TE Vwgh Beschluss 2020/7/16 Ra 2019/21/0329

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs3
FrPolG 2005 §59 Abs4
SMG 1997 §39 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Z M in S, vertreten durch Mag. Andreas Reichenbach, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Theobaldgasse 15/21, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. September 2019, G314 2209604-1/13E, betreffend insbesondere Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Zur Vorgeschichte (der Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes gegen den Revisionswerber, einen serbischen Staatsangehörigen) wird auf das Erkenntnis VwGH 16.12.2008, 2008/18/0735, verwiesen, mit dem die Beschwerde gegen den entsprechenden Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. August 2008 als unbegründet abgewiesen worden war.

2        Auf Grund dieses Aufenthaltsverbotes wurde der Revisionswerber am 27. Jänner 2009 nach Belgrad abgeschoben, er kehrte in der Folge jedoch illegal nach Österreich zurück. Hier wurde über ihn mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Jänner 2010 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch (am 27. Oktober 2009 betreffend verschiedene Wertgegenstände in einem Kraftfahrzeug, dessen Seitenscheibe er eingeschlagen hatte) eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verhängt. Mit Beschluss vom 18. Februar 2010 gewährte ihm das Landesgericht für Strafsachen Wien auf Grund seiner Suchtmittelabhängigkeit gemäß § 39 SMG einen Strafaufschub, worauf er (am Tag darauf) aus der Haft entlassen wurde.

3        Mit weiterem rechtskräftigem Urteil vom 25. November 2010 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über ihn wegen des Verbrechens des Raubes und der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt sowie nach § 50 Abs. 1 Z 3 Waffengesetz eine fünfjährige Freiheitsstrafe, woraufhin er sich - unter Berücksichtigung der restlichen Freiheitsstrafe aus der vorangegangenen Verurteilung - bis August 2017 in Strafhaft befand.

4        Mit Bescheid vom 2. Februar 2013 hatte die Landespolizeidirektion Wien - gemäß § 58 Abs. 2 AVG ohne Begründung - das in Rn. 1 erwähnte Aufenthaltsverbot über Antrag des Revisionswerbers vom 8. Jänner 2013 aufgehoben.

5        Mit weiterem rechtskräftigem Urteil vom 11. Jänner 2018 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über ihn wegen der versuchten Vergehen des gewerbsmäßigen Diebstahls und der Nötigung eine einjährige Freiheitsstrafe. Er hatte am 30. November 2017 in Wien versucht, in einem Drogeriemarkt gewerbsmäßig Parfums im Gesamtwert von knapp € 200,-- zu stehlen, und danach einem anderen Faustschläge versetzt, um ihn zur Duldung seiner Flucht zu nötigen.

6        Mit Beschluss vom 13. Februar 2018 räumte das Landesgericht für Strafsachen Wien dem Revisionswerber neuerlich gemäß § 39 SMG einen Strafaufschub bis zum 15. Februar 2020 für eine sechsmonatige stationäre psychotherapeutische Behandlung seiner Suchtmittelabhängigkeit mit anschließender ambulanter Betreuung ein. Daraufhin wurde er am 15. Februar 2018 aus der Strafhaft entlassen.

7        Mit weiterem rechtskräftigem Urteil vom 9. Oktober 2018 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über ihn wegen des Vergehens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten. Er hatte am 4. August 2018 in Wien versucht, in einem Bekleidungsgeschäft Kleidung im Gesamtwert von € 175,-- zu stehlen.

8        Zuletzt verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil vom 22. Februar 2019 wegen der Vergehen des versuchten Diebstahls, der versuchten Nötigung und der versuchten Körperverletzung eine 10-monatige Freiheitsstrafe. Er hatte am 30. November 2018 in Wien in einem Bekleidungsgeschäft versucht, eine Jogginghose sowie eine Jacke im Gesamtwert von € 75,49 zu stehlen, sowie einen anderen durch Schläge ins Gesicht zur Abstandnahme von einer rechtmäßigen Anhaltung zu nötigen sowie ihn am Körper zu verletzen versucht.

