TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/24 W124 2107629-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2020
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Entscheidungsdatum

24.03.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art130 Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W124 2107629-1/60E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) des XXXX , geb. XXXX , StA Afghanistan, betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX , nach Durchführung öffentlicher mündlicher Verhandlungen am XXXX , am XXXX sowie am XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan als unbegründet abgewiesen.

II. Die Rückkehrentscheidung wird in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gem. § 9 BFA-VG idgF auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX , geb. XXXX , gem. § 55 Abs. 1 Z 1 und Z 2 und § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Erstbefragung gab er zu seinen Fluchtgründen vor der Landespolizeidirektion Niederösterreich an, dass er im Iran aufgewachsen sei. Seine Eltern seien, als der BF fünf Jahre alt gewesen sei, in den Iran geflüchtet. Er selbst würde weder politisch, noch religiös verfolgt werden.

2. In der mit dem BF am XXXX aufgenommenen Niederschrift gab dieser an, fünfzehneinhalb Jahre alt zu sein und sich diesbezüglich mit seiner Mutter in Verbindung zu setzen. Er glaube, dass sie ein Dokument, von dem er glaube, dass dieses "Tazkera" heißen würde, innehabe. Seine im Iran, in XXXX , lebende Mutter, habe mit dem BF die Entscheidung von dessen Ausreise getroffen. In Afghanistan hätten sie im Distrikt XXXX im Dorf XXXX gelebt.

Hinsichtlich seiner Geburtsdaten gab der BF an, am XXXX ( XXXX ) geboren zu sein. Auf Vorhalt, dass er sich laut einem Schreiben des italienischen Innenministeriums vom XXXX mit dem Namen XXXX und dem Geburtsdatum XXXX ausgegeben habe, gab dieser an, dass andere Burschen während der Anhaltung durch die Polizei gesagt hätten, sie sollten zu ihrer Person falsche Angaben machen, damit es später keine negativen Auswirkungen habe. Jeder der Burschen habe irgendeinen Namen angegeben.

Der BF sei drei Jahre alt gewesen, als er mit seiner Familie in den Iran übersiedelt sei. Bis vor acht Monaten sei er dort aufhältig gewesen. Das Leben im Iran sei mit jenem in Afghanistan nicht zu vergleichen, da es massive Unterschiede geben würde. Seine Eltern hätten ihm erzählt, dass sie aus Afghanistan wegen des Kriegs und eines Vorfalls weggegangen seien. Dabei sei eine Person ums Leben gekommen. Es sei darüber nie ausführlich gesprochen worden. Er habe immer wieder gefragt, aber sei ihm gesagt worden, dass es besser sei, wenn er wenig darüber wissen würde. Seine Mutter habe in Afghanistan keine Verwandten mehr. Zur Familie des Vaters würde aufgrund des einen Vorfalls kein gutes Verhältnis bestehen. Während ihres insgesamt sechs Monate langen Aufenthalts in Afghanistan sei sein Vater in den ersten zwei, drei Monaten verschwunden. Sie hätten vergeblich nach ihm gesucht.

Den Iran hätten sie verlassen, als sie von den Behörden keine Unterstützung bekommen hätten, als die Grundversorgungsmittel verteuert worden seien. Ein weiterer Grund sei gewesen, dass Ahmadenejad das Land nicht regieren habe können. Der dritte Grund sei gewesen, dass es keine Handelsabkommen zwischen dem Iran und anderen Ländern gegeben habe.

Die Iraner hätten dem BF nicht erlaubt, dass er die Schule besuche. Er habe eine afghanische Schule besuchen müssen und wegen Ahmadenejad den Iran verlassen müssen. Sie seien dann gezwungen gewesen den Iran zu verlassen und nach Afghanistan zurückgekehrt. Neun Jahre lang habe er im Iran die Schule besucht. In Afghanistan habe er die Schule nicht fortsetzen können, weil es dort ein anderes System gegeben habe.

Als sie nach Afghanistan zurückgekehrt seien, hätte sie jeder gefragt, aus welchem Grund sie dies gemacht hätten. Es sei um diesen Vorfall gegangen. Sein Vater habe nicht mehr wegwollen und gemeint, dass er in Afghanistan bleiben wolle. Nach zwei, drei Monaten sei sein Vater verschwunden. Dieses Verschwinden habe vermutlich mit diesem Vorfall zu tun.

Sein Bruder XXXX habe ein außereheliches Verhätlnis zu einer jungen Frau unterhalten. Das Paar sei jedoch von der Familie der Frau erwischt worden, woraufhin es zu einer Auseinandersetzung gekommen sei. Sein Bruder sei von Afghanistan über Pakistan nach Indien geflüchtet. Die junge Frau sei mit einem Ältesten aus der Gegend verheiratet worden, welcher als Schadenersatz von der Familie des BF einen Sohn oder eine Tochter gefordert habe. Man habe sie belästigt und seien sie gezwungen gewesen in den Iran zurückzukehren.

Die Mutter des BF habe in Afghanistan gar keine Familie mehr. Einige Familienmitglieder würden im Iran leben. Die Verwandten des Vaters des BF würden in dieser Region leben. Die Mutter des BF habe einen Bekannten gehabt, der ihnen geholfen habe Afghanistan zu verlassen. Seine Familie habe keine Grundstücke besessen. Seine Mutter, glaube er, habe ein Haus gehabt, welches sie dann verkauft habe. Aus dem Erlös von diesen habe sie ihre Rückreise in den Iran finanziert.

Das Haus, welches seine Mutter verkauft habe, habe sie geerbt. Es sei in XXXX gelegen. Als seine Mutter in den Iran gefahren sei, habe sie das Grundstück jemanden anderem gegeben. Dieser habe es dann verwaltet. Als seine Mutter den Vorschlag gemacht habe, es zu verkaufen, habe dieser Mann das Grundstück verkauft und seiner Mutter das Geld geschickt. Es habe sich dabei um zweihunderttausend Afghani gehandelt. Das Grundstück sei in einem mittelgroßen Dorf, in welchem zwischen 60 und 70 Familien gelebt hätten, gelegen. Er wisse nicht, wie weit dieses Dorf von XXXX entfernt gewesen sei. Er selbst sei noch nie in XXXX gewesen.

3. Im Schreiben vom XXXX brachten die ausgewiesenen Vertreter des BF vor, dass der minderjährige BF ein afghanischer Staatsbürger und Angehöriger der Ethnie der Hazara sei. Er habe jedoch bereits als Kleinkind, im Alter von drei bis fünf Jahren, sein Heimatland zusammen mit seiner Familie verlassen und fortan im Iran gelebt. Der Versuch der Neuansiedelung der Familie in Afghanistan im Anschluss an eine Abschiebung aus dem Iran sei nach wenigen Monaten gescheitert und habe zum Verschwinden des Vaters des BF geführt. Die Mutter sowie der Großteil der Geschwister des BF würden mittlerweile wieder im Iran leben. In Afghanistan würden sich keine Familienangehörigen mehr befinden. Als fluchtauslösendes Moment beschreibe der BF die prekären Lebensverhältnisse seiner Familie im Iran sowie eine Feindschaft mit einer anderen afghanischen Familie wegen einer Affäre seines Bruders.

In der Folge wurden mehrere Auszüge von Berichten des UNHCR und Auszüge von Entscheidungen des UBAS bzw. AsylGH zitiert.

4. Am XXXX erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt.

Nachdem der BF seinen Alltag in Österreich beschrieb, gab er auf Vorhalt zum Alter seiner Mutter an, er habe jene Information weitergegeben, die er von seiner Mutter erhalten habe. Er wisse aber nicht, ob sie tatsächlich so alt oder jünger sei. Ob sie ihr richtiges Alter genannt habe, wisser er nicht, zumal sie Analphabetin sei. Während seines letzten Aufenthalts in Afghanistan habe er im Dorf XXXX in der Provinz Ghor gelebt. Er könne nicht sagen, ob sie im selben Haus wie früher gelebt hätten, da er drei Jahre alt gewesen sei, als sie Afghanistan verlassen hätten. Wenn in der Niederschrift der letzten Einvernahme steht, dass er fünf Jahre alt gewesen sei, so habe der Dolmetscher falsch übersetzt.

Vor seiner Ausreise in Richtung Europa sei er drei oder vier Wochen oder ein Monat im Iran gewesen. Er sei mit seiner Familie wieder nach XXXX gefahren. Das Leben sei nun härter geworden. Sie seien illegal dort gewesen. Seine Mutter habe gearbeitet.

Als er drei Jahre alt gewesen sei, habe sein Vater familiäre Stammesprobleme gehabt. Er habe in den Iran gehen müssen. Nach seiner Rückkehr seien diese Feindschaften weitergegangen. Der BF wisse nicht, was dann passiert sei. Seine Mutter und seine Geschwister würden in XXXX leben. In Afghanistan habe er keine Familienangehörigen. Wie viel die Flucht insgesamt gekostet habe, wisse er nicht. Seine Mutter habe das bezahlt.

Der BF habe den Beruf des Schneiders erlernt und habe für einen Afghanen gearbeitet. In der Woche habe er 60.000 Iranische Toman verdient.

5. Der BF erhob mit Schriftsatz vom XXXX Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt.

6. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Mit Schriftsatz vom XXXX ersuchte die den BF vertretene Caritas um eine rasche inhaltliche Erledigung ihres seit XXXX anhängigen Verfahrens und verwies auf eine Entscheidung des VwGH vom 16.12.2014, Ra 2014/22/0106, wonach sich vor dem Hintergrund dessen keine Rechtsfragen mehr stellen würden. Neben Sprachkursbestätigungen wurde eine fachärztliche Bestätigung des Ambulatoriums für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen vom XXXX vorgelegt, wonach der BF kriseninterventionsmäßig betreut werde, da eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden sei. Er leide an einer ausgeprägten depressiven Verstimmung, Schlafstörung mit Albträumen, flash backs und Minderung seiner Konzentrations- und Leistungsfähigkeit.

8. Mit hg. Erkenntnis vom XXXX wurde der Säumnisbeschwerde stattgegeben und das Bundesamt gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG beauftragt, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der im Erkenntnis festgelegten Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichtes binnen acht Wochen zu erlassen.

9. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF unter Hinweis auf die Entscheidung des BVwG vom 09.01.2015, Zl. W131 1438161-1, im Wesentlichen vor, dass das afghanische Staatswesen einen im Iran aufgewachsenen Afghanen schon alleine wegen der politisch - weltanschauliche Bewertung der afghanischen Bevölkerung und aufgrund des afghanischen Staatswesens nicht schützen können werde. Dem BF sei sohin aufgrund der in Afghanistan zu erwartenden Diskriminierungen wegen seines iranisch-ausländischen Akzents und seiner Zugehörigen zu den Schiiten sowie zu den Hazara der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen. Überdies würde ihn seine Rückkehr in seinem Recht nach Art. 3 EMRK verletzen, zumal er als Minderjähriger einer besonders vulnerablen Gruppe angehöre.

10. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , Zl. XXXX , wurde das hg. Erkenntnis vom XXXX wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben, da keine Rechtsanschauung zu maßgeblichen Rechtsfragen dargelegt worden sei, sondern - ohne die im konkreten Fall zu lösenden Rechtsfragen zu entscheiden - der Verwaltungsbehörde die Erlassung des versäumten Bescheides unter Setzung einer Nachfrist aufgetragen worden sei.

11. Am XXXX erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Sachverständigen XXXX . Im Zuge der Verhandlung wurden folgende Urkunden in Vorlage gebracht: Besuchsbestätigung Kurs B1 und Prüfungszertifikat ÖSD B1 (Beilage./A), Teilbesuchsbestätigung zum Pflichtschulabschlusslehrgang vom 22.02.2016 (Beilage ./B), Energie-Führerschein (Beilage ./C) sowie die Fachärztliche Bestätigung vom 15.07.2015 (Beilage ./D).

Zu seinem Gesundheitszustand gab der BF an, er habe sich früher in psychiatrischer Behandlung bei der "Boje" befunden, wo ihm Ärzte auch Schlafmittel verschrieben hätten. Diese Medikamente seien zu stark gewesen, weshalb er sie nicht genommen habe. Derzeit habe er keine gesundheitlichen Beschwerden. Er habe wegen der Einvernahme nicht geschlafen und habe etwas Kopfweh, dies hindere ihn aber nicht an der Verhandlungsteilnahme

Zur bestehenden Integration in Österreich brachte er vor, er besuche noch für zwei weitere Monate die Hauptschule. Er habe ein B1 Zertifikat sowie einen "Energie-Führerschein". Er wohne bei der Caritas und bekomme jede Woche ? 21 Euro und zusätzlich ? 41 Euro monatlich an Essensgeld. Um eine arbeitsrechtliche Bewilligung habe er angesucht, habe jedoch noch keinen Bescheid erhalten. Einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag habe er nicht. In seiner Freizeit mache er am PC Musik. Sein Traumjob sei DJ oder Musikproduzent. Früher sei er Teil einer kleinen Band gewesen. In einer Organisation, einer Kirche oder einem Verein sei er nicht tätig. In Österreich verfüge er über einen Freundeskreis, dem auch Österreicher angehören würden. In der Europäischen Union habe er keine Verwandten, sondern nur Bekannte. Mit diesen Bekannten stehe er nicht in Kontakt. An schwerwiegenden Krankheiten würde er nicht leiden und müsse er jetzt, im Gegensatz zu früher, keine Medikamente mehr nehmen. Er sei weder verheiratet, noch lebe er in einer Lebensgemeinschaft. Eine Freundin oder Kinder habe er nicht. Abgesehen davon sei er weder strafrechtlich vorbestraft, noch habe er eine schwere Verwaltungsübertretung begangen. Einen Aufenthaltsstatus, der sich nicht auf das Asylgesetz stütze, habe er nie besessen.

Zu seiner Herkunft gab er an, er stamme aus der Provinz Ghor, XXXX . Bis zu seinem dritten Lebensjahr habe er in Afghanistan gelebt. Anschließend sei er mit seiner Familie in den Iran geflüchtet, wo er ca. zwölf Jahre verbracht habe. Daraufhin sei er für sechs Monate nach Afghanistan zurückgekehrt. Dann seien sie wieder geflüchtet und zurück in den Iran gegangen. Nach ein bis zwei Wochen im Iran sei er alleine nach Europa geflüchtet, während seine Familie im Iran geblieben sei.

Zu dem sechsmonatigen Aufenthalt im Iran brachte er vor, sie seien dorthin zurückgegangen, von wo sie ursprünglich stammten. Damit beziehe er sich auf seine Angaben zu seinem Geburtsort. Sie hätten dort in einem Haus gewohnt. Er glaube, es sei nicht das Haus der Familie gewesen. Wie sie in den Besitz des Hauses gekommen seien, wisse er nicht genau. Allerdings glaube er, dass sein Vater mit Leuten vor Ort gesprochen habe und sie dieses Haus gemietet hätten. Die angrenzenden Dörfer seien XXXX , XXXX und XXXX gewesen. Ihm sei gesagt worden, dass diese Orte ebenfalls in einer ländlichen Gegend seien. Sein Vater stamme von dem genannten Dorf. Zur Herkunft seiner Mutter habe er keine Informationen. Ihm sei nur bekannt, dass ihre Angehörigen nicht mehr am Leben seien. Die Namen seiner Großväter kenne er nicht. Seine Eltern hätten darüber nicht gesprochen. Er habe zwar seine Eltern gefragt, seine Mutter hätte dazu nichts zu erzählen gehabt, da ihre Angehörigen bereits verstorben gewesen seien. Sein Vater hätte nicht über seine Familie und seine Vergangenheit gesprochen.

Zur Frage, ob es hierfür einen Grund gegeben habe, antwortete der BF, er wisse nur, dass sie Afghanistan verlassen hätten, weil es in der Vergangenheit Konflikte gegeben habe und sein Vater deswegen nicht mehr in Afghanistan leben hätte können. Im Iran hätten sie kein gutes Verhältnis zum Vater gehabt. Er habe den BF geschlagen, sei nicht wie ein richtiger Vater zu ihm gewesen und habe auch nicht über seine Vergangenheit mit ihm gesprochen.

In Afghanistan habe er gemeinsam mit seiner Familie, nämlich mit seinen Eltern, an der erwähnten Adresse gelebt. Neben seinen Eltern habe er drei Brüder und zwei Schwestern. Sein älterer Bruder XXXX halte sich wahrscheinlich in Pakistan auf. Seine Schwestern seien nicht verheiratet. Verwandte in Afghanistan habe er nicht. Soweit er wisse, habe sein Vater niemanden mehr im Dorf und habe er auch keine Geschwister. Auch seine Mutter habe keine Geschwister. Cousins habe er nicht. Kontakt zu seinen Großeltern habe er nie gehabt und wisse er auch nicht, wann die Eltern seiner Mutter verstorben seien. Soweit der BF wisse, sei seine Mutter Einzelkind gewesen. Sie sei selbst sehr jung gewesen, als ihre Eltern verstorben seien. Nähere Informationen habe er dazu nicht. Zur Herkunft seiner Mutter gab er an, es bestehe die Möglichkeit, dass sie in XXXX aufgewachsen sei, er wisse es aber nicht. Gefragt habe er sie nie.

Derzeit würden sich seine Angehörigen in XXXX , im Iran, aufhalten, es würde ihnen gut gehen und sie würden versuchen, ihr Leben dort voranzubringen. Alle der zuvor genannten Familienangehörigen, abgesehen von einem Bruder, würden dort leben. Dieser Bruder lebe mit hoher Wahrscheinlichkeit in Pakistan. Bereits als der BF den Iran verlassen habe, sei sein Bruder nicht mehr im Iran gewesen. Es sei länger als dreieinhalb Jahre her, dass er ihn das letzte Mal gesehen habe. Sonst habe er keinen Kontakt mehr zu ihm. Zuletzt habe er ihn während seines sechsmonatigen Aufenthaltes in Afghanistan gesehen. Danach habe kein Kontakt mehr bestanden. Zu den anderen Familienangehörigen habe er alle zwei Monate Kontakt.

Zu seiner Ausbildung gab der BF an, er habe im Iran neun Jahre die Schule besucht und habe dort sonst über einen Zeitraum von zweieinhalb bis drei Jahren als Schneider gearbeitet. Sein Vater sei in Afghanistan Bauer und im Iran Bauarbeiter gewesen. Eine Landwirtschaft habe er nicht betrieben, sondern für andere Leute gearbeitet. Seine Eltern hätten selbst über kein Land verfügt.

Wie seine Nachbarn in Afghanistan hießen, wisse er nicht mehr. Er habe dort nur sechs Monate verbracht und sei die meiste Zeit krank gewesen, da die Lebenssituation zwischen dem Iran und Afghanistan sehr unterschiedlich sei. In Afghanistan habe er durchgehend Kopfschmerzen gehabt, er habe gehustet und habe nicht auf die Toilette gehen können, da der Zustand sehr schlecht gewesen sei.

Befragt zu dem Haus, welches seine Mutter nach seinen Angaben in der Einvernahme am XXXX verkauft habe, erklärte der BF, er wisse nicht, wo sich dieses Haus befunden habe. Seine Mutter habe es von ihren Eltern geerbt. Als sie in den Iran flüchten wollten, habe die Mutter das Haus verkauft, um mit dem Erlös die Fluchtreise zu finanzieren. Ob seine Großeltern darin gewohnt hätten, wisse er nicht. Seine Mutter habe Bekannte mit dem Verkauf des Hauses beauftragt. In welcher Stadt sich das Haus befunden habe oder wie hoch der Erlös gewesen sei, wisse er nicht. Bekannte seiner Mutter hätten sich um das Haus gekümmert, als sie geflüchtet seien, zumal sie es nicht einfach so zurücklassen hätten können. Auf Vorhalt, er habe am XXXX gesagt, das Haus befände sich in XXXX , gab er an, er wisse nach wie vor nicht, wo sich das Haus befinde. Er habe bei seiner damaligen Aussage lediglich vermutet, dass sich das Haus in XXXX befunden habe. Die Summe die er damals angegeben habe (ca. 200.000 Afghani), habe er ebenfalls geschätzt. Den genauen Betrag des Verkaufserlöses kenne er nicht.

Auf Vorhalt, er habe am XXXX gesagt, sein Bruder sei über Pakistan nach Indien geflohen, während er nunmehr angegeben habe, er sei in Pakistan, gab der BF an, er schätze, dass sich sein Bruder zu 80% in Pakistan aufhalte, sei sich aber natürlich nicht sicher. Es könne auch sein, dass er in Indien sei.

Befragt, wann er nach seinem Aufenthalt im Iran nach Afghanistan zurückgekehrt sei, gab er an, dies sei vor drei Jahren, sohin im Jahr XXXX , gewesen.

Auf die Frage, wie oft er in XXXX gewesen sei, gab er zunächst an, er glaube, er sei noch nie in XXXX gewesen. Auf weitere Nachfrage, präzisierte er seine Antwort dahingehend, dass er niemals in XXXX gewesen sei. Das Haus seiner Mutter, welches sie inzwischen verkauft habe, habe er nie besucht. Erst nach dem Verkauf habe er von dem Haus erfahren.

Befragt zu der Ausreise aus Afghanistan im Jahr XXXX gab der BF an, die Reise habe fünf Tage in Anspruch genommen. Davon hätten sie drei Tage in der Nähe der Stadt XXXX an einem Ort gewartet, bis seine Mutter den Verkauf des Hauses organisieren habe können, um Geld für die Flucht in den Iran zu beschaffen. Genaue Ortsangaben könne er nicht machen und kenne er auch keine Ortsangaben. Da die Reise sehr schwierig gewesen sei, habe er sich nicht sehr viel gemerkt und jene Sachen, die er bei der Reise wahrgenommen habe, habe er inzwischen vergessen.

In der Folge wurde er zu den Gründen für die neuerliche Ausreise aus dem Herkunftsstaat befragt.

Bei der Ausreise aus Afghanistan in den Iran seien sein Vater und sein Bruder nicht mehr dabei gewesen. Er habe angenommen, der Richter wisse bereits, dass sein Vater verschwunden sei. Er habe nämlich vorhin gesagt, sein Bruder habe Afghanistan verlassen und sei nach Pakistan gereist. Zum Vater habe er vorhin keine Angaben gemacht.

Abgesehen von den Problemen, die sein Bruder verursacht habe, sowie den Problemen des Vaters, habe es keine weiteren Schwierigkeiten in Afghanistan gegeben. Im Falle seiner Rückkehr werde der BF sterben, da er nicht in der Lage sei, sich alleine zu verteidigen. Er sei nicht in der Lage dort zu leben. Er habe dort nicht die Möglichkeit etwas zu lernen. Er sehe sich auch nicht in der Lage sich dem Leben dort anzupassen.

Befragt zu den Namen seiner Großeltern gab er an, er glaube der Name des Großvaters mütterlicherseits habe XXXX gelautet. Dessen Beruf kenne er nicht. Zu seinem Großvater väterlicherseits könne er keine Angaben machen.

Seine Eltern würden aus der Provinz XXXX stammen. Seine Mutter sei mit Sicherheit aus dem Dorf XXXX . Die genaue Herkunft seines Vaters sei ihm nicht bekannt. Die angrenzenden Dörfer würden XXXX heißen. Besondere Merkmale des Dorfes könne er nicht nennen. Es habe zwischen 60 und 70 Häuser gegeben. Dort hätten hauptsächlich Hazara gelebt. Dies wisse er, weil sie ähnlich wie er ausgeschaut hätten. Es habe einige wenige Leute gegeben, die größere Augen gehabt hätten. Er wisse aber nicht, welcher Volksgruppe sie angehört hätten.

12. Mit Schriftsatz vom XXXX wurden die Namen und Berufe der Großväter des BF bekanntgegeben. Ferner wurde vorgebracht, dass sich das im Rahmen der Verhandlung besprochene Haus in XXXX befunden habe. Dieses Haus sei der Mutter des BF von deren Großmutter, sohin der Urgroßmutter des BF, vererbt worden.

13. Mit Stellungnahme vom XXXX wurde unter Hinweis auf die Entscheidung des BVwG vom 04.12.2017, Zl. W107 2163499, auf die positive Integration des BF hingewiesen und zur Situation in Afghanistan ausgeführt, dass die Lage weder stabil noch sicher sei. Obwohl die täglichen Anschläge nicht vordergründig der Zivilgesellschaft gelten würden, so seien dennoch die meisten Opfer Zivilsten. Verwiesen wurde im Folgenden auf diverse Anschläge in Kabul im Zeitraum 2017 bis 2018 sowie auf allgemeine Zahlen zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Afghanistan. Die Provinz Kabul verzeichne demnach die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul. Manche high-profile Angriffe würden gezielt gegen Mitarbeiterinnen der ANDSF und afghanische Regierungsbeamte gerichtet, ZivilistInnen in stark bevölkerten Gebieten seien am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017). Dies ergebe sich aus dem Länderinformationsblatt. Nach den allgemeinen Länderfeststellungen sei jedenfalls von den Voraussetzungen hinsichtlich der Gewährung von subsidiären Schutz auszugehen. Bei einer Rückkehr des BF in sein Heimatland bestehe sohin jedenfalls eine reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte. Dies ergebe sich aus den Feststellungen, wonach die Sicherheits- und die Versorgungslage in ganz Afghanistan - auch in den östlichen und südöstlichen Regionen Afghanistans - prekär sei. Effektive staatliche Schutzmechanismen in Afghanistan zur Abwendung dieser realen Gefahr bestünden für den BF nicht.

14. Am XXXX erfolgte eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Vorgelegt wurden eine fachärztliche Bestätigung vom XXXX (Beilage 1), ein psychotherapeutisches Gutachten (Beilage 2), eine Kursbesuchsbestätigung vom XXXX (Beilage 3), eine Schulbesuchsbestätigung für das Bundesgymnasium vom XXXX (Beilage 4), acht Empfehlungsschreiben (Beilage 5), Bestätigungen der ehrenamtlichen Mitarbeit bei der Caritas vom XXXX (Beilage 6), ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag (Beilage 7), der Lebenslauf des BF (Beilage 8), ein Bewerbungsschreiben für eine KFZ-Lehre vom XXXX (Beilage 9), eine Bewerbung als Rikschafahrer vom XXXX (Beilage 10), eine Büchereikarte lautend auf den BF (Beilage 11) und ein sogenannter Kulturpass der Caritas vom XXXX (Beilage 12).

Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, er habe seinen Pflichtschulabschluss gemacht und besuche derzeit als außerordentlicher Schüler das Gymnasium in XXXX . Es sei sein erstes Jahr und er habe vier Fächer. Er sei älter geworden und sei momentan etwas enttäuscht, weil er etwas weitermachen wolle, beispielsweise die Schule besuchen oder als Lehrling irgendwo arbeiten. Er sei Single und habe keine Kinder. In Österreich habe er keine Verwandten. Derzeit nehme er keine Medikamente.

Zu seinen Familienangehörigen gab er an, sein Vater habe keine Geschwister, seine Eltern seien beide Einzelkinder. Wie viele Frauen sein Großvater väterlicherseits gehabt habe, wisse er nicht. Er wisse auch nicht aus welchem Quawm er stamme. Er sei Hazara. Die Familie seines Vaters stammte aus XXXX . Woher die Familie seiner Mutter stamme, wisse er nicht. Über ihre Herkunft habe er mit ihr nicht gesprochen. Sie seien nicht so eine offene Familie gewesen und hätten nicht so oft miteinander gesprochen. Er sei im Iran aufgewachsen und seine Herkunft sei für ihn nicht so wichtig. Wenn er von seiner Familie spreche, meine er seine Eltern, seine beiden Brüder und seine beiden Schwestern. Seine Mutter sei jetzt krank, da sie an Hepatitis leide. Sein Vater sei nicht da. Zwei Brüder und zwei Schwestern würden noch bei seiner Mutter leben. Sein älterer Bruder sei nicht im Iran, sondern in Pakistan. Zuletzt habe er vor einem Monat Kontakt zur Mutter und den Geschwistern gehabt. Sie würden ihn über das Internet kontaktieren. Die Familie halte sich seit XXXX in XXXX auf. In Afghanistan habe er weder Verwandte noch Freunde.

Befragt zum Haus, über welches in der vorhergehenden Verhandlung gesprochen worden sei, gab er an, er wisse nicht, wo es sich befinde oder wer dort gewohnt habe. Seine Mutter habe es verkauft, bevor sie aus Afghanistan in den Iran geflüchtet seien. Er glaube, dies sei Anfang 2013 gewesen. Wie viel Geld sie dafür bekommen habe, wisse er nicht. Wer das Haus nach seiner Mutter innegehabt habe, wisse er ebenso wenig. Ob es eine bekannte oder unbekannte Person gewesen sei, könne er auch nicht sagen.

In der Folge wurden die Gründe des BF für das (neuerliche) Verlassen des Herkunftsstaates erörtert.

Abschließend schilderte der Rechtsvertreter zusammengefasst die Lebensgeschichte des BF und brachte im Wesentlichen vor, dass der BF zur Zeit des Vorfalls 15 Jahre alt gewesen sei und es unzumutbar sei, Details des Geschehens zu verlangen. Ferner führte er aus, Afghanistan sei für den BF ein fremdes Land und würde er nicht Dari, sondern Farsi sprechen, weshalb er im Herkunftsstaat mit Problemen konfrontiert sein würde. Hingewiesen wurde in diesem Zusammenhang auf die gutachterliche Stellungnahme von Frau Hila ASEF vom 15.09.2017. Ferner wurde auf den ACCORD-Bericht vom 12.06.2015 (eine Anfragebeantwortung zu Afghanistan betreffend die Situation für AfghanInnen, insbesondere Hazara, die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und schließlich zurückkehren) verwiesen. Der BF habe keine Anknüpfungspunkte in Afghanistan und verfüge über keine vernünftige Schul- und Berufsausbildung. Als schiitischer Hazara sei er ein leichtes Opfer für die Taliban oder den IS. Die staatlichen Behörden seien nicht in der Lage, ihn ausreichend zu schützen.

Bei seiner Rückkehr würde er in eine aussichtslose Situation geraten, da er über kein Vermögen verfüge und bei einer etwaigen Rückkehr höchstwahrscheinlich in die Drogenszene bzw. in die Kriminalität fallen würde. Seine Zeit in Österreich sei für ihn prägend gewesen. Er habe sich nachhaltig integriert und hier eine Existenz aufgebaut. Ferner wurde auf seinen Integrationserfolg verwiesen. Festgehalten wurde auch, dass er keine Schuld an der Länge des Verfahrens trage. Zu Afghanistan habe er keinerlei Bindungen mehr. Seine Familie, die im Iran lebe, könne ihn nicht unterstützen, da sie sich selbst kaum über Wasser halten könne. Ferner leide der BF an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie Depressionen und sei nach wie vor in Behandlung. Er verhalte sich wie ein österreichischer Jugendlicher, der sich mit Freunden treffe, regelmäßig die Bücherei besuche und einen Kulturpass besitze, mit welchem er Museen und Kinos besuchen könne. Ferner sei er auch Mitglied im Fitnessclub. Das europäische Leben habe ihn sohin sehr verwestlicht. Er sei teils im Iran, teils in Österreich sozialisiert worden, weshalb ihm eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar sei. Hingewiesen wurde unter anderem auch darauf, dass dem BF im Falle einer früheren Entscheidung bereits subsidiärer Schutz gewährt worden wäre.

15. Mit Beschluss vom XXXX wurde Univ. Prof. Dr. med. Georg Pakesch zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie bestellt und mit der Erstellung von Befund und Gutachten über den psychischen Gesundheitszustand des BF beauftragt.

16. Aus dem psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom XXXX geht zusammengefasst hervor, dass der BF an einer Anpassungsstörung - längere depressive Reaktion (ICD-10: F43.21) leide. Es handle sich um keine lebensbedrohliche Krankheit und würden keine Hinweise auf eine Fremd- oder Selbstgefährdung des BF hinweisen. Da eine Überstellung nach Afghanistan entgegen den Wünschen und Zielen des BF stehe, sei eine zusätzliche psychische Belastung, die möglicherweise zu einer vorübergehenden Verschlechterung der derzeit fassbaren Anpassungsstörung führen könnte, nicht auszuschließen. Es sei keine psychische Erkrankung in einem Ausmaß fassbar, dass dadurch die Reisefähigkeit beeinträchtigt wäre.

17. Mit Schreiben vom XXXX wurden dem BF das psychiatirisch-neurologische Gutachten des SV Dr. Georg Pakesch vom XXXX , das Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter KI vom 19.10.2018, der EASO-Bericht Netzwerke Afghanistan mit Stand Jänner 2018, die UNHCR-Richtlinien samt Anmerkungen, Auszüge aus den Gutachten von Dr. Rasuly zur Situation der Hazara sowie die Information zur IOM Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung Afghanistan unter Einräumung einer zehntägigen Frist zur Stellungnahme übermittelt.

18. Mit Stellungnahme vom XXXX wurde zum eingeholten psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom XXXX nach Wiederholung der wesentlichen Ergebnisse ausgeführt, dass der Sachverständige den BF zwar umfassend zur Fluchtgeschichte befragt habe, jedoch keine ausreichenden Fragen gestellt habe, die zur Beurteilung des psychischen Gesundheitszustandes erforderlich gewesen wären. Demnach habe er ihn nicht konkret zu seinen Gedanken hinsichtlich der drohenden Rückkehr nach Afghanistan befragt, obwohl diese Frage zentral für die Beurteilung einer drohenden Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes gewesen wäre. Auch im Hinblick auf Suizidgedanken seien keine Fragen gestellt worden. Ferner habe der Sachverständige festgehalten, dass eine weitere psychologische Betreuung zur Bewältigung der derzeitigen Lebenssiutation zu empfehlen sei, und wurde zur prekären Lage psychisch erkrankter Personen in Afghanistan auf die diesbezüglichen Informationen im aktuellen Länderinformationsverblatt, im Afghanistan-Gutachten von Friederike Stahlmann sowie in den UNHCR-Richtlinien verwiesen. Zu einer allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternative wurde ausgeführt, dass eine solche nach den UNHCR-Richtlinien in Kabul nicht vorliege. Auch eine Ansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif sei aufgrund der dort anhaltenden Dürre (vgl. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre, vom 12.09.2018) sei dem BF nicht zumutbar.

19. Mit hg. Erkenntnis vom XXXX wurde der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß §§ 8 Abs. 1 iVm 28 Abs. 1 VwGVG stattgegeben. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Hinblick auf den Herkunftsstaat Afgahnistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Gegen den BF wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Gegen dieses Erkenntnis erhob der BF im Wege seiner Vertretung Beschwerde an den Verassungsgerichtshof.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom XXXX , XXXX , wurde dieses Erkenntnis hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, des Ausspruches über die Zulässigkeit der Abschiebung sowie der Feststezung der Frist zur freiwilligen Ausreise behoben. Die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde hingegen abgelehnt.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe die Feststellungen, warum dem BF eine Rückkehr nach Afghanistan trotz mangelndem Unterstützungsnetzwerk vor Ort möglich und zumutbar sei, auf den von EASO herausgegebenen Bericht "Afghanistan - Networks", Stand Jänner 2018, gestützt. Daraus gehe nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts hervor, dass es Rückkehrern in afghanischen Städten grundsätzlich auch ohne familiäres Netzwerk möglich sei, den Lebensunterhalt zu bestreiten und überdies aufgrund moderner Kommunikationsmittel sowie einem informellen Geldüberweisungssystem Unterstützung von entfernten Netzwerken zu erhalten. Dabei habe das Bundesverwaltungsgericht übersehen, dass EASO zum Entscheidungszeitpunkt eine aktuellere und spezifischere Information betreffend Fälle wie jenen des BF vorliege. Die "Country Guidance" zu Afghanistan des EASO von Juni 2018 (die aktuellere Fassung aus Juni 2019 enthalte keine hier relevanten Neuerungen) nehme nämlich von der oben zitierten Beurteilung ausdrücklich jene Gruppe von Rückkehrern aus, die entweder außerhalb Afghanistans geboren worden seien oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt hätten. Indem das Bundesverwaltunsgericht die geänderten Verhältnisse nicht berücksichtigt habe, habe es die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen und dadurch sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

20. Mit Ladung vom XXXX wurden dem BF das Länderinformationsblatt Afghanistan vom 13.11.2019, die UNHCR-Richtlinien, Stand August 2018, sowie die EASO Country Guidance von Afghanistan, Stand Juni 2019, zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

21. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Dari statt.

Im Zuge der Beschwerdeverhandlung brachte der BF folgende Unteralgen (in Kopie) in Vorlage:

- Kopie der Gewerbeberechtigung aus dem Gewerbeinformationssystem mit dem Gewerbebotendienst (Beilage ./1);

- Konvolut an Honorarnoten bzw. Rechnungen (Beilage ./2);

- Vertrag zwischen dem BF und dem Restaurant RS Solutions d. o. o vom 01.11.2019 (Beilage ./3);

- Aktuellen ZMR Ausdruck (Beilage ./4);

- Kopie der E-Card bzw. ein Ausweis ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1 (Beilage ./5);

- Drei Unterstützungsschreiben (Beilage ./6);

- Schreiben der Fam. XXXX (Beilage ./7);

- Schreiben von der Fr. XXXX (Beilage ./8);

- Mehrere Vorverträge (Beilage ./9);

- Energieführerschein Zertifikat (Beilage ./10);

- Stundenplan des Abendgymnasiums bzw. Externistenprüfungskommission der Pflichtschule (Beilage./11);

- Zertifikat ÖSD B1 (Beilage ./12);

- Kursbesuchsbestätigung zu B2 (Beilage ./13);

- Bescheid des AMS vom XXXX (Beilage ./14)

Eingangs gab der BF zu seiner Herkunft im Wesentlichen und zusammengefasst an, er wisse, dass er aus XXXX stamme, könne sich aber an seinen Geburtsort nicht erinnern, da er im Alter von drei Jahren von dort weggezogen sei. Er habe kein Interesse an näheren Informationen zu seiner Herkunft gehabt und wisse auch nicht, woher seine Eltern kommen würden. An seinen sechsmonatigen Aufenthalt in Afghanistan vor seiner Einreise in Österreich könne er sich nicht mehr erinnern. Hinsichtlich seiner Geschwister gab er an, er habe drei Brüder und zwei Schwestern. Seine Familie wohne in Mashhad und es gehe ihr gut. Seine Mutter sei krank geworden und höre nicht, sonst sei es gut. Seine Brüder XXXX und XXXX würden bei seiner Mutter in Mashad leben. Seine Angehörigen würden jede Arbeit annehmen, welche sich ergebe. Sie würden in der Schneiderei sowie auf Baustellen arbeiten. Seine Mutter würde beispielsweise Pistazien knacken und Safran säubern. Seine Brüder würden schon lange arbeiten. Es seien aber keine Arbeiten, bei denen man wirklich gut verdienen könne. Es sei nur so viel, dass man gerade davon leben könne. Der BF habe, ebenso wie seine Brüder, bereits als Kind gearbeitet. Er sei als Schneider tätig gewesen, habe aber auch andere Arbeiten gemacht, wie Pistazien knacken und Safran säubern. Mit dem Geld habe er zum Lebensunterhalt seiner Familie beigetragen. Seine Geschwister seien damals noch sehr jung gewesen und hätten keine richtige Arbeit gemacht. Der Vater des BF habe auf Baustellen gearbeitet. Auf Vorhalt, er habe einen Lebenslauf vorgelegt, aus welchem ersichtlich sei, dass er von Jänner 2012 bis Februar 2015 im Iran im Verkauf tätig gewesen sei, gab er an, er sei nur als Schneider tätig gewesen, sie hätten nicht als Verkäufer arbeiten dürfen. Auf Nachfrage, warum er sich an nichts mehr erinnern könne, gab er an er habe im letzten Jahr unter besonderem Druck, Stress und Panikattacken gelitten, da er Angst vor einer Abschiebung gehabt habe.

Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes führte der BF an, er befinde sich derzeit nicht in ärztlicher Behandlung, nehme keine Medikamente und leide an keinen Krankheiten.

