TE Vwgh Beschluss 2020/5/15 Ra 2020/14/0176

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Veröffentlicht am 15.05.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Z4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Mag.rer.soc.oec. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. September 2019, W265 2205097-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 9. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, als im Iran geborener Afghane keine Rechte und keine Zukunft zu haben. Seine Familie habe den Iran verlassen, nachdem es zu einem Streit mit dem Onkel, der die Herausgabe seiner Schwester gefordert habe, gekommen sei.

2        Mit Bescheid vom 6. August 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 2. September 2019 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 25. Februar 2020, E 3447/2019-12, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die vorliegende Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung ab, indem es für den Revisionswerber von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif ausgehe, obwohl eine solche nur bei gesunden Männern angenommen werden könne. Der Revisionswerber hingegen leide an Gehörproblemen und einer posttraumatischen Belastungsstörung, wobei das Bundesverwaltungsgericht Abklärungen durch medizinische Sachverständige unterlassen habe. Hinzu komme, dass der Revisionswerber von klein auf außerhalb Afghanistans gelebt habe und ihm kein soziales Netzwerk zur Verfügung stehe, weshalb von einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht gesprochen werden könne. Zudem habe das Verwaltungsgericht eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens durch Recherche im Herkunftsstaat unterlassen und den amtswegigen Ermittlungsgrundsatz auch dadurch verletzt, dass seine Mutter und Schwester nicht als Zeugen einvernommen worden seien.

9        Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, wird schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. VwGH 30.4.2019, Ra 2018/14/0411; 14.1.2020, Ra 2019/01/0495; jeweils mwN). Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber an einem chronischen Tinitus leide, wobei im Mai 2020 ein operativer Eingriff geplant sei, im Übrigen sei er gesund und arbeitsfähig. Das Gericht stützte diese Feststellungen auf die Angaben des Revisionswerbers in der Verhandlung, die vorgelegten Unterlagen und den Umstand, dass er auch in Österreich gemeinnützige Tätigkeiten durchgeführt habe.

10       Es entspricht in Bezug auf Afghanistan der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN). Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (VwGH 22.1.2020, Ra 2019/14/0591, mwN). Dass dem Bundesverwaltungsgericht fallbezogen ein relevanter Begründungsmangel unterlaufen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

11       Soweit der Revisionswerber vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe Abklärungen des Gesundheitszustandes durch medizinische Sachverständige sowie eine Einvernahme der Mutter und Schwester als Zeugen unterlassen, macht er Verfahrensmängel geltend und ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach es nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. etwa VwGH 12.3.2020, Ra 2019/14/0179, mwN). Dieser Anforderung wird die Revision mit ihrem allgemeinen Zulässigkeitsvorbringen nicht gerecht.

12       Dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe Erhebungen im Herkunftsstaat unterlassen, ist entgegenzuhalten, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (zu Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0051, mwN)

13       Soweit zur Zulässigkeit der Revision vorgebracht wird, das Bundesverwaltungsgericht habe die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob eine innere Konversion vorliege, nicht beachtet, bleibt die Revision es schuldig, darzulegen, inwiefern die Beurteilung des Verwaltungsgerichts fehlerhaft wäre. Wird eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, hat der Revisionswerber konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt einem der von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Dabei reicht es nicht aus, bloß Rechtssätze zu verschiedenen Erkenntnissen wiederzugeben oder - wie in der vorliegenden Zulässigkeitsbegründung - Entscheidungen nach Datum und Geschäftszahl zu nennen, ohne auf konkrete Unterschiede in dieser Rechtsprechung hinzuweisen (vgl. VwGH 28.1.2020, Ra 2020/14/0014, mwN).

14       Soweit sich die Revision schließlich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2020/14/0001, mwN). Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 6.2.2020, Ra 2020/14/0025, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen einer ausführlich begründeten Interessenabwägung auch das von der Revision angesprochene Verhältnis des volljährigen Revisionswerbers zu seiner Mutter und seinen Geschwistern. Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seinen im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommenen Erwägungen die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.

15       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140176.L01

Im RIS seit

11.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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