9        Der Revisionswerber befindet sich im Hinblick darauf seit April 2019 in Strafhaft. Mit Beschluss vom 17. Juli 2019 sah das Landesgericht für Strafsachen Wien allerdings vom Widerruf des mit Beschluss vom 13. Februar 2018 eingeräumten Strafaufschubs nach § 39 SMG ab und ordnete an, dass die Behandlung nach Entlassung aus der (aktuellen) Strafhaft erneut anzutreten sei.

10       Am 28. September 2017 hatte der Revisionswerber gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gestellt. Er machte darin geltend, dass er 1979 in Wien geboren worden, hier zur Schule gegangen sei und sich seine Familienangehörigen - insbesondere seine (geschiedenen) Eltern sowie seine (mittlerweile österreichische) Schwester - hier aufhielten.

11       Mit Eingabe vom 20. Juli 2018 erhob der durch einen Rechtsanwalt vertretene Revisionswerber Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG. Weder dort noch im weiteren Verfahren wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

12       Am 10. Oktober 2018 befragte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Revisionswerber - nach Setzung einer Frist zur Nachholung des Bescheides durch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG - niederschriftlich, wobei der Revisionswerber insbesondere auf seine Drogenabhängigkeit und verschiedene Therapien verwies, nach deren Abschluss er arbeiten wolle. Auch spreche er „besser Deutsch als Serbisch“. Er wohne bei seinem Vater, sei ledig und habe keine Kinder, aber eine serbische Freundin.

Das BFA erließ auch in der Folge keinen Bescheid in dieser Angelegenheit.

13       Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. September 2019 wies das (über die genannte Beschwerde des Revisionswerbers gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG) zuständig gewordene BVwG den Antrag vom 28. September 2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Gemäß § 52 Abs. 3 FPG erließ es gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise. Schließlich sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

14       Begründend stellte das BVwG fest, der Revisionswerber sei am 15. Oktober 1979 in Wien als Sohn (damals jugoslawischer, heute) serbischer Staatsangehöriger zur Welt gekommen. Er habe hier die Schule besucht und eine Tischlerlehre begonnen, sei aber suchtgiftabhängig geworden (insbesondere an Heroin und Kokain gewöhnt) und danach nur fallweise einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Während des Strafvollzugs habe er eine Lehre zum Maler und Anstreicher absolviert und am 20. Februar 2006 die Lehrabschlussprüfung mit gutem Erfolg abgelegt.

Hier lebten seine seit 2006 geschiedenen Eltern und seine Schwester, eine (seit 2003) österreichische Staatsbürgerin. Weiters habe er hier einen Neffen, Onkel, Tante, Cousins und Cousinen. Er habe keine eigenen Kinder, sei jedoch seit 11. Februar 2019 mit einer serbischen Staatsangehörigen verheiratet, die mit ihren beiden Kindern in Serbien lebe. Er beherrsche neben der deutschen auch die serbische Sprache. In Serbien hielten sich zudem zwei Tanten, ein Onkel und ein Freund des Revisionswerbers auf.

Bei ihm bestehe auf Grund des über 20-jährigen Drogenkonsums ein Abhängigkeitssyndrom durch multiplen Substanzgebrauch und den Konsum anderer psychotroper Substanzen. Er sei seit über 11 Jahren in einem Substitutionsprogramm und habe mehrere erfolglose Entzugsbehandlungen sowie Therapieabbrüche hinter sich. Die „Wahrscheinlichkeit“, durch eine langfristige Therapie eine dauerhafte Drogenabstinenz zu erreichen, sei „möglich, aber mit großen Anstrengungen verbunden“. Weitere schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen bestünden nicht, er sei grundsätzlich arbeitsfähig.

