TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/26 W159 2117946-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.05.2020
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Entscheidungsdatum

26.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1

Spruch

W159 2117946-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2018, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Das Verfahren wird hinsichtlich der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchteile III. bis VIII. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

III. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 20.08.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristetet Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 26.05.2022 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 20.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er gab an, er stamme aus XXXX , Somalia, gehöre der Volksgruppe der Majerteen an und sei ledig. Er habe Familienangehörige (keine Geschwister) in Schweden, Norwegen und Großbritannien. Er habe sein Heimatland wegen des herrschenden Krieges und der schlechten wirtschaftlichen Lage verlassen. Er könne nicht zurückkehren, weil er Angst habe von den Rebellen, welche grundlos Leute ermorden würden, getötet zu werden.

Der Beschwerdeführer wurde am 07.05.2014 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Er gab an, er habe seit er sein Heimatland verlassen habe, keinen Kontakt zu seinen Eltern, die noch in XXXX leben würden. Aufgrund des Augenscheins wurde die Minderjährigkeit angenommen und das Verfahren seitens der belangten Behörde zugelassen.

Der Beschwerdeführer wurde am 03.07.2014 im Beisein der rechtlichen Vertretung, vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab nachgefragt an, er würde hier in Österreich bemüht sein Deutsch zu lernen und in seiner Freizeit Fußball spielen. Er habe in der Erstbefragung die Volksgruppenzugehörigkeit der Mutter angegeben. Nunmehr gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der Volksgruppe der Sheikhaal an. Sein Vater würde als Tagelöhner arbeiten und seine Mutter sei Hausfrau. Seine Geschwister seien zu Hause und würden nicht arbeiten gehen. Es gäbe keine Arbeit für seine Brüder. Er habe noch Onkel und Tanten in XXXX , er wüsste aber nicht, wie diese ihren Lebensunterhalt bestreiten würden, denn er habe keinen Kontakt zu ihnen. Es sei seiner Familie wirtschaftlich/finanziell sehr schlecht gegangen. Sie hätten in einem Viertel namens XXXX gelebt, wo es weder Straßen noch Hausnummern geben würde. Er habe immer dort, bis zu seiner Ausreise 2013 gelebt.

Nach dem Ausreisegrund befragt, gab der Beschwerdeführer an: "Wir lebten in XXXX . Mein Vater arbeitete als Tagelöhner. Dort gibt es ständig Krieg, es herrscht Unsicherheit. In XXXX gibt es eine Milizgruppe, die sich Al Shabaab nennt. Diese rekrutieren Jugendliche, die volljährig werden. Nachdem sie das Alter erreicht haben, müssen sie sich freiwillig bei der Milizgruppe melden. Nachdem diese Gruppe bereits meinen Bruder rekrutiert hat, entschloss ich mich gemeinsam mit meinen Eltern, auf die Flucht zu gehen. Meine Eltern haben gesagt, ich soll gehen. Meine Eltern wussten, dass ich bald volljährig werde. Denn wer die Rekrutierung durch die Al Shabaab ablehnt, wird mit dem Tod bestraft." Er wisse nicht, ob seine beiden anderen Brüder von der Al Shabaab angesprochen worden seien. Er persönlich sei geflüchtet, weil er kein Mitglied der Al Shabaab hätte werden wollen. Sein älterer Bruder sei, als er etwa 20 Jahre alt geworden wäre, Mitglied dieser Gruppierung geworden. Er sei von zu Hause abgeholt worden. Seitdem habe die Familie nichts mehr von ihm gehört.

Am 11.05.2015 wurde seitens der rechtlichen Vertretung eine Stellungnahme abgegeben und eine Säumnisbeschwerde erhoben.

Mit Bescheid vom 27.10.2015 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer Somalia aus wirtschaftlichen Gründen und aufgrund der momentanen instabilen Sicherheitslage verlassen habe. Die Al Shabaab sei, wie aus dem Vorbringen erkennbar, für den Beschwerdeführer keine individuelle Bedrohung. Er habe keine wohlbegründete Furcht vor maßgeblich wahrscheinlicher Verfolgung aus einem der Gründe der GFK glaubhaft gemacht. Aufgrund der instabilen Sicherheitslage sei eine Rückkehr zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Die Behörde führte auch aus, dass sie den Angaben zum persönlichen Umfeld (Familienverhältnisse, Familienstand, Schulbildung) geglaubt habe.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.12.2018 wurde in Erledigung der Beschwerde der Spruchpunkt I. des Bescheides vom 27.10.2015 behoben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Der Bruder des Beschwerdeführers sei bereits rekrutiert worden. Es sei nicht auszuschließen, dass die Al Shabaab die Auffassung vertrete, dass Familienmitglieder bereits rekrutierter Personen sich ihnen ebenfalls anzuschließen hätten. Das Auswahlkriterium für eine Zwangsrekrutierung läge diesfalls in einer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und wäre asylrelevant.

Am 24.08.2016 beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung. Mit Bescheid vom 09.01.2017 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.10.2018 erteilt. Die Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit seinem Vorbringen bzw. seinem Antrag hätten ergeben, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet worden seien.

Am 02.06.2017 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Der Beschwerdeführer gab an, er habe die Deutschprüfung auf A2 Niveau bestanden und besuche einen B1 Deutschkurs. Er gab auch an, er habe wieder Kontakt zu seiner Familie, im speziellen zu seinem Bruder A. via Internet, in Somalia. Seine Familie halte sich in XXXX auf. Sein Bruder sei kein Mitglied der Al Shabaab. Der Beschwerdeführer gab an, dass er aus Angst vor der Al Shabaab damals Somalia verlassen habe. Der Beschwerdeführer ergänzte nunmehr, dass die Al Shabaab nicht gezielt Jugendliche nach Alter und Volksgruppen gesucht habe, aber meistens Jugendliche im Alter über 15 Jahre mitgenommen hätte. Der Beschwerdeführer bestätigte auch, dass seine Brüder, die zu Hause geblieben seien, älter als er wären.

In der Stellungnahme vom 06.08.2018 bezog sich der Beschwerdeführer auf die Lage in Somalia und die Diskriminierung aufgrund der Clanzugehörigkeit.

In der Stellungnahme zur Mitteilung über die beabsichtigte Einleitung eines Aberkennungsverfahrens vom 06.11.2018 gab der Beschwerdeführer an, dass er sich in Somalia immer in XXXX aufgehalten habe. Er sei noch nie in Mogadischu gewesen und habe auch keine familiären Anknüpfungspunkte dort. Der Beschwerdeführer habe keinen Beruf in Somalia gelernt. Eine Abschiebung würde Art. 2, 3 der EMRK verletzen.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheid vom 04.12.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 20.04.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der mit Bescheid vom 27.10.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde von Amts wegen aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen und der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkte II. bis IV.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt V.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Abschiebung nach Somalia als zulässig erachtet und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt VI. bis VIII.)

Die belangte Behörde stellte fest, dass der vom Beschwerdeführer angeführte Motivation, das Heimatland zu verlassen auch nach erneuter Prüfung des Sachverhaltes keine Konventionsgründe zu Grunde liegen würden. Die Gründe, wonach mit Bescheid der Behörde vom 27.10.2015 dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurden, würden nicht mehr vorliegen. Die subjektive Lage habe sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz gewährt worden sei, geändert. Es würde eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Der Beschwerdeführer könne seinen Lebensunterhalt in Mogadischu bestreiten und sicher von Österreich aus dorthin reisen. Auch in XXXX würde für den Beschwerdeführer keine relevante Gefährdungslage vorliegen.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer ergänzend laut Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts einvernommen worden sei sowie spezifische Informationen über die allgemeine Länderinformation hinausgehend eingeholt worden seien. Außerdem habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er wieder mit seinem älteren Bruder in Kontakt stehen würde. Zusätzlich habe der Beschwerdeführer angegeben, dass seine beiden älteren Brüder bei der Ausreise des Beschwerdeführers, trotz behaupteter Rekrutierungsgefahr durch die Al Shabaab in XXXX aufhältig geblieben seien und keiner Tätigkeit nachgehen würden. Nur der Vater würde einem Job im Hafen von XXXX nachgehen. Auch die behauptete Angst von der Al Shabaab rekrutiert zu werden und die dadurch resultierende fluchtauslösende Motivation würden für die belangte Behörde nur vage Vermutungen darstellen, auch in Hinblick darauf, dass die beiden älteren Brüder, wie angegeben in XXXX verblieben seien.

Im Zusammenhang mit der eingeholten länderspezifischen Information gehe die belangte Behörde davon aus, dass weder der Beschwerdeführer noch seine Brüder Gefahr laufen würden, von der Al Shabaab rekrutiert zu werden. Großflächige Rekrutierungen durch die Al Shabaab würden nur in jenen Gebieten vorkommen, die unter der vollen Kontrolle dieser Gruppe stehen würden. Außerhalb jener Gebiete, die unter Kontrolle der Al Shabaab stehen würden, würde keine Berichte von Zwangsrekrutierungen vorliegen. Laut FFM Bericht vom August 2017 mangle es der Al Shabaab an ausreichender Organisationsstruktur und operativer Präsenz in XXXX , weswegen sie nur eingeschränkt dort aktiv sei. Dieser Umstand sei auch darauf zurückzuführen, dass XXXX als der sicherste Ort für eine Rückkehr in Süd- und Zentralsomalia genannt werde, weil der Verwaltung von Jubaland ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert werde. Auch für Mogadischu würden keine greifbaren Beweise vorliegen, dass es Zwangsrekrutierungen durch die Al Shabaab geben würde.

Mit Schriftsatz vom 18.12.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Bescheid im vollen Umfang, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung der Verfahrensvorschriften. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass entgegen der Ansicht der Behörde, ihm eine Rückkehr nach Somalia nicht zumutbar sei. Der Beschwerdeführer brachte erneut die Zwangsrekrutierung eines Bruders vor und, dass man bis dato nicht wisse, was mit ihm geschehen sei. Der Beschwerdeführer habe zwar eine Familie in XXXX , diese könne ihn jedoch nicht bei der Resozialisierung unterstützen, da sie sich kaum selbst versorgen könne. Der Beschwerdeführer würde sich seit mehr als vier Jahren in Österreich aufhalten und würde bei einer Rückkehr nach Somalia Schwierigkeiten mit der Neuorientierung und Anpassung an die dortigen Verhältnisse haben. Unabhängig davon seien die Feststellungen in Bezug auf die derzeitige Situation Somalia unrichtig. Die Lage in ganz Somalia sei höchst prekär. Außerdem habe der Beschwerdeführer mit seinem Vater Lebensmittel an die AMISOM Truppen verkauft und im Zusammenhang mit seiner Flucht zum Ausdruck gebrachten Ablehnung gegenüber Al Shabaab habe der Beschwerdeführer eine wohl begründetet Furcht vor Verfolgung vor der Al Shabaab.

Am 16.04.2019 übermittle die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers die Vertretungsvollmacht. Zusätzlich führt sie an, dass der Beschwerdeführer sich seit über fünf Jahren in Österreich aufhalte und in der Produktion eines renommierten österreichischen Unternehmens tätig sei. Außerdem habe er eine Lehrstelle als Koch in Aussicht, die er gerne antreten würde.

Am 24.09.2019 wurde eine Änderung der rechtlichen Vertretung des Beschwerdeführers bekanntgegeben. Der Beschwerdeführer ersuche um eine baldige Entscheidung. Er halte sich seit mehr als fünf Jahren und zehn Monaten in Österreich auf. Die Ungewissheit über seinen Aufenthalt sei sehr belastend.

Mit Schreiben vom 29.01.2020 übermittelte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung diverse Lohnabrechnungen.

Am 24.04.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung und ein Dolmetscher teilnahmen. Ein Vertreter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt nicht erschienen.

Auf die Frage des Richters, ob der Beschwerdeführer die Beschwerde aufrecht hält, zog der Beschwerdeführer nach Besprechung mit seiner Rechtsvertretung die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurück. Die Beschwerde hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte wurde aufrechterhalten.

Der Beschwerdeführer gab an, er sei somalischer Staatsangehöriger, gehöre dem Clan Sheikhal (Vater) an und sei sunnitischer Moslem. Seine Mutter gehöre dem Clan Majerteen an. Er sei in XXXX geboren worden, aufgewachsen und habe bis zu seiner Ausreise dort gelebt. Er habe in der Stadt gelebt und habe fünf bis sechs Jahre die Koranschule besucht. Sein Vater habe als Träger gearbeitet, seine Mutter sei Hausfrau gewesen. Er habe in Somalia nicht gearbeitet. Der Lebensstandard der Familie sei sehr niedrig gewesen.

Der Richter brachte folgenden Vorhalt: "Bei der Ersteinvernahme haben Sie insbesondere wirtschaftliche Probleme als Grund für die Ausreise aus Somalia angeführt. Stimmt das?" Der Beschwerdeführer bejahte diese Frage. Unmittelbarer Anlass für die Ausreise sei die Angst der Eltern um seine Person gewesen. Die Eltern hätten Angst gehabt, dass die Al Shabaab den Beschwerdeführer töten würde. Nachgefragt ergänzte der Beschwerdeführer, er würde vier Brüder haben, einer sei Mitglied der Al Shabaab, einer sei aus Somalia geflüchtet und zwei Brüder würden sich zu Hause aufhalten. Sein Vater habe die Reise finanziert, wie wisse er nicht. Er würde sich nun seit 2014 in Österreich aufhalten und habe zwischenzeitlich Österreich nicht verlassen.

Der Beschwerdeführer gab nachgefragt an, er würde gelegentlich mit seiner Mutter telefonieren. Seinen Familienangehörigen würde es finanziell schlecht gehen und sie hätten Angst vor der Al Shabaab. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, seine Eltern seien von der schlechten Ernährungssituation (Heuschreckenplage) und dem Coronavirus in Somalia betroffen. Bei einer Rückkehr er durch seine Familie keine Unterstützung zu erwarten.

Der Beschwerdeführer erzählte dem Richter in deutscher Sprache, dass er die letzten eineinhalb Jahre gearbeitet habe. Er sei Verpacker gewesen. Seit Verbreitung des Corona Virus sei er arbeitslos. Für Deutsch, Niveau B1, habe er einen Prüfungstermin im Juni.

Am 29.04.2020 übermittelte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung eine Stellungnahme. Es wurde hinsichtlich der Situation in Somalia und des Verfahrens des Beschwerdeführers auf die katastrophale Sicherheitslage und die fehlende Existenzmöglichkeit im Falle einer Rückkehr hingewiesen. Aus den LIB ginge auch hervor, dass Somalia eines jener Länder sei, das am schlechtesten auf die Pandemie vorbereitet sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger, dem Clan der Sheikhal zugehörig und sunnitischen moslemischen Glaubens. Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt XXXX geboren und lebte dort in ärmlichen Verhältnissen bis zu seiner Ausreise. Der Vater war berufstätig, Lastenträger, die Mutter war Hausfrau, ein Bruder wurde von der Al Shabaab rekrutiert, ein Bruder verließ Somalia, zwei Brüder sind in XXXX aufhältig.

Seine Eltern sind alt, es geht ihnen finanziell schlecht. Sie haben Angst vor der Al Shabaab. Sie sind von der schlechten Ernährungssituation (auch Heuschreckenplage) in Somalia betroffen. Sie haben kein regelmäßiges Essen. Sie können den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Somalia nicht unterstützen.

Der Beschwerdeführer ist seit 20.04.2014 in Österreich aufhältig und um seine Integration bemüht. Er spricht Deutsch und wird voraussichtlich demnächst (ev. Juni 2020) die B1 Prüfung ablegen. Er ist in einem renommierten österreichischen Unternehmer als Verpacker beschäftigt gewesen und mit Ausbruch der Coronakrise in Österreich arbeitslos geworden. Er ist um eine Lehrstellte bemüht. Der Beschwerdeführer ist unbescholten.

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diese Entscheidung ist rechtskräftig. Die Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund der instabilen Sicherheitslage nicht in sein Heimatland zurückkehre könne.

Die allgemeine Lage in Somalia hat sich nicht wesentlich und nachhaltig gebessert.

Die persönliche Situation des Beschwerdeführers hat sich nicht wesentlich geändert. Schon dem Bescheid, mit dem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war, lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer über Familienangehörige in XXXX verfügt, und dass er den Sheikhal angehört. Er gab damals an, dass er keinen Kontakt zu seinen Angehörigen hat. Seine Eltern sind alt und können nur schwer für ihren eigenen Unterhalt sorgen.

Die Lage in Somalia hat sich auch aus anderen Gründen nicht dahingehend wesentlich und nachhaltig gebessert, sodass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein würde, sich einen notdürftigsten Lebensunterhalt zu verschaffen.

Eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts zur Frage der Gewährung subsidiären Schutzes ist somit weder im Hinblick auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers noch in Bezug auf die allgemeine Lage in Somalia eingetreten.

Zu Somalia wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

1. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und - in noch stärkerem Ausmaß - in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

- AMISOM (7.8.2019): Progress Report of the Chairperson of the Commission on the situation in Somalia/AMISOM, URL, Zugriff 22.8.2019

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, URL, Zugriff 8.5.2019

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

1.1. Süd-/Zentralsomalia

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze - z.B. Restaurants und Hotels - durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).

Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).

Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet - die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).

Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Juba steht in weiten Teilen unter Kontrolle von al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (ME 27.6.2019). In Süd-/Zentralsomalia bleibt al Shabaab auch für Stützpunkte von Armee und AMISOM eine Bedrohung. Sie behält die Fähigkeit, selbst in schwer befestigte Anlagen in Mogadischu einzudringen (LWJ 3.9.2018).

Ferner kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.9.2019). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten - v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 13.3.2019, S.11). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2018, S.8). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Sub-Clans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama'a (AA 4.3.2019, S.16; vgl. HRW 17.1.2019). Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 4.3.2019, S.16).

Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 17.1.2019).

Gebietskontrolle: Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 4.3.2019, S.5). Die Regierung war nicht immer in der Lage, gewonnene Gebiete abzusichern, manche wurden von al Shabaab wieder übernommen (BS 2018, S.7). Mittlerweile wird zumindest versucht, nach der Einnahme neuer Ortschaften rasch eine Zivilverwaltung einzusetzen, wie im Zuge der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle zu erkennen war. Trotzdem beherrschen die neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr als die größeren Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt meist auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert. Teils kommt es zu weiteren (militärischen) Exkursionen (ME 27.6.2019). Die meisten von Regierung/AMISOM gehaltenen Städte sind aber Inseln im Gebiet der al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.3; vgl. BFA 8.2017, S.26). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft oder über See versorgt werden, da Überlandrouten nur eingeschränkt nutzbar sind (UNSC 21.12.2018, S.9).

In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (ME 27.6.2019). Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände von al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017, S.26; vgl. BMLV 3.9.2019). Andererseits führen ausstehende Soldzahlungen zu Meutereien bzw. zur Aufgabe gewonnener Gebiete durch Teile der Armee (z.B. in Middle Shabelle im März 2019) (BAMF 1.4.2019).

Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019).

AMISOM/Operationen: Die Truppensteller von AMISOM glauben nicht daran, dass Regierungskräfte über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um wichtige Sicherheitsaufgaben zu übernehmen (HRW 17.1.2019). Die Regierung ist selbst bei der Sicherheit von Schlüssel-Einrichtungen auf AMISOM angewiesen (BS 2018, S.7). Vor desaströsen Auswirkungen eines voreiligen Abzugs von AMISOM wird gewarnt (SRSG 13.9.2018, S.5). Bereits ein Teilabzug im Rahmen einer "Rekonfiguration" könnte zur Aufgabe sogenannter Forward Operating Bases (FOBs) führen (UNSC 15.5.2019, Abs.72). Die Kräfte von AMISOM sind ohnehin überdehnt (ME 27.6.2019), und schon in den Jahren 2016 und 2017 fielen manche Städte aufgrund des Abzugs von AMISOM zurück an al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.1). Auch im Rahmen der Truppenreduzierung im Jahr 2019 hat AMISOM FOBs räumen müssen - etwa Faafax Dhuun (Gedo); andere wurden an die somalische Armee übergeben (ME 14.3.2019).

Nach 2015 hat AMISOM keine großen Offensiven gegen die al Shabaab mehr geführt (ISS 28.2.2019; vgl. SEMG 9.11.2018, S.22), der Konflikt befindet sich in einer Art "Warteschleife" (ICG 27.6.2019, S.1). Im aktuellen Operationsplan von AMISOM sind ausschließlich kleinere offensive Operationen vorgesehen, welche insbesondere der Absicherung relevanter Versorgungsrouten dienen. Tatsächliche Vorstöße auf das Gebiet der al Shabaab sind so gut wie keine vorgesehen. Das heißt, dass AMISOM lediglich auf die Absicherung wesentlicher gesicherter Räume (v.a. Städte) und wichtiger Versorgungsrouten abzielt (ME 14.3.2019). In diesem Sinne ist auch die Operation Badbaado (Lower Shabelle) zu sehen, bei welcher v.a. somalische Truppen herangezogen wurden (ME 27.6.2019). Ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM kann auf dieser Grundlage nicht erwartet werden (ME 14.3.2019).

Islamischer Staat (IS): Neben al Shabaab existieren in Süd-/Zentralsomalia auch kleinere Zellen des sog. IS (LWJ 16.11.2018). Deren Aktivitäten haben sich ausgedehnt, der IS verübt Mordanschläge in - v.a. - Mogadischu, Afgooye und Baidoa (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. LWJ 4.1.2019; NLMBZ 3.2019, S.15). Dort verfügt der IS über ein Netzwerk. Unklar bleibt, ob dieses mit der IS-Fraktion in Puntland in Kontakt steht (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.16). Insgesamt hat sich der IS im Zeitraum Oktober 2017 bis August 2018 zu 50 Attentaten bekannt, tatsächlich konnten nur 13 verifiziert werden (SEMG 9.11.2018, S.4/28f). Die Fähigkeiten des IS in und um Mogadischu sind auf gezielte Attentate beschränkt (UNSC 21.12.2018, S.3).

