TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/20 W261 2161375-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2020
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Entscheidungsdatum

20.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W261 2161375-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Christian SCHMAUS, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 14.08.2017 und am 13.11.2019 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 20.03.2021 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 05.11.2015 in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 06.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er Afghanistan verlassen habe, weil in der Region, in welcher er lebe, Krieg mit den Taliban herrsche. Er habe Angst um sein Leben gehabt und sei deshalb geflüchtet.

Am 26.04.2017 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) im Beisein seiner rechtlichen Vertreterin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Daikundi geboren und habe zuletzt mit seiner Familie in der Provinz Ghazni gelebt. Er sei schiitischer Hazara, seine Familie und seine Verwandten würden noch in Ghazni leben. Er selbst sei geflohen, weil er als Fahrer tätig gewesen sei. Er sei von den Taliban aufgehalten und verdächtigt worden, Regierungsbeamte nach Kabul zu führen. Er sei auch danach an einem Ort zwischen Ghazni und Kabul von maskierten Personen verfolgt worden. Es sei ihm gelungen, zu entkommen. Er habe dies seinen Eltern erzählt, welche beschlossen hätten, dass der BF Afghanistan verlassen solle.

Der BF gab am 04.05.2017 eine umfangreiche Stellungnahme zu den von der belangten Behörde vorgelegten Länderinformationen und zum Verfahren ab. Er legte auch Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Inneren vom Dezember 2016 und einen Artikel der Afghanistan Expertin Fredericke Stahlmann aus dem Asylmagazin 3/2017 zum Thema "Überleben in Afghanistan" vor.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Zudem bestehe für den BF eine taugliche innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative. Der BF sei volljährig, gesund und arbeitsfähig und könne seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten.

Der BF erhob mit Eingabe vom 06.06.2017 gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass der Bescheid vollumfänglich angefochten werde. Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft geführt worden, es seien mangelhafte Länderinformationen herangezogen worden, es seien der belangten Behörde Verfahrensfehler unterlaufen, die Beweiswürdigung sei mangelhaft geblieben. Der BF sei einer asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt gewesen, die eingebrachte Stellungnahme sei nicht ausreichend gewürdigt worden, es bestehe entgegen der Ansicht der belangten Behörde keine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Kabul. Der BF werde im Falle seiner Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage kommen. Es liege eine unrichtige rechtliche Beurteilung vor, dem BF wäre internationaler Schutz, jedenfalls jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. In eventu wäre dem BF aufgrund seiner starken Integrationsbemühungen ein Aufenthaltstitel zu gewähren gewesen. Es werde beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen. Der BF schloss der Beschwerde weitere Integrationsunterlagen an.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 14.06.2017 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) in der Gerichtsabteilung W267 ein.

Das BVwG übermittelte den Parteien des Verfahrens mit Schreiben vom 31.07.2017 eine Reihe von Länderinformationen und räumte die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF gab mit Eingabe vom 09.08.2017 eine umfangreiche schriftliche Stellungnahme ab.

Mit Eingabe vom 11.08.2017 teilte der BF mit, dass er Dr. Julia ECKER der Kanzlei ECKER; EMBACHER, NEUGESCHWENDTER mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt habe.

Das BVwG führte am 14.08.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner anwaltlichen Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 22.06.2017, das Gutachten Mag. MAHRINGER vom 05.03.2017 samt Aktualisierung, ein Gutachten Dris Rasuly zu Taliban 2012 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer bestimmten Frist eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF gab mit Schriftsatz vom 28.08.2017 durch seine anwaltliche Vertreterin eine umfassende Stellungnahme ab, worin er Judikatur zu Afghanistan ebenso zitierte, wie auf diverse, namentlich genannte Länderinformationen verwies.

Mit Schreiben vom 15.09.2017 teilte die anwaltliche Vertreterin dem BVwG mit, dass der BF in Hinkunft von Mag. Wilfried EMBACHER der oben genannten Kanzlei vertreten werde.

Mit Schreiben vom 21.09.2018 übermittelte das BVwG den Parteien des Verfahrens das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan mit Stand 29.06.2018 und räumte die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von vier Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Mit Eingabe vom 18.10.2018 gab der BF bekannt, dass er von Dr. Christian SCHMAUS, Rechtsanwalt in Wien vertreten werde und gab eine umfangreiche Stellungnahme ab. Der BF legte weitere Integrationsunterlagen vor.

Mit Eingabe vom 19.10.2018 teilte Mag. Wilfried EMBACHER mit, dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst sei.

Mit Eingabe vom 29.10.2108 legte der BF durch seinen anwaltlichen Vertreter weitere Integrationsunterlagen vor.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 03.07.2019 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W267 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 10.07.2019 einlangte.

Der BF gab durch seinen anwaltlichen Vertreter mit Eingabe vom 08.11.2019 eine weitere umfassende Stellungnahme ab und legte wiederum eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.

Das BVWG holte am 11.11.2019 Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, aus dem Strafregister und aus dem Betreuungsinformationssystem ein.

Das BVwG führte zur Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes am 13.11.2019 eine weitere öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die belangte Behörde entschuldigt nicht teilnahm. Der BF wurde im Beisein seiner Vertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari neuerlich zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte weitere Integrationsunterlagen und ärztliche Befunde vor.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 04.06.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018, die den aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019, den Bericht zur Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif, ECOI.net vom 30.04.2019 und den Landinfo Report AFGHANISTAN, der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne vom August 2017 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF ersuchte durch seinen anwaltlichen Vertreter mit Eingabe vom 04.12.2019 um Erstreckung der Stellungnahmefrist, welche durch das BVwG ihm gewährt wurde.

Der BF, bevollmächtigt vertreten durch seinen Rechtsanwalt, führte in seiner Stellungnahme vom 15.01.2020 im Wesentlichen aus, dass ihm von den Taliban, aufgrund des Umstandes, dass er für die afghanische Regierung als Fahrer tätig gewesen sei, eine oppositionelle politische Gesinnung zumindest unterstellt werde. Er habe diese Tätigkeit, trotz Aufforderung durch die Taliban, diese zu beenden, fortgesetzt, weswegen er nach wie vor von diesen verfolgt werde. Die Taliban würden sowohl seinen Namen kennen, als auch sein Lichtbild haben, sie würden ihn daher überall in Afghanistan finden können. Im Hinblick auf die katastrophale Sicherheits- und Versorgungslage stehe dem BF keine relevante innerstaatliche Schutz- und Fluchtalternative zur Verfügung. Zudem leide der BF an einem chronisch irritativ toxischen Kontaktekzem, einer chronischen Sinusitis und an einer Hausstaubmilbenallergie, welche durch einen der Stellungnahme angeschlossenen Befundbericht objektiviert sei. Aufgrund der durch diese Gesundheitsschädigungen ausgelösten und in der Stellungnahme näher beschriebenen gesundheitlichen Beschwerden, wäre der BF am ohnehin prekären Arbeitsmarkt in Afghanistan einer zusätzlichen Benachteiligung ausgesetzt bzw. wäre es ihm aufgrund seiner individuellen Situation nicht möglich, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Diesbezüglich werde auf die aktuellen Länderinformationen verwiesen, wonach die meisten Rückkehrer als Tagelöhner im Baugewerbe arbeiten würden, was dem BF aufgrund seiner Krankheit nicht mehr möglich sei. Der BF könne auf keinerlei familiäre oder soziale Unterstützung zurückgreifen, zumal auch seine Kernfamilie aus Afghanistan geflohen sei. Es wäre ihm jedenfalls der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren. Darüber hinaus habe der BF in Österreich ein schützenswertes Privatleben, er verweise auf die vorgelegten Integrationsunterlagen, weswegen ihm zumindest eine Aufenthaltsberechtigung plus zu erteilen sei.

Das BVwG übermittelte diese Stellungnahme mit Schreiben vom 16.01.2020 an die belangte Behörde und räumte dieser die Möglichkeit zur allfälligen Stellungnahme ein. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX auch XXXX , er ist am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Daikundi geboren. Er ist schiitischer Moslem, Hazara und afghanischer Staatsbürger. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er ist Zivilist. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi, Deutsch auf Niveau B1 und etwas Englisch.

