RS Vfgh 2020/7/14 G180/2020 ua

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Veröffentlicht am 14.07.2020
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
B-VG Art 140 Abs1 Z1 litc
COVID-19-MaßnahmenG BGBl I 12/2020 idF BGBl I 16/2020 §1, §2, §4
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 98/2020 idF BGBl II 108/2020
COVID-19-MaßnahmenV d Landeshauptmanns v Tirol v 20.03.2020 LGBl 35/2020
COVID-19-MaßnahmenV d Landeshauptmanns v Tirol v 25.03.2020 LGBl 38/2020
COVID-19-MaßnahmenV d Bezirkshauptmannschaft Imst v 27.03.2020
COVID-19-MaßnahmenV d Bezirkshauptmannschaft Landeck v 27.03.2020
VfGG §7 Abs1, §57 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen von Gastgewerbetreibenden aus Tirol betreffend Verordnungsermächtigungen nach dem COVID-19-MaßnahmenG sowie betreffend diverse verordnungsrechtliche Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 mangels unmittelbarer Betroffenheit bzw Darlegung der Betroffenheit und Zuordnung der Bedenken gegen die zur Gänze angefochtenen Verordnungen; im Übrigen Ablehnung der Behandlung der Anträge im Hinblick auf das Fehlen einer Regelung betreffend Entschädigung für den Verdienstentgang

Rechtssatz

Die angefochtene Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, enthält mehrere unterschiedliche (Untersagungs-)Tatbestände. Die antragstellenden Parteien haben in ihren Anträgen an keiner Stelle dargetan, dass sie von sämtlichen (Untersagungs--)Tatbeständen der angefochtenen Verordnung unmittelbar betroffen sind; dies ist auch für den VfGH nicht erkennbar. Da die antragstellenden Parteien nicht näher dargelegt haben, durch welche konkrete(n) Bestimmung(en) der angefochtenen Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, sie unmittelbar betroffen sind und sie - darüber hinaus - auch ihre Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung den einzelnen Verordnungsbestimmungen nicht zugeordnet haben, ist die diesbezügliche Anfechtung unzulässig.

In der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 108/2020 werden ebenfalls mehrere unterschiedliche Tatbestände geregelt. Auch hier haben die antragstellenden Parteien in ihren Anträgen an keiner Stelle dargetan, dass sie von sämtlichen (Untersagungs-)Tatbeständen der angefochtenen Verordnung unmittelbar betroffen sind; auch für den VfGH ist dies nicht erkennbar. Mangels Darlegung, durch welche konkrete(n) Bestimmung(en) der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 108/2020 die antragstellenden Parteien unmittelbar betroffen sind, und - darüber hinaus - mangels Zuordnung der gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung vorgetragenen Bedenken zu einzelnen Verordnungsbestimmungen ist die diesbezügliche Anfechtung unzulässig.

Die Verordnung des Landeshauptmannes [Tirol] vom 20.03.2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl 35/2020, regelt ebenfalls mehrere unterschiedliche Tatbestände. Auch hier haben die antragstellenden Parteien weder dargelegt, dass sie durch sämtliche Bestimmungen der Verordnung unmittelbar betroffen sind, noch haben sie die Bedenken den einzelnen Bestimmungen der angefochtenen Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol zugeordnet. Die Anträge auf Aufhebung der Verordnung des Landeshauptmannes [Tirol] vom 20.03.2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl 35/2020, sind somit unzulässig.

Auch der Antrag auf Aufhebung der Verordnung des Landeshauptmannes [Tirol] vom 25.03.2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl 38/2020, erweist sich als unzulässig, weil es offenkundig ist, dass keineswegs sämtliche Bestimmungen der Verordnung zur Gänze unmittelbar in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien eingreifen. Die beiden antragstellenden Parteien haben nicht vorgebracht, inwieweit sie von der Verordnung des Landeshauptmannes [Tirol] vom 25.03.2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl 38/2020, zur Gänze unmittelbar betroffen sind. Die antragstellenden Parteien unterlassen es im Hinblick auf die Verordnung des Landeshauptmannes [Tirol] vom 25.03.2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl 38/2020, auch, die geäußerten Bedenken den konkreten Bestimmungen der genannten Verordnung zuzuordnen.

Soweit die Gesetzwidrigkeit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 27.03.2020 nach §2 Z3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, Bote für Tirol Nr 187, welche die Zufahrt nach und die Abfahrt aus Sölden verbietet, zur Gänze behauptet wird, hat die antragstellende Partei in ihrem Antrag nicht ansatzweise dargetan, inwieweit sie dadurch unmittelbar betroffen ist. Dazu kommt, dass die Verordnung zahlreiche Ausnahmeregelungen zu dem Grundtatbestand vorsieht. Die Anfechtung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 27.03.2020 nach §2 Z3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, Bote für Tirol Nr 187, erweist sich auch im Hinblick auf die fehlende Zuordnung der Bedenken als unzulässig.

Gleiches gilt für die begehrte Aufhebung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 27.03.2020 nach §2 Z3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, Bote für Tirol Nr 186, welche die Zufahrt in das und die Abfahrt aus dem Paznauntal sowie nach und aus St. Anton am Arlberg verbietet; auch im zu G181/2020, V350-354/2020, protokollierten Antrag ist eine unmittelbare Betroffenheit durch die genannte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck nicht dargelegt und sind die gehegten Bedenken nicht zugeordnet worden.

Die Anfechtung einer Verordnungsermächtigung (hier: nach §1 und §2 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020, idF BGBl I 16/2020) ist nach stRsp des VfGH unzulässig, weil durch eine derartige Verordnungsermächtigung die Rechtsstellung eines Normunterworfenen nicht unmittelbar beeinträchtigt werden kann. Eine Verordnungsermächtigung wird erst über die Erlassung der Verordnung für die Normunterworfenen wirksam. Entsprechendes gilt für die Verordnungsermächtigung gemäß §1 und §2 COVID-19-Maßnahmengesetz, die jeweils ihre Wirkung nur in Verbindung mit einer erlassenen Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz entfaltet. Da die Anfechtung der auf Grund des §1 und §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ergangenen Verordnungen aus den genannten Gründen unzulässig ist, erweist sich auch die isolierte Anfechtung des §1 und §2 COVID-19-Maßnahmengesetz bereits aus diesem Grund als unzulässig.

Im Übrigen - soweit sich die antragstellenden Parteien gegen §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz wenden - wird die Behandlung der Anträge abgelehnt, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben: Wie der VfGH im Erkenntnis vom 14.07.2020, G202/2020, ausführlich dargelegt hat, bestehen aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes keine Bedenken dagegen, dass im COVID-19-Maßnahmengesetz eine Entschädigung für den Verdienstentgang wegen Betretungsverboten von Betrieben - im Unterschied zu §20 iVm §32 Epidemiegesetz 1950 - nicht vorgesehen ist. Vor diesem Hintergrund gehen auch die Bedenken der antragstellenden Parteien zum Gleichheitsgrundsatz ins Leere. Anders als die antragstellenden Parteien meinen, räumt §4 Abs2 COVID-19-Maßnahmengesetz nicht einem Organ der Vollziehung die Möglichkeit ein, den Geltungsbereich eines Gesetzes zu bestimmen; der Gesetzgeber selbst normiert, dass im Anwendungsbereich einer nach §1 COVID-19-Maßnahmengesetz erlassenen Verordnung die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 betreffend die Schließung von Betriebsstätten keine Anwendung finden. Es ist für den VfGH nicht erkennbar, inwiefern darin ein Verstoß gegen das gewaltenteilende Grundprinzip der Bundesverfassung oder das Legalitätsprinzip nach Art18 B-VG liegen kann.

Entscheidungstexte

  • G180/2020 ua
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 14.07.2020 G180/2020 ua

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, COVID (Corona), VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Ablehnung, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G180.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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