Zivile Opfer: Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur durch al Shabaab führten 2018 zu hunderten zivilen Todesopfern und Verletzten (HRW 17.1.2019). Allerdings sind Zivilisten nicht das Primärziel (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LWJ 9.11.2018), wiewohl sie als Kollateralschaden in Kauf genommen werden (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LI 28.6.2019, S.8). So wurde z.B. als Grund für einen Angriff auf das Sahafi Hotel in Mogadischu am 9.11.2018 von al Shabaab angegeben, dass dort Offiziere und Regierungsvertreter wohnen würden (LWJ 9.11.2018). Der Umstand, dass bei al Shabaab willkürliche Angriffe gegen Zivilisten nicht vorgesehen sind, unterscheidet die Methoden der Gruppe von jenen anderer Terroristen (z.B. Boko Haram) (NLMBZ 3.2019, S.12).

Im Zeitraum Jänner-September 2018 sind in Somalia bei Sprengstoffanschlägen mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen, 220 wurden verletzt. 43% der Opfer waren Zivilisten; hauptsächlich betroffen waren die Regionen Lower Shabelle und Benadir/Mogadischu (USDOS 13.3.2019, S.13).

Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2018 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Sub-Clans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2018 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle betroffen (USDOS 13.3.2019, S.2/11f). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).

Insgesamt werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:

Verletzte und Tote

5.5.2019-21.7.2019 (78 Tage)

14.12.2018-4.5.2019 (142 Tage)

1.1.2018-30.11.2018 (334 Tage)

Opfer gesamt

322

757

1384

Opfer/Tag

4,13

5,33

4,14

Quelle

(UNSC 15.8.2019, Abs.46)

(UNSC 15.5.2019, Abs.55)

(UNSOM 11.2018)

Jahres-Hochrechnung

1506,80

1945,81

1512,46

In Relation zur Gesamtbevölkerung

1:8163

1:6321

1:8132

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 12,3 Millionen Einwohnern (UNFPA 1.2014, S.31f) - wobei andere Quellen von mindestens 14,7 Millionen ausgehen (USDOS 21.6.2019, S.2) - lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:8163.

Luftangriffe: Es kommt vermehrt zu US-Luftangriffen. Die Zahl stieg von 15 im Jahr 2016 auf 35 im Jahr 2017 und weiter auf 47 im Jahr 2018 (LWJ 8.1.2019). Dabei wurden 2018 von der US-Luftwaffe 326 Personen getötet. Alleine im Jänner und Feber 2019 meldete AFRICOM weitere 24 Luftschläge mit 225 Getöteten - nach Angaben von AFRICOM ausschließlich Kämpfer der al Shabaab (TNYT 10.3.2019). Danach ging die Frequenz zurück. Bis Ende April waren es 28 Luftschläge (UNSC 30.4.2019). Angriffe finden in mehreren Regionen statt, in jüngerer Zeit, z.B. am 23.2.2019 auf Stützpunkte von al Shabaab in der Ortschaft Qunyow Barrow (Middle Juba), nahe Aw Dheegle (Lower Shabelle) und in Janaale (Lower Shabelle); am 24.2.2019 nahe Belet Weyne (Hiiraan) und am 25.2.2019 nahe Shebeeley (Hiiraan) (BAMF 4.3.2019, S.6). Auch die äthiopische und die kenianische Luftwaffe führen Angriffe durch (LIFOS 3.7.2019, S.28).

Die Luftangriffe auf Ausbildungs- und Sammelpunkte von al Shabaab zielen darauf ab, Einsatzfähigkeit und Bewegungsfreiheit der Gruppe einzuschränken. Allerdings führten sie auch dazu, dass mehr al Shabaab-Kämpfer in Städte - und hier v.a. Mogadischu - drängen, wo sie kaum Luftschläge zu fürchten brauchen (UNSC 15.5.2019, Abs.16).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

- AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (1.4.2019): Briefing Notes 1. April 2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (4.3.2019): Briefing Notes 4. März 2019

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Somalia, URL, Zugriff 10.4.2019

- ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab's Insurgency, URL, Zugriff 8.7.2019

- ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (28.6.2019): Somalia: Praktiske og sikkerhetsmessige forhold på reise i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio (8.1.2019): Counterterrorism strikes in Somalia continue, despite reports of a drawdown, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (4.1.2019): Analysis: Islamic State expanded operations in Somalia in 2018, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss / Thomas Joscelyn (16.11.2018): Islamic State warns Shabaab of impending battle in Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (9.11.2018): Shabaab claims series of suicide bombings in Mogadishu, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio (15.10.2018): Shabaab attacks Somali force in southern Somalia, URL, Zugriff 21.1.2019

