TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/19 L503 2217623-1

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Veröffentlicht am 19.03.2020
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Entscheidungsdatum

19.03.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L503 2217623-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und die Richterin Mag.a JICHA sowie den fachkundigen Laienrichter RgR PHILIPP über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch die Rechtsanwälte Hiebl & Lirk, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 27.02.2019, XXXX , zu Recht erkannt:

A.) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: "BF") beantragte am 14.11.2018 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden kurz: "SMS") - unter Vorlage diverser medizinischer Unterlagen - die Ausstellung eines Behindertenpasses.

2. Daraufhin holte das SMS ein Sachverständigengutachten ein und wurde der BF am 9.1.2019 von Dr. B. A. M. G., einem Arzt für Allgemeinmedizin, Orthopädie und orthopädische Chirurgie, untersucht.

In dem in weiterer Folge von Dr. B. A. M. G. am 14.1.2019 erstellten medizinischen Sachverständigengutachten wird eingangs zur Anamnese, den derzeitigen Beschwerden des BF sowie den vorliegenden Befunden wie folgt ausgeführt:

"Anamnese:

Diagnosen:

- Diskusprotrusion C5/6 links

- Bandscheibenprotrusion L5/S1

- Unterarmfraktur links operat am 05.02.2018

- Sprunggelenksfraktur links operat 2012

- Tendinose der langen Bizepssehne

Derzeitige Beschwerden:

Der Patient beschreibt Schmerzen in mehreren Körperregionen. Primär bestehen Nackenschmerzen, zusätzlich Schmerzen in der linken Schulter mit Ausstrahlung in den linken Oberarm sowie im Bereich des linken Handgelenkes. Besonders schmerzhaft zurzeit Schmerzen im Bereich des Sprunggelenkes links und des linken Mittelfußes. Hier gibt er auch Schwellungsgefühl und taubes Gefühl an sowie eine typische Anlaufsymptomatik mit Besserung in Bewegung.

[...]

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Antrag zur Ausstellung eines Feststellungsbescheides.

Alle vorhandenen Befunde wurden eingesehen.

Befund Unfallchirurgie KH-B. von 10/2009:

- nicht leserlich

CT-Befund Sprunggelenk links von 12/2010:

- Talusfraktur links mit Stufenbildung

Befund Unfallchirurgie KH-B. vom 11.04.2014:

- nicht rezente Kapselverletzung im Bereich des PIP-Gelenkes des rechten Zeigefingers

Befund Notaufnahme KH-B. vom 15.11.2016:

- Verdacht auf rezidivierende Tendovaginitis der Strecksehne des 5. Strahls rechtes Handgelenk

Befund Unfallchirurgie KH-B. vom 11.02.2018:

- Fract. antebrachii dist sin - Osteosynthese des distalen Radius mit volarer Platte am 05.02.2018

- Conquassatio et haemaioma regio lumbalis dext

Arztbrief Reha B. H. vom 20.06.2018:

- Fract antebrachii dist sin op

- Conquassatio et haemaioma regio lumbalis dext ( epifasziales Serom entlang der LWS)

- Partialruptur m iliopsoas rechts

- Partialruptur der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts

- Fract mal lat sin invet (2012) operat

- Bandscheibenprotrusion L5/S1 rechts

MR-Befund Schulter links vom 30.07.2018:

- geringe Tendinose der langen Bizepssehne

MR-Befund der HWS vom 03.08.2018:

- Diskusprotrusion C5/6 links"

Zusammengefasst wurde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Wirbelsäulenbeschwerden; Schmerzen im Bereich der HWS und LWS bei radiologisch nachgewiesenen Degenerationen, kein neurologisches Defizit jedoch regelmäßige Schmerzmedikation notwendig daher oberer Rahmensatz;

02.01.02

40 vH

02

Handgelenksbeschwerden links; Belastungsabhängige Schmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit nach operativ versorgter Unterarmfraktur und noch liegendem Osteosynthesematerial;

02.06.22

20 vH

03

Sprunggelenksbeschwerden links; Belastungsabhängige Schmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit nach operativ versorgt Fraktur, keine orthopädische Schuhversorgung notwendig;

02.05.32

20 vH

04

Schulterbeschwerden links; Impingement-Symptomatik mit geringer Schmerzhaftigkeit, keine Einschränkung der Beweglichkeit, kernspintomographische nur geringe Tendinitis der langen Bizepssehne, die Rotatorenmanschette intakt;

02.06.01

10

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, das Leiden Nr. 1 bestimme den Gesamtgrad der Behinderung mit 40 %. Die weiteren Leiden würden aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter steigern.