Zu seinem Leben in Österreich brachte er vor, er sei nicht verheiratet und befinde sich in keiner Lebensgemeinschaft. Er wohne bei der Familie XXXX , die für ihn wie eine eigene Familie sei. Herr XXXX habe ihn in der Bibliothek der Caritas angesprochen, da er jemanden gebraucht habe, der sich um seinen Garten kümmere bzw. den Rasen mähe. Sie hätten Nummern ausgetauscht und er habe dann alle zwei Wochen bei der Familie den Rasen gemäht. Seit etwa dreieinhalb Jahren würden sie sich jetzt kennen. Der Sohn und die Tochter der Familie seien für ihn wie Geschwister. Kian, der Sohn der Familie, sei ein zwölfjähriges autistisches Kind. Er brauche auch jemanden, weil er noch eine andere Krankheit habe, nämlich Epilepsie. Wenn seine Eltern nicht zuhause seien, kümmere sich der BF um ihn. Sie würden spazieren gehen und sich Videos auf Youtube anschauen. Wenn er den Rasen mähe, spiele Kian am Trampolin, manchmal helfe er ihm auch. Für den Fall, dass er einen epileptischen Anfall habe, hätten Herr XXXX und er ein Gerät, durch welches die Anfälle leichter werden und sein Gehirn besser funktioniere. Wenn die Eltern in der Arbeit seien, passe der BF auf ihn alleine auf. Täglich sei er 20 bis 30 Minuten mit ihm beschäftigt. Er helfe ihm bei der Aufgabe, höre mit ihm Musik und koche für ihn.

Im Haus Gabriel habe er Dolmetschertätigkeiten übernommen und in der Küche geholfen, indem er Gemüse vorbereitet und dem Koch afghanische Gerichte gezeigt habe. Dem Haustechniker habe er vor allem bei Reparaturen am Computer geholfen. Er kenne sich beim Computer sehr gut aus, könne Teile zusammenbauen und Programme installieren. Ferner kenne er sich mit der Programmiersprache Java aus. Zwar mache er keine eigenen Programme, aber wenn es in einem Programm notwendig sei, mache er es. Er habe auch über das Internet einen Kurs gemacht, bei der es um Onlinewerbung für verschiedene Produkte gegangen sei. Er dürfe diese Art von Werbung jedoch nicht betreiben, da er keinen Ausweis habe. Würde er einen Aufenthaltstitel erhalten, würde er er sich beim IT-Techniker anmelden und auf Teilzeitbasis Botendienste verrichten, um neben der Ausbildung Geld zu veridenen.

Der BF habe einen Arbeitsvorvertrag mit einem Unternehmen, bei welchem er bei der Montage von Solaranlagen helfen könne, abgeschlossen. Arbeitserfahrung habe er in dem Bereich nicht, er könne jedoch anfangen, wenn er eine Arbeitserlaubnis habe. Ein türkisches Unternehmen habe für ihn um eine Arbeitsbewilligung angesucht, der AMS habe aber abgelehnt. Er habe das Gewerbe "Werbemittelverteiler" angemeldet und sei zwei bis zweieinhalb Monate in diesem Bereich tätig gewesen. Nunmehr habe er das Gewerbe "Botendienst" angemeldet und führe diese Tätigkeit seit drei Moanten aus. Im Sommer habe er ein monatliches Einkommen von ? 800,-- bis ? 900 ,-- erzielt. Im Winter habe er ? 1.500 ,-- bis ? 2.000 verdient. Die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge hänge von seinem Einkommen ab. Derzeit zahle er ? 120 , -- . Er arbeite nicht jede Woche gleich viele Tage, normalerweise seien es vier Tage, aber es komme auch darauf an, wann XXXX arbeiten müsse. In dieser Zeit müsse er auf XXXX aufpassen. Wenn Sie am Nachmittag da sei, fahre er fort. Er werde sehr von der Familie unterstützt. Angi sei sehr bemüht, dass er Arbeit habe. Sie habe gesagt, wenn es möglich sei, würden sie ihn im Krankenhaus für eine Lehre als Operationsgehilfe anmelden. Finanziell würden sie ihn nicht unterstützen. Sie hätten zwar die Rechtsvertretung bezahlt, er müsse es aber zurückzahlen, sobald er eine fixe Einstellung habe. Bevor er die Familie gekannt habe, habe er sich das Geld für die Rechtsvertretung von Freunden ausgeborgt. Ferner habe er durch die Arbeit im Garten Geld gespart.

Im Fall seiner hypothetischen Rückkehr könne ihn die Patenfamilie nicht unterstützen. Er könne sich nicht vorstellen zurückzukehren und wolle in diesem Fall auch keine Untersützung von seiner Patenfamilie.

Seit zwei Monaten habe er mehr Einkommen und unterstütze damit seine Familie im Iran. Einmal habe er ihnen ? 300 ,-- und einmal ? 400 ,-- zukommen lassen.

Ihn würden gesellschaftliche Themen in Österreich interessieren und er lese Zeitung. Familienangehörige habe er in Österreich nicht, er habe aber einen Freund, welchen er aus dem Iran kenne. Er sei afghanischer Staatsangehöriger und habe einen grauen Pass. Seinem Freundeskreis würden Personen verschiedener Nationalitäten angehören. Bei einem Praktikum habe er zwei österreichische Freudinnen gefunden, mit welchen er noch immer Kontakt habe.

Abschließend brachte der BF im Wege seiner Vertretung zu den aktuellen Länderberichten vor, dass entsprechend der UNHCR-Richtlinien 2018 sowie der EASO Country Guidance Juni 2019 eine Abwägung der "Risikoprofile" zu erfolgen habe und der BF mehrere dieser Profile erfülle, da er einer Minderheit angehöre, den Großteil seines Lebens nicht in Afghanistan verbracht habe und mit psychischen Problemen gekämpft habe bzw. kämpfe. Ergänzend wurde auf verschiedene Länderberichte hingewiesen, welche dieses Vorbringen bestätigen würden. Hinsichtlich seiner individuellen Situation wurde auf den Brief der Famlie XXXX verwiesen.

Vom Behördenvertreter wurde vorgebracht, aus der EASO Country Guidance Juni 2019 gehe hervor, dass für die Gruppe der "länger nicht in Afghanistan Aufhältigen" nur in speziellen Fällen bei der Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer existentiellen Notlage bestehe. Dies ergebe sich aus der Formulierung "may lead" (vgl. S. 75 des Berichts), während hinsichtlich anderer Personengruppen explizit die Formulierung "would not" verwendet werde. Der BF sei afghanisch sozialisiert worden, was sich unter anderem darin zeige, dass er das Hawala-System verwende. Ferner habe er in Österreich Berufserfahrung gesammelt. In Herat und Mazar-e Sharif herrsche nur wenig willkürliche Gewalt. Für die Annahme der Unzumutbarkeit der Rückkehr müsse sohin eine hohe individuelle Gefährdungslage vorliegen. Im Übrigen würden die vom BF gesetzten Integratoinsschritte nicht verkannt werden, allerdings sei zu berücksichtigen, dass sich der BF bei der Setzung dieser Schritte seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein habe müssen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

1.1.1. Zum Verfahrensgang

Der BF, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Da das Bundesamt über diesen Antrag nicht entschieden hat, hat der BF Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX ist seiner Beschwerde stattgegeben und über den Antrag auf internationalen Schutz entschieden worden. Die Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz ist hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Rechtskraft erwachsen. Die weiteren Aussprüche wurden mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom XXXX behoben.

1.1.2. Zur Situation des BF im Fall der Rückkehr

Der 21-jährige BF stammt ursprünglich aus der afghanischen Provinz XXXX und gehört der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Im Alter von drei Jahren hat er den Herkunftsstaat verlassen und ist mit seiner Familie in den Iran gezogen. Dort besuchte der BF von XXXX bis XXXX die Grundschule.

Im Jahr XXXX kehrte er mit seiner Familie, bestehend aus seinen Eltern, seinen drei Brüdern sowie seinen zwei Schwestern, für die Dauer von sechs Monaten zurück in ihren Herkunftsort in Afghanistan. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt während dieses Aufenthalts verließ der Vater des BF die Familie, kehrte nicht mehr zu ihnen zurück und besteht seither zwischen ihm und den übrigen Familienmitgliedern kein Kontakt mehr. Auch der ältere Bruder des BF verließ die Familie während des Aufenthalts in Afghanistan. Es kann jedoch weder sein Motiv, noch sein aktueller Aufenthaltsort festgestellt werden. Ebenso wenig kann festgestellt werden, ob zwischen diesem Bruder und den anderen Familienmitgliedern noch Kontakt besteht.

Nach sechs Monaten kehrte der BF mit seiner Mutter, seinen beiden jüngeren Brüdern sowie seinen beiden Schwestern aus einem nicht feststellbaren Grund zurück in den Iran. Zur Finanzierung der Rückkehr verkaufte seine Mutter ein in der Provinz XXXX gelegenes Haus, welches sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Nach wenigen Wochen im Iran trat der BF seine Flucht nach Europa an. In Afghanistan verfügt der BF über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte.

Bei einer Rückkehr in die Provinz XXXX kann eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit aufgrund der instabilen Sicherheitslage sowie der schlechten Erreichbarkeit dieser Provinz nicht ausgeschlossen werden.

Eine Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif ist dem BF jedoch zumutbar und sind auch beide Städte sicher mit dem Flugzeug erreichbar. Eine Verletzung in seinen nach Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder Protkoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention garantierten Rechten kann im Fall einer Ansiedlung in den Städten Herat oder XXXX nicht festgestellt werden.

Der BF leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Während seines Aufenthalts in Österreich hat er an einer Anpassungsstörung mit einer längeren depressiven Reaktion sowie an einer schweren depressiven Episode gelitten. Seine Arbeitsfähigkeit wurde durch diese Erkrankungen nicht eingeschränkt. Aktuell befindet er sich weder in einer Therapie, noch nimmt er Medikmante.

Der BF ist arbeitsfähig, ledig und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Er ist im Iran im afghanischen Familienverband aufgewachsen und sozialisiert worden, sodass davon auszugehen ist, dass er mit den kulturellen und sozialen Gepflogenheiten Afghanistans hinreichend vertraut ist. Ferner spricht er die in Afghanistan verbreitete Sprache Dari und ist zuletzt im Jahr XXXX für die Dauer von einem halben Jahr in Afghanistan aufhältig gewesen. Er verfügt über mehrjährige Schulbildung, welche er im Iran erlangt hat. Ferner hat er in Österreich den Pflichtschulabschluss nachgeholt und sich IT-Kenntnisse, wie beispielsweise die Programmiersprache Java, angeeignet. Während seines Aufenthaltes im Iran hat er Berufserfahrung als Schneider gesammelt und hat Gelgenheitsarbeiten, wie Pistazien knacken und Safran säubern, angenommen. In Österreich hat er ferner als Werbemittelverteiler sowie als Essenslieferant gearbeitet.

Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Zur Überbrückung allfälliger Anfangsschwierigkeiten besteht für ihn die Möglichkeit, Rückkehrhilfe in Anspruch zu kommen. Ferner ist davon auszugehn, dass er zumindest anfänglich finanzielle Unterstützung durch jene Familie, bei welcher er in Österreich lebt, bekommen kann. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan würde er sohin nicht in eine hoffnungslose Lage geraten.

1.1.3. Zum Leben des BF in Österreich

Der BF spricht Deutsch auf dem Sprachniveau B1, hat an Integrationsmaßnahmen teilgenommen und verfügt über einen Kulturpass. In der von der Caritas betriebenen Unterkunft, in welcher er gewohnt hat, hat er den Haustechniker bei verschiedenen Tätigkeiten unterstützt und hat dar über hinaus in der Küche ausgeholfen.

Er verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte, konnte sich jedoch während seines Aufenthalts einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufbauen. Er lebt aktuell in einem gemeinsamen Haushalt mit der Familie XXXX und ist in das Familienleben aktiv eingebunden. XXXX , der Sohn der Familie, leidet an schwerer Epilepsie sowie an einer Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen. Der BF ist eine wichtige Vertrauensperson für ihn und übernimmt seine Betreuung nach der Schule, bis die Mutter von XXXX von ihrer Arbeit nachhause kommt. Ein Abbruch der Betreuung durch den BF würde für XXXX einen Rückschlag in seiner Entwicklung sowie eine Verstärkung seines autistischen Verhaltensmusters bedeuten.

Der BF hat in Österreich seinen Pflichtschulabschluss nachgeholt, hat zwei Semester lange ein Abendgymnasium besucht und hat sich um eine unselbstständige Erwerbstätigkeit bemüht, der Antrag auf Erteilung einer Arbeitsbewilligung wurde jedoch mit Bescheid des AMS vom XXXX abgewiesen. Er hat mehrere Arbeitsvorverträge abgeschlossen und zwei Monate als Werbemittelverteiler gearbeitet. Am XXXX hat er das Gewerbe "Botendienst" angemeldet, erzielt aktuell durch diese Tätigkeit ein Einkommen zwischen ? 1.200 ,-- bis ? 1.500 ,-- monatlich und ist zur Sozialversicherung gemeldet. Der BF geht sohin rechtmäßig einer Erwerbstätigkeit nach und ist selbsterhaltungsfähig. In Österreich ist der BF unbescholten.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat

1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt "Afghanistan" vom 13.11.2019:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015), und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für fünf Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14.11.2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden, und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben, und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004, USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert, und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht, und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss, und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.01.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.06.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.01.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.06.2018; s. folgender Abschn

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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