Entscheidungsdatum
24.06.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L521 2209477-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2018, Zl. 1091257804-151563286, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet Ende September 2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien am 16.10.2015 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem. Er habe im Irak sechs Jahre die Grundschule und sieben Jahre ein Gymnasium besucht. Anschließend habe er vier Jahre an einer Universität Informatik studiert und sei zuletzt als Techniker im Bereich Informationstechnologie tätig gewesen. Seine Eltern und eine Schwester seien im Irak oder einem anderen Drittstaat aufhältig.
Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 21. September 2015 legal von Bagdad ausgehend auf dem Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. Am Folgetag sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und dort erkennungsdienstlich behandelt worden. Anschließend habe er sich auf dem Landweg nach Österreich begeben.
Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, seine Mutter sei Anfang 2015 von unbekannten Milizen auf dem Weg nach Hause angehalten und informiert worden, dass sie ihn und den Rest der Familie entführen und umbringen würden. Seine Mutter habe ihn über diesen Vorfall informiert. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, entführt und getötet zu werden. Er habe Angst vor den Milizen.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 24.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien Außenstelle Wien, im Beisein einer Vertrauensperson und einer geeigneten Dolmetscherin in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.
Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, einvernahmefähig zu sein und die Dolmetscherin sehr gut zu verstehen.
In der Folge nahm der Beschwerdeführer mehrere Korrekturen bezüglich seiner im Rahmen der Erstbefragung getätigten Aussagen vor. Demnach habe er nicht als Techniker im Bereich Informationstechnologie gearbeitet, sondern sei Student gewesen. Den Entschluss zur Ausreise aus dem Irak habe er nicht Anfang 2015, sondern im August 2015 gefasst. Ebenso sei seine Mutter nicht Anfang 2015, sondern im August 2015 angehalten worden, wobei man ihr gesagt habe, dass man sie und den Beschwerdeführer entführen und töten würde. Er habe den Irak bereits am 17.09.2015 verlassen und sei er erst drei Tage nach seiner Einreise in die Türkei nach Izmir und nach Griechenland gereist. Zu den Fragen, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe und er im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, habe er keine Angaben getätigt.
Zur Person und seinen Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen. Er sei Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er sei in Österreich formal eine Ehe nach islamischem Recht eingegangen, um nach seinen Glaubensvorstellungen eine sexuelle Beziehung führen zu können.
Den Aufenthaltsort und die derzeitige berufliche Tätigkeit seines Vaters wisse er nicht. In der Vergangenheit habe sein Vater ein kleines Geschäft für Vorhänge und Schlüssel betrieben. Seine Mutter, seine Großmutter und seine Schwester würden in Istanbul leben. Die beiden jüngeren Frauen hätten Ingenieurwesen studiert. Seine Schwester gehe aber derzeit keiner Beschäftigung nach. Seine Mutter sei in Bagdad die Leiterin der XXXX gewesen. Das Verhältnis zu seinen Angehörigen sei gut. Er unterhalte mit seiner Schwester und seiner Mutter telefonischen Kontakt. Im Irak halte sich noch ein Onkel mütterlicherseits in Bagdad auf. Seine Eltern hätten sich bereits während seiner Schulzeit scheiden lassen, weshalb kein Kontakt zur Familie seines Vaters bestünde.
Er habe im Irak zwölf Jahre die Schule besucht und anschließend an einer Universität vier Jahre Informatik studiert. Seine Mutter habe für seinen Lebensunterhalt gesorgt. Er habe vor seiner Ausreise in Bagdad in einem zum damaligen Zeitpunkt im Eigentum seiner Mutter stehenden Haus gewohnt.
Den Irak habe er verlassen, da unbekannte, bewaffnete und in Schwarz gekleidete Personen mit Bart seine Mutter am 13.08.2015 auf dem Weg von der Arbeit nach Hause angehalten hätten. Eine Person sei aus einem weißen Pick-up ausgestiegen und habe seine Mutter aufgefordert, ihre Arbeit etwa innerhalb eines Monates zu beenden, andernfalls sie und ihr Sohn von ihnen getötet werden würde. Dann sei der Mann wieder eingestiegen und weitergefahren. Er und seine Mutter seien wegen der beruflichen Tätigkeit seiner Mutter bedroht worden. Fünf Tage vor seiner Ausreise - am 12.09.2015 - habe ihm sein Nachbar mitgeteilt, dass Personen sein Fahrzeug zerstört und einen Brief an der Windschutzscheibe hinterlassen hätten. In diesem Brief sei zu lesen gewesen, dass auch wenn er seine Adresse geändert habe, sie ihn trotzdem - wie jede andere Person auch - finden würden.
Nach Details nachgefragt legte der Beschwerdeführer dar, dass seine Mutter nach seiner Ausreise Anzeige bei der Polizei erstattet habe. Die Polizei habe aufgrund ihrer geringen Macht nichts unternommen. Obzwar seine Mutter die Personen nicht gekannt habe, seien die Personen von schiitischen Milizen gewesen. Seine Mutter habe mit der Anzeige zugewartet, bis er hier in Sicherheit sei. Sie habe befürchtet, dass die Milizen von der Anzeige erfahren, ihn suchen und ihm etwas antun würden. Seine Mutter sei ihrer Arbeit länger als dreißig Jahre nachgegangen und habe nicht sofort alles aufgeben wollen. Nach der Erstattung der Anzeige seien die unbekannten und bewaffneten Personen beim Haus seiner Großmutter erschienen. Es sei lediglich seine Großmutter im Haus gewesen. Die bewaffneten Personen hätten das Haus gestürmt und nach seiner Mutter gesucht und gefragt. Seine Großmutter habe seiner Mutter ausrichten sollen, dass sie wiederkommen und sie seine Mutter finden würden. Seine Mutter habe das Land legal mit dem Flugzeug verlassen. Die Personen hätten etwas von seiner Mutter gewollt, aber nicht gesagt, welcher Miliz sie angehören würden. Es handle sich um schiitische Milizen. Diese hätten die Kontrolle in Bagdad.
Des Weiteren führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Mutter Leiterin der XXXX gewesen sei. Es habe Projekte gegeben, bei denen Investoren - wider die Vorschriften der Behörde - Gebäude aufbauen hätten wollen. Beispielsweise gebe es eine Baufirma, die das XXXX in Bagdad errichtet habe. Diese Firma habe weitere - gegen die Vorschriften verstoßende - Projekte bauen wollen, aber seine Mutter habe dies nicht erlaubt. Wenn sie die Genehmigung nicht erteilt habe, hätten die Firmen Verluste produziert. Ein Projekt habe etwa 127 Millionen Dollar gekostet. Seine Mutter sei zum Beispiel wegen diesem bedroht beziehungsweise unter Druck gesetzt worden. Er sei sich sicher, dass eine Baufirma oder ein Gegner seiner Mutter die bewaffneten Personen zu ihr geschickt habe.
Anschließend präzisierte der Beschwerdeführer, dass seine Mutter in der XXXX tätig gewesen sei. Seine Mutter sei Leiterin der XXXX gewesen. Unter dieser sei die XXXX angesiedelt. Den Namen des direkten Vorgesetzten seiner Mutter wisse er nicht. Die XXXX sei keinem Ministerium unterstanden, aber der Direktor der Behörde habe die Stellung eines Ministers. Seine Mutter sei dort bereits vor 2012 bis "zum Schluss" Leiterin gewesen. Seine Mutter sei erst im Jahr 2015 bedroht worden, da erst in den letzten Jahren mit den großen Projekten begonnen worden sei. Seine Mutter habe zuletzt am XXXX - XXXX - gearbeitet. Die Aufgabe seiner Mutter sei es gewesen, Warnungen an Personen zu verschicken, die illegal Häuser auf Grundstücken der Behörde errichtet hätten, um diese zum Verlassen der Gebäude zu bewegen. Viele dieser Personen seien Angehörige der Milizen gewesen. Wenn seine Mutter gewusst hätte, wer sie bedroht habe, hätte sie den Vorgesetzten informiert. Auch wenn sie gewusst hätte, welche Milizen sie bedroht hätten, könnte sie niemand schützen. Die Milizen seien überall.
Des Weiteren wurden dem Beschwerdeführer Fragen bezüglich seiner Integration in Österreich gestellt.
Im Gefolge dessen wurde dem Beschwerdeführer auch die Möglichkeit geboten, in die allgemeinen länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde zur Lage im Irak Einsicht zu nehmen und hiezu zur Wahrung des Parteiengehörs eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer verzichtete auf diese Möglichkeit.
Im Rahmen seiner Einvernahme brachte der Beschwerdeführer einen irakischen Führerschein im Original samt Übersetzung in die deutsche Sprache, einen irakischen Staatbürgerschaftsnachweis im Original, einen irakischen Personalausweis in Kopie, irakische Ausweise seiner Mutter in Kopie, irakische Behördenunterlagen zum Ausreisevorbringen in Kopie, irakische Scheidungsunterlagen seiner Mutter in Kopie, eine irakische Arbeitsbestätigung seiner Mutter in Kopie, Ablichtungen eines rotfarbigen Personenkraftwagens mit zerstörter Windschutzscheibe und zerstörter Motorhaube in Kopie, Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten in der Hilfseinrichtung Le+O - Lebensmittel und Orientierung sowie als Trainer der youngCaritas KäfigLeague - Projekt Refugee.Soccer.League und als Boxer beim Projekt "League of Boxers" der youngCaritas KäfigLeague - Projekt Refugee.Soccer.League, eine Teilnahmebestätigung bezüglich des Streetsoccer-Bewerbs des Wiener Käfigmeister Hallencups 2015, Unterlagen bezüglich der Teilnahme am Projekt StartNOW - Integration ab dem ersten Tag, eine Bestätigung über die Teilnahme am Kurs Integrativ, eine Bestätigung über die Teilnahme am Modul "Polizei und Sicherheit", eine Bestätigung über die Teilnahme am StartWien-Charta Workshop, eine Bestätigung über ein unentgeltliches wissenschaftliches Praktikum an der Universität Wien, ein Zertifikat über die erfolgreiche Absolvierung des Kurses "Einführung ins Programmieren mit Java" an der Technischen Universität Wien, eine Bestätigung über die Teilnahme an Deutschkursen (im Rahmen des Projekts "Lernen macht Schule") an der Wirtschaftsuniversität Wien, eine Absage bezüglich einer Bewerbung, eine ärztliche Untersuchung nach § 8 Führerscheingesetz, ein ÖSD-Zertifikat Niveau B1, zwei Empfehlungs-/ Unterstützungsschreiben, einen Ehevertrag über die formale Eheschließung nach islamischem Recht in Österreich und ein E-Mail der Technischen Universität Wien bezüglich des Antrages auf Zulassung zum Masterstudium "Telecommunications" in Vorlage.
3. Mit E-Mail vom 09.05.2018 übermittelte der Beschwerdeführer an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - jeweils in Kopie - irakische Unterlagen bezüglich der Verleihung eines Bachelor of Engineering (B.Eng.) in Computer Techniques/ Computer Networks Communication, eine Vereinbarung über die ehrenamtliche Mitarbeit als Trainer der youngCaritas KäfigLeague, eine Zulassung zum Masterstudium Telecommunications an der Technischen Universität Wien mit Sommersemester 2018 und einen ärztlichen Befundbericht einer Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten.
4. Im Juli 2018 wurden die in arabischer Sprache verfassten irakischen Behördenunterlagen, Scheidungsunterlagen und Ausweise der Mutter des Beschwerdeführers, der irakische Staatbürgerschaftsnachweis, der irakische Personalausweis und der Ehevertrag über die formale Eheschließung nach islamischem Recht von der belangten Behörde einer Übersetzung zugeführt.
5. Mit Schreiben vom 25.04.2018 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der XXXX eine Anfrage an die Staatendokumentation der Behörde im Hinblick darauf, um welche Behörde bzw. Firma es sich handle und in welchen Geschäftsfeldern diese tätig seien sowie ob die Mutter des Beschwerdeführers tatsächlich Leiterin der XXXX einer Behörde (www. XXXX .gov.iq) gewesen sei.
In der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation der Behörde vom 23.07.2018 wurde festgehalten, dass Informationen zur " XXXX " gefunden worden seien. Es seien jedoch keine Informationen zum angeführten " XXXX " oder zur Tätigkeit der Mutter des Beschwerdeführers gefunden worden.
Die Anfragebeantwortung wurde dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht.
6. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer Gefährdung oder einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen vor der Ausreise ausgesetzt gewesen sei oder einer solchen im Fall einer Rückkehr ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte und eine universitäre Ausbildung im Irak. Ihm sei eine Rückkehr zumutbar und möglich.
In der Beweiswürdigung wird diesbezüglich dargelegt, dass die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation der belangten Behörde vom 23.07.2018 bezüglich der beruflichen Tätigkeit der Mutter des Beschwerdeführers die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht bestätigt habe. Des Weiteren wird vor allem darauf hingewiesen, dass die Mutter des Beschwerdeführers erst drei Monate nach dem im August 2015 stattgefundenen Vorfall Anzeige erstattet habe und es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sei, den an seinem Personenkraftwagen angebrachten Drohbrief in Vorlage zu bringen.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.
7. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
8. Gegen den dem Beschwerdeführer am 10.10.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der bevollmächtigen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
In dieser werden inhaltliche Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und wird beantragt, den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, für den Fall der Abweisung dieses Beschwerdeantrages festzustellen, dass dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukomme, sowie festzustellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen würden und dem Beschwerdeführer daher gemäß § 58 Absatz 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen sei und hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen würden und dem Beschwerdeführer daher eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Absatz 1 AsylG von Amts wegen zu erteilen sei. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.
In der Sache wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Abgesehen von der asylrelevanten Verfolgung drohe dem Beschwerdeführer aufgrund der prekären Sicherheitslage in Bagdad, die insbesondere Sunniten treffe, im Falle der Rückkehr dorthin auch eine Verletzung in seinen von Artikel 2 und 3 EMRK geschützten Rechten.
Des Weiteren wird dargelegt, dass auch im Asylverfahren die AVG-Prinzipien der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes und der Wahrung des Parteiengehörs gelten würden. Die belangte Behörde habe in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht entsprochen. Zunächst wird gerügt, dass zwischen der letzten Einvernahme und der Bescheiderlassung mehr als fünf Monate liegen würden. Die belangte Behörde sei schon deshalb nicht in der Lage gewesen, sich ein Bild von der aktuellen Situation, insbesondere der fortgeschrittenen Integration, zu verschaffen. Was die berufliche Tätigkeit der Mutter betrifft, so sei der Umstand, wonach die Internetrecherchen der Staatendokumentation zu keinem Ergebnis führten, kein Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer unwahre Angaben gemacht habe, zumal seine Mutter als Leiterin der XXXX nicht in der Öffentlichkeit gestanden sei. Der Beschwerdeführer habe jedoch sowohl eine Arbeitsbestätigung seiner Mutter vorgelegt, als auch Nachforschungen im Heimatland zugestimmt. Die belangte Behörde habe die vorgelegte Bestätigung nicht berücksichtigt und auch sonst keinerlei zielführende und der Behörde zumutbare Ermittlungen zur Tätigkeit der Mutter angestrengt. Schließlich habe die belangte Behörde unvollständige und teils nicht mehr aktuelle Länderberichte herangezogen und diese nur unvollständig ausgewertet. Die Länderfeststellungen würden sich kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Insbesondere seien die Berichte zur Sicherheitslage in Bagdad und zu den schiitischen Milizen überwiegend mehr als ein Jahr alt und damit nicht geeignet, die Grundlage für eine abschließende Beurteilung des Antrages auf internationalen Schutz zu bilden. In diesem Zusammenhang werden auszugsweise - abgesehen von den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfes - weitere Länderberichte zur allgemeinen Situation im Irak und Bagdad, zur Schutzunwilligkeit der irakischen Behörden, zu ethno-religiös motivierten Angriffen und die Vertreibung von arabischen Sunniten, zu einer fehlenden innerstaatlichen Fluchtalternative und zur Herrschaft der schiitischen Milizen sowie der Gefahr, die von diesen ausgehe, zitiert.
Zur Beweiswürdigung wird ausgeführt, dass die belangte Behörde bezüglich der Identität des Beschwerdeführers vermeine, dass diese nicht feststünde. Diese Ansicht sei jedoch nicht nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis und einen irakischen Führerschein im Original sowie einen irakischen Personalausweis in Kopie vorgelegt habe. Die belangte Behörde würdige diese Dokumente in keiner Weise und lege nicht dar, weshalb es die darin enthaltenen Personaldaten für nicht gesichert erachte. Was die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin betrifft, werde im bekämpften Bescheid lediglich festgehalten, dass der Beschwerdeführer nur deshalb nach islamischem Recht verheiratet sei, um sexuellen Kontakt haben zu können und würde man wegen finanzieller Vorteile nicht im gemeinsamen Haushalt leben. Die belangte Behörde lasse völlig außer Acht, dass der Beschwerdeführer diese Beziehung bereits seit 2016 führe. Des Weiteren vermeine die belangte Behörde, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer bis auf einen Onkel väterlicherseits keine weiteren Angehörigen im Irak hätte. Der Beschwerdeführer habe in der Einvernahme allerdings von einem Onkel mütterlicherseits gesprochen.
Die Feststellung bezüglich einer fehlenden individuellen Verfolgungssituation basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und verletze § 60 AVG. Insoweit die belangte Behörde auf den späten Zeitpunkt der Erstattung einer Anzeige durch die Mutter verweist, wird ausgeführt, dass die Mutter zugewartet habe, weil diese den Beschwerdeführer in Sicherheit wissen wollte. Des Weiteren wird festgehalten, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer vom Ergebnis der Anfrage an die Staatendokumentation nicht in Kenntnis gesetzt habe und ihm damit auch in einem wesentlichen Punkt das Parteiengehör verwehrt habe. Die Mutter des Beschwerdeführers habe zudem keine medienwirksame Position innegehabt, in der sie in der Öffentlichkeit gestanden wäre. Die XXXX existiere jedenfalls. Zudem habe der Beschwerdeführer eine Arbeitsbestätigung und Ausweise seiner Mutter vorgelegt, woraus sich die Tätigkeit seiner Mutter ergebe. Der Umstand, dass die Staatendokumentation über eine Internetrecherche zu keinen weiteren Ergebnissen hinsichtlich der Position der Mutter gelangt sei, lasse nicht den Schluss zu, diese hätte die Position nicht tatsächlich innegehabt. Die belangte Behörde hätte auch die Möglichkeit gehabt, durch Recherchen vor Ort über einen Verbindungsbeamten Informationen über die Position der Mutter einzuholen. Auch den vorgelegten Polizeibericht würdige die belangte Behörde nicht. Was den Drohbrief betrifft, so habe der Beschwerdeführer schlichtweg nicht daran gedacht, diesen Brief mitzunehmen. Hinsichtlich der Schäden am Fahrzeug sei auszuführen, dass auf den Ablichtungen klar erkennbar sei, dass nur die Windschutzscheibe betroffen sei. Dass derartige gezielte Beschädigungen im Zuge eines Unfalls entstünden sei unwahrscheinlich. Wenn die belangte Behörde in den Schilderungen des Beschwerdeführers zum Aufenthaltsort seines Personalausweises Widersprüche erblicke, so sei festzuhalten, dass es in diesem Zusammenhang zu einem Missverständnis in der Einvernahme gekommen sein müsse. Der Beschwerdeführer habe nie angegeben, dass sein Personalausweis bei seiner Familie wäre. Er habe in der Einvernahme seine Dokumente allgemein gemeint und dazu angegeben, dass diese - soweit nicht in Österreich - noch bei seiner Familie wären. Sein Personalausweis habe sich zum Zeitpunkt der Einvernahme bei der Technischen Universität Wien befunden. Derzeit sei der Personalausweis im Verkehrsamt. Zudem beziehe sich dieser vermeintliche Widerspruch nur auf Nebenumstände. Angaben zu Nebenumständen eines Fluchtvorbringens seien jedoch nicht in die Glaubwürdigkeitsprüfung hinsichtlich des Fluchtvorbringens einzubeziehen. Schließlich wird angemerkt, dass die Ausführungen der belangten Behörde, es wäre ersichtlich, dass der Beschwerdeführer auf seine finanziellen Vorteile in Österreich Wert lege, da er aus diesem Grunde nicht mit seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt leben würde, woraus sich ein Indiz ergeben würde, dass er nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich gekommen sei, völlig absurd seien. Der Beschwerdeführer habe lediglich angegeben, aus finanziellen Gründen nicht mit seiner Lebensgefährtin zusammenzuwohnen. Aus diesen Angaben sei noch nicht einmal ersichtlich, ob für ihn selbst oder seine Lebensgefährtin diese Umstände maßgeblich seien. Jedenfalls könne allein aus dem Umstand, dass Menschen versuchen, ein - wirtschaftlich gesehen - möglichst gutes Leben zu führen, nicht geschlossen werden, ihnen drohe im Heimatland keine Verfolgung. Es sei vielmehr ein natürliches Bestreben der meisten Menschen ein auch - wirtschaftlich gesehen - möglichst gutes Leben zu führen.
Im Rahmen rechtlicher Ausführungen wird dargelegt, dass dem Beschwerdeführer im Irak asylrelevante Verfolgung durch schiitische Milizen aufgrund seiner Religion (sunnitischer Glaube) sowie aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seiner Mutter, da diese aufgrund ihrer Tätigkeit im Staatsdienst von Milizangehörigen bedroht worden sei, drohe. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für den Beschwerdeführer nicht und seien die irakischen Behörden weder fähig, noch willig, den Beschwerdeführer vor einer solchen Verfolgung zu schützen.
Dem Beschwerdeführer hätte der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen, wenn die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen und den vorliegenden Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt hätte.
Was die Spruchpunkte III. bis V. des bekämpften Bescheides betrifft wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer entgegen den Feststellungen der belangten Behörde in Österreich über ein schützenswertes Familienleben mit seiner Lebensgefährtin verfüge. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin seien bereits seit 2016 ein Paar. Das Bundesamt habe den Beschwerdeführer nicht zu seinen sozialen Kontakten befragt und gelangt daher zur unrichtigen Feststellung, der Beschwerdeführer würde in Österreich über kein soziales Netzwerk verfügen. Der Beschwerdeführer habe sich jedoch gesellschaftlich mehrfach engagiert und verfüge allein schon über diese Tätigkeiten über Freundschaften und Kontakte. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer erst seit einem "äußerst kurzen Zeitraum" in Österreich sei, da der Beschwerdeführer seit mittlerweile über drei Jahren hier lebe. Die lange Verfahrensdauer vor der Behörde beruhe auch nicht auf Umständen, die dem Beschwerdeführer anzulasten wären, da dieser stets seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren nachgekommen sei. Der Beschwerdeführer habe ehrenamtlich für die Caritas und Le+O gearbeitet. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer freiwillig als Trainer der YoungCaritas Käfig League gearbeitet, mehrere Deutschkurse besucht und beherrsche Deutsch bereits auf Niveau B1. Er sei Mitglied eines Fußballvereines, studiere derzeit im ersten Semester an der Technischen Universität Wien und besuche zudem einen Deutschkurs B2.1.
Abschließend wird ausgeführt, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der höchstgerichtlichen Rechtsprechung geboten sei. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes betreffend Artikel 47 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (in der Folge als Charta bezeichnet) zur Zahl U 466/11 und U 1836/11 vom 14.03.2012 verwiesen. Im gegenständlichen Fall kommen die Verfahrensgarantien des Artikel 6 EMRK - nach Maßgabe des Artikel 47 der Charta - im Beschwerdeverfahren zur Anwendung. Diesbezüglich verlangte der EGMR in der jüngsten Entscheidung Denk gegen Österreich, 05.12.2013, 23396/09, zwingend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, wenn die Rechtssache erstmals von einem Gericht entschieden wird und eine solche ausdrücklich beantragt wird.
Der Beschwerde ist ein XXXX " angeschlossen.
9. Die Beschwerdevorlage langte am 08.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.
10. Am 10.05.2019 hat der Beschwerdeführer freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe das Bundesgebiet verlassen und ist in den Herkunftsstaat zurückgereist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort zuletzt auch vor seiner Ausreise. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung, er ist formal nach islamischem Ritus verheiratet. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Arabisch und Englisch.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung. Hinsichtlich der diagnostizierten Alopecia areata erhielt der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise eine medikamentöse Behandlung.
Der Beschwerdeführer besuchte im Irak die Grundschule und ein Gymnasium. Nach dem Schulbesuch absolvierte der Beschwerdeführer das Studium "Computer Techniques/ Computer Networks Communication" am Dijlah University College in Bagdad. Dieses Studium schloss der Beschwerdeführer mit der Verleihung eines Bachelor of Engineering (B.Eng.) ab. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit der Hilfe seiner Mutter.
Der derzeitige Aufenthaltsort des Vaters des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar. Ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Bagdad. Die Mutter, die Schwester und eine Großmutter des Beschwerdeführers halten sich in Istanbul auf.
Am 17.09.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal von Bagdad ausgehend in die Türkei. In weiterer Folge gelangte er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und von dort nach Österreich, wo er am 02.10.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Am 10.05.2019 hat der Beschwerdeführer freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe das Bundesgebiet verlassen und ist in den Irak zurückgereist.
1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen oder Übergriffen einer schiitischen Miliz oder eines ihrer Mitglieder aufgrund der beruflichen Tätigkeit seiner Mutter ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
1.4. Der Beschwerdeführer ist - abgesehen von Alopecia areata - ein gesunder und arbeitsfähiger Mensch mit einer umfassenden schulischen und universitären Ausbildung. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie in Anbetracht seines in Bagdad lebenden Onkels mütterlicherseits über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.
1.5. Der Beschwerdeführer hielt sich vom Ende September 2015 bis zum 10.05.2019 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, war Asylwerber und verfügte über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer bezog seit der Antragstellung bis zur Ausreise Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war zuletzt ab 03.07.2017 in einer Unterkunft der Caritas in Wien untergebracht. Er ist in Österreich keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen, ist jedoch grundsätzlich erwerbsfähig und sind etwaige gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers nicht aktenkundig. Er verrichtete jedoch ehrenamtliche Tätigkeiten in der Hilfseinrichtung Le+O - Lebensmittel und Orientierung sowie als Trainer der youngCaritas KäfigLeague - Projekt Refugee.Soccer.League und als Boxer beim Projekt "League of Boxers" der youngCaritas KäfigLeague - Projekt Refugee.Soccer.League.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt, insbesondere im Rahmen seiner Freizeitaktivitäten normale soziale Kontakte, insbesondere auch zu österreichischen Staatsangehörigen. Er besucht ein Fitnessstudio, geht sportlichen Aktivitäten, etwa Fußball, nach und unternimmt Bekannten-, Verwandtschafts- und Kinobesuche sowie Ausflüge mit seiner "Freundin". Der Beschwerdeführer nahm am Projekt StartNOW - Integration ab dem ersten Tag, am Kurs Integrativ, am Modul "Polizei und Sicherheit" am 19.07.2017, am StartWien-Charta Workshop am 24.07.2017, an einem wissenschaftlichen Praktikum an der Universität Wien, an einem Kurs "Einführung ins Programmieren mit Java" an der Technischen Universität Wien und an der TEDxVienna Main Conference "SIMPLEXITY" teil. Des Weiteren betrieb er ab dem Wintersemester 2018/19 an der Technischen Universität Wien das Masterstudium "Telecommunications". Eine Mitarbeiterin der Caritas attestiert ihm unter anderem Unterstützung bei ihrer Arbeit durch seine Kooperationsbereitschaft, Fleiß beim Spracherwerb, Interesse an unterschiedlichen Aktivitäten und Offenheit, Freundschaften mit österreichischen Staatsangehörigen zu knüpfen. Die österreichische "Freundin" hebt in ihrem Unterstützungsschreiben ebenfalls die Offenheit und das Eigenengagement beim Spracherwerb hervor. Des Weiteren betont sie das soziale Engagement des Beschwerdeführers in diversen Projekten und die kommunikative, freundliche und offenherzige Persönlichkeit des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und befindet sich nach eigenen Angaben seit Ende 2015/ Anfang 2016 in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, die er formal nach islamischem Ritus ehelichte. Der Beschwerdeführer lebt mit dieser Person nicht in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und bestehen keine finanziellen Abhängigkeiten zwischen dem Beschwerdeführer und dieser Person. Zu Begegnungen kommt es in der Regel am Wochenende und sind diese fallweise mit sexuellen Handlungen verbunden, zumal die Eheschließung nach islamischem Recht erfolgte, um nach dem religiösen Verständnis des Beschwerdeführers sexuelle Handlungen ausführen zu können. Dass das Verhältnis der Genannten die mit einer Lebensgemeinschaft verbundene Intensität erreicht hat, kann nicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht und zuletzt eine Prüfung auf dem Niveau B1 erfolgreich abgeschlossen. Der Beschwerdeführer verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache, eine Verständigung im Alltag in deutscher Sprache ist möglich.
1.6. Zur aktuellen Lage im Irak werden - wie bereits im angefochtenen Bescheid - folgende Feststellungen unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid zitierten Quellen getroffen:
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 18.5.2018: Parlamentswahlen
Am 12.5.2018 wurden im Irak Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteilung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist (Spiegel Online 17.5.2018). Auf zweitem Platz liegt, nach ersten Ergebnissen, das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt im Zwischenergebnis nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018).
Obwohl die Wahlkommission die Resultate der Wahl zunächst schon am 14.5.2018 veröffentlichen wollte, liegt bis dato kein offizielles Endergebnis vor (Spiegel Online 17.5.2018). Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herum handle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).
KI vom 23.11.2017: Weitere Entwicklungen im Anschluss an das Kurdenreferendum, weitere Rückeroberungen von IS-Gebiet und Update Sicherheitslage mit Fokus auf Bagdad.
Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).
Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).
Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).
Die folgende Grafik zeigt die massiven Gebietsverluste des IS seit Jänner 2015 (Stand 30.10.2017). Der Wüstenbereich nördlich von Al-Qaim wird je nach Quelle als Wüstengebiet oder als IS-Gebiet eingezeichnet (s. untere Karte) eingezeichnet.
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(BBC 3.11.2017)
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(Liveuamap 17.11.2017, Stand 17.11.2017)
Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht.
Beispielhaft wird im Folgenden eine Grafik angeführt, in der die von einer Sicherheitsfirma dokumentierten Vorfälle, die in Kalenderwoche 45 des Jahres 2017 stattgefunden haben, eingezeichnet sind. Die Grafik stellt jedoch nach Angaben der Quelle nicht das gesamte Ausmaß der Gewalt und der Vorfälle dar. Mehrere Vorfälle, bzw. umfangreiche und länger andauernde Gefechte werden jeweils als ein Vorfall zusammengefasst dargestellt. Darüber hinaus bleiben viele Vorfälle auf Grund von Einschränkungen durch die Regierung und Einschränkungen der Kommunikation undokumentiert:
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(CR 14.11.2017)
Bagdad:
Obwohl der IS Bagdad [kontrollgebietsmäßig] nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste - nach der Provinz Ninewa - Anzahl an zivilen Todesopfern. Um ein Beispiel zu nennen: UNAMI berichtet, dass im Februar 2017 120 Zivilisten getötet und 300 verletzt wurden. In demselben Monat im Jahr 2016 war Bagdad der am stärksten betroffene Bezirk, UNAMI berichtete von 277 Todesopfern und 838 Verletzten. (Update: Für den Monat Oktober 2017 berichtet UNAMI 177 zivile Opfer (38 Tote, 139 Verletzte). Wichtig ist, anzumerken, dass diese Zahlen ausschließlich verifizierte Opfer inkludieren und als das absolute Minimum gesehen werden müssen [Anm.: Es gelten die in Abschnitt 3.1 des LIB Irak getätigten Aussagen und Anmerkungen]. Zum Beispiel beinhalten sie auch nicht jene Opfer, die in manchen Teilen der Stadt regelmäßig tot aufgefunden und geborgen werden (MRG 10.2017; UNAMI 1.11.2017). Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, u.a. von Al-Qaeda und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al-Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.
Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).
Terrorattacken:
Terrorattacken werden meist mit verschiedenen Arten von IEDs (Improvised Explosive Devices) ausgeführt, inklusive am Körper getragene ('body-born' oder BBIEDs, in Fahrzeugen transportierte ('vehicle-borne' oder S/VBIEDs) und unter Fahrzeugen befestigte Sprengfallen ('under-vehicle-borne' oder UVBTs). Dabei handelt es sich um typische Taktiken des IS. Sie zielen dabei auf große Menschenansammlungen wie z.B. auf Märkten, in Einkaufszentren und Moscheen ab, wo der Kollateralschaden maximiert werden kann. Auch wenn diese Attacken alle Teile der Stadt treffen können, sind [ethno-religiös] gemischte Gebiete besonders gefährdet. Auch werden Kontrollpunkte regelmäßig angegriffen mit dem Ziel Sicherheitskräfte zu schwächen. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens werden an den Kontrollpunkten selten sorgfältige Fahrzeugdurchsuchungen durchgeführt, weshalb das Problem schwer einzudämmen ist (MRG 10.2017). Es sollte auch erwähnt werden, dass UVBTs besonders häufig verwendet werden, um Individuen zu attackieren. Diese Attentate können durch persönliche oder stammesbezogene Auseinandersetzungen motiviert sein, in spezifischen Fällen sind sie politisch motiviert.
Kidnappings und Entführungen:
Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017). Obwohl die offiziellen Daten nicht veröffentlicht wurden zeigt eine Aufzeichnung des Innenministeriums, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 in Bagdad zumindest 700 Kidnappings stattgefunden haben (MRG 10.2017). Allerdings können sich diese in vielen Fällen überschneiden. Es wurde zum Beispiel berichtet, dass schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten einsetzen. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinter stehen. Milizen haben z.B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendentiell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).
Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren. Anfang 2017 tauchten Berichte auf, dass Sicherheitskräfte eine kriminelle Gruppe zu identifizieren suchten, die auf die Entführung von Kindern in der Gegend um Bagdad al-Jadida spezialisiert war. Im August 2017 veröffentlichte Niqash einen Artikel über eine vor Kurzem vorgefallene Serie an Kidnappings, die gegen Ärzte und medizinisches Personal gerichtet waren. Diese wurden von kriminellen Banden durchgeführt, aber auch von Stämmen, die Wiedergutmachung für Verwandte forderten, die nicht behandelt werden konnten oder die im Spital verstorben waren. Im Mai 2017 wurde eine Gruppe von Studenten und Anti-Korruptions-Aktivisten gekidnappt, angeblich von einer Miliz. Dennoch war einer der meist diskutierten Fällen die Entführung von Afrah Shawqi, einem Journalisten, der nur wenige Tage davor einen Artikel im Al-Sharq al-Awsat über die Straffreiheit von schiitischen Milizen im Irak veröffentlicht hatte. In beiden Fällen wurden die Opfer freigelassen, nachdem großer öffentlicher Druck auf den Premierminister selbst, sowie auf das Innenministerium ausgeübt worden war. Regierungsbeamte und andere politische Führungskräfte wurden ebenso ins Visier genommen wie z.B. bei jenem Fall eines hohen Beamten des Justizministeriums, der im September 2015 gekidnappt wurde, oder jenem Fall eines sunnitischen Stammesführers, dessen Entführung und Ermordung Anlass zu einer Kampagne von Amnesty International wurde (MRG 10.2017). All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnappings mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017).
Schießereien mit Handfeuerwaffen:
Was die Verwendung von Handfeuerwaffen betrifft, können generelle Muster zwischen dem zentralen Gebiet und der Peripherie der Provinz Bagdad unterschieden werden. Morde und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnappings, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde. Im Gegensatz dazu sind Vorfälle mit Handfeuerwaffen im 'Bagdad Belt' üblicherweise gegen Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen gerichtet, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).
Konfessionalismus und Diskriminierung:
Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Dies anzumerken, ist von wichtig, weil von vielen angenommen wurde, dass durch das Ausbreiten des IS ab 2014 frühere Muster an Gewalt nach Bagdad zurückkehren würde. Das hat er auch, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Wie diverse Menschenrechtsberichte gezeigt haben, fachen Terrorattacken des IS in Bagdad viele Arten an Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten an, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten. Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden. Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017). Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich in einer Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).
Sicherheitskräfte in der Provinz Bagdad:
Irakische Sicherheitskräfte (ISF):
Die ISF werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).
Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).
Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu: über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).
Islamischer Staat (IS):
Der IS konnte Mitte 2014 Gebiete im Provinz Bagdad nicht unter seine Kontrolle bringen. Allerdings hat sich IS-Aktivität mehrmals vom angrenzenden Provinz Anbar in den westlichen Bezirk Abu Ghraib ausgeweitet. Teile des 'Bagdad-Belt' sind historisch gesehen Unterstützungsgebiete des IS, welche IS-Attacken in zentraler gelegenen Gebieten Bagdads ermöglichen (MRG 10.2017).
In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).
Popular Mobilization Forces (PMF):
[Erläuterungen zu den PMF siehe auch Länderinformationsblatt Irak Abschnitt 3.2.2]
Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).