- LWJ - Long War Journal / Bill Roggio / Caleb Weiss (3.9.2018): Shabaab attacks focus on Somali military, African Union forces, URL, Zugriff 21.1.2019

- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

- ME - Militärstrategischer Experte (14.3.2019): Telefoninterview durch die Staatendokumentation

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

- TNYT - The New York Times (10.3.2019): Trump Administration Steps Up Air War in Somalia, URL, Zugriff 12.3.2019

- UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 - Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019

- UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

- UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (30.4.2019): May 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

- UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

- UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (11.2018): Monthly Briefs on Human Rights in Somalia - November 2018, URL, Zugriff 28.8.2019

- USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom - Somalia, URL, Zugriff 9.7.2019

1.1.1. Bundesstaat Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)

Nominell gehören zum Machtbereich von Jubaland die Regionen Lower und Middle Juba sowie Gedo. Die Regierung von Jubaland verfügt aber nicht über die entsprechenden Kapazitäten, um ganz Jubaland kontrollieren zu können (BFA 8.2017, S.57ff). Viele der ländlichen Teile von Jubaland werden von al Shabaab kontrolliert (NLMBZ 3.2019, S.22). Angriffe der al Shabaab richten sich vor allem gegen Regierungskräfte und deren Alliierte (LIFOS 3.7.2019, S.27).

Lower Juba: Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Kolbiyow werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Die Situation in Dif und Badhaade ist hingegen ungewiss (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2). Jamaame steht unter Kontrolle von al Shabaab; dies gilt auch für den nördlichen Teil Lower Jubas (PGN 8.2019). Dhobley ist relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019) und wird als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27). Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Tabta können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).

Die Bevölkerung von Kismayo ist in kurzer Zeit um 30% auf ca. 300.000 gewachsen. Viele der Zuzügler stammen aus dem Umland oder kamen aus Kenia oder der weltweiten Diaspora nach Kismayo zurück (FIS 5.10.2018, S.20f). Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften (BFA 8.2017, S.59). Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde (ME 27.6.2019). Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Die al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen (BFA 8.2017, S.59; vgl. BMLV 3.9.2019). Die Stadt gilt als ruhig und sicher (ME 27.6.2019), auch wenn die Unsicherheit wächst (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Der Stadt Kismayo - und damit der Regierung von Jubaland - wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der Regierung ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren (BFA 8.2017, S.58f; vgl. BMLV 3.9.2019). Regierungskräfte kontrollieren die Stadt, diese ist aber von al Shabaab umgeben (LIFOS 3.7.2019, S.27f); allerdings hat Jubaland die Front bis in das Vorfeld von Jamaame verschieben können. So ist al Shabaab zumindest nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismayo vorzustoßen. Trotzdem ist es der Gruppe möglich, punktuell auch in Kismayo Anschläge zu verüben (BMLV 3.9.2019).

Middle Juba: Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2; BS 2018, S.15). Die Region gilt als Bastion der Gruppe (BFA 8.2017, S.62).

Gedo: Die Städte Baardheere, Belet Xaawo, Doolow, Luuq und Garbahaarey sowie die Orte Ceel Waaq und Buurdhuubo werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert (PGN 8.2019). Faafax Dhuun und Buusaar wurden im März 2019 von kenianischen Truppen geräumt (BMLV 3.9.2019) und von al Shabaab übernommen (PGN 8.2019). Die Städte Luuq, Garbahaarey, Doolow und Baardheere können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).

Die Grenzstadt Doolow sowie Luuq und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019). Die beiden genannten Städte werden als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Bilateral eingesetzte kenianische Truppen finden sich im Bereich zur Grenze, in Gherille und Bura Hacha (BMLV 3.9.2019). Trotzdem befinden sich weite Teile von Gedo im Bereich von al Shabaab. Dabei gilt Gedo als sicherer als Lower und Middle Juba. Dies kann mitunter auf die homogenere Bevölkerung und auf die starke Präsenz von Äthiopien und Kenia zurückgeführt werden (NLMBZ 3.2019, S.22). Der Konflikt in Gedo besteht v.a. zwischen jenen Marehan, die für oder gegen al Shabaab eingestellt sind. Klare Trennlinien lassen sich hier nicht erkennen - auch nicht entlang der Clans. Dies sorgt insbesondere entlang der Grenze zu Kenia für Probleme, wo die Sicherheitslage zusätzlich durch Schmuggler verschlechtert wird (ME 27.6.2019).

In Gedo verfügt die nominell für die Region zuständige Regierung Jubalands nur über schwachen Einfluss. Die dort stehenden Teile der somalischen Armee (teils ehemalige Kämpfer der Ahlu Sunna Wal Jama'a, teils von Marehan-Milizen rekrutiert) kooperieren aber zunehmend mit Jubaland. Luuq und Garbahaarey werden als stabil beschrieben, auch Doolow floriert. Neben Kismayo werden insbesondere Dhobley und Doolow als sicher bezeichnet (BFA 8.2017, S.63f; vgl. BMLV 3.9.2019). Die ASWJ ist in Gedo nicht mehr vorhanden (ME 27.6.2019). Im Dezember 2018 kam es im Grenzgebiet zu Kenia zu Kämpfen zwischen al Shabaab und IS (LWJ 14.1.2019).

Vorfälle: In den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 41 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 24 dieser 41 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 28 derartige Vorfälle (davon 20 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):

Tabelle kann nicht abgebildet werden

(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)

Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um "violence against civilians" (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED zahlreiche Unschärfen aufweist):

Tabelle kann nicht abgebildet werden

(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)

Quellen:

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), URL, Zugriff 10.1.2018

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), URL, Zugriff 21.12.2017

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (Finnland) (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, URL, Zugriff 4.6.2019

- LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019

- LWJ - Long War Journal / Caleb Weiss (14.1.2019): Shabaab kills pro-Islamic State commander, URL, Zugriff 21.1.2019

- ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

- ME - Militärstrategischer Experte (14.3.2019): Telefoninterview durch die Staatendokumentation

- NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

- PGN - Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline - August 2019, URL, Zugriff 28.8.2019

- UNFPA - UN Population Fund (10.2014): Population Estimation Survey 2014 - Somalia, URL, Zugriff 23.7.2019

1.1.2. Benadir / Mogadischu

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vgl. BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Abs.11) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).

Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42).

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurück erlangt (BMLV 3.9.2019). In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.51). Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5).

Sprengstoffanschläge: Im September und Oktober 2018 ging die Anzahl an Anschlägen vorübergehend zurück; dahingegen nahm in diesem Zeitraum die allgemeine Kriminalität zu (UNSC 21.12.2018, S.3f). Danach hat die Zahl an größeren Anschlägen in und um Mogadischu zugenommen (UNSC 15.8.2019, Abs.16). Es kommt regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen oder aber zu gezielten Tötungen. Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Offizielle, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S.23f). Betroffen sind Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden (BS 2018, S.9; UNSC 15.5.2019, Abs.12). Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg der Aktivitäten, fast täglich war ein Anschlag mit einem improvisierten Sprengsatz zu verzeichnen (UNSC 15.5.2019, Abs.12). Vereinzelt kommt es zu großangelegten komplexen Angriffen durch al Shabaab, so etwa am 9.11.2018 auf das Sahafi Hotel (50 Tote, darunter sieben Angreifer) (UNSC 21.12.2018, S.3f). Bei einem Selbstmordanschlag im Juli 2019 kamen u.a. der Bürgermeister von Mogadischu und drei District Commissioners ums Leben (Mohamed 17.8.2019; vgl. AJ 25.7.2019).

Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Andererseits fühlen sich die Menschen von der Regierung nicht adäquat geschützt (LIFOS 3.7.2019, S.25). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. NLMBZ 3.2019, S.23) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).

Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S.21).

Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017, S.35).

Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 3.9.2019). Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. So sind z.B. jene Teile, in welche Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) besser vor al Shabaab geschützt. IDP-Lager stellen für die Gruppe kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24). Jedenfalls ist al Shabaab nahezu im gesamten Stadtgebiet in der Lage, verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (BMLV 3.9.2019).

Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Auch Dayniile ist stärker betroffen. Gebiete, die weiter als 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, werden teilweise von al Shabaab kontrolliert. Vor allem Dayniile, Yaqshiid und Heliwaa werden als unsichere Gebiete erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.25f).

2018 waren die Bezirke Dayniile, Dharkenley, Hawl Wadaag und Hodan, in geringerem Ausmaß die Bezirke Heliwaa und Yaqshiid von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2018 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile, Heliwaa, Waaberi und Yaqshiid von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).

Auch der sogenannte Islamische Staat (IS) hat in Mogadischu Anschläge und Attentate verübt, die eigene Präsenz ausgebaut (LIFOS 3.7.2019, S.25).

Quellen:

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), URL, Zugriff 10.1.2018

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), URL, Zugriff 21.12.2017

- AJ - Al Jazeera (25.7.2019): Death toll from Mogadishu mayor office suicide attack rises to 11, URL, Zugriff 23.8.2019

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

- BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - So

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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