Sein Vater heißt XXXX , seine Mutter heißt XXXX . Der BF hat drei jüngere Brüder namens XXXX , Qader und XXXX und eine jüngere Schwester namens XXXX . Die Familie des BF lebt im Iran. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie.

Seine Familie verzog, als der BF ein Jahr alt war, aus der Provinz Daikundi in die Provinz Ghazni. Seine Eltern sind Eigentümer eines Hauses und von Grundstücken im Ausmaß von ca. 2.000 m². Dort besuchte der BF sechs Jahre lang die Grundschule. Er lernte bei seinem Vater das Maurerhandwerk und war als Bauarbeiter tätig. Danach war er Taxifahrer mit seinem eigenen Minibus.

Der BF hat insgesamt sieben Onkel väterlicher- und mütterlicherseits und insgesamt sechs Tanten väterlicher- und mütterlicherseits, welche allesamt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in der Provinz Ghazni leben.

Der BF reiste spätestens am 05.10.2015 im Zuge der großen Flüchtlingswelle nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, von den Taliban bedroht und gesucht zu werden, weil er vorgeblich Regierungsmitarbeiter mit seinem Taxi befördert haben soll, ist nicht glaubhaft.

Der BF war in seinem Heimatland Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der BF wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische oder physische Gewalt von staatlicher Seite, oder von Aufständischen, oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.

Dem BF droht wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell keine physische oder psychische Gewalt in Afghanistan. Nicht jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion ist in Afghanistan physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Auch sonst haben sich keine Hinweise für eine dem BF in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Oktober 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der BF arbeitete in den Jahren 2016 und 2017 für den XXXX und führte Reinigungsarbeiten im GZW XXXX aus. In der Zeit vom März bis Juni 2016 war der BF Teil des Integrationsprojektes der XXXX der Hochschule für XXXX . Am 01.02.2017 nahm er am Workshop "Hilfe im Notfall" des Projektes XXXX teil. Er besuchte verschiedene Veranstaltungen der Organisation " XXXX ". Er war " XXXX " in Pilotprojekt " XXXX " der XXXX . In der Zeit vom April 2018 bis Oktober 2019 nahm der BF am Projekt " XXXX " der XXXX teil. In der Zeit vom 16.02.2018 bis 02.10.2018 besuchte der BF einen Englisch Kurs des Flüchtlingsprojektes XXXX . Am 11.04.2019 nahm er neuerlich an einem Workshop des Wiener Roten Kreuzes "Hilfe im Notfall" teil. Er absolvierte am 05.02.2019 den Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrations Fonds. Am 04.09.2019 nahm er an einem " XXXX " der XXXX für alle teil. Er nahm im Jahr 2019 fünf Module im Rahmen von Start Wien und des EU-Projekte CORE-Integration teil. Im Sommersemester 2019 schloss er erfolgreich den Kurs Einführung in die Informatik der XXXX ab. In der Zeit vom 19.08.2019 bis 19.12.2019 nahm der BF am Brückenkurs des XXXX teil, wobei er Deutsch, Mathematik, IKT und Englisch lernte, dies mit dem Ziel in einen Pflichtschulabschlusskurs wechseln zu können. Der BF bestand am 25.06.2019 die BF1 Prüfung und erhielt das ÖSD Zertifikat.

Der BF hat eine "österreichische Mutter", Mag. XXXX , mit welcher er sich regelmäßig trifft. Er hat auch Kontakt zu ihrer Familie. Er hat auch Kontakte zu anderen Personen aus Österreich. Der BF versorgte für einen Teil dieser Personen deren Garten, Pflanzen im Haus und Katzen, während diese auf Urlaub waren.

Der BF leidet an einem chronisch irritativ toxischen Kontaktekzem, an chronischer Sinusitis und an einer Haustaubmilbenallergie.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in die Provinz seines letzten längeren Aufenthaltes, der Provinz Ghazni, aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfinden willkürlichen Gewalt im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Seine ursprüngliche Herkunftsprovinz Daikundi, welche als weitreichend sicher einzustufen ist, kann der BF nur bedingt sicher erreichen.

Dem BF ist auch eine Rückkehr und (Wieder-)Ansiedlung in eine andere Provinz Afghanistans aufgrund seiner individuellen Umstände nicht zumutbar. Das chronisch irritativ toxische Kontaktekzem, unter welchem der BF leidet, wird durch Wasserkontakt, Schmutz und andere hautbelastende Tätigkeiten ausgelöst. Der BF kann aufgrund seiner objektivierten Krankheiten keine Arbeiten auf einer Baustelle oder in anderen Bereichen ausführen, wo er mit Schmutz in Verbindung kommt. Der Beschwerdeführer ist aufgrund dieser Krankheit am Arbeitsmarkt in Afghanistan stark benachteiligt. Der BF verfügt in Afghanistan über ein eingeschränktes familiäres oder soziales Netzwerk, mit dessen Unterstützung er eine Existenzgrundlage aufbauen könnte. Er hat weder in Mazar-e Sharif, noch in Herat noch in Kabul Verwandte. Der BF ist zwar in Afghanistan geboren und ist mit den dortigen Lebensgewohnheiten grundsätzlich nicht vertraut, wobei er im ländlichen Bereich aufwuchs. Er hat nie alleine und auf sich gestellt in einer fremden Stadt in Afghanistan gelebt. Er ist als Hazara und schiitischer Moslem mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Diskriminierungen ausgesetzt. Bedingt durch seine Krankheit und der damit eingeschränkten Möglichkeit, eine Arbeit im Baugewerbe oder ähnliche Hilfstätigkeiten ausüben zu können, wird es für ihn, im Vergleich zur übrigen dort lebenden Bevölkerung, ungleich schwieriger sein, einen Arbeitsplatz zu finden, und sich seinen Lebensunterhalt und auch den Wohnraum zu finanzieren.

Die beim BF vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan, insbesondere auch bei einer Neuansiedlung in einer der Städte Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der BF vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.5 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019) und in der Arbeitsübersetzung Landinfo report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.5.1.1 Herkunftsprovinz (Geburtsprovinz) Daikundi

Die Provinz Daikundi, die Herkunftsprovinz des BF, ist seit dem Jahr 2014 autonom; davor war sie ein Distrikt der Provinz Uruzgan. Daikundi liegt 460 km vom Westen Kabuls entfernt und grenzt an die Provinzen Uruzgan im Südwesten, Bamyan im Osten, Ghor im Norden, Ghazni im Süden und Helmand im Nordosten. Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: der Provinzhauptstadt Nieli/Nili, Ashtarly, Khijran/Kajran, Khedir/Khadir, Kitti/Kiti, Miramor, Sang Takh/Sang-e Takht, Shahristan/Shahrestan. Der Distrikt Gizab, früher Teil von Daikundi, unterliegt der Administration von Uruzgan. Mit 86% der Bevölkerung bestehend aus Hazara gilt die Provinz Daikundi als die zweitgrößte Region, in der Mitglieder dieser ethnischen Gruppe leben. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 475.848 geschätzt (LIB).

Einer Quelle zufolge ist Daikundi eine sichere Provinz. Im September 2017 wurde von einer Zunahme afghanischer Binnenvertriebener (IDP) berichtet, die in Daikundi Zuflucht gesucht hatten. Daikundi zählt zu den Provinzen, in denen die Anzahl der Taliban gering ist. Der Zusammenhalt zwischen den Bewohnern ethnisch homogenerer Gesellschaften wie in Panjsher, Bamyan und Daikundi wird als Grund für die geringe Anzahl an Anschlägen betrachtet: Da die Bewohner dieser Provinzen mehrheitlich einer Ethnie zugehören, würden diese keine aufständischen Aktivitäten erlauben (LIB).

Daikundi ist eine gebirgige Provinz mit kleinen Dörfern, die über unasphaltierte Straßen verbunden werden. In den letzten 17 Jahren wurden Quellen zufolge in der Provinz nur zehn Kilometer an Straßen gebaut. Dennoch sind laut Regierung Projekte für die Implementierung des Straßenbaus im Gange (LIB).