15       Hieraus folgerte das BVwG, ein in Österreich geführtes „berücksichtigungswürdiges Familienleben“ des Revisionswerbers sei zu verneinen, zumal sich seine Kernfamilie (Ehefrau und Stiefkinder) in Serbien befinde, Kontakte zu Bezugspersonen im Bundesgebiet derzeit aufgrund (unbestrittener) Anhaltung des Revisionswerbers in Haft eingeschränkt seien und im Übrigen durch Besuche oder mittels moderner Kommunikationsmittel aufrecht erhalten werden könnten.

Im Übrigen verwies das BVwG bei der Interessenabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG auf die (eingangs dargestellte) massive Straffälligkeit, insbesondere die jeweils raschen Rückfälle sowie die kurzen vom Revisionswerber in Freiheit verbrachten Zeiträume. Auch sei der Revisionswerber, der zuletzt Grundversorgungsleistungen bezogen habe, nicht selbsterhaltungsfähig. Zum Heimatstaat habe er maßgebliche Bindungen. Er spreche die Landessprache und kenne mehrere Bezugspersonen, insbesondere seine Ehefrau, die ihn beim Aufbau einer Existenz unterstützen könne.

Insgesamt lägen die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Aufenthaltsbewilligung nicht vor, sodass gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil ein eindeutiger Fall vorliege und der Sachverhalt an Hand der Aktenlage, des Vorbringens des Revisionswerbers sowie seiner Einvernahme vom 10. Oktober 2018 geklärt sei.

16       Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision erweist sich als unzulässig:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

18       Insoweit macht der Revisionswerber vor allem geltend, das BVwG habe ohne tragfähige Begründung von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

19       Dem ist zu entgegnen, dass der durch einen Rechtsanwalt vertretene Revisionswerber - die gegenteilige Behauptung in der Revision widerspricht der Aktenlage - in seiner Beschwerde (und auch sonst) keinen Verhandlungsantrag gestellt hat.

20       Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht zwar von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es diese für erforderlich hält. Damit steht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes. Eine Verhandlung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - ungeachtet des Fehlens eines Antrages - etwa dann geboten, wenn ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird, dessen Prüfung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0147, Rn. 12, und VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0160, Rn. 8, jeweils mwN).

21       Fallbezogen erscheint die eben erwähnte Ermessensübung durch das BVwG, weil der Sachverhalt geklärt sei, jedenfalls vertretbar.

Angesichts der massiven, vom Revisionswerber über viele Jahre hinweg gesetzten Delinquenz, seiner wiederholten Rückfälle - selbst nach seiner Abschiebung (laut Rn. 2) und der (in Rn. 4 erwähnten) Aufhebung des Aufenthaltsverbotes - sowie der in Serbien lebenden (serbischen) Ehefrau des Revisionswerbers durfte das BVwG nämlich vom Vorliegen eines eindeutigen Falles ausgehen, in dem bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten war, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0275, Rn. 13, mwN).

22       Weiters stellt der Revisionswerber (wie bereits im Verfahren zu VwGH 16.12.2008, 2008/18/0735) ausreichende Kenntnisse der serbischen Sprache in Abrede und folgert daraus im Ergebnis, dass eine Fortsetzung der Drogentherapie im Herkunftsstaat schon daran scheitern müsste.

23       Dem ist zu entgegnen, dass der mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. Juli 2019 (siehe Rn. 9) angeordnete Neuantritt einer Suchtgifttherapie iVm einem Strafaufschub nach § 39 Abs. 1 SMG bedeuten würde, dass gemäß § 59 Abs. 4 FPG der Eintritt der Durchsetzbarkeit einer Rückkehrentscheidung ohnedies aufgeschoben wäre (vgl. VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0240, Rn. 11, mwN).

Schon von daher unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von demjenigen, der dem (vom Revisionswerber zitierten) Erkenntnis VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0081, zugrunde liegt und der die Behandlungsbedürftigkeit eines EWR-Bürgers infolge psychischer Erkrankung betraf.

24       Insgesamt zeigt die Revision keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 16. Juli 2020

Schlagworte

Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210329.L00

Im RIS seit

03.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten