TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/28 L521 2150246-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2019
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Entscheidungsdatum

28.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L521 2150242-1/37E

L521 2150246-1/12E

L521 2150248-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Mag. Wolfgang AUNER, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/ I, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017, Zl. 1070660408-150561480, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.02.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch den Vater XXXX , dieser vertreten durch Mag. Wolfgang AUNER, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/ I, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017, Zl. 1070660310-150561528, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.02.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch den Vater XXXX , dieser vertreten durch Mag. Wolfgang AUNER, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/ I, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017, Zl. 1070660201-150561498, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 27.02.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Bei dem Zweitbeschwerdeführer und dem Drittbeschwerdeführer handelt es sich um die minderjährigen Söhne des Erstbeschwerdeführers. Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak, der arabischen Volksgruppe zugehörig und sunnitischen Glaubens.

2. Die Beschwerdeführer stellten im Gefolge ihrer unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 26.05.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich am 28.05.2015 gab der Erstbeschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung und verheiratet. Er habe in Basra von 1986 bis 1992 die Grund- und von 1992 bis 1998 die Hauptschule sowie von 1998 bis 2002 die Universität besucht. Zuletzt sei er als Elektriker beruflich tätig gewesen. Seine Ehegattin, seine Tochter, seine Eltern, vier Brüder und eine Schwester seien im Irak oder einem anderen Drittstaat aufhältig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst vor, am 13.05.2015 den Irak mit dem Zweit- und dem Drittbeschwerdeführer schlepperunterstützt illegal von Zakho ausgehend auf dem Landweg per Bus in die Türkei nach Izmir verlassen zu haben. In weiterer Folge seien sie auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt. Dort sei er erkennungsdienstlich behandelt worden und habe er einen Landesverweis erhalten. Anschließend seien sie auf dem Landweg mit einem Lastkraftwagen nach Österreich gereist.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Erstbeschwerdeführer aus, von schiitischen Milizen aufgrund seiner sunnitischen Abstammung bedroht worden zu sein. Er hätte keine Sicherheit mehr und seinen Sohn aus Angst nicht mehr in die Schule geschickt. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben und das Leben seiner Familie.

3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, am 16.01.2017 im Beisein einer Vertrauensperson und einer Dolmetscherin in arabischer Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen.

Eingangs bestätigte der Erstbeschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben.

Zu seinen Lebensumständen befragt gab der Erstbeschwerdeführer an, insgesamt - sein Studium eingeschlossen - 14 Jahre Schulbildung genossen zu haben. Sein Studium habe er im Jahr 2002 beendet. Als Selbständiger habe er elektronische Geräte repariert. Seine Gattin habe er am XXXX geehelicht. Er sei Vater dreier Kinder und habe gemeinsam mit seiner Familie in einem Einfamilienhaus in Basra gelebt. Er stehe mit seiner Ehegattin in Kontakt. Diese und seine Tochter würden sich in einer Ortschaft an der Grenze zum Iran befinden. Er würde ihnen monatlich Euro 60,00 übermitteln.

Zu den Gründen seiner Antragstellung befragt gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er aufgrund der Drohungen seitens terroristischer Milizen geflüchtet sei. Entweder würde er sich ihnen anschließen oder er werde getötet. Man habe ihn auch gefoltert. Er habe seine Ehegattin und seine Tochter nicht mitnehmen können, da Letztere für den beschwerlichen Weg noch zu klein gewesen sei. Aus diesem Grund sei er lediglich mit seinen Söhnen geflüchtet. Er habe zudem aufgrund der Zugehörigkeit seiner Familie zum sunnitischen Glauben Angst um das Leben seiner Kinder gehabt. Die Stadt Basra bestünde großteils aus Schiiten und seien die Milizen, die ihn bedroht hätten, schiitisch gewesen.

Nachgefragt zu Details führte der Erstbeschwerdeführer unter anderem aus, dass er von den schiitischen Milizen wegen der Zugehörigkeit zum sunnitischen Glauben bedroht worden sei. Am 11.05.2015 habe diese terroristische Miliz das Haus der Familie gestürmt. Es seien zwei maskierte - komplett schwarz gekleidete - Personen gewesen. Diese hätten der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq angehört und ihn vor die Wahl gestellt, sich entweder ihnen anzuschließen oder sterben zu müssen. Er habe das abgelehnt und sei daher geschlagen worden. Sie hätten ihm mehrmals mit einer bei ihm zu Hause abgestellten Gasflasche auf den Rücken geschlagen. Er hätte deshalb noch immer Schmerzen und ein Bandscheibenproblem. Seine Ehegattin sei, anders als seine Kinder, auch geschlagen worden. Die Männer seien anschließend einfach wieder weggegangen. Aufgrund des Vorfalles habe er sofort beschlossen, das Land zu verlassen. Am nächsten Tag habe er seine Ehegattin persönlich an eine andere Adresse gebracht, weil er Angst gehabt habe, sie im Haus der Familie zurückzulassen. Seine Ehegattin sei seit seiner Ausreise zweimal von dieser Miliz bzw. denselben Personen aufgesucht worden, um sich nach seinem Aufenthaltsort zu erkundigen. Man habe seine Ehegattin hiebei nicht geschlagen. Im Irak gebe es generell keine Sicherheit mehr. Diese Milizen seien überall - in jeder Ortschaft - aktiv.

In der Folge wurden mit dem Erstbeschwerdeführer die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl herangezogenen länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak erörtert, um ihm anschließend hiezu eine Stellungnahme zu ermöglichen. Der Erstbeschwerdeführer erwiderte, dass die Milizen im Irak die Menschen erpressen und umbringen würden. Er habe den Irak bereits zweimal verlassen. Erstmals sei er am 09.04.2014 von dieser Miliz bedroht worden und deshalb am 17.04.2014 mit der gesamten Familie ausgereist. Sie seien damals in die Türkei gereist und seine Ehegattin sei im dritten Monat schwanger gewesen. Das Kind sei in der Türkei auf die Welt gekommen. Am 30.04.2015 seien sie wieder in den Irak zurückgekehrt, weil es dort keine Arbeit gegeben hätte. Zudem hätten die Kinder die Schule nicht besuchen können und hätten sie keine Dokumente ausgestellt erhalten.

Befragt zu den Asylgründen des Zweit- und Drittbeschwerdeführers legte der Erstbeschwerdeführer dar, dass diese die gleichen Gründe wie er hätten.

Bei einer Rückkehr in der Irak befürchte er von den Milizen umgebracht zu werden. Ferner habe er Angst um seine Kinder. Aufgrund der Drohungen der Milizen sei es ihm nicht möglich in den Irak zurückzukehren.

Abschließend wurden dem Erstbeschwerdeführer Fragen bezüglich seiner Integration in Österreich gestellt.

Im Gefolge seiner Einvernahme brachte der Erstbeschwerdeführer die irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise des Zweit- und des Drittbeschwerdeführers im Original, die irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise und irakischen Personalausweise der Ehegattin und der minderjährigen Tochter in Kopie, ein irakisches Militärbuch im Original, einen irakischen Schülerausweis im Original, eine irakische Heiratsurkunde im Original, eine irakische Bestätigung über den Studienabschluss im Original, Schulbesuchsbestätigungen bezüglich des Zweit- und Drittbeschwerdeführers im Original und eine Einstellungszusage im Original in Vorlage.

4.1. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017 wurde der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Erstbeschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) sowie unter Anwendung des § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.02.2018 erteilt (Spruchpunkt III).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, der Erstbeschwerdeführer habe den Irak aufgrund der vorherrschenden Situation verlassen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Erstbeschwerdeführer im Irak der Gefahr einer individuellen, konkret gegen ihn gerichteten, Verfolgung ausgesetzt sei. Das Vorbringen bezüglich einer aktuellen asylrechtlich relevanten Bedrohungssituation sei als nicht glaubhaft zu bezeichnen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung ferner Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Erstbeschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 7 - 24 des angefochtenen Bescheides).

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass es glaubhaft und nachvollziehbar sei, dass der Erstbeschwerdeführer den Irak aufgrund der Bürgerkriegssituation und der Aktivitäten der schiitischen Milizen verlassen habe. Andere Gründe habe der Erstbeschwerdeführer nicht vermocht glaubhaft zu machen beziehungsweise nicht vorgebracht, zumal der Erstbeschwerdeführer den Irak im Jahr 2014 bereits einmal mit seiner Familie wegen derartiger Drohungen verlassen habe, aber nach 13 Tagen wieder aus der Türkei in den Irak zurückgekehrt sei. Des Weiteren habe er bei seiner letzten Ausreise seine Gattin und seine Tochter im Irak zurückgelassen, was ebenfalls darauf hinweise, dass keine Verfolgungsabsicht erkennbar gewesen sei und auch keine Furcht vor einer möglichen Verfolgung ableitbar gewesen wäre.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Erstbeschwerdeführer habe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Aufgrund der Ausführungen des Erstbeschwerdeführers, der Berücksichtigung individueller Faktoren und der Sicherheitslage sei dem Erstbeschwerdeführer dessen ungeachtet der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

4.2. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017 wurde der Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde dem Zweitbeschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) sowie unter Anwendung des § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.02.2018 erteilt (Spruchpunkt III).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und den Feststellungen zur Person des Zweitbeschwerdeführers aus, der Zweitbeschwerdeführer habe den Irak wegen seines Vaters verlassen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Zweitbeschwerdeführer im Irak der Gefahr einer individuellen, konkret gegen ihn gerichteten, Verfolgung ausgesetzt sei.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass es glaubhaft und nachvollziehbar sei, dass der Zweitbeschwerdeführer den Irak wegen seines Vaters verlassen habe. Ein sonstiges Vorbringen einer individuellen Gefährdung habe die gesetzliche Vertretung des Zweitbeschwerdeführers nicht geltend gemacht.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Vater des Zweitbeschwerdeführers habe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung plausibel glaubhaft gemacht, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Aufgrund des Umstandes, wonach dem Erstbeschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.02.2017 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, sei dem Zweitbeschwerdeführer dessen ungeachtet im Rahmen eines Familienverfahrens der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

4.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017 wurde der Antrag des Drittbeschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde dem Drittbeschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) sowie unter Anwendung des § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.02.2018 erteilt (Spruchpunkt III).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und den Feststellungen zur Person des Drittbeschwerdeführers aus, der Drittbeschwerdeführer habe den Irak wegen seines Vaters verlassen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Drittbeschwerdeführer im Irak der Gefahr einer individuellen, konkret gegen ihn gerichteten, Verfolgung ausgesetzt sei.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass es glaubhaft und nachvollziehbar sei, dass der Drittbeschwerdeführer den Irak wegen seines Vaters verlassen habe. Ein sonstiges Vorbringen einer individuellen Gefährdung habe die gesetzliche Vertretung des Drittbeschwerdeführers nicht geltend gemacht.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Vater des Drittbeschwerdeführers habe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung plausibel glaubhaft gemacht, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Aufgrund des Umstandes, wonach dem Erstbeschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.02.2017 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, sei dem Drittbeschwerdeführer dessen ungeachtet im Rahmen eines Familienverfahrens der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

5. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

6. Gegen Spruchpunkt I der vorstehend angeführten, den Beschwerdeführern am 28.07.2017 durch Hinterlegung zugestellten, Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der seinerzeitigen bevollmächtigen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte - für die Beschwerdeführer gemeinsam verfasste - Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, inhaltliche Rechtswidrigkeit, unrichtige rechtliche Beurteilung und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide jeweils dahingehend abzuändern, dass den Anträgen auf internationalen Schutz Folge gegeben und den Beschwerdeführern der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, hilfsweise Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide zu beheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neues Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Unter auszugsweiser Zitierung der von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte werden in der Folge Ausführungen zur mangelnden Schutzwilligkeit und

-fähigkeit des irakischen Staates getroffen. Insoweit komme den Schilderungen des Erstbeschwerdeführers bezüglich einer Bedrohung durch eine schiitische Miliz Asylrelevanz zu.

Des Weiteren wird moniert, dass seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Ermittlungspflichten nach § 18 AsylG 2005 nicht erfüllt worden seien. Im Übrigen sei der Erstbeschwerdeführer bereit, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erneut zu seinem Vorbringen Rede und Antwort zu stehen, damit sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck von seiner Glaubwürdigkeit machen könne.

7. Die Beschwerdevorlage langte jeweils am 16.03.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssachen wurden in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

8. Der Erstbeschwerdeführer übermittelte im Wege der seinerzeitigen bevollmächtigen Rechtsberatungsorganisation mit E-Mail vom 06.09.2017 einen Arbeitsvertrag in Kopie.

9. Auf ein entsprechendes Ersuchen zur Bekanntgabe der Daten seines in Österreich aufhältigen Schwagers übermittelte der Erstbeschwerdeführer im Wege der seinerzeitigen bevollmächtigen Rechtsberatungsorganisation am 30.10.2017 die gewünschten Daten.

10. Am 07.12.2017 richtete das Bundesverwaltungsgericht an die belangte Behörde ein Ersuchen um Übermittlung des Verwaltungsaktes bezüglich des Schwagers des Erstbeschwerdeführers.

11. In Entsprechung dieses Ersuchens langte am 22.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht der Verwaltungsakt den Schwager des Erstbeschwerdeführers betreffend ein. Nach erfolgter Einsichtnahme wurde der Verwaltungsakt mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.02.12018 wieder an die belangte Behörde rückgemittelt.

12. Mit Telefax vom 09.02.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die Niederlegung der Vollmacht des Vereins Menschenrechte Österreich betreffend die Beschwerdeführer bekanntgegeben.

13. Am 09.02.2018 langte eine Vertreterbekanntgabe seitens der Mag. Wolfgang AUNER Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft KG beim Bundesverwaltungsgericht ein.

14. Am 27.02.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein der Erstbeschwerdeführers, dessen rechtsfreundlicher Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Erstbeschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Des Weiteren wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass eine Anfrage bei der Staatendokumentation eingeholt werde, ob es sich beim Stamm des Erstbeschwerdeführers um einen sunnitischen Stamm handle.

Seitens des Erstbeschwerdeführers wurden vier Lichtbilder in Vorlage gebracht. Diese zeigen eine Bescheinigung bezüglich der Registrierung der Geburt seiner Tochter bei der irakischen Botschaft in der Türkei, seine Ehegattin mit Kind und zwei "Drohschreiben".

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der Verhandlung entschuldigt ferngeblieben.

15. Die Ablichtungen der beiden "Drohschreiben" in arabischer Sprache wurden seitens des Bundesverwaltungsgerichtes einer Übersetzung zugeführt.

16. Mit Schriftsatz vom 29.03.2018 erstatteten die Beschwerdeführer im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung eine Stellungnahme zu den ihnen ausgefolgten Länderdokumentationsunterlagen.

In dieser Stellungnahme wird zunächst dargelegt, dass die vorgelegten Informationen sehr allgemein gefasst seien und daher nicht auf den konkreten Einzelfall im Detail Bezug nehmen könnten. Anschließend wird zur objektiven Überprüfung der vom Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung getätigten Schilderungen die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens beantragt. Der Gutachter möge mit Befundaufnahme und Gutachtenserstattung beauftragt werden; dies unter Einbeziehung der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Drohbriefe zur Überprüfung der Authentizität, sowie zum Zweck auch der Durchführung von Ermittlungen vor Ort; konkret auch durch Befragung der Ehegattin zu den Drohbriefen beziehungsweise den ihr gegenüber getätigten Drohungen. Ferner wird die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur objektiven Überprüfung der vom Erstbeschwerdeführer geschilderten Verletzungsfolgen im Zusammenhang mit den gegenüber ihm gesetzten Attacken in den Jahren 2014 und 2015 beantragt.

17. Mit dem 01.06.2018 wurden die Beschwerdeführer aufgrund nicht mehr vorhandener Hilfsbedürftigkeit von der Grundversorgung abgemeldet.

18. Mit Schriftsatz vom 23.07.2018 brachten die Beschwerdeführer im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung mehrere Unterlagen zur beruflichen Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers in Österreich, insbesondere einen Dienstvertrag, in Vorlage.

19. Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.09.2018 betreffend den Stamm des Beschwerdeführers langte am 13.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

20. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 17.09.2018 wurden der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführer seitens des Bundesverwaltungsgerichtes die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.09.2018 und aktualisierte länderkundliche Informationen zur Lage im Irak zur Stellungnahme übermittelt.

21. Zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.09.2018 äußerte sich der Erstbeschwerdeführer im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung mit Schriftsatz zum 25.09.2018. Des Weiteren brachte der Erstbeschwerdeführer hiebei Lohnzettel für Juli und August 2018 in Vorlage.

22. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.10.2018 wurde XXXX zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung von Befund und Gutachten zum Vorbringen des Erstbeschwerdeführers betreffend die vorgebrachten Misshandlungen im Herkunftsstaat beauftragt.

23. Laut Aktenvermerk des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.10.2018 teilte der vom Bundesverwaltungsgericht bestellte Sachverständige telefonisch mit, dass der Erstbeschwerdeführer am 30.10.2018 um 11.00 Uhr mit einer zweiten Person in der Ordination des Sachverständigen erschienen sei. Auf Nachfrage habe die zweite Person bestätigt, der vom Bundesverwaltungsgericht bestellte Dolmetscher zu sein. Nach einem Ausweis sei nicht gefragt worden und die Zeitbestätigung über die Dauer des Termins sei besagter Person ausgefolgt worden. Der tatsächlich vom Bundesverwaltungsgericht bestellte Dolmetscher sei pünktlich um 11.30 Uhr erschienen und habe aufgrund der bereits abgeschlossenen Untersuchung keine Arbeitsleistung mehr erbringen können.

24. Das Gutachten langte am 22.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

25. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.03.2019 wurde den Beschwerdeführern das Gutachten des Sachverständigen XXXX sowie aktualisierte länderkundliche Informationen zur Lage im Irak zur Stellungnahme übermittelt. Zudem erging die Aufforderung zur Offenlegung, welche Person bei der Befundaufnahme am 30.10.2018 als Dolmetscher aufgetreten sei.

26. Die diesbezügliche Äußerung langte am 11.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei darin auf die Durchführung eines weiteren Verhandlungstermins zur Erörterung der übermittelten Länderberichte explizit verzichtet und der Antrag auf Bestellung eines länderkundlichen Sachverständigen wiederholt wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe sowie sunnitischen Glaubens. Die Muttersprache des Erstbeschwerdeführers ist Arabisch. Die Identität des Erstbeschwerdeführers steht fest.

Er wurde am XXXX in der Stadt XXXX im gleichnamigen Gouvernement geboren und lebte im Irak stets in der Region um die Stadt Basra.

Der Erstbeschwerdeführer besuchte im Irak zwölf Jahre die Schule und schloss diese mit der Matura ab. Im Anschluss daran absolvierte er ein zweijähriges Technisches College und stieg in das Berufsleben ein. Er betrieb eine Werkstatt für Elektrogeräte, wobei er Geräte, wie etwa Klimageräte, wartete und reparierte.

Der Erstbeschwerdeführer ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Die Ehegattin und die minderjährige Tochter halten sich derzeit in einer Ortschaft in der Gegend des Flusses XXXX an der Grenze zum Iran auf. Bereits Mitte April 2014 verfügten sich die Beschwerdeführer gemeinsam mit der seinerzeit schwangeren Ehegattin des Erstbeschwerdeführers in die Türkei und kehrten sie erst Ende April 2015 kurzzeitig in den Irak zurück.

Die Eltern und die Schwester des Erstbeschwerdeführers sowie einer seiner Brüder leben weiterhin in der Umgebung von Basra. Ein Bruder des Erstbeschwerdeführers lebt in Jordanien. Zwei weitere Brüder des Erstbeschwerdeführers leben in der Türkei.

Der Erstbeschwerdeführer verließ am 13.05.2015 gemeinsam mit dem Zweit- und den Drittbeschwerdeführer erneut den Irak und gelangte schlepperunterstützt illegal von Zakho ausgehend auf dem Landweg per Bus in die Türkei. In weiterer Folge reiste er auf dem Seeweg nach Griechenland. Von dort begab er sich auf dem Landweg mit einem Lastkraftwagen nach Österreich, wo er am 26.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung und ledig. Er ist der minderjährige Sohn des Erstbeschwerdeführers.

Die Muttersprache des Zweitbeschwerdeführers ist Arabisch. Die Identität des Zweitbeschwerdeführers steht fest.

Er wurde am XXXX im Gouvernement XXXX geboren und lebte er im Irak stets in der Region um die Stadt Basra im gleichnamigen Gouvernement.

Die Mutter und die minderjährige Schwester halten sich derzeit in einer Ortschaft in der Gegend des Flusses XXXX an der Grenze zum Iran auf. Die Großeltern väterlicherseits, eine Tante und ein Onkel des Zweitbeschwerdeführers leben weiterhin in der Umgebung von Basra. Mitte April 2014 verfügten sich die Beschwerdeführer gemeinsam mit der seinerzeit schwangeren Ehegattin des Erstbeschwerdeführers in die Türkei und kehrten sie erst Ende April 2015 kurzzeitig in den Irak zurück.

Der Zweitbeschwerdeführer verließ am 13.05.2015 gemeinsam mit dem Erst- und den Drittbeschwerdeführer erneut den Irak und gelangte schlepperunterstützt illegal von Zakho ausgehend auf dem Landweg per Bus in die Türkei. In weiterer Folge reiste er auf dem Seeweg nach Griechenland. Von dort begab er sich auf dem Landweg mit einem Lastkraftwagen nach Österreich, wo er am 26.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.3. Der Drittbeschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der sunnitischen Glaubensrichtung und ledig. Er ist der minderjährige Sohn des Erstbeschwerdeführers.

Die Muttersprache des Drittbeschwerdeführers ist Arabisch. Die Identität des Drittbeschwerdeführers steht fest.

Er wurde am XXXX im Gouvernement XXXX geboren und lebte er im Irak stets in der Region um die Stadt XXXX im gleichnamigen Gouvernement.

Die Mutter und die minderjährige Schwester halten sich derzeit in einer Ortschaft in der Gegend des Flusses XXXX an der Grenze zum Iran auf. Die Großeltern väterlicherseits, eine Tante und ein Onkel des Drittbeschwerdeführers leben weiterhin in der Umgebung von Basra. Mitte April 2014 verfügten sich die Beschwerdeführer gemeinsam mit der seinerzeit schwangeren Ehegattin des Erstbeschwerdeführers in die Türkei und kehrten sie erst Ende April 2015 kurzzeitig in den Irak zurück.

Der Drittbeschwerdeführer verließ am 13.05.2015 gemeinsam mit dem Erst- und den Zweitbeschwerdeführer erneut den Irak und gelangte schlepperunterstützt illegal von Zakho ausgehend auf dem Landweg per Bus in die Türkei. In weiterer Folge reiste er auf dem Seeweg nach Griechenland. Von dort begab er sich auf dem Landweg mit einem Lastkraftwagen nach Österreich, wo er am 26.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.4. Die Beschwerdeführer hatten in ihrem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihres sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Erstbeschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an.

Beim Erstbeschwerdeführer zeigen sich eine eineinhalb Zentimeter lange Narbenbildung an der linken Stirn und eine drei Zentimeter lange, schräg verlaufende Narbenbildung am rechten Unterarm knapp unter der Ellenbeuge. Die genaue Ursache für diese Verletzungen ist nicht feststellbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in ihrem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder sie im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären. Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer vor seiner Ausreise einer versuchten Zwangsrekrutierung durch Kämpfer der schiitischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq ausgesetzt oder er von Kämpfern dieser Miliz bedroht und/oder verletzt wurde.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion der Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen bzw. die Beschwerdeführer der Gefahr von Übergriffen schiitischer Milizen oder von psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund ihres sunnitischen Religionsbekenntnisses mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

1.5. Die Beschwerdeführer verfügen über ein irakisches Ausweisdokument (Personalausweise) im Original.

1.6. Zur Rekrutierung von Kämpfern durch schiitische Milizen im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:

Die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Front, PMF, arabisch: al-Haschd al-Schaabi) unterhalten eine eigene Website in arabischer Sprache, auf der unter anderem über die militärischen Erfolge der PMF beim Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) berichtet wird. Auf dieser Website finden sich eine Vielzahl von Artikeln über die Verpflichtung Freiwilliger in den PMF. Die jüngsten Artikel beziehen sich dabei besonders auf den Anschluss Freiwilliger in der Provinz Ninawa zur Teilnahme an der Befreiung der Stadt Mossul. Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen im Irak sind grundsätzlich möglich. Familien von Binnenvertriebenen werden zum Teil nur durch einen Checkpoint gelassen, wenn sich die erwachsenen Männer bereit erklären, sich den paramilitärischen Einheiten der al-Haschd al-Schaabi anzuschließen. Es wird berichtet, dass bei einer Weigerung damit gedroht werde, die Binnenflüchtlinge in ihre Heimatprovinzen zurückzuschicken. UNHCR berichtet in einer wöchentlichen Aktualisierung zum Thema Schutz in Mossul vom Jänner 2017, dass die Organisation mit Sorge Vorwürfe der Zwangsrekrutierung von Männern und auch von Minderjährigen in gerade befreiten Gebieten der Stadt Mossul vermerkt habe. Es sei ebenfalls berichtet worden, dass Personen, die aus dem östlichen Teil der Stadt fliehen würden, von Stammesmilizen dazu gezwungen würden, zur Militäroffensive beizutragen, indem sie Mahlzeiten vorbereiten, Waffen transportieren oder selbst zu den Waffen greifen müssten. Binnenflüchtlinge würden Berichten zufolge Gefahr laufen, der Verbindung zu bewaffneten Gruppen beschuldigt zu werden, wenn sie es ablehnen oder nur zögerlich mitmachen würden. Ein männlicher "Freiwilliger" pro Familie würde die Familie Berichten zufolge vom Vorwurf freisprechen, einer bewaffneten Gruppe anzugehören. Bei den Binnenflüchtlingen handelt es sich oft um Sunniten oder um Angehörige religiöser Minderheiten wie den Schabak. Zu anders motivierten Fällen von Zwangsrekrutierung liegen indes keine Informationen vor.

Carnegie Endowment for International Peace (CEIP), ein globales Netzwerk von Think Tanks zum Thema Politikforschung und Förderung des Friedens mit Hauptsitz in den USA, berichtet in einem Artikel vom Februar 2016, dass es bei schiitischen Milizen keine offizielle Wehrpflicht/Zwangsrekrutierung gibt, obwohl die große Anzahl an Rekrutierten dies vermuten lassen würde. Viele irakische Schiiten würden sich statt beim irakischen Militär paramilitärischen Einheiten unter dem Schirm der Volksverteidigungseinheiten (Popular Mobilization Forces, PMF) anschließen würden, die die größte Bodentruppe im Kampf gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) stellen würden. Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage habe ergeben, dass 99 Prozent der irakischen Schiiten die PMF beim Kampf gegen den IS unterstützen würden. Daher gebe es eine erhebliche Anzahl von Rekruten, die sich beeilen würden, sich den PMF anzuschließen. Laut Angaben mehrerer sachkundiger Quellen in Bagdad hätten sich mehr als 75 Prozent der in mehrheitlich schiitischen Provinzen lebenden Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren bei den PMF gemeldet. Obwohl die meisten dieser Rekruten Reservisten seien, die nicht kämpfen würden, zeige diese Anzahl doch den Rückhalt der PMF in diesen Gebieten. Die hohe Anzahl von Rekruten würde normalerweise auf eine Form von Wehrpflicht hindeuten. Jedoch gebe es keine formale Pflichtrekrutierung. Die PMF würden sich stattdessen nach der Fatwa des religiösen Führers Ayatollah Sistani richten, die die Rekrutierung sehr vorsichtig auf so viele Rekruten beschränke, die notwendig seien, um den IS zu bekämpfen. Ein Rekrutierungsbeamter der PMF in Nadschaf habe indes angegeben, dass sich mehr als genug Rekruten gemeldet hätten. Sie hätten keine Probleme damit, Mitglieder unterschiedlichen sozialen Hintergrunds und aus verschiedenen geographischen Regionen zu gewinnen. Seinen Angaben nach seien Studenten die einzige erkennbare Gruppe, die nicht den PMF beitreten würden.

Schiitische Milizen rekrutieren aktiv neue Mitglieder, obwohl die Milizen an sich sehr beliebt sind und keine Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer Kämpfer bestehen. Eine große Rolle bei der Rekrutierung spielt die religiöse Komponente. Nach dem Aufruf des einflussreichen schiitischen Geistlichen Ayatollah Sistani, meldeten sich unzählige Freiwillige zum Kampf gegen den IS. Die Rekrutierung erfolgt außerdem Großteils in Moscheen und auch im Internet bzw. in Sozialen Medien. Erwähnenswert ist auch der gesellschaftliche Druck, welcher von der Familie oder sogar von Behörden ausgeht, sich am Kampf gegen den IS zu beteiligen. Neben der religiösen Motivation, sich den schiitischen Milizen anzuschließen, gibt es noch die finanzielle Motivation. Schiitische Kämpfer verdienen einigen Quellen zufolge mehr als in der irakischen Armee; andere Quellen sprechen von weitaus niedrigeren Summen oder von fehlender Bezahlung. Oftmals werden Minderjährige für den Kampf gegen den IS rekrutiert.

Das Counter Extremism Project (CEP), eine unabhängige politische Organisation zur Bekämpfung extremistischer Ideologien und deren Finanzierung mit Sitz in London, erwähnt in einer vermutlich im März 2017 aktualisierten Übersicht zur pro-iranischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) die Rekrutierungspraktiken dieser Miliz. In Bezugnahme auf verschiedene Quellen zumeist aus den Jahren 2014 und 2015 schreibt CEP, dass die Rekrutierungsstrategie von AAH auf zwei Strategien fuße: traditionelle Propaganda, um auf die Gruppe aufmerksam zu machen sowie ein umfassendes religiöses System mit dem Ziel, Mitglieder zu indoktrinieren und zu rekrutieren. AAH habe Gruppen wie den IS dahingehend imitiert, dass soziale Medien genutzt würden, um die Rekrutierung über den Nahen Osten, Südasien und den Westen auszudehnen. Der irakische Fernsehsender al-Aahd gehöre der Miliz.

Eine der meistgenützten Methoden der AAH zur Gewinnung von Rekruten sei es, sich als Beschützer der schiitischen Gemeinschaft im Irak und im Ausland darzustellen. Sie hänge Poster auf und sende Rekrutierungsaufrufe auf irakischen Fernsehsendern, wobei häufig die Verbindungen mit dem Iran und der (libanesischen) Hisbollah betont würden. Ein Mitglied von AAH habe angegeben, dass er sich bei AAH gemeldet habe, da die Miliz "die schiitische Gemeinschaft im Irak und im Ausland schützen würde". In der Vergangenheit habe insbesondere die Möglichkeit, mit AAH nach Syrien zu ziehen und das Sajjida-Zainab-Heiligtum in er Nähe von Damaskus zu verteidigen, Iraker mobilisiert, sich AAH anzuschließen. Die Gruppe habe Wohnhäuser und Büros in Bagdad in Beschlag genommen, um Rekrutierungszentren zu eröffnen, wo sich Freiwillige melden könnten, um sich den bereits in Syrien kämpfenden Schiiten anzuschließen. Im Südirak würden Poster Männer dazu auffordern, sich mit weiteren irakischen Schiiten dem Kampf in Syrien anzuschließen. Auf den Postern sei eine Telefonnummer angeführt, die man zu diesem Zweck anrufen könne. Im August 2012 habe AAH eine Poster-Kampagne durchgeführt, bei der mehr als 20.000 Poster mit dem Logo der Gruppe und Fotos unter anderem des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei aufgehängt worden seien.

Die zweite umfassendere Schiene der Rekrutierung sei religiöser Aktivismus und ein eigenes Bildungssystem. Die Gruppe benutze insbesondere zwei Moscheen, die Sabatayn-Moschee in Bagdad und die Abdullah al-Radiya-Moschee in al-Khalis als Zentren der Rekrutierung. Führende Mitglieder von AAH würden Predigten in diesen Moscheen abhalten und für eine soziale und religiöse Reform im Irak werben. Hiermit würden sie versuchen, die Anwesenden dazu zu bringen, der AAH-Mission beizutreten, sie zu finanzieren oder auf andere Weise beizutragen. AAH habe ihre Reichweite auch durch ein Netzwerk von religiösen Schulen, bekannt unter dem Namen "Siegel der Apostel", erweitert. Diese Schulen, die im ganzen Land verteilt seien, würden der Gruppe als Propaganda- und Rekrutierungseinrichtungen dienen. Genau wie in ihrer militärischen und politischen Struktur, versuche AAH die Hisbollah-Miliz auch dahingehend zu imitieren, indem sie soziale Programme für Witwen und Waisen umsetze. Die Rekrutierungsmaßnahmen der AAH würden zum Großteil vom Iran finanziert.

Ein Bericht von GSDRC (Governance-Social Development-Humanitarian-Conflict), einem Zusammenschluss von Forschungsinstituten, Think Tanks und Beratungsorganisationen zum Thema internationale Entwicklung, informiert darüber, dass es die religiöse Legitimität für die PMF (Popular Mobilization Forces, Volksmobilmachungskräfte) die Rekrutierung einfacher macht als für die irakische Armee.

Es lastet viel Druck auf den Menschen, sich den Volksmobilmachungskräften anzuschließen. Dieser hat unterschiedliche Gründe, zum Beispiel öffentlichen Druck, Druck auf Familien und sogar das Bildungsministerium. Es gibt Fälle, in denen Prüfungen verlegt wurden, damit junge Menschen gegen den IS kämpfen können. Außerdem wird es als heroischer Akt gesehen, sich den Volksmobilmachungskräften anzuschließen. Manche Quellen sprechen davon, dass Kämpfer der Volksmobilmachungskräfte besser bezahlt werden als Soldaten der irakischen Armee, andere sprechen davon, dass nur Kämpfer an der Front bezahlt werden, andere gehen davon aus, dass die Milizen Großteils keinen Lohn erhalten. Es wird berichtet, dass die Volksmobilmachungskräfte auch Minderjährige rekrutieren.

Die US-amerikanische Online-Zeitung International Business Times (IBT) mit Sitz in New York beschreibt den Online-Rekrutierungsprozess schiitischer Milizen in einem Artikel vom Dezember 2015. Laut einem Forscher schiitischer Milizen an der Universität Maryland hätten schiitische Milizen eine noch ausgereiftere Methode als der IS, Leute mithilfe von Onlinemedien zu informieren und zu mobilisieren. Im Gegensatz zu Webseiten des IS auf Twitter und Facebook würde niemand die Seiten von schiitischen Milizen blockieren. Jedoch hätten die vom Iran unterstützen Milizen bereits Monate vor dem Fall der Stadt Mossul im Juni 2014 im Irak mithilfe einfacher technischer Mittel, zum Beispiel durch das Aufhängen von Postern oder Rekrutierungsaufrufen im Fernsehen, ihre lokale Reichweite ausgenutzt. Ein Analyst des Institute for the Study of War habe erwähnt, dass irakische Schiiten sich nur in die nächste Moschee begeben und dort zu fragen müssten, ob sie sich einer bestimmten Miliz anschließen könnten. Obwohl Online-Rekrutierung wichtig sei, würde sie nicht so stark benötigt wie bei anderen Gruppen, die weniger offen mit ihren Rekrutierungsmaßnahmen umgehen könnten. Schiitische Milizen seien in der Lage, vom Iran unterstützte Fernsehsender nutzen, um ihre Reichweite auszudehnen. Im Juni 2015 beispielsweise hätte die Miliz Kata'ib Hisbollah ihre Kontaktinformationen zwecks Rekrutierung auf al-Etejah, einem pro-iranischen Fernsehkanal, ausgestrahlt. Einen Monat später habe sie einen Spendenaufruf mit Angabe einer Bankverbindung schalten lassen, der auch in Teilen als ein Videoclip auf Youtube veröffentlicht worden sei, um mehr Spenden von außerhalb des Irak lebenden Schiiten zu erhalten.

Quellen:

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 26.07.2016 betreffend Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen

- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: (Zwangs-)Rekrutierung durch schiitische Milizen: Sunniten, Schiiten, spezifische Gruppen; Konsequenzen bei Entziehung einer Rekrutierung [a-10079], 27. März 2017, http://www.ecoi.net/local_link/338747/481775_de.html

- UNAMI (13.7.2015): Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict in Iraq: 11 December 2014 - 30 April 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1436959266_unami-ohchr-4th-pocreport-11dec2014-30april2015.pdf

- Al-Araby (8.5.2015): Anbar refugees 'forced into militias to fight IS group', https://www.alaraby.co.uk/english/news/2015/5/8/anbar-refugees-forced-into-militias-to-fight-is-group, Zugriff 15.7.2016

- Carnegie Endowment for International Peace (1.2.2016): The Popularity of the Hashd in Iraq, http://carnegieendowment.org/syriaincrisis/?fa=62638

- Counter Extremism Project (o.D.): Asaib Ahl al-Haq, http://www.counterextremism.com/threat/asaib-ahl-al-haq

- GSDRC - Governance-Social Development-Humanitarian-Conflict (3.2016): The security sector in Iraq.

- IBT - International Business Times: World Iraqi Shiite Militias Fighting ISIS Are Using Social Media To Recruit Foreign Fighters, 3. Dezember 2015, http://www.ibtimes.com/iraqi-shiite-militias-fighting-isis-are-using-social-media-recruit-foreign-fighters-1844118

1.7. Zur gegenwärtigen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und den Beschwerdeführern offengelegten Quellen getroffen:

1. Aktuelle Ereignisse

27.06.2018: Papst Franziskus kreierte Patriarch Mar Louis I Sako, Oberhaupt der Chaldäisch Katholischen Kirche, als Kardinal. Ägypten betonte, dass es sich weiter am Wiederaufbau und an der Stabilisierung des Irak beteiligen wird. Muqtada al-Sadr gab bekannt, dass er alle Operationen seiner Miliz Saraya al-Salam in Basra einstellen lassen wird, nachdem es Zwischenfälle mit den örtlichen Kräften gegeben hatte.

01.07.2018: Die nationale irakische Ölgesellschaft kündigte an, dass sie mit Zustimmung der OPEC eine schwimmende Ölspeicherplattform bauen wird um ihre Kapazität auf sechs Millionen Barrel zu erhöhen.

02.07.2018: Die Sicherheitssituation an der irakisch-syrischen Grenze entspannt sich wegen der Militäroperationen gegen die konzentrierten IS-Zellen in der Region.

02.0.7./04.07.2018: Die Bundespolizei verlegte einige ihrer Truppen in die Provinz Kirkuk um die Sicherheit zu gewährleisten, da sich IS-Kämpfer im Süden formierten. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), die PMUs und die Peshmerga starteten eine gemeinsame Offensive in der Region.

10.07.2018: Gemäß einer Aussage von Premier Abadi habe sich die Sicherheitssituation in Mosul seit dem erklärten Sieg über den IS im Dezember 2017 massiv verbessert.

13.07.2018: Laut den Aussagen von PMU-Patrouillen bleibt die Sicherheitssituation in der Region westlich von Bayji wegen der IS-Zellen angespannt.

16.07./17.07.2018: Der irakische Elektrizitätsminister kündigte an, dass Teheran keine Elektrizität mehr in den Irak exportieren wird. Daraufhin reiste der irakische Minister für Planung nach Jeddah um die Energiekrise mit einer saudischen Delegation zu besprechen.

23.07.2018: Kuwait bot dem Irak mit der Sendung von mobilen Generatoren Hilfe an um seine Energiekrise zu lösen.

14.08.2018: Die Türkei und der Irak einigten sich auf ein Abkommen um einen neuen Grenzübergang nahe dem Grenzübergang Fish-Khabour zu eröffnen. Jordanien unterzeichnete mit dem Irak ein Sicherheitsabkommen um die Straße zwischen Amman und Bagdad und um die Grenze zu öffnen.

16.08./21.08.2018: Durch das Wiederinkrafttreten der Iransanktionen ist der damals amtierende Premierminister Abadi bemüht das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran auszubalancieren. Dank einer intensiven wirtschaftlichen Kooperation reiste eine irakische Delegation nach Washington um Ausnahmen von den Sanktionen zu verhandeln.

19.08.2018: Die irakische Zentralregierung und die kurdische Regionalregierung einigten sich mittels eines Abkommens darauf gemeinsame Checkpoints an der Straße von Erbil nach Kirkuk einzurichten um die Straße öffnen zu können.

20.08.2018: Die Türkei und der Irak unterzeichneten ein Energieabkommen, in dem festgehalten wurde, dass die Türkei dem Irak Elektrizität liefern werde und bei der Entwicklung der lokalen Infrastruktur Unterstützung leisten wird.

20.10.2018/21.10.2018: Die irakischen Streitkräfte setzen ihre Militäroperationen gegen den IS fort. So töteten Sicherheitskräfte am 20.10.18 vier Extremisten in ihrem Versteck in Hit, drei Extremisten in Kirkuk und zwei Extremisten in der Provinz Diyala. Mindestens 23 Menschen wurden bei jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfällen getötet. So kamen am 21.10.18 mindestens vier irakische Polizisten bei zwei Bombenexplosionen ums Leben, die von den Kämpfern des IS in den Regionen al-Shoura und Makhmour verübt wurden. Ebenfalls am 21.10.18 wurde eine turkmenische Familie von unbekannten bewaffneten Männern im Distrikt Hawija, rund 55 Kilometer südwestlich von Kirkuk, getötet. Auch in Jalawla, Provinz Diyala, töteten Unbekannte eine Familie.

25.11.2018: Am 25.11.18 verkündete das Gesundheitsministerium, dass bei starken Regenfällen mindestens 21 Menschen ums Leben gekommen und etwa 180 Personen verletzt worden seien. Laut der UN-Mission im Irak (UNAMI) sind in Salah ad-Din etwa 10.000 und in Ninewa etwa 15.000 Menschen in Folge der Fluten auf Unterstützung angewiesen. Am stärksten betroffen seien der Distrikt Shirqat (Provinz Salah ad-Din) und die Vertriebenenlager Qayyarah und Jedda (Provinz Ninewa). Flutschäden wurden auch in einigen südlichen Provinzen gemeldet. Häuser und Viehbestände seien hier zerstört sowie Brücken und Dörfer überschwemmt worden. UNAMI beteiligt sich an einer Notfallunterstützungsmission.

03.12.2018: Die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) nominiert Nechviran Barzani als Präsidentschaftskandidaten für die autonome Region Kurdistan. Sein Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten soll Masrur Barzani (Sohn des langjährigen Präsidenten Massud Barsani) werden.

04.12.2018: Laut Medienberichten unterbrachen Parlamentsabgeordnete am 04.12.18 eine Parlamentssitzung, die zu einer Regierungsbildung nach der Wahl im Mai 2018 führen sollte. Die Posten u.a. für das Innen- und Verteidigungsministerium bleiben unbesetzt. Dem Stillstand liegt eine Spaltung zwischen den zwei schiitischen Hauptblöcken von Moqtada Sadr und dem Milizenführer Hadi al-Amiri zugrunde.

07.12.2018: Massive Regenfälle haben in weiten Teilen des Landes zu Zerstörungen und Beschädigungen von Infrastruktur sowie Wohnhäusern geführt. Besonders betroffen sind intern Vertriebene in den Provinzen Salah ad-Din und Ninewa (Mosul, Nimrud, Sinjar Gebirge). Lokalen Medien zufolge wurden etwa 80 Familien aus dem Dorf Zanazel (Provinz Ninewa) evakuiert. Das Krisenkoordinierungszentrum des kurdischen Innenministeriums (Joint Crisis Coordination Centre) meldete am 07.12.18, dass im Vertriebenenlager Dibaga 2 in der Provinz Erbil etwa 700 intern Vertriebene auf Notfallhilfe angewiesen seien.

2. Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.02.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Am 002.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 02.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.02.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 12.02.2018). Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der einzelnen Regionen des Irak ist aus der Grafik im Punkt Minderheiten ersichtlich.

2.1. Parteienlandschaft

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018). Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).

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Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al-Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).

2.2. Protestbewegung

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

3. Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich verbessert, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv und ist die Sicherheitslage regional unterschiedlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates in allen Fällen sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen. aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten und zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (AA 12.02.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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