TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/11 W114 2201575-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.03.2020
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Entscheidungsdatum

11.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W114 2201575-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 15.06.2018, Zl. 1098129000-151944743, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.02.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX , geboren am XXXX , (im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF), ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem, stellte am 07.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei der am 07.12.2015 erfolgten Erstbefragung vor dem Stadtpolizeikommando Linz gab der Beschwerdeführer an, verheiratet zu sein und keine Kinder zu haben. Er stamme aus der Provinz Kabul, in Afghanistan. Er habe zwölf Jahre lang eine Grundschule in Afghanistan besucht und eineinhalb Jahre an einer Universität in Afghanistan Wirtschaft studiert. Seine Ehefrau, seine Eltern, sein Bruder und seine drei Schwestern würden sich noch in Afghanistan befinden. Er sei schlepperunterstützt aus Afghanistan geflüchtet. Die Kosten seiner Schleppung hätten USD 3.000,- betragen.

Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF in der Erstbefragung aus, dass er in seinem Dorf der einzige Hazara gewesen sei und von den sunnitischen Dorfbewohnern schlecht behandelt worden wäre. Seine finanzielle Situation sei nicht gut gewesen. Taliban hätten angerufen und ihn aufgefordert, sein Studium zu beenden; ansonsten würden sie ihn töten. Als er einmal in der Nacht von einem Auto verfolgt worden sei, habe er Angst bekommen und daher beschlossen, Afghanistan zu verlassen.

3. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 28.02.2018 gab der BF an, gesund zu sein. Unter Hinweis auf eine von ihm selbst vorgelegte Tazkira wies er selbst darauf hin, dass er am XXXX geboren sei und sich bei der Ersteinvernahme beim von ihm selbst angegebenen Geburtsjahr geirrt habe. Er sei traditionell verheiratet. Er stamme aus dem Dorf XXXX , welches sich im Distrikt Qarabagh, in der Provinz Kabul befinde. Dort habe er gemeinsam mit seiner Familie und seiner Ehefrau in einem Haus gelebt, welches im Eigentum seiner Familie stehe. In Mazar-e Sharif besitze seine Familie Grundstücke, die jedoch nicht bewirtschaftet werden würden. Seine Ehefrau, seine Eltern, seine Geschwister und seine Tanten hätten etwa zwei Monate, nachdem der BF geflüchtet sei, ebenfalls Afghanistan verlassen und würden derzeit im Iran leben. Mit seiner Kernfamilie habe er ein bis zweimal je Woche Kontakt. Das Wohnhaus der Familie sei vermietet und die Miteinnahmen würden von seinem Onkel mütterlicherseits eingehoben werden. Mit seinem Onkel in Afghanistan habe er etwa einmal im Monat Kontakt. Zudem habe er in Afghanistan in der Provinz Kabul auch zwei gute Freunde, mit denen er in Kontakt stehe. Abweichend von seinen Angaben in der Erstbefragung berichtete der Beschwerdeführer, dass die Bevölkerung in seinem Heimatdorf zu ca. 1/8 Hazara und Schiiten gewesen wären. Es habe in seinem Dorf auch eine schiitische Moschee gegeben.

Als Kind habe der BF seinem Vater bei Schweißerarbeiten geholfen. Er habe in 13 Jahren 12 Klassen einer Schule besucht und habe "maturiert". Vor seiner Flucht habe er vormittags in einem Unternehmen gearbeitet, welches Wasserspeicher hergestellt habe; abends habe er eine Universität besucht. Sein Vater habe einen LKW gehabt und damit Waren transportiert. Der Beschwerdeführer sei zwei Jahre lang Mitglied der Wahdat-Partei gewesen und habe manchmal an Versammlungen teilgenommen. Bei Bedarf habe er mitgeholfen. Befragt nach diesem "Mithelfen" konkretisierte der Beschwerdeführer:

"Freitags hat der Parteivorstand viele Gäste empfangen. Wir standen am Empfang. Im Jahr 1393 (damit ist das Jahr 2014 gemeint) waren Präsidentschaftswahlen, wir haben mitgeholfen, Plakate zu drucken. Das war¿s. Nachgefragt war ich ansonsten mit keinen anderen Tätigkeiten bei der Partei beschäftigt. Donnerstags haben wir die Vorbereitung für den Gästeempfang organisiert, wie z.B. Teezubereitung usw."

Insgesamt habe er für seine Flucht ca. EUR 6.000.-- bezahlt. Diese Kosten für diese Flucht hätten er und sein Vater angespart gehabt; 500 oder 600 US Dollar habe er sich von seiner Schwester, die verheiratet sei, ausgeborgt.

Befragt, zu seinem Fluchtgrund, führte der BF aus, dass er von einer Person (erst über Nachfrage nannte er den Namen und erklärte, dass XXXX in der Nähe seines Hauses gelebt habe) aufgefordert worden wäre, ihm gegen ein monatliches Entgelt von USD 300.--, Informationen über die Universität und über die Partei zu verschaffen. Dieses Angebot habe der BF abgelehnt. XXXX habe ihn sehr oft telefonisch kontaktiert bzw. versucht telefonisch zu erreichen. Er habe jedoch die Anrufe nicht entgegengenommen. Der BF gehe davon aus, dass XXXX ein Mitglied der Taliban sei, da dieser nachts von Menschen in Autos oder auf Motorrädern Besuch erhalten habe. Dabei habe es sich um "keine normalen Personen" gehandelt. Der BF habe nachts mehrmals XXXX mit einer Kalaschnikow bewaffnet gesehen. Nach mehreren vergeblichen Anrufen, habe XXXX den BF persönlich bedroht.

Einige Tage später habe er in der Nacht bemerkt, dass er von zwei Personen aus dem Umfeld von XXXX beobachtet und am Heimweg in einem Auto verfolgt worden wäre. Es sei ihm jedoch gelungen seinen Verfolgern zu entkommen und zu einem Freund zu flüchten. Nach diesem Vorfall habe er sich mit seinem Vater bei seinem Freund getroffen. Dieser habe ihm Geld gegeben. Der Freund habe einen Schlepper organisiert, sodass er um Mitternacht habe fliehen können.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, dass er gefunden werde, zur Kooperation gezwungen oder getötet zu werden.

4. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 15.06.2018, Zl. 1098129000-151944743, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der BF keinen Fluchtgrund habe glaubhaft und schlüssig darlegen können. Nicht nachvollziehbar sei insbesondere, dass die Taliban überhaupt Interesse am BF gehabt hätten, zumal er lediglich einfache Hilfstätigkeiten für eine Partei geleistet habe. Die vom BF geschilderte Verfolgung, wobei dieser von einem Auto verfolgt worden wäre und Männer ihm aus dem Auto zugerufen hätten, stelle noch keine individuelle Verfolgung dar. Unschlüssig sei weiters, dass sich der BF nicht an die Sicherheitsbehörden gewandt habe. Eine akute Bedrohungssituation sei auch für seine Familie nicht vorgelegen, da seine Verwandten erst zwei Monate, nachdem der BF geflüchtet sei, aus Afghanistan ausgereist wären. Eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara bzw. aufgrund seines schiitischen Glaubens, habe der BF ebenfalls nicht glaubhaft dargelegt. Der BF könne nach Kabul zurückkehren, zumal der BF dort über familiäre Anknüpfungspunkte und familiären Grundbesitz verfüge. Er verfüge weiters über Schulbildung, Universitätsbildung und Arbeitserfahrung und könne mit finanzieller Unterstützung seiner Familie rechnen.

Dieser Bescheid wurde dem BF am 20.06.2018 durch Hinterlegung zugestellt.

5. Gegen diese Entscheidung erhob der BF, vertreten durch XXXX , mit Schriftsatz vom 05.07.2018, eingelangt beim BFA am 11.07.2018, Beschwerde.

Begründend führte der Beschwerdeführer aus, dass er sein Fluchtvorbringen glaubhaft und substantiiert dargelegt habe. An die Polizei habe sich der BF nicht gewandt, da eine tatsächliche Schutzgewährung durch die staatlichen Behörden nicht möglich gewesen wäre. Er sei aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie aufgrund seiner Tätigkeit für die Partei Hezb-e Wahdat verfolgt worden. Aus diesem Grund habe auch seine Familie Afghanistan verlassen. Der BF verwies auch auf die allgemeine schlechte Situation in Afghanistan. Aufgrund seiner Integration, wäre ihm jedenfalls ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen.

Als Nachweis seiner berücksichtigungswürdigen Gründe legte der Beschwerdeführer ein Zertifikat des Prüfungszentrums der WIFI OÖ GmbH in Linz vom 20.12.2017, in welchem bestätigt wird, dass er die Prüfung "ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1" mit befriedigend bestanden hat, sowie eine Beurteilung der Schule für Sozialbetreuungsberufe des Sozialhilfeverbandes Linz-Land vom 26.06.2018 vor, in dem bestätigt wird, dass der BF vom 19.06.2018 bis 26.06.2018 ein Schnupperpraktikum absolviert habe.

6. Die Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 24.07.2018, mit Schreiben des BFA vom 23.07.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

7. Gemeinsam mit der Ladung zur Beschwerdeverhandlung vom 08.01.2020 wurden dem Beschwerdeführer Länderinformationen zu Afghanistan zugänglich gemacht und ihm die Möglichkeit geboten, dazu eine Stellungnahme abzugeben.

8. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 25.02.2020 wurde der Beschwerdeführer von der XXXX vertreten. Die Verhandlung fand im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt.

In dieser Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft sowie zu seinen Fluchtgründen befragt.

Befragt zu seinen Fluchtgründen steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen neuerlich und behauptete in seiner Partei Hezb-e Wahdat eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Position innegehabt zu haben. Er habe neben dem Parteiführer, einer Person im Sekretariat der Partei und vier weiteren Personen im Bereich des Empfanges, somit als einer von nur wenigen Parteimitgliedern Zugang zu Informationen betreffend die Gästeliste und Besuchszeiten der Freitagsbesuche gehabt. In diesem Computer, wären auch Informationen über Parteimitglieder abgespeichert gewesen, wobei diese Datensätze keine kompromittierenden Informationen enthalten hätten. Der Beschwerdeführer sei bei den Treffen anwesend gewesen und habe an allen Gesprächen teilgenommen. Er habe auch über Informationen verfügt, wann und wo Parteimitglieder an Gesprächen auswärts teilnehmen würden. Er sei auch über die Gesprächsthemen und Inhalte informiert gewesen.

Die Frage, über welche Informationen er verfügt habe, die so wertvoll wären, dass dem BF dafür Geld geboten worden wäre, beantwortete er damit, dass er Zugang über die Zeitpläne der Freitagsbesuche beim Parteivorsitzenden verfügt habe. Darüber hinaus habe er als ein von wenigen Mitgliedern seiner Partei Zugang zu einem Computer gehabt, in dem Daten über Parteimitglieder und Parteiangelegenheiten abgespeichert gewesen wären. Die Frage, über welche wertvollen Informationen er über die von ihm besuchte Universität verfügt habe, die so wertvoll wären, dass ihm dafür auch Geld angeboten worden wäre, beantwortete er mit dem Hinweis, dass es sich um eine Universität handle, die insbesondere von Hazara besucht worden wäre.

Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund seiner politischen Gesinnung sowie aufgrund seiner Weigerung mit den Taliban zusammenzuarbeiten, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in gesamten Staatsgebiet verfolgt werden. Durch seine politische Tätigkeit sei der BF als "High Profile" einzustufen. Ebenfalls könnte der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan, von den Taliban erneut aufgefordert werden, Informationen über die Partei und über die Universität zu beschaffen.

Zwei Freunde des Beschwerdeführers aus Kabul hätten ihm mitgeteilt, dass XXXX und Personen, die mit ihm gesehen worden wären, in seinem Heimatdorf nach dem BF und seiner Familie gefragt hätten.

Der Beschwerdeführer verwies im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung neuerlich auf "seine außergewöhnliche Integration" und legte diverse Schulbesuchsbestätigungen, verbunden mit dabei verpflichtend zu absolvierenden Praktika in Sozialeinrichtungen hinsichtlich einer Ausbildung zum Altenpfleger, sowie diverse Unterstützungserklärungen vor.

Abschließend wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass ihm als hochrangige Zielperson in Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit in Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA vom 28.02.2018, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der Stellungnahme des BF vom 24.02.2020, der im Asyl- bzw. Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vom 25.02.2020 und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Unterlagen des Verwaltungsverfahrens, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem bezüglich des BF und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, den EASO-Länderleitfaden und EASO-Berichte betreffend Afghanistan, EASO Country Guidance: Afghanistan; Guidance note and common analysis vom Juni 2019, einen Bericht des Generalsekretariats der UNO zur Situation in Afghanistan und deren Auswirkungen auf den internationalen Frieden und die Sicherheitslage vom 14.06.2019, einen UNAMA-Bericht über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten vom Juli 2019, einen Amnesty International-Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019) vom 30.01.2020, eine ACCORD Anfragebeantwortung zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul, in die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, diverse aktuelle Medienberichte hinsichtlich von Verhandlungen zwischen den Taliban und den USA, die zu einem Abkommen am 29.02.2020 geführt haben, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Vorort von Kabul XXXX , welcher sich im Distrikt Qarabagh, in der Provinz Kabul befindet. Seine Muttersprache ist Dari, eine in Afghanistan sehr gebräuchliche Sprache. Er besuchte 12 Klassen einer Schule, schloss diese Schule ab und studierte ca. zwei Jahre lang an einer Universität in Kabul. Der Beschwerdeführer verfügt über Berufserfahrung in der Herstellung von Wasserspeichern, als Hilfsarbeiter bei Schweißtätigkeiten und im Bereich der Pflege.

Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und hat keine Kinder. Die Familie des Beschwerdeführers besitzt ein Wohnhaus in Kabul, welches vermietet ist sowie Grundstücke in Mazar-e Sharif. Seine Eltern, seine Geschwister, seine Ehefrau und seine Tanten leben im Iran. Mit seiner Kernfamilie im Iran steht der Beschwerdeführer in einem intensiven Kontakt. In Kabul hat der Beschwerdeführer mindestens einen Onkel und zwei Freunde, mit denen er in Kontakt steht. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann er mit Unterstützung durch Familienmitglieder, Verwandte und Freunde rechnen.

Der BF lebte von der Grundversorgung und ist strafrechtlich unbescholten. Er ist gesund, jung und arbeitsfähig.

Er hat am 07.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan Mitglied der Partei Hezb-e Wahdat. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise war er bereits seit ca. zwei Jahren Parteimitglied. Der BF nahm nur gelegentlich an Parteiveranstaltungen teil und unterstützte seine Partei mit Hilfstätigkeiten. Diese Tätigkeiten umfassten die Vorbereitung von Empfängen, den Empfang und die Bewirtung von Gästen und damit zusammenhängende organisatorische Hilfstätigkeiten. Er half auch beim Drucken von Plakaten für den Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2014. Weitere Aufgaben innerhalb der Hezb-e Wahdat hat der BF nicht wahrgenommen. Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass der BF innerhalb der Partei Hezb-e Wahdat eine politisch oder organisatorisch bedeutende bzw. verantwortungsvolle Funktion innehatte bzw. über Zugang zu parteiinternen wichtigen Informationen verfügte.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass, wenn bekannte oder angesehene Personen ihren Besuch beim Parteiführer seiner Partei an einem Freitag angekündigt hatten, auch der BF - wie andere Parteimitglieder auch, die sich dafür interessierten - vom Besuch dieser Person bereits am Tag zuvor erfahren hat.

Der Beschwerdeführer selbst und seine Familie haben unmittelbar vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan unverfolgt im Heimatort des Beschwerdeführers gelebt.

Der Beschwerdeführer hat, wenn er vorbringt, dass er in der Nacht vor seiner Ausreise aus Afghanistan von Taliban oder mit diesen sympathisierenden Personen verfolgt worden wäre, weil er sich geweigert hat, Informationen über seine Partei Hezb-e Wahdat bzw. über die von ihm besuchte Universität an einen Nachbarn mit dem Namen XXXX weiterzuleiten, diese Begebenheit nicht glaubhaft gemacht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan überall in Afghanistan von Taliban verfolgt werden würde. Im Besonderen hat der BF nicht glaubhaft gemacht, dass er bei einer Rückführung nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit überhaupt von einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr, insbesondere aufgrund seiner Tätigkeiten als Mitglied der Partei Hezb-e Wahdat bzw. deswegen, weil er sich geweigert hat an XXXX Informationen über die Partei Hezb-e Wahdat oder über die von ihm besuchte Universität weiterzuleiten, betroffen wäre. Er wäre weder aufgrund seines Studium, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara noch aufgrund seiner Religion als schiitischer Moslem, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch einen konkreten Akteur ausgesetzt.

Ausgehend von den Länderfeststellungen zu Afghanistan vom 13.11.2019 und die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 berücksichtigend, kann der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan, nach Kabul zurückkehren. Er verfügt in der Provinz Kabul über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte und familiären Grundbesitz bzw. über ein Wohnhaus, das seiner Familie gehört. Der Beschwerdeführer kann sich aber auch jedenfalls in Herat oder in Mazar-e Sharif, Städte in Afghanistan, die über einen für Zivilflugzeuge erreichbaren Flughafen verfügen, niederlassen und sich dort eine neue Existenz aufbauen. Die Vor-Ort-Verhältnisse, die Versorgungslage und auch die Sicherheitslage in diesen Städten ist nicht derart, dass der BF als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung, Universtitätsbildung und Arbeitserfahrung bei einer Wiederansiedelung - entsprechende erforderliche Bemühungen des BF vorausgesetzt - in diesen Städten auf Dauer in eine aussichtslose Situation geraten würde, wenn auch eine Wiederansiedelung am Beginn mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte.

In Österreich besucht der Beschwerdeführer eine Schule für Sozialbetreuungsberufe mit dem Schwerpunkt Altenarbeit. Er verfügt über gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Er hat ein ÖSD-Deutschsprachkurs-Prüfungszeugnis vom 20.12.2017 vorgelegt, in welchem dem BF bescheinigt wird, dass er am Prüfungszentrum der WIFI OÖ GmbH in Linz die Prüfung "ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1" mit befriedigend bestanden hat. Eine außergewöhnliche Integration des Beschwerdeführers - wie sie vom VwGH gefordert wird - vermochte das erkennende Gericht darin nicht zu erkennen.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch sonstige Bezugspersonen, mit denen er einen gemeinsamen Wohnsitz hat oder hinsichtlich derer ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019:

Politische Lage:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 07.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 03.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid KARZAI in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah ABDULLAH das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.09.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.04.2019).

Parlament und Parlamentswahlen:

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus 2 Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt) sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident 2 Sitze für die nomadischen Kutschi und 2 weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019).

Politische Parteien:

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004, USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Hezb-e Wahdat:

Die verschiedenen Hazara-Parteien oder -bewegungen waren in den 1980er-Jahen untereinander stark zersplittert und vertraten in Bezug auf die Pläne oder Vorstellungen für die Zukunft des Hazarajat unterschiedlichste Ansichten. Diese Uneinigkeit führte zu erbitterten Kämpfen der Hazara-Organisationen untereinander, wodurch die einzelnen Organisationen ihre Glaubwürdigkeit und ihren Rückhalt unter den Hazara verloren. Um diese Streitigkeiten zu überwinden und die Hazara-Kräfte zu vereinen, fand 1988 ein Treffen verschiedener Hazara-Parteichefs statt. Aus diesem Treffen ging die Hezb-e Wahdat hervor.

Die 1989 gegründete Hezb-e Wahdat ist die Hauptpartei der afghanischen Schiiten und der Hazara. Sie bildet zudem eine militärische Kraft. Parteiführer war ursprünglich Abdul Ali Mazari. Nach dessen Tod übernahm Karim Khalili, Vizepräsident unter Karzai, die Nachfolge. Ein weiterer wichtiger Parteiführer ist Jah Mohammad Mohaqiq, unter Karzai Minister für Planung. Die Hezb-e Wahdat verfolgt einen moderaten Islam sowie einen Hazara-Nationalismus.

Die Situation von Hezb-e Wahdat Anfang 2009 und seine politische Zersplitterung lassen sich am besten durch den Führungsstil seiner Führer erklären. Unmittelbar nach dem Fall der Taliban wurde Khalili weithin als Parteiführer anerkannt. Im April 2002 flog er von Bamyan nach Kabul, wodurch das Parteizentrum nach Kabul verlegt wurde. Er wurde von Mohaqiq, dem stellvertretenden Vorsitzenden und Planungsminister der Interimsverwaltung, und anderen hochrangigen Persönlichkeiten der Organisation herzlich empfangen. In der Übergangsverwaltung ersetzte Khalili Mohaqiq als Vizepräsident und wurde der höchste Hazara-Beamte in der Regierung. Bis vor den Präsidentschaftswahlen von 2005 leitete Mohaqiq zumindest offiziell den Ausschuss für politische Angelegenheiten von Hezb-e Wahdat in Kabul. Ihre Beziehung begann sich jedoch bald aufzulösen. Mohaqiq hatte innerhalb der Regierung einen konfrontativeren Ansatz in Bezug auf Entwicklungs- und Wiederaufbaupläne in Hazara-Gebieten. Seine Befugnisse als Planungsminister wurden unter der Führung des westlich ausgebildeten Technokraten Ashraf Ghani auf das mächtigere Finanzministerium übertragen. Mohaqiq verließ daraufhin das Kabinett 2004 im Streit. Khalili und Mohaqiq stehen seitdem in persönlicher Rivalität und in Konkurrenz um die Macht und die Führung unter den Hazara. Ihre Rivalität war offenkundig, als Mohaqiq sich 2005 entschied bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren und Khalili als zweiter Vizepräsident mit Hamid Karzai kandidierte. Nach dem Wahlsieg Karzais schloss sich Mohaqiq der wichtigsten Oppositionsallianz, der von Yunus Qanuni geführten Verständigungsfront an. Da er sich vehement gegen die Regierung stellte und sich vor allem für die Rechte von Hazara einsetzte, untergrub er das Ansehen und das Vertrauen in Karim Khalili weiterhin. Persönliche Animositäten und Machtansprüche führten letztlich dazu, dass die Hezb-e Wahdat immer mehr zersplitterte. Die wichtigsten Gruppierungen sind die Hezb-e Wahdat Islami Afghanistan unter Führung von Karim Khalili, die Hezb-e Wahdat Islami Mardum-e Afghanistan unter Führung von Muhammad Mohaqiq, die Hezb-e Wahdat Milli Islami Afghanistan unter Muhammad Akbari und der Hezb-e Wahdat Islami Millat-e Afghanistan unter Leitung von Qurban Ali Erfani.

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.08.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 08.09.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.08.2019; vgl. NZZ 12.08.2019; DZ 08.09.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, MS 28.01.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.05.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.02.2019; vgl. TN 31.05.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019).

Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren wurden 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen (BAMF 06.05.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung jedoch nicht teil (HE 16.05.2019).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 03.09.2019), nachdem im Frühjahr 2019 sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 06.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.04.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.06.2019; vgl. AJ 12.04.2019; NYT 12.04.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.04.2019; vgl. NYT 12.04.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.06.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.01.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 08.09.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Am 29.02.2020 wurde zwischen Vertretern der Taliban und der amerikanischen Regierung ein Abkommen abgeschlossen, wobei abzuwarten bleibt, ob dieses Abkommen tatsächlich zu einer Befriedung des Landes und zu Friedensgesprächen zwischen Taliban und der afghanischen Regierung führt. Auch nach dem Abkommen ereigneten Zwischenfälle, wobei für den größten Zwischenfall mit Toten und Verletzten in Kabul der IS die Verantwortung übernahm.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 06.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 03.09.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 07.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.04.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 06.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 03.09.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 03.09.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 07.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 07.12.2018; vgl. ARN 23.06.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 03.09.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.02.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 07.03.2016; UNGASC 03.03.2017; UNGASC 28.02.2018; UNGASC 28.02.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.05.2019-08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 03.09.2019). Für den Berichtszeitraum 08.02-09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.06.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.05.2019 - 08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 03.09.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-08.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-08.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 04.11.2019):

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Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 01.01.2018-30.09.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 04.11.2019)

Im Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast 2 Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.01.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.04.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019).

Zivile Opfer:

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01.-30.09.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.04.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.02.2019; vgl. SIGAR 30.04.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.02.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 01.01.2009-30.09.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.02.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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