Bei der Provinz Daikundi handelt es sich nach den EASO Leitlinien um einen jener Landesteile Afghanistans, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein (EASO 2019).

1.5.1.2 Provinz des letzten Aufenthaltes, Ghazni

Ghazni, die Provinz des letzten längeren Aufenthaltes des Beschwerdeführers, ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (LIB).

Die Provinz Ghazni zählt zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv, wobei es in der Provinz kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen kommt (LIB).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB).

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv. Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein. Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (LIB).

Die Provinz Ghazni zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, in denen eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen, es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO 2019).

1.5.1.3 Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif

Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO 2019).

Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt an Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan sowie an Kunduz, Baghlan, Samangan, Sar-e Pul und Jawzjan. Die Provinz besteht aus 15 Bezirken. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (EASO 2019). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB).

Die Mehrheit der Distrikte in Balkh steht unter staatlicher Kontrolle, wobei zwei Distrikte als umstritten und ein Distrikt als unter Kontrolle der Taliban eingestuft werden. Während Balkh Berichten zufolge eine der stabilsten Provinzen Afghanistans ist, sind in der Provinz dennoch regierungsfeindliche Elemente aktiv, und es wurden 2018 und Anfang 2019 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Taliban-Kämpfer haben ALP-Personal, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten während des gesamten Jahres 2018 und Anfang 2019 in den Distrikten Sholgareh, Chahrbulak, Chemtal und Dawlatabad angegriffen. Die ANSF führte mehrere Clearing-Operationen in Balkh durch. Darüber hinaus führte die US-Luftwaffe im April 2018 einen Luftangriff im Bezirk Charbulak durch. Weitere Beispiele für Vorfälle waren eine Bombenexplosion am Straßenrand im Bezirk Sholgareh, die Entführung von Reisenden durch die Taliban, die Entführung und das Töten von Wahlbeobachtern. Laut GIM wurden im Zeitraum Januar 2018 - Februar 2019 131 Vorfälle in der Provinz Balkh im Zusammenhang mit Aufständischen gemeldet (durchschnittlich 2,2 Vorfälle pro Woche) (EASO 2019).

Die Stadt Mazar-e Sharif ist nach wie vor eine der stabilsten Regionen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Städten in Nordafghanistan (LIB). Die Bevölkerung wird offiziell mit 454 457 Einwohnern angegeben. Der Rücktritt von Atta Mohammed Noor als Gouverneur von Balkh im Dezember 2017 führte Berichten zufolge zu vermehrten kriminellen Aktivitäten, wie bewaffneten Raubüberfällen, Mord, Zusammenstößen und Entführungen in Mazar-e Sharif. Mazar- e Sharif steht unter staatlicher Kontrolle (EASO 2019).

1.5.1.4. Provinz Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (LIB).

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB).

Sicherheitsrelevante Vorfälle im Jahr 2019:

Am 19. April wurden bei Explosionen in der Stadt Herat drei Offiziere der Nationalen Sicherheitsdirektion getötet und zwei weitere verwundet. Durchgeführt wurden die Anschläge von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern. Am 31. März wurden bei Zusammenstößen im vierten Polizeidistrikt der Stadt Herat zwei afghanische Soldaten getötet und ein Taliban-Kämpfer verwundet. Am 28. März wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Taliban-Kämpfern getötet. Im März wurde im neunten Polizeibezirk der Stadt Herat bei einer USBV-Explosion ein(e) Zivilistln getötet und sechs weitere verwundet. Der Anschlag wurde von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern durchgeführt. Wie am 12. März berichtet wurde, wurde im Viertel Sheidaie der Stadt Herat ein Soldat von einem Scharfschützen getötet. Am 11. März wurde im Gebiet Jebraiel Killi des Distrikts Injil bei einem Angriff auf einen Kontrollposten durch Taliban-Kämpfer ein "Arbaki" getötet. Am 10. März wurden in der Stadt Herat durch die Explosion einer Magnetbombe fünf Menschen verwundet. Niemand bekannte sich zu dem Anschlag. Am 9. März wurde in der Stadt Herat ein Stammesältester von zwei nicht identifizierten Bewaffneten erschossen. Wie am 4. März berichtet wurde, wurde im fünften Polizeibezirk der Stadt Herat ein nicht identifizierter bewaffneter Kämpfer von der afghanischen Polizei getötet. Am 23. Februar wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Polizist von nicht identifizierten Bewaffneten getötet. Einer der Angreifer wurde später festgenommen. Am 23. Februar wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Taliban-Kämpfern getötet und ein weiterer verwundet. Am 30. Januar wurden im Gebiet Spina Ada in der Stadt Herat bei einer Minenexplosion, für die Taliban-Kämpfer verantwortlich waren, zwei afghanische Soldaten getötet und ein weiterer verwundet. Am 13. Januar wurde berichtet, dass bei einem Angriff im Pul-e-Rangina-Gebiet des sechsten Polizeibezirkes der Stadt Herat ein Taliban-Kämpfer, drei afghanische Polizisten und zwei Zivilistlnnen getötet wurden. Während der Zusammenstöße wurde von afghanischen Spezialeinheiten eine Autobombe entschärft (LIB).

Bei der Provinz Herat (mit Ausnahme der Stadt Herat) handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist (EASO 2019).

Bei der Stadt Herat handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile Afghanistans, wo für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein. Allerdings sind die einzelnen Teilvoraussetzungen stets genau zu prüfen, da der BF als Folge hiervon einem erhöhten Gefährdungsrisiko ausgesetzt sein könnte (EASO 2019).

1.5.1.4 Provinz Kabul

Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (LIB).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. In den letzten Jahren kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (LIB).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (LIB).

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen UNHCR).

Die Provinz Kabul zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist (EASO 2019).

Laut der aktuellen UNHCR Richtlinie vom 30.08.2019 ist aufgrund der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar (UNHCR).

1.5.2 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (LIB).

Laut Daten der Afghanistan Living Conditions Survey (ALCS) 2016 - 2017 können 2 Millionen Afghanen - das sind 23,9% der gesamten Erwerbsbevölkerung - als arbeitslos eingestuft werden, was bedeutet, dass sie nicht arbeiten oder eine Beschäftigung suchen, oder weniger als acht Stunden pro Woche arbeiten. Junge Afghanen treten jedes Jahr in großer Zahl in den Arbeitsmarkt ein, aber die Beschäftigungsmöglichkeiten können aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. Afghanistan war seit 2011-2012 mit einem starken Anstieg der Armut konfrontiert, wobei sowohl die städtischen als auch die ländlichen Armutsraten zunahmen. In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann. ALCS 2016 - 2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt. 52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft (EASO 2019).

Laut Daten der ALCS von 2016 bis 2017 sind 44,6% der afghanischen Bevölkerung - das sind 13 Millionen Menschen - sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war. Während der Winterpflanzsaison im Dezember 2017 - Februar 2018 war Afghanistan von einer längeren Dürreperiode betroffen. UNOCHA stellte fest, dass die Dürre im Jahr 2018 mehr als zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung getroffen hat, gesundheitliche Probleme verursacht, negative Bewältigungsmechanismen ausgelöst und die Einkommen halbiert hat (EASO 2019).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können gemäß der Definition von UN-Habitat als Slums eingestuft werden. Der Bericht über den Zustand afghanischer Städte stellte fest, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung darstellt. Armut und Ungleichheit sind die harte Realität für etwa ein Drittel aller städtischen Haushalte (EASO 2019).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO 2019).

1.5.3 Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60% der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO 2019).

1.5.4 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB).

Die schiitische Minderheit der Hazara, zu welchen der BF zählt, macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (LIB).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt. Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (LIB).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (LIB).

1.5.6 Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 10-15 % Schiiten, wie es auch der BF ist (LIB).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB).

1.5.6 Rückkehrer/innen

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder (LIB).

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen (LIB).

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (LIB).

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB).

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden. (LIB)

1.5.7 Terroristische und aufständische Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. (LIB)

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. (Landinfo)

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungs

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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