Entscheidungsdatum
22.04.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L502 2220333-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2020, FZ. XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste im Jahr 2014 aus seinem Herkunftsstaat kommend legal zu Studienzwecken in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er sich seither aufhält.
2. Mit Bescheid der zuständigen Niederlassungsbehörde vom 15.05.2017 wurde sein Antrag auf Verlängerung seiner - zuletzt bis 09.03.2017 gültigen - Aufenthaltsbewilligung als Studierender wegen verspäteter Antragstellung abgewiesen.
3. Am 12.06.2017 stellte er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz, im Gefolge dessen seine Erstbefragung durchgeführt wurde.
4. Am 06.02.2019 wurde er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zu diesem Antrag niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legte er mehrere Beweismittel vor, die als Kopie zum Akt genommen wurden.
5. Mit Bescheid des BFA vom 03.06.2019 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine 14 tätige freiwillige Ausreisefrist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.
6. Gegen den durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner damaligen Vertretung vom 17.06.2019 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erhoben.
7. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 21.06.2019 beim BVwG ein und wurde das Beschwerdeverfahren in der Folge der Abteilung L502 zugewiesen.
8. Mit Beschluss des BVwG vom 26.08.2019 wurde der Bescheid vom 03.06.2019 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
9. Das BFA richtete auf der Grundlage der im ersten Verfahrensgang vom BF zu seinem Vater gemachten, jedoch unberücksichtigt gebliebenen Angaben am 07.10.2019 eine Anfrage an die Staatendokumentation der Behörde, deren Beantwortung am 28.01.2020 dort einlangte.
10. Am 18.02.2020 wurde der BF erneut vor dem BFA einvernommen.
In der Einvernahme legte er einen Bescheid des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), mit dem seinen Familienangehörigen in Deutschland der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war, als Beweismittel vor.
Im Zuge der Einvernahme wurde mit ihm auch das Ergebnis der Anfrage an die Staatendokumentation erörtert. Ihm wurden außerdem Länderinformationen des BFA zum Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht.
11. Am 26.02.2020 legte er dem BFA weitere Beweismittel vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden.
12. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 02.03.2020 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihm jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 02.03.2021 erteilt (Spruchpunkt III).
13. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 02.03.2020 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
14. Gegen den durch Hinterlegung mit 03.03.2020 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 30.03.2020 Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides erhoben. Die übrigen Spruchpunkte blieben unangefochten.
15. Mit 02.04.2020 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim BVwG ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.
16. Das BVwG erstellte neuerlich Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des Melde- sowie des Strafregisters.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung:
Der oben widergegebene Verfahrensgang steht im Lichte des vorliegenden Verfahrensaktes als unstrittig fest.
2. Rechtliche Beurteilung:
Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Zu A)
1. Die Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).
Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesonders weil
1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,
2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat
3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder
4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und
die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtsache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.
Geht das Verwaltungsgericht - in Verkennung der Rechtslage - aber von einer Ergänzungsbedürftigkeit des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes aus, die bei einer zutreffenden Beurteilung der Rechtslage nicht gegeben ist, und hebt dieses Gericht daher den Bescheid der Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG infolge Verkennung der Rechtslage auf, verstößt das Verwaltungsgericht gegen seine in § 28 Abs. 2 VwGVG normierte Pflicht, "in der Sache selbst" zu entscheiden.
2.1. Vorweg ist auf die bereits im vorangegangenen Beschluss des BVwG vom 26.08.2019, der zur Behebung des erstinstanzlichen Bescheides im ersten Verfahrensgang und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur neuerlichen Entscheidung führte, enthaltene Zusammenfassung der vom BF dargelegten Gründe für seinen Antrag auf internationalen Schutz zu verweisen, welchen er in seiner Erstbefragung darauf stützte, dass er zwar den Libanon zu Studienzwecken verlassen habe, aber nach dem Ende der Gültigkeit seines Aufenthaltstitels als Studierender Österreich in seine Heimat verlassen sollte, wo ihm aber seine Ermordung oder Entführung drohen würde, weil sein Vater, der im Libanon seine Fähigkeiten als Arzt u.a. für hilfsbedürftige Personen wie Flüchtlinge aus Syrien einsetzte, von einer in Syrien tätigen terroristischen Organisation mit dem Tode bedroht worden sei, nachdem Mitglieder derselben, die von ihm behandelt worden seien, von staatlichen Sicherheitskräften festgenommen worden seien, und dieser von dieser Organisation daher des Verrats bezichtigt worden sei, staatlicher Schutz gegen diese Bedrohung ihm trotz seines Ersuchens aber verweigert worden sei, was der BF in seiner Einvernahme dahingehend ergänzte, dass seine Familie zwar vorerst Schutz erhalten habe, es aber dennoch zu einem Anschlag auf deren Wagen gekommen sei, weshalb diese auch den Libanon verlassen hätten, und er selbst als Angehöriger seines Vaters in gleichem Maße wie die übrigen Angehörigen bedroht sein würde.
2.2. In seiner Begründung dieses Beschlusses hatte das BVwG zum einen darauf hingewiesen, dass "der belangten Behörde vorweg dahingehend beizupflichten (sei), dass der Umstand, dass der BF den gg. Antrag auf internationalen Schutz erst einbrachte, nachdem sein bisheriger Aufenthaltstitel als Studierender nicht mehr verlängert worden war, durchaus Zweifel an der Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Fluchtgründe indizierte. Nicht zuletzt datierte er doch jene Ereignisse, die zur Flucht seiner Angehörigen aus der Heimat geführt haben sollen, in das Jahr 2015 und wurde diesen im Hinblick auf deren 19.06.2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15.11.2016 jeweils der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, was die begründete, wenn auch von der belangten Behörde nicht aufgeworfene Frage aufdrängt, weshalb er - den Kontakt mit seinen Angehörigen angesichts der Vorlage eines Nachweises ihres Status durch ihn voraussetzend - in Kenntnis und im Lichte dessen nicht ebenso die Zuerkennung von (zumindest) subsidiärem Schutz an ihn schon früher als im Juni 2017 begehrte, bedenkt man, dass er durch diesen Status besser gestellt wäre als durch einen jeweils kurzfristigen und vom Studienerfolg abhängigen Aufenthaltstitel als Studierender."
Zwar wurde nun im Zuge der nochmaligen Einsichtnahme des BVwG in die Niederschrift der Einvernahme vom 06.02.2019 ersichtlich, dass der BF den für seine Angehörigen Flucht auslösenden Vorfall nicht erst "in das Jahr 2015", sondern bereits "vor die Jahreswende 2015" datiert hatte (vgl. AS 74). Angesichts dieses noch weiter zurückliegenden Zeitpunkts stellte sich jedoch umso mehr die Frage, weshalb der BF seinen Antrag auf internationalen Schutz erst am 12.06.2017 stellte, geht man a priori aus bereits genanntem Grunde von seinem Kontakt mit seinen seit 08.01.2015 (vgl. AS 373) als Asylwerber in Deutschland aufhältigen Angehörigen aus, wobei auch auffällt, dass seine Antragstellung vom 12.06.2017 dem Akteninhalt zufolge unmittelbar an den Ablauf der Gültigkeit seiner Aufenthaltsbewilligung als Studierender mit 09.03.2017, die Einbringung seines Antrags auf Verlängerung derselben mit 10.04.2017 sowie die - offenbar unbekämpft gebliebene - Abweisung dieses Antrags als verspätet und unzulässig mit Bescheid der zuständigen Behörde vom 15.05.2017 anschloss (vgl. AS 145).
In seiner Begründung des nun bekämpften Bescheides vom 02.03.2020 zitierte das BFA zwar diese Überlegung des BVwG (vgl. AS 471), sie ging aber auf diesen Gesichtspunkt als solchen nicht weiter ein und unterzog ihn keiner Würdigung, wie sich auch keine Bezugnahme darauf in der Einvernahme des BF vom 18.02.2020 durch entsprechende Nachfragen gefunden hat.
2.3. Im Hinblick auf die Unschlüssigkeit der Begründung des Bescheides des BFA im ersten Verfahrensgang hatte das BVwG im Beschluss vom 26.08.2019 schon darauf hingewiesen, dass zwar angesichts der Vorlage einer Seite des in den Verfahren seiner Angehörigen ergangenen Bescheides des deutschen BAMF bekannt war, dass diesen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war, die Gründe dafür jedoch unbekannt geblieben waren.
In seiner Einvernahme vom 18.02.2020 legte der BF - wohl angesichts des Hinweises darauf in der Begründung des Beschlusses des BVwG - eine Ablichtung dieses vierseitigen Bescheides vor.
In seiner Beweiswürdigung kam das BFA sodann in Ansehung der in diesem Bescheid enthaltenen Zusammenfassung der Antragsbegründung seines Vaters und des Vorbringens des BF vor dem BFA zum Ergebnis, dass dieser "in wesentlichen Punkten gleichlautend wie (sein) Vater vor den deutschen Asylbehörden und damit glaubhaft schilderte ...", womit er letztlich auch ein "aktuell bestehendes Bedrohungsszenario für (die) Familie im Libanon glaubhaft machen konnte ...".
Bei näherer Betrachtung des zusammengefassten Vorbringens seines Vaters wurde jedoch erkennbar, dass dieser eine "Zelle des IS" (gemeint: der Terrororganisation Islamischer Staat) als seinen potentiellen Verfolger genannt hatte (vgl. AS 375).
Der BF hatte seinerseits in einer auf seine erste Einvernahme folgenden Eingabe eine "terroristische Sub-Gruppe" als Verfolger genannt (vgl. AS 85), wobei deren dort in arabischer Sprache genannter Name in der vom BFA im zweiten Verfahrensgang veranlassten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.01.2020 als Abdullah Azzam Brigaden übersetzt wurde (vgl. AS 342 ff). Den dort enthaltenen Quellenhinweisen war wiederum im Wesentlichen zu entnehmen, dass es sich dabei um eine extremistische sunnitische, mit Al Kaida assoziierte Organisation handelt, die innerhalb des Libanon primär gegen extremistische schiitische Organisationen wie die Hisbollah vorgeht, wobei sie wie andere bewaffnete sunnitische Organisationen von den palästinensischen Flüchtlingslagern des Landes aus agiert.
Zwar wird dem Amtswissen zufolge auch der IS dem Lager sunnitischer extremistischer Organisationen zugeordnet. Ob sich die Abdullah Azzam Brigaden allerdings als eine "Zelle des IS" charakterisieren lassen, war den länderkundlichen Informationen der Staatendokumentation nicht zu entnehmen, weshalb sich daraus daher auch nicht schließen ließ, dass der BF sein Vorbringen in diesem wesentlichen Punkt, nämlich der Identität der behaupteten Verfolger, "gleichlautend wie (sein) Vater vor den deutschen Asylbehörden und damit glaubhaft schilderte".
Eine stichprobenartige Nachschau des BVwG auf der Website www.refworld.org des UNHCR zeigte im Übrigen auf, dass das US. Department of State in seinen Country Reports on Terrorism 2017 - Foreign Terrorist Organisations vom 19.09.2018 u.a. auf die Abdullah Azzam Brigades, deren Geschichte sowie deren wesentliche Aktivitäten zwischen 2009 und 2017 einging (Ausdruck im Akt einliegend). In dieser Darstellung findet sich jedoch ebenso keine Verbindung zwischen den Abdullah Azzam Brigades und dem IS.
2.4. Der BF hatte in seiner Eingabe an das BFA im ersten Verfahrensgang zwei karitative Organisationen nannte, mit der sein Vater als Arzt zusammengearbeitet bzw. die er gegründet habe (vgl. AS 85).
Bezugnehmend darauf hatte das BFA seine Anfrage an die Staatendokumentation vom 07.10.2019 auch darauf gerichtet, ob sich ermitteln ließe, dass der Vater des BF tatsächlich mit diesen Organisationen zusammengearbeitet bzw. er sie gegründet hat.
Schon einleitend legte die Anfragebeantwortung jedoch dar, dass es aus dort näher beschriebenen Gründen nicht möglich gewesen sei, die Identität des Vaters als ehemals im Libanon tätigen Arzt zu überprüfen, und wurde im Einzelnen aufgelistet, welche ergänzenden Informationen des BF erforderlich seien um diese Überprüfung vornehmen zu können (vgl. AS 323). Ausgehend davon sei es der Anfragebeantwortung folgend auch nicht möglich gewesen, der Fragestellung des BFA im Hinblick auf seine Zusammenarbeit mit bzw. Gründung einer karitativen Organisation nachzukommen (vgl. AS 327 ff und 333 ff).
Nachdem die Anfragebeantwortung also insgesamt fünf verschiedene Fragestellungen aufgelistet hatte, welche die Ausgangsbasis für eine Beantwortung der Anfrage des BFA gewesen wären, wurde der BF in der nachfolgenden Einvernahme vom 18.02.2020 zu etwaigen Anhaltspunkten befragt, woraufhin er einzelne Hinweise gab, so nannte er die medizinische Fachrichtung seines Vaters als die eines "Nierenspezialisten" bzw. "Urologen" (AS 367), und die allfällige Nachreichung von Beweismitteln angekündigte (vgl. AS 367 ff).
Mit Eingabe vom 26.02.2020 legte er sodann neben einer kurzen persönlichen Darstellung des die Flucht auslösenden Erlebnisses seines Vaters (vgl. AS 381) eine Kopie dessen libanesischen "Arztausweises" vor (vgl. AS 385), welchem Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen der Staatendokumentation zu entnehmen waren, so etwa den gesamten "Vornamen" seines Vaters, welcher der arabischen Tradition entsprechend aus drei Namen, nämlich dem Namen des Betreffenden, dem seines Vaters und dem seines Großvaters besteht (AS 385).
Anstelle jedoch die dadurch gewonnenen Hinweise für eine Beantwortung seiner ursprünglichen Anfrage an die Staatendokumentation mit dem Ersuchen um ergänzende Erhebungen weiterzugeben, erließ das BFA bereits mit 02.03.2010 den bekämpften Bescheid.
2.5. In seiner Entscheidungsbegründung gelangte das BFA zum rechtlichen Ergebnis, dass - im Hinblick auf die Frage einer allfälligen Asylgewährung an den BF - ein kausaler Zusammenhang zwischen der von ihm behaupteten Verfolgung und einem der in der GFK aufgezählten Gründe nicht ersichtlich gewesen sei, zumal er die Gefahr einer aktuell drohenden Verfolgung aus politischen, religiösen, rassischen, ethnischen oder sozialen Gründen bzw. eine wohlbegründete Furcht vor einer solchen nicht glaubhaft bzw. geltend gemacht habe. Zur Frage der Gewährung subsidiären Schutzes hielt das BFA in seiner rechtlichen Beurteilung fest, dass er "besondere Umstände seine Person betreffend" glaubwürdig schildern konnte, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigten. Bei einer Rückführung würde er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
Aus der Wiedergabe der wesentlichen Ermittlungsdefizite (auch) im gg. zweiten Verfahrensgang oben folgt für das BVwG jedoch, dass es der Behörde (weiterhin) an den für eine schlüssige Entscheidung erforderlichen Entscheidungsgrundlagen mangelte.
Ohne die oben dargelegten Ermittlungsergebnisse war sie nämlich nicht in der Lage auf nachvollziehbare Weise festzustellen, inwieweit der BF tatsächlich ein mit dem Vorbringen seines Vaters im Einzelnen übereinstimmendes Vorbringen zu seiner eigenen Rückkehrgefährdung behauptete, so etwa die Identität seiner Verfolger bzw. der Verfolger seiner Angehörigen betreffend (vgl. oben).
Für die Beantwortung dessen bedarf es über die bloße Einsichtnahme in die nur grob zusammenfassende Wiedergabe des Vorbringens des Vaters im Bescheid des BAMF hinaus vielmehr auch der Einsichtnahme in dessen gesamte niederschriftliche Angaben sowie allfälliger von ihm vorgelegter Urkunden durch Beschaffung derselben im Rechtshilfeweg.
Daran anschließend stellt sich die Frage, ob für den hypothetischen Fall einer solchen Übereinstimmung die vom BF für seine eigene Person behauptete Bedrohung zum jetzigen Zeitpunkt auch die erforderliche Aktualität aufweisen würde, zumal die Schutzgewährung an seine Angehörigen bereits im Jahr 2016 erfolgte.
Als unentbehrlich anzusehen ist auch eine klärende Recherche im Wege der Staatendokumentation zur Feststellung der Identität und des behaupteten beruflichen Wirkens des Vaters des BF im Libanon vor der Ausreise, zumal wie schon erwähnt die bisherigen Ermittlungen dazu keine brauchbaren Ergebnisse erbrachten, wiewohl es bereits Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, die aber vom BFA nicht mehr kommuniziert wurden (vgl. oben).
Davon ausgehend kann die Staatendokumentation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch Recherchen zu den genannten karitativen Organisationen, für die der Vater des BF tätig gewesen sei, durchführen, was wiederum Erkenntnisse zur Frage des Zutreffens des behaupteten Anschlags auf diesen und seine Angehörigen zu Tage bringen könnte, wie in der Anfragebeantwortung vom 28.01.2020 bereits angedeutet wurde (vgl. AS 335).
Nicht zuletzt muss sich die belangte Behörde auch in der persönlichen Befragung des BF eine Meinung dazu verschaffen, weshalb er erst zu einem so späten Zeitpunkt bzw. erst unmittelbar nach seinem vergeblichen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung als Studierender um internationalen Schutz bemühte und nicht schon früher.
2.6. Gelangt das BFA auf diese Weise zu einer hinreichenden Entscheidungsgrundlage, ist es erst in die Lage versetzt beurteilen zu können, ob der BF mit seinem Vorbringen und seiner Beweismittelvorlage eine individuelle Bedrohung aus in der GFK genannten Gründen glaubhaft machen konnte, die sohin Asylrelevanz entfalten könnte, auch wenn dies angesichts einer bereits erfolgten Gewährung von subsidiärem Schutz zu beantworten ist.
Vor diesem Hintergrund ist hier etwa in asylrechtlicher Hinsicht auf den Anknüpfungspunkt der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie, die als solche einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist, als eine soziale Gruppe iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der GFK (vgl. etwa VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011) zu verweisen, wobei auch zu beachten ist, ob von einer landesweiten oder einer bloß örtlich eingrenzbaren Bedrohung des BF, die seinen gefahrlosen Aufenthalt in anderen Landesteilen erlauben würde, auszugehen wäre.
3. Angesichts dessen, dass das BFA in der angesprochenen Weise bloß ansatzweise bzw. gar nicht ermittelte und auf diese Weise zu einer unschlüssigen Entscheidungsgrundlage gelangte, lag auch im gg. zweiten Verfahrensgang eine so gravierende Ermittlungslücke hinsichtlich der Subsumtion unter die richtige Rechtsgrundlage vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), dass sich das erkennende Gericht neuerlich zur Behebung der behördlichen Entscheidung im nunmehr bekämpften Umfang und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides veranlasst sah.
Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das BVwG war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das BVwG eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH v. 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH v. 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104). Dass eine unmittelbare Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens durch das BVwG "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, war nicht ersichtlich.
4. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
5. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben waren.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2220333.2.00Im RIS seit
12.08.2020Zuletzt aktualisiert am
12.08.2020