deshalb sei die von ihm vorgetragene Verfolgung nicht als glaubhaft zu werten gewesen.

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wurde ausgeführt, dass den Beschwerdeführern aufgrund ihres Alters, ihrer sozialen Anknüpfungspunkte, ihrer Sprachkenntnisse und auch aufgrund ihres Gesundheitszustandes zugemutet werden könnte, für ihren Lebensunterhalt in Afghanistan zu sorgen. In einer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass keine reale Gefahr im Fall ihrer Rückkehr und auch keine sonstigen, schwerwiegenden Hinderungsgründe einer Rückkehr gegeben seien und auch keine Gründe vorliegen, welche zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen könnten.

5. Gegen diesen Bescheid brachten die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde fast ausschließlich aus selektiven Zitaten aus den Protokollen der Einvernahmen und aus Textbausteinen bestehen würde. Einen erkennbaren Begründungswert hätten die Feststellungen des Bundesamtes nicht, zumal die Behörde scheinbar einen großen Teil der Aussagen der Erstbeschwerdeführerin nicht zur Kenntnis nehmen, sondern nur in tendenziöser Weise jene Aussagen der Entscheidung zugrunde legen würde, die deren Argumentation zuträglich seien. Weiters wird eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zitiert, in welcher festgestellt wird, dass Widersprüche aus unterschiedlichen Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme nicht geeignet sind, dem Beschwerdeführer ausschließlich aus diesem Grund die Glaubwürdigkeit gänzlich abzusprechen (BVwG vom 24.09.2014, W228 1433746-1). Da die Behörde zu Spruchpunkt I. lediglich vollkommen unzureichend ausgeführt habe, dass sie in dem in der Beweiswürdigung dargestellten Umfang die Angaben als unwahr erachten würde, würde sie in unerträglicher Form der oben zitierten Entscheidung widersprechen. Die Behörde würde sich inhaltlich mit den einzelnen Fluchtgründen der Beschwerdeführer auch überhaupt nicht auseinandersetzen. Unabhängig davon würde es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau handeln, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich titulierten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert sei. Bei ihr würde das dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der an dem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen liegen. Sie würde bei einer Rückkehr in ihre Heimat als westlich orientierte Frau mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität ausgesetzt sein.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 28.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Schreiben vom 29.10.2019 wurden die Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.11.2019 geladen.

Am 21.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari mit den beschwerdeführenden Parteien und deren Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführenden Parteien im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführer sind afghanische bzw. iranische (die Viertbeschwerdeführerin) Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind Schiiten. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet und die Eltern des mj. Dritt- bzw. der mj. Viertbeschwerdeführerin.

1.2. Zur Person der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Ausreise aus Afghanistan:

Die Erstbeschwerdeführerin ist in XXXX , im Iran geboren sowie aufgewachsen und hat dort bis zur sechsten Klasse die Schule besucht. Ab der siebenten Klasse hat sie den Unterricht bis zur zwölften Klasse in einer Schule in Afghanistan bekommen. Danach hat sie zwei Jahre die Universität in Mazar-e-Sharif besucht.

Der Zweitbeschwerdeführer ist im Dorf XXXX , Distrikt Tukzar, in der Provinz Sara-e Pol geboren und aufgewachsen, hat die Schule nur bis zur zweiten Klasse besucht, weil danach die Taliban an die Macht gekommen sind und er dann keine Schule mehr besucht hat. Mit 14 Jahren ist er in den Iran gezogen, bis er im Jahr 2009/2010 nach Afghanistan abgeschoben wurde. Nach rund einem Jahr ist er neuerlich in den Iran gezogen. Er hat in seiner Heimat als Taxifahrer und im Iran in einer Landwirtschaft bzw. als Hirte und zuletzt in einer Fabrik für medizinisches Nahtmaterial gearbeitet. Weiters hat er in einer Fabrik für Baumaterialien und auch als Schweißer gearbeitet.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben im Iran geheiratet. Der Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin kamen am XXXX bzw. am XXXX im Iran zur Welt.

Die Eltern und die fünf Geschwister der Erstbeschwerdeführerin leben in Kabul. Ein Onkel väterlicherseits, zwei Onkel mütterlicherseits und eine Tante väterlicherseits leben in Kabul bzw. in XXXX . Ein Onkel mütterlicherseits, zwei Tanten väterlicherseits und drei Tanten mütterlicherseits leben im Iran. Die Mutter und ein Bruder des Zweitbeschwerdeführers leben im Iran. Ein Bruder, eine Schwester, sein Stiefonkel väterlicherseits und zwei Onkel mütterlicherseits leben in Mazar-e Sharif. Ein Bruder lebt in Frankreich.

Die Beschwerdeführer sind gesund.

1.3. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Beschwerdeführer befinden sich seit ihrer Antragstellung im November 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführer beziehen seither regelmäßig Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Die Erstbeschwerdeführerin kümmert sich gemeinsam mit ihrem Ehemann um den Haushalt bzw. ihre beiden Kleinkinder (fünf und sechseinhalb Jahre alt) und hat seit 01.11.2019 eine berufliche Tätigkeit aufgenommen. Davor hat sie seit August 2018 ein- bis dreimal pro Woche in einem Altersheim ausgeholfen. Die Erstbeschwerdeführerin spricht nur gebrochen Deutsch (vgl. Verhandlung vom 21.11.2019). Der Zweitbeschwerdeführer kann sich auf Deutsch ganz gut verständigen.

Die Beschwerdeführer waren bisher nicht erwerbstätig.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr keine Verfolgung aufgrund ehrverletzenden Verhaltens in Form ihrer Verehelichung (insbesondere durch die Eltern der Erstbeschwerdeführerin oder ihren, in höherer Staatsfunktion tätigen Onkel). Den Beschwerdeführern droht auch keine Verfolgung durch den Onkel mütterlicherseits bzw. den Cousin der Erstbeschwerdeführerin, den sie heiraten hätte sollen. Ebenso droht ihnen keine Verfolgung durch die afghanische Polizei, durch die Taliban, durch den Islamischen Staat/Daesh oder eine andere Gruppierung.

Der Erstbeschwerdeführerin droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine geschlechtsspezifische Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "westlich-orientierter Frauen". Weiters ist weder die Erstbeschwerdeführerin auf Grund der Tatsache, dass sie sich mehrere Jahre in Europa aufgehalten und hier eine "westliche Wertehaltung" kennengelernt hat, noch ist jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan allein aus diesem Grund zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Die Beschwerdeführer konnten nicht glaubhaft machen, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund ihrer individuellen Situation im Zusammenhang mit der Lage in ihrer Herkunftsregion ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK) droht.

1.5. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Eine Rückkehr der Beschwerdeführer etwa in ihre Herkunftsstadt Mazar-e Sharif oder auch die Stadt Herat ist möglich und zumutbar.

Die Erstbeschwerdeführerin ist im Iran und anschließend in Mazar-e Sharif und der Zweitbeschwerdeführer ist in Sare Pol und ab seinem vierzehnten Lebensjahr im Iran aufgewachsen, sie haben dort, also in islamisch geprägten Ländern ihre Sozialisation erfahren und der Zweitbeschwerdeführer hat dort insbesondere in einer Landwirtschaft bzw. in einer Fabrik gearbeitet. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer haben noch familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, die Familie der Erstbeschwerdeführerin ist von Mazar-e Sharif nach Kabul gezogen und Geschwister des Zweitbeschwerdeführers leben nun in Mazar-e Sharif. Da der Zweitbeschwerdeführer über umfassende und vielfältige Berufserfahrungen verfügt, ihre finanzielle Situation scheint daher gesichert zu sein.

Die finanzielle Lage insbesondere der Familie der Erstbeschwerdeführerin ist sehr gut, auch die erwachsenen Schwestern der Erstbeschwerdeführerin sind hochgebildet und verfügen über eine universitäre Ausbildung, eine ist Juristin, eine Ärztin.

Die Beschwerdeführer sind jung, gesund und der Zweitbeschwerdeführer hat langjährige Erfahrungen auf dem landwirtschaftlichen Sektor, als Hirte, als Fabrikarbeiter und als Schweißer, zudem hat er schon als Taxifahrer gearbeitet, es ist daher kein Grund ersichtlich, warum eine Wiederansiedlung in ihrer Heimat nicht möglich sein sollte. Auch ihre beiden Kinder, die jetzt sechseinhalb, bzw. fast fünf Jahre alt sind, sind gesund, es ist kein Grund ersichtlich, warum sie nicht gemeinsam mit ihren Eltern etwa in Herat leben könnten, auch wenn der Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin im Iran geboren wurden.

Insbesondere wurden auch keine Faktoren glaubhaft gemacht und haben sich solche auch sonst im Verfahren nicht ergeben, die eine Gefahrenverdichtung in den Personen des Dritt- bzw. der Viertbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Minderjährigkeit darstellen. Es besteht für sie aufgrund ihrer Minderjährigkeit insbesondere keine erhöhte Gefahr, zivile Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzungen zu werden. Es ergaben sich im Hinblick auf die familiäre Situation auch keine Hinweise, dass die zwei minderjährigen Kinder der beiden Beschwerdeführer Gefahr laufen würden, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden.

Der Zweitbeschwerdeführer konnten auch bisher durch seine berufliche Tätigkeit in Afghanistan seinen Lebensunterhalt bestreiten und ist kein Grund ersichtlich, weshalb er nicht auch für seine Frau und seine beiden Kinder zumindest vorübergehend sorgen könnte. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit zwölf Jahren Schulausbildung und zweijährigem Universitätsbesuch eine für afghanische Verhältnisse hochgebildete Frau, die nach ihren Angaben immerhin möchte auch eine berufliche Tätigkeit ausüben möchte. Ihnen wäre daher der (Wieder)Aufbau einer Existenzgrundlage etwa in der Heimatstadt Mazar- e Sharif oder Herat möglich, zumal sie in ihrer Heimat noch ausreichenden familiären Anschluss haben. Die Beschwerdeführer hätten zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Ebenso ist kein Grund ersichtlich, wieso Angehörigen der Erst- bzw. des Zweitbeschwerdeführers sie und ihre Familie nicht auch aus dem Iran unterstützen könnten.

1.6. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wurden den Parteien aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in AFGHANISTAN zur Kenntnis gebracht und im Folgenden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 13.11.2019:

Allgemeines:

Zur Herkunftsprovinz der Beschwerdeführer:

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.04.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019 - 20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.01.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 05.012.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.03.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 09.01.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 01.09.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 06.05.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.03.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban, die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.08.2019). Einem UN-Bericht zufolge gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 01.02.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.02.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.04.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.09.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[...] Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.02.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten sechs Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.07.2019).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.02.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.06.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.09.2019; vgl KP 29.08.2019, KP 31.08.2019, KP 09.09.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.01.2019; vgl. KP 09.09.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 09.01.2019; vgl. TN 10.01.2019), Chemtal (TN 11.09.2018; vgl. TN 06.07.2018), Dawlatabad (PAJ 03.09.2018; vgl. RFE/RL 04.09.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.04.2019) an.

Berichten zufolge errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.08.2019; vgl. 10.08.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.08.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum 01.01. - 31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01. - 30.06.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.08.2019).

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit

16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o.D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WB 28.8.2017).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sindkeine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation; vgl. AKDN 26.7.2017). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Zusammenfassung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017 sowie European Asylum Support Office, Individuals targeted under social and legal norms, Pkt. 3.2.:

Kleidungsvorschriften

Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige "islamische" Körper- oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten.

Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 Afghaninnen und Afghanen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf- und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessenste Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch ein starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragten aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf- bzw. Körperbedeckung. So bevorzugen Paschtunen die Burka, während Hazara zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendierten.

Auch Frauen in Kabul kleiden sich traditionell oder bescheiden (engl. "modestly") zur Vermeidung von Belästigungen.

Bewegungsfreiheit

Während Frauen in Afghanistan grundsätzlich einen männlichen Begleiter, Kollegen oder Bewacher benötigen, welcher sie außerhalb des Hauses begleitet, gilt dies nicht für die Großstädte Herat, Mazar und Kabul.

Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten

Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Es bestehen mannigfaltigen Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.

Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden/Tag von einem Sicherheitsteam bewacht.

Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 zur Lage in Herat-Stadt und in Mazar-e Sharif auf Grund anhaltender Dürre (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

"1. Wie wirkt sich diese Dürre auf die Versorgungslage der Bevölkerung im Hinblick auf die Wasserversorgung sowie auf die Versorgung mit Lebensmitteln in den Städten Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) und Herat (Hauptstadt der Provinz Herat) aus?

[...]

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass es im Umland von Mazar-e-Sharif, Provinz Balkh, zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung kommt. Über die Situation in Mazar-e-Sharif selbst wird nicht berichtet. Zur Wasserversorgung in der Provinz Herat konnte ein Bericht gefunden werden, demzufolge Zahlungen an die Wasserversorgungsanstalt in der Höhe von 208 Mio. Afghanis ausstehen. Aufgrund der ausstehenden Zahlungen musste die Wasseranstalt Infrastrukturprojekte verschieben. Über die konkrete Versorgungslage in Herat-Stadt wurde nicht berichtet.

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte in Afghanistan dieses Jahr deutlich geringer ausfallen als in den vergangenen Jahren. Gemäß einer Quelle lagen die Getreidepreise auf den Märkten in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund guter Ernten im Iran und Pakistan im Mai 2018 dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

Wie den nachfolgend zitierten Quellen weiters zu entnehmen ist, verfügen momentan 45 Prozent der afghanischen Bevölkerung über keinen gesicherten Zugang zu Lebensmitteln.

Einzelquellen:

Gemäß einem Bericht der afghanischen Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News klagen Einwohnerinnen und Regierungsvertreter aus den Bezirken Balkh, Nahar Shahi, Marmal, Khelm und Khas Balkh im Umkreis von Mazar-e-Sharif, Provinz Balkh, über Wasserknappheit und unzureichende Wasserversorgung. Landwirte aus dem Bezirk Marmal haben aufgrund der Dürre keine Nutzpflanzen angebaut.

[...]

Pajhwok Afghan News berichtet, dass Bewohnerinnen und Bewohner der Provinz Herat der afghanischen Wasserversorgungsanstalt 208 Mio. Afghanis schulden. Ein Vertreter der Wasserversorgungsanstalt gab bekannt, dass aufgrund der offenen Rechnungen Projekte zur Entwicklung der Infrastruktur nicht umgesetzt werden konnten. Neben den unbezahlten Rechnungen nannte der Vertreter veraltete Kanalsysteme und einen Mangel an Spezialwerkzeugen zum Auffinden und Reparieren von undichten Stellen als ein Hauptproblem der Wasserversorgungsanstalt.

[...]

Gemäß einem Bericht des Famine Early Warning Systems Network (FEWS-NET) wird Afghanistan dieses Jahr rund zwei bis 2,5 Mio. Tonnen an Getreide importieren müssen, um seinen Bedarf zu decken. Das sind rund zehn Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Da die Getreideernte im Iran und Pakistan voraussichtlich gut sein wird, sollte dieses Defizit durch konventionelle marktwirtschaftliche Kanäle ausgeglichen werden können. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Märkten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt, als auch Mazar-e-Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2017.

[...]

Gemäß dem Nachrichtenportal TOLO-News berichtet die afghanische Statistikorganisation, dass es rund 45 Prozent der afghanischen Bevölkerung an einem gesicherten Zugang zu Lebensmitteln mangelt. Das World Food Program warnt, dass sich die Versorgungslage aufgrund der anhaltenden Dürre weiter verschlechtern wird.

[...]

2. Gibt es bedingt durch diese Dürre in den Provinzen Balkh und Herat eine Landflucht in die Provinzhauptstädte?

[...]

Zusammenfassung:

Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen kann davon ausgegangen werden, dass von Mai bis Mitte August rund 12.000 Familien, unter anderem aufgrund der Dürre, aus den Provinzen Badghis und Ghor nach Herat-Stadt geflohen sind. Zur Lage in Mazar-e-Sharif wurde nichts berichtet.

Einzelquellen:

Gemäß dem Protokoll einer Sitzung des Humanitarian Regional Teams (HRT) von OCHA am 14.8.2018 leben rund 12.000 Familien in behelfsmäßigen Zelten im Westen von Herat-Stadt und sind damit den Elementen ausgesetzt. Sie sind aufgrund der Dürre, den Konflikten und anderen Gründen aus ihren Heimatorten geflohen.

[...]

OCHA berichtet, dass die Auswirkungen der Dürre am Rand von Herat-Stadt momentan am sichtbarsten sind. Erste Familien kamen im Mai aus den Nachbarprovinzen Badghis und Ghor an und errichteten behelfsmäßige Zelte entlang der Straße nach Qala-e-Naw, Badghis. Ihre Anzahl ist inzwischen auf 7.400 gestiegen, oder mehr als 50.000 Personen.

[...]

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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