TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/20 97/04/0141

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.01.1998
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §14 Abs3;
AVG §15;
AVG §63 Abs1;
AVG §8;
GewO 1994 §356 Abs3;
GewO 1994 §359 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Urban, über die Beschwerde

1.) des W M und 2.) der C M, beide in A, beide vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 12. Juni 1997, Zl. WST1-BA-9726, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Verfahren gemäß § 77 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei:

S GmbH & Co KEG in K), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 12. Juni 1997 wurde die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 27. Februar 1997, mit dem der mitbeteiligten Partei die Errichtung und der Betrieb von Fachmärkten an einem näher bezeichneten Standort gewerbebehördlich genehmigt wurde, gemäß § 66 Abs. 4 AVG und § 356 Abs. 3 in Verbindung mit § 359 Abs. 4 GewO 1994 als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Landeshauptmann aus, über das Genehmigungsansuchen der mitbeteiligten Partei sei am 12. Februar 1997 vor der Erstbehörde eine Augenscheinsverhandlung durchgeführt worden. Zu dieser seien auch die Beschwerdeführer rechtzeitig und nachweislich geladen worden. In der Ladung sei auf die Rechtsfolgen der Präklusion für den Fall, daß weder bis zum Tag vor der Verhandlung noch während der Verhandlung Einwendungen erhoben würden, hingewiesen worden. Wie sich aus dem erstbehördlichen Akt ergebe, seien von den Beschwerdeführern keine Einwendungen im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens bis zum Tag vor der Augenscheinsverhandlung erhoben worden. Zur Augenscheinsverhandlung sei der Erstbeschwerdeführer erschienen und habe auch während dieser Verhandlung keine Einwendungen gegen das verfahrensgegenständliche Projekt erhoben, was in der Verhandlungsschrift beurkundet sei. Dieser öffentlichen Urkunde komme, da die Verhandlungsleiterin wegen des Umstandes, daß sich einzelne Verhandlungsteilnehmer vor Unterfertigung der Verhandlungsschrift entfernt hätten, ausdrücklich mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe bestätigt habe, gemäß § 14 Abs. 3 AVG volle Beweiskraft zu. Im Hinblick auf die Regelung des § 356 Abs. 3 GewO 1994, wonach die Parteistellung eines Nachbarn im Verfahren nach § 77 GewO 1994 die Erhebung von Einwendungen spätestens bei der Augenscheinsverhandlung voraussetze, hätten die Beschwerdeführer durch diesen Vorgang im gegenständlichen Verwaltungsverfahren Parteistellung nicht erworben, weshalb ihnen gemäß § 359 Abs. 4 GewO 1994 auch nicht das Recht zur Erhebung einer Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid zukomme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht auf meritorische Erledigung ihrer Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringen sie vor, § 14 Abs. 3 AVG sei auf den gegenständlichen Sachverhalt nicht anwendbar, weil der Erstbeschwerdeführer in Vertretung auch der Zweitbeschwerdeführerin sich zwar vor Abschluß der Niederschrift von der Verhandlung entfernt habe, nicht aber vor Abschluß des seine Aussage enthaltenden Teiles der Niederschrift. Er hätte den seine Aussage enthaltenden Teil der Niederschrift unterfertigt, wenn ihm diese vorgelegt worden wäre. Er habe (inhaltsgleich) auch für die Zweitbeschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung zur Bewilligung der Betriebsanlage (im einzelnen näher dargestellte) Einwendungen nach § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 und 5 GewO 1994 erhoben. Es sei daher unrichtig, wenn die belangte Behörde festgestellt habe, er habe keine Einwendungen erhoben. Die Bestimmung des § 14 Abs. 3 letzter Satz in Verbindung mit § 15 AVG komme nur dann zur Anwendung, wenn die Niederschrift auch entsprechend § 14 AVG aufgenommen worden sei. Diese Mindestkriterien seien nur dann erfüllt, wenn das die Amtshandlung leitende Organ, welches die Richtigkeit der Niederschrift bestätigen wolle, unter einem angebe, aus welchen Gründen eine Unterfertigung der Niederschrift unterblieben sei. Auch wenn der Erstbeschwerdeführer nach Erhebung der Einwendungen die Verhandlung verlassen habe, hätte ihm ohne weiteres die bis zu diesem Zeitpunkt vorgelegene Niederschrift bzw. der seine Aussage enthaltende Teil dieser Niederschrift zur Unterfertigung vorgelegt werden können. Im vorliegenden Verhandlungsprotokoll fehle jegliche Begründung des Verhandlungsleiters, warum es nicht zur Unterfertigung der Niederschrift nach Erhebung der Einwendungen und sohin des die Aussage des Erstbeschwerdeführers enthaltenden Teiles der Niederschrift gekommen sei. Die Bestätigung durch den Verhandlungsleiter selbst sei nicht formgemäß erfolgt, weil jener Teil der Niederschrift, in welchem die Bestätigung deren Richtigkeit vorgenommen werde, vom Verhandlungsleiter mit eigenhändiger Unterschrift unter leserlicher Beifügung seines Namens zu unterfertigen sei. Dies wäre auch für die Erfüllung dieser Formvorschriften erforderlich. Zum Beweis für die vom Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Augenscheinsverhandlung erhobenen Einwendungen werde die Einvernahme des (namentlich genannten) Ortsvorstehers der Gemeinde Amstetten, der an der fraglichen Verhandlung teilgenommen habe, beantragt. Nachdem die Beschwerdeführer die Verhandlungsschrift vom 12. Februar 1997 zugestellt erhalten hätten, hätten sie festgestellt, daß die Einwendungen nicht protokolliert seien. Der Erstbeschwerdeführer habe sodann mit der Verhandlungsleiterin ein Telefonat geführt, in dem ihm diese erklärt habe, es seien die Einwendungen ohnedies aufgeklärt und vom Erstbeschwerdeführer zurückgezogen worden bzw. habe er auf einer Protokollierung nicht bestanden, weil ein Mißverständnis aufgeklärt worden sei. Tatsächlich habe aber der Erstbeschwerdeführer nie die von ihm auch in Vertretung seiner Ehefrau erhobenen Einwendungen zurückgezogen oder darauf verzichtet, daß diese protokolliert würden. In der Folge wird in der Beschwerde dargestellt, warum die Beschwerdeführer meinen, die gewerbebehördliche Genehmigung der in Rede stehenden Betriebsanlage sei zu Unrecht erfolgt.

Gemäß § 14 Abs. 3 AVG ist jede Niederschrift den vernommenen oder sonst beigezogenen Personen, wenn sie nicht darauf verzichten, vorzulesen und von ihnen durch Beisetzung ihrer eigenhändigen Unterschrift zu bestätigen. Kann eine Person nicht oder nur mittels Handzeichens fertigen, hat sie die Fertigung verweigert oder sich vor Abschluß der Niederschrift oder des ihre Aussage enthaltenden Teiles der Niederschrift entfernt, so ist unter Angabe des Grundes, aus dem die Fertigung nicht erfolgte, die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe von dem die Amtshandlung leitenden Organ ausdrücklich zu bestätigen.

Gemäß § 15 leg. cit. liefert, soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, eine gemäß § 14 AVG aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges bleibt zulässig.

Aus der über die mündliche Augenscheinsverhandlung vor der Erstbehörde aufgenommenen Niederschrift vom 12. Februar 1997 ergibt sich, daß als Nachbar u.a. der Erstbeschwerdeführer erschienen war. Die Verhandlungsschrift enthält keinen Hinweis auf irgendeine Erklärung des Erstbeschwerdeführers. Sie enthält aber folgenden, von der Verhandlungsleiterin gesondert (leserlich) unterfertigten Vermerk:

"Sämtliche nicht unterfertigte Personen haben sich vor Verhandlungsende ohne Erhebung von Einwänden von der Verhandlung entfernt. Die Verhandlungsleiterin bestätigt die Richtigkeit der aufgenommenen Verhandlungsschrift."

Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich der Rechtsansicht der Beschwerdeführer, diese Verhandlungsschrift erfülle aus den in der Beschwerde genannten Gründen nicht die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 AVG, nicht anzuschließen. Es ist zunächst aktenwidrig, wenn der Erstbeschwerdeführer meint, er habe sich zwar vor Abschluß der Niederschrift von der Verhandlung entfernt, nicht aber vor Abschluß des seine Aussage enthaltenden Teiles der Niederschrift. Denn, wie bereits oben dargestellt, enthält die gegenständliche Niederschrift keinen eine Aussage des Erstbeschwerdeführers betreffenden Teil. Es ist daher auch nicht möglich, daß sich der Erstbeschwerdeführer, der sich unbestritten noch vor Abschluß der gesamten Niederschrift von der Verhandlung entfernt hat, erst nach Abschluß des seine Aussage enthaltenden Teiles der Niederschrift entfernte. Aktenwidrig ist auch die Behauptung, die Bestätigung der Verhandlungsleiterin über die Richtigkeit der Niederschrift nenne nicht den Grund, aus dem die Unterfertigung der Niederschrift unterblieben sei. Das Gesetz kennt als solche Gründe die Unfähigkeit der Person zur Fertigung, die Verweigerung der Fertigung oder die Entfernung vor Abschluß der Niederschrift bzw. des die Aussage der betreffenden Person enthaltenden Teiles der Niederschrift. Wie sich aus dem oben wörtlich wiedergegebenen diesbezüglichen Vermerk in der Verhandlungsschrift ergibt, nahm die Verhandlungsleiterin darin auf den Grund des Unterbleibens der Fertigung, nämlich auf die vorzeitige Entfernung Bezug. Schließlich enthält das Gesetz im Gegensatz zur Rechtsansicht der Beschwerdeführer keine Verpflichtung, wonach der Verhandlungsleiter die Bestätigung der Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe im Sinne des § 14 Abs. 3 AVG unter leserlicher Beifügung seines Namens zu unterfertigen habe. Abgesehen davon ist im konkreten Fall die Unterschrift der Verhandlungsleiterin ohnedies durchaus leserlich.

Entspricht aber solcherart die Niederschrift vom 12. Februar 1997 den Formvorschriften des § 14 Abs. 3 AVG, liefert sie, da Verstöße gegen sonstige Formvorschriften des § 14 AVG weder in der Beschwerde behauptet werden noch vom Verwaltungsgerichtshof erkennbar sind, nach der Vorschrift des § 15 AVG über den Verlauf und den Gegenstand der mündlichen Augenscheinsverhandlung erster Instanz vollen Beweis. Zwar wäre den Beschwerdeführern nach dem letzten Satz des § 15 AVG der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges offengestanden, doch wurde dieser von ihnen, wie auch das Vorbringen in der Beschwerde über die Vorgänge nach der Zustellung der Verhandlungsschrift erkennen läßt, im Verwaltungsverfahren nicht angetreten. Auf das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde ist aber vom Verwaltungsgerichtshof wegen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 41 Abs. 1 VwGG geltenden Neuerungsverbotes nicht einzugehen.

Ausgehend von dem Inhalt der solcherart vollen Beweis über den Verlauf der Verhandlung liefernden Niederschrift vom 12. Februar 1997 vermag der Verwaltungsgerichtshof in der - diesbezüglich im übrigen auch von der Beschwerde nicht bekämpften - Rechtsansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführer hätten im gegenständlichen Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die Bestimmung des § 356 Abs. 3 GewO 1994 mangels Erhebung von Einwendungen Parteistellung nicht erlangt, weshalb ihnen zufolge § 359 Abs. 4 leg. cit. auch nicht das Recht der Berufung zustehe, eine Rechtswidrigkeit nicht zu erblicken.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, da aus der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Aktenlage nicht erkennbar ist, inwieweit die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache mit sich bringen könnte (vgl. im übrigen das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1987, Zl. B 267/86-13).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997040141.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten