TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 W192 2227805-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W192 2227805-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2019, Zahl 1240188510-190766676, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 28.07.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am darauffolgenden Tag gab der Beschwerdeführer an, der Volksgruppe der Tadschiken und dem islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung anzugehören. Der Beschwerdeführer stamme aus Kunduz, habe Afghanistan rund ein Jahr zuvor gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Bruder und seiner Schwester verlassen und sei über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn illegal und schlepperunterstützt nach Österreich gereist. Er habe Afghanistan wegen der Taliban verlassen, welche seinen Vater getötet hätten. Da der Beschwerdeführer selbst eine Militärausbildung gemacht habe, seien er selbst und seine Familie von den Taliban bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von den Taliban getötet zu werden.

Am 25.11.2019 erfolgte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nach Zulassung seines Verfahrens eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers.

Zu Beginn legte der Beschwerdeführer eine afghanische Armeekarte, zwei Bankkarten, einen afghanischen Fußballausweis sowie ein Konvolut an Urkunden zum Beleg seiner Ausbildung beim afghanischen Militär vor. Der Beschwerdeführer führte aus, er habe in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht, jedoch keinen Abschluss erlangt, da er eine Militärausbildung machen wollte. In seiner Kindheit sei er aufgrund der problematischen finanziellen Situation seiner Familie teils beruflichen Tätigkeiten, wie dem Verkauf von Wasser, nachgegangen. In Afghanistan hätte der Beschwerdeführer finanziell für seine Familie gesorgt. Der Beschwerdeführer habe in Kabul eine neun- bis zehnmonatige militärische Ausbildung abgeschlossen, welche ein körperliches Training sowie eine Ausbildung im Gebrauch von Waffen beinhaltet habe. Nach einer sechsmonatigen Ausbildung habe der Beschwerdeführer drei Monate lang Logistik gelernt und sei im Anschluss in Badakhshan vier Monate im Lagerbereich beschäftigt gewesen. Der Beschwerdeführer sei in Kunduz geboren, habe dort während des Talibanregimes gelebt, sei dann mit seiner Familie nach Kabul gekommen und im Anschluss wieder in sein Dorf zurückgekehrt. Zuletzt habe er in Kabul gelebt. In Afghanistan (Kabul) halte sich derzeit noch der Großvater mütterlicherseits des Beschwerdeführers mit dessen Familie - dabei handle es sich um seine Frau, seine drei Söhne und deren jeweilige Familien - auf. Sein Vater sei bereits verstorben; über den aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter und seiner Geschwister sei er nicht in Kenntnis, der letzte Kontakt zu diesen habe an der türkisch-griechischen Grenze stattgefunden. Außerhalb Afghanistans habe der Beschwerdeführer ansonsten lediglich seine in Österreich als Konventionsflüchtling lebende Tante. Im Anschluss erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den ihm im Vorfeld der Einvernahme übermittelten Berichten zur Lage in Afghanistan, wobei er insbesondere auf die allgemein prekäre Sicherheitssituation in seinem Heimatland verwies. Seit Verlassen des Heimatlandes habe er häufig Probleme beim Atmen, habe sich jedoch diesbezüglich noch nicht in ärztliche Behandlung in Österreich begeben. An Medikamenten verwende er derzeit einen Spray, zudem habe er eine Überweisung zum Lungenfacharzt erhalten.

Zum Grund seiner Flucht beschrieb der Beschwerdeführer seine sechsmonatige Tätigkeit für eine näher bezeichnete militärische Einheit zunächst in Mazar-e Sharif und im Anschluss für zwei Monate in Badakhshan. Dort ansässige Paschtunen, welche allesamt den Taliban angehört hätten, hätten von der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Militär erfahren und irgendwie dessen Telefonnummer herausgefunden. Diese hätten ihn telefonisch bedroht und ihn aufgefordert, anstatt für das Militär für sie tätig zu werden, andernfalls würden sie seine Familie töten. Der Beschwerdeführer habe dies nicht gewollt und habe seiner Familie geraten, das Haus zu verlassen, woraufhin diese nach Kabul gegangen sei. Der Beschwerdeführer sei in der Folge desöfteren telefonisch bedroht worden und habe aus diesem Grund nicht mehr in seine Heimatprovinz Kunduz zurückkehren können. Der Beschwerdeführer sei dann zu seinem Großvater nach Kabul gezogen. Eines Tages habe er mit seinem Cousin an einem näher bezeichneten Ort einkaufen wollen, als drei Leute mit abgedeckten Gesichtern aus einem Auto gestiegen und mit Messern in den Händen auf sie losgegangen wären. Diese hätten sie töten oder verletzen wollen; der Beschwerdeführer sei weggelaufen, sein Cousin sei jedoch an der Hand mit dem Messer verletzt worden. Kurze Zeit später habe jemand versucht, seine Tante mit dem Motorrad zu überfahren. Der Beschwerdeführer habe in einem Krankenhaus nach dieser gesucht und erfahren, dass sie ums Leben gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe in der Folge ein Geschäft eröffnet, um Geld für die Familie verdienen zu können. Eines nachts sei er telefonisch informiert worden, dass sein Geschäft in Brand gesetzt worden sei; der Beschwerdeführer sei zum Geschäft gegangen und habe dort zwei Personen auf Motorrädern vorgefunden, welche auf ihn geschossen hätten. Dem Beschwerdeführer sei die Flucht zu einer nahegelegenen Polizeistation gelungen, wo seine Anzeige aufgenommen worden wäre. Auch von der Familie väterlicherseits in Faryab sei über immer wieder stattgefundene Bedrohungen aufgrund der Tätigkeit des Beschwerdeführers für das Militär berichtet worden. Dann habe der Beschwerdeführer den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen.

Ein weiteres Problem habe darin bestanden, dass die bei der Einvernahme anwesende Tante des Beschwerdeführers Probleme mit ihrem Mann gehabt hätte, welcher ihren Besitz an sich nehmen wollte. Dies habe insofern mit dem Beschwerdeführer zu tun, als auch er von diesem Mann bedroht worden sei, da er seiner Tante geholfen hätte, nach Europa zu kommen. Ihr Mann sei ebenfalls beim Militär gewesen und sei eines Abends bewaffnet nach Hause gekommen und hätte gedroht, dass er sie töten möchte.

Zwischen dem Vorfall, an dem das Geschäft des Beschwerdeführers niedergebrannt worden sei und der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan habe eine Zeitspanne von einem Jahr gelegen. Darauf angesprochen, dass aus den bisherigen Ausführungen des Beschwerdeführers nicht klar hervorginge, was für ihn der fluchtauslösende Moment gewesen wäre, verwies der Beschwerdeführer auf die immer wiederkehrenden telefonischen Bedrohungen, derentwegen er sich entschlossen hätte, Afghanistan zu verlassen. Am Telefon hätten sie immer gesagt, dass sie ihn auf jeden Fall töten würden, wenn er nicht zu ihnen käme. Nach Vorhalt, dass sich diese telefonischen Bedrohungen über einen längeren Zeitraum gezogen hätten und gefragt, was letztendlich der Auslöser des Ausreisentschlusses gewesen wäre, gab der Beschwerdeführer an, er hätte sich zur Flucht entschlossen, als sein Geschäft verbrannt worden wäre. Auf die Frage, weshalb er nachdem er sich zur Ausreise entschlossen hätte, noch ein Jahr in Afghanistan verblieben wäre, meinte der Beschwerdeführer, er hätte das Militär verlassen und gedacht, dass er jetzt vielleicht ein normales Leben haben und in Ruhe gelassen werden würde. Aber sie hätten trotzdem nicht damit aufgehört. Dass er dennoch so lange bis zur Ausreise zugewartet hätte, begründete er damit, dass es nicht so einfach gewesen sei, illegal auszureisen und seine Mutter zudem gesundheitliche Probleme gehabt hätte. Sein Großvater und die weiteren in Afghanistan verbliebenen Familienmitglieder seien infolge der Ausreise des Beschwerdeführers nicht mehr bedroht worden, man hätte nur nach ihm gesucht. Zum Vorhalt, dass seine Aussagen, wonach einerseits seine gesamte Familie bedroht worden wäre - wobei sogar seine Tante getötet und seine Verwandten in Faryab bedroht worden seien - anderseits die Bedrohung aber lediglich ihm persönlich gegolten haben solle, einander widersprechen würden, meinte der Beschwerdeführer, dass seine Angehörigen, solange er sich in Afghanistan aufgehalten hätte, ebenfalls unterdrückt gewesen wären. Als er Afghanistan verlassen habe, hätten "sie" dies auch mitbekommen. Auf die Frage, was er innerhalb des Jahres zwischen der Niederbrennung seines Geschäfts und seiner Ausreise gemacht hätte, gab der Beschwerdeführer an, er hätte nichts mehr gemacht und sie seien nach Europa gekommen. Zum Vorhalt, dass es innerhalb Afghanistans auch relativ sichere Gebiete wie Balkh oder Herat gebe und befragt, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, in eine dieser Provinzen zu übersiedeln, antwortete der Beschwerdeführer, es sei schwierig, auch wenn man in eine andere Provinz ginge; es sei dann schwierig, eine Arbeit zu finden, auch wenn man keine Wohnung hätte. Befragt, weshalb er für die Taliban immer noch eine solche Wichtigkeit besitzen sollte, als dass diese ihre Ressourcen dafür aufwenden sollten, ihn im gesamten afghanischen Staatsgebiet suchen zu lassen, trotzdem er sich bereits seit einem Jahr nicht mehr dort aufhalte, bestätigte der Beschwerdeführer, dass es seit etwa einem Jahr vorbei sei; dennoch könnte es sein, dass sie im Falle einer Rückkehr wieder solche Probleme bekommen würden.

Der Beschwerdeführer sei nie politisch aktiv gewesen, habe keine Probleme mit den Behörden seines Herkunftsstaates erlebt und sei keiner Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit ausgesetzt gewesen. Er könne nicht wieder nach Afghanistan zurückkehren, da sein Leben dort in Gefahr wäre; wenn er zurückkehre, würden sie ihn finden und töten.

Seinen Alltag in Österreich verbringe er hauptsächlich mit Sport, zudem besuche er einen Deutschkurs.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit, sowie die Herkunft des Beschwerdeführers aus der Provinz Kunduz fest. Als nicht glaubhaft erachtet werde, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan eine Militärausbildung abgelegt hätte.

Dies wurde in der Beweiswürdigung mit Diskrepanzen in zeitlicher Hinsicht zwischen den verbalen Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Ausbildung und den hierfür in Vorlage gebrachten Unterlagen begründet. So habe dieser angegeben, Ende des Jahres 2015 respektive Anfang des Jahres 2016 mit der militärischen Ausbildung begonnen zu haben, auf der vorgelegten Armeekarte werde jedoch angeführt, dass er bereits im August 2015 den militärischen Rang eines zweiten Leutnants innegehabt hätte. Zudem würden die vorgelegten Zertifikate dessen Teilnahme an Kursen, u.a. einem solchen für Offiziere, im ersten Halbjahr 2015 anführen. Notorisch sei, dass in Afghanistan Dokumente jeglichen Inhaltes gegen eine entsprechende Geldzahlung erworben werden könnten, sodass insgesamt nicht von einer Authentizität der vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel ausgegangen werden könne. Aufgrund der ehemaligen Tätigkeit der in Österreich asylberechtigten Tante des Beschwerdeführers als Pilotin beim afghanischen Militär bestehe die Vermutung, dass diese ihr Wissen über das afghanische Militär mit dem Beschwerdeführer geteilt haben könnte.

Eine Verfolgung seiner Person durch die Taliban habe er nicht glaubhaft dargestellt.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sein diesbezügliches Vorbringen in Teilen widersprüchlich und realitätsfremd gestaltet hätte. Wie angesprochen, sei die ehemalige Tätigkeit des Beschwerdeführers für das afghanische Militär anzuzweifeln; selbst wenn diese jedoch den Tatsachen entspreche, so würde dieser als Logistikmitarbeiter nicht als "high profile-target" für nicht ortsansässige Taliban-Mitglieder gelten. Dass die Taliban ihre Ressourcen dafür aufwenden würde, um einen einfachen Lagermitarbeiter, welcher jene Arbeit aufgrund der Bedrohung durch die Taliban zudem bereits niedergelegt hätte, im gesamten afghanischen Staatsgebiet ausfindig zu machen um diesen und dessen Familie weiterhin zu bedrohen, sei als im hohen Maße unglaubwürdig zu erachten. Weshalb der Beschwerdeführer nach Beendigung seiner Tätigkeit weiter verfolgt werden hätte sollen -wobei es selbst zur Brandstiftung an seinem Geschäft und zur Ermordung einer seiner Tanten gekommen wäre - erschließe sich keinesfalls. Zudem entbehre es jeglicher Realität, dass der Beschwerdeführer als Tadschike Ziel einer zwangsweisen Anwerbung durch die Taliban, einer hauptsächlich aus Paschtunen bestehenden kriminellen Vereinigung, hätte werden sollen. Weiterhin sei es angesichts der Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach die Bedrohungslage seiner gesamten Familie gegolten hätte, nicht erklärlich, weshalb es seinen zahlreichen Angehörigen seit dessen Ausreise möglich sei, unbehelligt an verschiedenen Orten des Herkunftsstaates zu leben, dies obwohl sie dem Beschwerdeführer bei der Ausreise aus Afghanistan geholfen hätten; dessen Erklärung, die Bedrohung habe sich ausschließlich auf seine Person bezogen, stünde im auffallenden Widerspruch zur zuvor getätigten Aussage einer Bedrohung der gesamten Familie. Hätten die Taliban beabsichtigt, den Beschwerdeführer zu töten, könne nicht nachvollzogen werden, weshalb sie dessen Geschäft ausgerechnet an einem Abend, an welchem er sich ausnahmsweise nicht dort aufgehalten hätte, abgebrannt hätten, anstatt sicherzustellen, dass er sich am Ort des Anschlages aufhalte. Im gleichen Zusammenhang sei es auch nicht realitätsnah, dass zwei Mitglieder der Taliban auf den Beschwerdeführer geschossen hätten, diesem jedoch unbeschadet die Flucht gelungen sei. Völlig unverständlich sei weiters, dass sich der Beschwerdeführer - trotzdem er sich infolge des Anschlages auf sein Geschäft sowie des versuchten Schussattentats der Lebensgefahr bewusst sein musste - noch ein weiteres Jahr in Kabul aufgehalten hätte. Eine Person in der von ihm geschilderten Situation würde sich vielmehr schnellstmöglich in Sicherheit bringen wollen, anstatt zuzuwarten, ob sich die Lebenssituation eventuell wieder normalisiere. Auch habe sich der Beschwerdeführer bei Schilderung seiner Aufenthaltsorte innerhalb Afghanistans teils widersprochen. Aus den Angaben des Beschwerdeführers zu den Gründen, die seiner Ansicht nach einem innerstaatlichen Umzug entgegengestanden hätten, werde schließlich ersichtlich, dass für diesen nicht eine Gefährdung seines Lebens, sondern wirtschaftliche Gründe im Vordergrund gestanden hätten. Selbst wenn die Fluchtgründe des Beschwerdeführers einen wahren Kern besitzen würden, wäre es ihm möglich gewesen, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif in Anspruch zu nehmen, da es in Afghanistan kein Meldewesen gebe und der Beschwerdeführer nicht als "high profile-Ziel" zu qualifizieren sei. Auch unter Berücksichtigung der Vernetzung der Taliban sei nicht erklärlich, weshalb diese ihre Ressourcen ausgerechnet für eine Suche nach dem Beschwerdeführer aufwenden sollten. Da der Beschwerdeführer demnach Fluchtgründe, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählt wären, nicht glaubhaft vorgebracht hätte, sei Asyl nicht zu gewähren gewesen.

Der Beschwerdeführer sei aus wirtschaftlichen Gründen von einem sicheren Drittstaat kommend nach Österreich eingereist. Eine sichere Rückkehr in seine Herkunftsprovinz sei dem Beschwerdeführer aufgrund der dort stattfindenden militärischen Operationen und Kamphandlungen nicht möglich, jedoch stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif zur Verfügung. Die Sicherheitslage in Kabul sei relativ stabil. Die afghanische Regierung behalte weiterhin die Kontrolle über Kabul, Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen fänden grundsätzlich auf Einrichtungen der Regierung und ausländischer Organisationen statt, die zivile Bevölkerung stelle hingegen kein Angriffsziel terroristischer Gruppierungen dar. Mazar-e Sharif liege in einer als sicher und friedlich beschriebenen Provinz und gelte außenpolitisch, infrastrukturell und gesellschaftlich als "Vorzeigestadt" Afghanistans. Beide Städte seien auf dem Luftweg sicher erreichbar. Die Versorgungslage in beiden Städten sei grundsätzlich gesichert. Der Beschwerdeführer leide an keinen Erkrankungen, welche einer Rückkehr entgegenstünden und verfüge über ein stabiles familiäres Auffangnetz in Kabul sowie über ein weitgestreutes verwandtschaftliches Netz in Badakhshan und Faryab. Von diesen Netzen könnte er bei einer Neuansiedelung ebenso wie von Seiten der in seinem Herkunftsstaat tätigen internationalen Organisationen Unterstützung erfahren. Der Beschwerdeführer, welcher den weit überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht hätte und mit den dortigen kulturellen Gegebenheiten und der Sprache vertraut sei, verfüge über Arbeitserfahrung, könnte grundsätzlich eigenständig für seinen Unterhalt sorgen und liefe im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr, in eine aussichtslose Lage zu geraten.

Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 seien im Verfahren nicht zu Tage getreten. Der Beschwerdeführer habe sich nach einer illegalen Einreise lediglich aufgrund der Stellung eines Asylantrages in Österreich aufgehalten, es bestehe kein schützenswertes Privat- und Familienleben und würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erfordern.

3. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 15.01.2020 fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde vorgebracht, die belangte Behörde habe das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht korrekt gewürdigt. So sei es nicht richtig, dass die Taliban lediglich "high profile-targets" ausfindig machen wollten und der Beschwerdeführer als Logistikmitarbeiter nicht als solches Ziel erachtet werden könne. Zahlreiche Berichte würden belegen, dass auch eine einfache Tätigkeit für die Regierung ausreiche, um ins Visier der Taliban zu gelangen. Dass der Beschwerdeführer dem Willen der Taliban durch Beendigung seiner Tätigkeit für das Militär entsprochen hätte, sei ebenso unzutreffend, da es Ziel der Taliban gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer sich ihnen anschließe und für diese kämpfe. Objektive Berichte würden überdies belegen, dass immer mehr Mitglieder der Taliban anderen Volksgruppen als jener der Paschtunen angehörig seien. Den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ließe sich entnehmen, dass Personen, die für die Regierung oder die Amerikaner gearbeitet hätten, wie auch deren Familien, zu den Zielgruppen regierungsfreundlicher Gruppierungen zählen würden und im besonderen Maße gefährdet seien, Opfer von Entführungen, Tötungen oder sonstigen Übergriffen zu werden. Außerdem bestünde für den Beschwerdeführer zumindest das Risiko, durch Zufall - aufgrund der hohen sozialen Kontrolle - von den Taliban entdeckt und identifiziert zu werden, sodass es ihm kaum möglich wäre, in der Anonymität von Großstädten unterzutauchen. Die Behörde habe die vom Beschwerdeführer zum Beleg seiner militärischen Ausbildung vorgelegten Beweismittel in keiner Weise überprüft, sodass die Ausführungen dazu, dass diese falsch wären, nicht plausibel wären. Die Verfolgungsfurcht des Beschwerdeführers bestehe nach dem festgestellten Sachverhalt landesweit. Die Taliban würden über ein landesweit dichtes Netzwerk verfügen, das ihnen die nötigen Informationen liefere, um Individuen aufzuspüren, zuzuordnen und einzuschüchtern. Es könne demnach nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer andernorts in Afghanistan vor Nachstellungen der Taliban sicher wäre. Der Beschwerdeführer habe beim afghanischen Sicherheitsdienst gearbeitet und würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit weiteren Verfolgungshandlungen durch regierungsfeindliche Gruppen aus politischen Gründen ausgesetzt sein. Die Behörde hätte auch berücksichtigen müssen, dass der Beschwerdeführer, welcher sich mit 25 Jahren im wehrfähigen Alter befände, von den Taliban rekrutiert hätte werden sollen. Der Beschwerdeführer gehöre demnach der sozialen Gruppe jener Personen an, die im wehrfähigen Alter seien und von einer Zwangsrekrutierung durch radikale Gruppierungen bedroht seien. Die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit dem gesamten individuellen Vorbringen sachgerecht auseinanderzusetzen und diesbezüglich ein adäquates Ermittlungsverfahren zu führen. Die allgemeinen Informationen zu Afghanistan würden sich jedenfalls mit den Angaben des Beschwerdeführers decken. Da der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr Gefahr liefe, in eine ausweglose Lage zu geraten und einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbarer Einschränkung von Menschenrechten ausgesetzt sein würde, sei diesem zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren. In der Aktualisierung der UNHCR-Richtlinien zum Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan sei festgestellt worden, dass keine stabilen Gebiete zu erkennen seien, weshalb sich eine Abschiebung als unzulässig erweise. Beantragt wurden u.a. die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Muslim. Seine Identität steht nicht fest. Er stammt aus der Provinz Kunduz. Der Beschwerdeführer beherrscht Dari auf muttersprachlichem Niveau, hat in Afghanistan zwölf Jahre lang die Schule besucht und grundlegende Berufserfahrung gesammelt. Der Beschwerdeführer hat im Vorfeld der Ausreise zumindest ein Jahr lang in Kabul gelebt, wo sich unverändert sein Großvater mütterlicherseits, drei Onkeln und weitere Angehörige aufhalten und in guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Desweiteren hat der Beschwerdeführer Angehörige väterlicherseits in den Provinzen Faryab und Badakhshan. Die Mutter und Geschwister des Beschwerdeführers sind seinen Angaben zufolge gemeinsam mit ihm aus Afghanistan ausgereist, wobei es im Zuge der Reisebewegung zu einer Trennung und einem seitherigem Kontaktverlust gekommen sei. Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Sommer 2018 und reiste im Anschluss über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland und weitere Staaten nach Österreich ein, wo er am 28.07.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat verlassen, um in Europa bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Die als fluchtkausal geltend gemachte Bedrohung des Beschwerdeführers durch Taliban wegen einer früheren Tätigkeit für das afghanische Militär respektive eine dem Beschwerdeführer konkret drohende Zwangsrekrutierung oder sonst individuelle Verfolgung durch die Taliban ist nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer hätte im Falle seiner Rückkehr keine Verfolgung seitens einer Talibangruppierung zu befürchten.

Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es wird - wie im angefochtenen Bescheid - zugrunde gelegt, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kunduz in Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Bei einer Ansiedelung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in den Städten Mazar-e Sharif oder Kabul, besteht für den Beschwerdeführer als leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine konkrete Gefahr, einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit zu erleiden und liefe der Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im Juli 2019 durchgehend auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig, ist ledig und hat keine Kinder. Mit Ausnahme einer asylberechtigten Tante, zu welcher der Beschwerdeführer in keinem besonderen Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis steht, hat der Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten und keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen. Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht, jedoch keinen Nachweis über eine absolvierte Sprachprüfung erbracht. Dieser hat seinen Alltag im Bundesgebiet vorwiegend mit Sport verbracht und keine Bindungen in gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht aufgebaut. Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt durch den Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung, ging bislang keiner Erwerbstätigkeit oder ehrenamtlichen Arbeit im Bundesgebiet nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

Bild kann nicht dargestellt werden

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden di

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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