Folgende diagnostizierten Gesundheitsschädigungen würden keinen Grad der Behinderung erreichen:

"- Hüfte Fehlstellung: klinisch unauffällig, kein radiologischer Befund vorliegend;

- Conquassatio et haemaioma regio lumbalis dext: abgeheilt, derzeit keine Beschwerden;

- Partialruptur m iliopsoas rechts: abgeheilt, derzeit keine Beschwerden;

- Partialruptur der schrägen Bauchwandmuskulatur rechts: abgeheilt, derzeit keine Beschwerden;

- nicht rezente Kapselverletzung im Bereich des PIP-Gelenkes des rechten Zeigefingers: abgeheilt, derzeit keine Beschwerden"

3. Mit Schreiben zur Wahrung des Parteiengehörs vom 28.1.2019 übermittelte das SMS dem BF das dargestellte Gutachten von Dr. B. A. M. G. vom 14.1.2019 und räumte ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ein.

Eine Stellungnahme langte nicht ein.

4. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 27.2.2019 sprach das SMS aus, dass der BF mit einem Grad der Behinderung von 40 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle; sein Antrag vom 14.11.2018 sei daher abzuweisen.

Neben der Zitierung der rechtlichen Grundlagen (§§ 40, 41 und 45 BBG) wurde nochmals betont, dass laut eingeholtem Gutachten beim BF lediglich ein Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH vorliege. Das dem Bescheid beiliegende und einen Teil der Begründung bildende Sachverständigengutachten sei als schlüssig erkannt und der Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt worden. Der BF habe im Übrigen, obwohl ihm das Gutachten mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt worden sei, keine Stellungnahme abgegeben.

5. Mit Schriftsatz seines nunmehrigen Vertreters vom 9.4.2019 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 27.2.2019. Darin führte der BF aus, er sei mit der gutachterlichen Einschätzung durch Dr. B. A. M. G. nicht einverstanden:

Die Begutachtung durch den Gutachter habe nur 10 Minuten gedauert, der BF habe sich ausziehen und einmal nach vorne und zurückgehen müssen. Der BF sei der Ansicht, dass in den 10 Minuten eine umfangreiche und umfassende Untersuchung nicht gewährleistet werden könne.

Der Sachverständige habe zudem unberücksichtigt gelassen, dass beim BF auch eine Fehlstellung der Hüfte vorliege. Diese Fehlstellung sei Folge des Arbeitsunfalles vom 05.02.2018, bei dem der BF im Bereich der Lendenwirbelsäule in einer Maschine eingeklemmt worden sei. In Folge der Fehlstellung der Hüfte leide der BF an einem extremen "Hohlkreuz" und sei dies auch im Entlassungsbericht des Rehabilitationszentrums B. H. angegeben. Auch diese Beschwerden mit der Hüfte würden einen Grad der Behinderung erreichen und wären vom Gutachter zu berücksichtigen gewesen.

Auch die vom Gutachter vorgenommene Einschätzung bezüglich der Schulterbeschwerden links mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 10 % sei nach Ansicht des BF nicht richtig. Er habe nach wie vor starke Schmerzen im Bereich der linken Schulter, sodass diesbezüglich eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit vorliege.

Bei der Position Wirbelsäulenbeschwerden (Positionsnummer 1) sei bisher nicht berücksichtigt worden, dass beim BF seit ca. einem Monat in unregelmäßigen Abständen der Arm ausgehend von der Schulter bis hin zum Ellbogengelenk "einschlafe" und ein Taubheitsgefühl aufweise.

Nach Ansicht des BF werde der Grad der Behinderung in Position 1. (Wirbelsäulenbeschwerden) durch die Beeinträchtigung in Position 2., 3. und 4. sehr wohl erhöht. Vor allem auch aufgrund der bis dato noch nicht berücksichtigen vorliegenden Einschränkungen der Beweglichkeit der Schulter links bzw. der vorliegenden Hüftprobleme sei bei einer Gesamtbetrachtung von einem Grad der Behinderung von zumindest 50 % auszugehen.

Abschließend wurde beantragt, das BVwG möge der Beschwerde Folge geben und dem Antrag des BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses stattgeben bzw. in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung des Bescheides nach ergänzender Einholung eines medizinischen Gutachtens an die Erstbehörde zurückverweisen.

6. Am 17.4.2019 legte das SMS den Akt dem BVwG vor.

7. Am 22.8.2019 zog das BVwG Dr. B. H., PLL.M, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, als Amtssachverständigen bei. Dr. B. H. wurde um persönliche Untersuchung des BF und Erstellung eines Sachverständigengutachtens ersucht, wobei ihm sämtliche aktenkundige Befunde übermittelt wurden. Konkret wurde auch auf das Vorgutachten und das Beschwerdevorbringen des BF hingewiesen und der Gutachter ersucht, er möge sich zu den Einwänden des BF konkret äußern.

8. Der BF wurde sodann am 16.10.2019 von Dr. B. H. persönlich untersucht und erstellte Dr. B. H. am 16.10.2019 ein medizinisches Sachverständigengutachten.

In seinem Gutachten führte der Gutachter zunächst auszugsweise wie folgt aus:

"Anamnese:

Keine internistischen Vorerkrankungen.

Blinddarm OP und Adenoide im Kindesalter

2011 Talusfraktur li. operativ versorgt

2012 Knöchelbruch li. mit Gips behandelt

02/2018 Arbeitsunfall mit Quetschverletzung im Rumpf- Beckenbereich re. Unterarmbruch li. letzterer operativ versorgt

Derzeitige Beschwerden:

Nach dem Unterarmbruch li. ist Patient nie ganz beschwerdefrei, weiterhin Wetterfühligkeit und Restbeschwerden beim Heben von schweren Lasten, die Handbeweglichkeit ist eingeschränkt.

Immer wieder Schulterschmerzen li. Schmerzausstrahlung in den Oberarm bis zum Ellbogen. Nachtschmerzen und Schmerzen bei Überkopfarbeiten. Zeitweise ein Schnappen in der Schulter verspürt. Kein Schulter Trauma erinnerlich.

Anlaufschmerzen im Bereich des li. Sprunggelenkes besonders in den Morgenstunden, Besserung nach leichtem Bewegen.

Seit dem Unfall bestehen immer wieder Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung ins li. Gesäß und seitlich in den Oberschenkel. Lähmungen im Bein sind nie aufgefallen. Schmerzverstärkung beim Heben von Lasten und beim Autofahren.

Deutliche Nackenschmerzen mit immer wieder Verspannungen. Schmerzausstrahlung bis zur Schulter und in den li. Arm. Zeitweise elektrisierender Schmerz und Ameisenlaufen. Keine eigentlichen Lähmungen.

[...]

Sozialanamnese:

Maschinenbautechniker mit Lehrabschluss.

Nach dem Unfall 2018 8 Monate im Krankenstand. Wieder im Beruf beschäftigt. Hat derzeit 30% Bürotätigkeit und 70% manuelle Tätigkeit. [...]"

Als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung wurde sodann zusammengefasst wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Chronisches Schmerzsyndrom der Hals- und Lendenwirbelsäule, Bandscheibenvorwölbung C5/6 mit Einengung des Neuroforamens, Hohlkreuz, Ständiger Schmerzmittelbedarf oberster RS.

02.01.02

40 vH

02

Bewegungseinschränkung und leichter Reizzustand li. Handgelenk nach Unterarmfraktur. Fixer RS.

02.06.22

20 vH

03

Bewegungseinschränkung unteres Sprunggelenk nach operierter Fraktur des Sprungbeines. Bisher keine Schuhversorgung, kommt heute auch ohne Einlagen. Eine Stufe ober unterem RS.

02.05.32

20 vH

04

Impingementbeschwerden li. Schulter, Tendinose der langen Bizepssehne, leichte Bewegungseinschränkungen. Fixer RS.

02.06.01

10

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Begründend für den Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, Grundleiden sei aufgrund des höchsten Rahmensatzes das Wirbelsäulenleiden.

Die übrigen Leiden hätten mit dem Wirbelsäulenleiden keine Wechselwirkung und würden den GdB wegen Geringfügigkeit nicht steigern.

Zur Begründung der Positionen bzw. der Rahmensätze wurde ausgeführt, es bestünde ein Wirbelsäulenleiden mit Bandscheibendegeneration und Vorwölbung C5/6. Radikuläre Ausfälle seien nicht feststellbar. Es liege ein Hohlkreuz mit funktionellen Beschwerden vor. Der BF absolviere eine laufende Physiotherapie und erhalte regelmäßige Schmerzmedikation. Es bestünden weiters eine Bewegungseinschränkung am linken Handgelenk nach Unterarmbruch mit leichtem Reizzustand, eine Arthrose unteres Sprunggelenk links nach Bruch des Sprungbeines und Außenknöchelbruch sowie Impingementbeschwerden der linken Schulter mit leichter Bewegungseinschränkung und Tendinose der langen Bizepssehne.

Folgende Gesundheitsschädigungen würden keinen Grad der Behinderung erreichen: Folgen der Quetschverletzung im Rumpfbereich, Teileinriss des M. Ileopsoas ausgeheilt, keine Muskelatrophien, keine Bewegungseinschränkung an den benachbarten Gelenken.

Als Stellungnahme zum Vergleichsgutachten bzw. zum Beschwerdevorbringen des BF und den vorgelegten Befunden wurde ausgeführt, das Wirbelsäulenleiden sei nach der EVO bei fehlenden radikulären Ausfällen nach oben hin mit 40% limitiert. Keines der weiteren Leiden erreiche ein Ausmaß, welches das Grundleiden durch direkte Wechselwirkung verstärken würde. Im Beschwerdevorbringen werde auf eine nur 10-minütige Untersuchung beim Vorgutachten verwiesen. Bei der heutigen Untersuchung werde ein gesamter Körperstatus mit besonderer Berücksichtigung der beim Arbeitsunfall 2018 betroffenen Körperregionen und des linken Sprunggelenkes erstellt. Die vom BF angeführte Fehlstellung der Hüfte sei klinisch nicht objektivierbar. Es seien zur Untersuchung auch keine Röntgenaufnahmen der Lenden-Becken- Hüftregion mitgebracht worden. Die im Rahmen des Unfalles 2018 festgestellten Verletzungen seien nicht geeignet, eine dauerhafte Fehlstellung der Hüfte zu verursachen. Eine knöcherne Verletzung der Lendenwirbelsäule und der Becken-Hüftregion sei in einer Kernspintomographie vom 6.2.2018 ausgeschlossen worden.

Aus alldem folge, dass der GdB 40% betrage.

9. Mit Schreiben zur Wahrung des Parteiengehörs vom 11.11.2019 übermittelte das BVwG der Vertretung des BF (sowie dem SMS) das Gutachten von Dr. B. H. vom 16.10.2019 und räumte diesen die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen ein.

Eine Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist 1988 geboren, Maschinenbautechniker und in Österreich wohnhaft.

Beim BF bestehen folgende Funktionseinschränkungen und daraus resultierend folgender Gesamtgrad der Behinderung:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Chronisches Schmerzsyndrom der Hals- und Lendenwirbelsäule, Bandscheibenvorwölbung C5/6 mit Einengung des Neuroforamens, Hohlkreuz, Ständiger Schmerzmittelbedarf oberster RS.

02.01.02

40 vH

02

Bewegungseinschränkung und leichter Reizzustand li. Handgelenk nach Unterarmfraktur. Fixer RS.

02.06.22

20 vH

03

Bewegungseinschränkung unteres Sprunggelenk nach operierter Fraktur des Sprungbeines. Bisher keine Schuhversorgung, kommt heute auch ohne Einlagen. Eine Stufe ober unterem RS.

02.05.32

20 vH

04

Impingementbeschwerden li. Schulter, Tendinose der langen Bizepssehne, leichte Bewegungseinschränkungen. Fixer RS.

02.06.01

10

 

Gesamtgrad der Behinderung

40 vH

 

Grundleiden ist aufgrund des höchsten Rahmensatzes das Wirbelsäulenleiden. Die übrigen Leiden haben mit dem Wirbelsäulenleiden keine Wechselwirkung und steigern den GdB wegen Geringfügigkeit nicht. Das Wirbelsäulenleiden ist nach der EVO bei fehlenden radikulären Ausfällen nach oben hin mit 40% limitiert. Keines der weiteren Leiden erreicht ein Ausmaß, welches das Grundleiden durch direkte Wechselwirkung verstärken würde. Die vom BF angeführte Fehlstellung der Hüfte ist klinisch nicht objektivierbar. Die im Rahmen des Unfalles 2018 festgestellten Verletzungen sind nicht geeignet, eine dauerhafte Fehlstellung der Hüfte zu verursachen. Eine knöcherne Verletzung der Lendenwirbelsäule und der Becken-Hüftregion wurde in einer Kernspintomographie vom 6.2.2018 ausgeschlossen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des SMS.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen zu den beim BF bestehenden Funktionseinschränkungen beruhen auf dem vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. B. H., PLL.M, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, vom 16.10.2019.

Dazu ist zunächst zu betonen, dass dieses Sachverständigengutachten ausführlich begründet, schlüssig und nachvollziehbar ist und keine Widersprüche aufweist. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der klinischen Untersuchung am 16.10.2019 erhobenen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen. Die vom BF vorgelegten Befunde wurden vom Sachverständigen eingesehen und in die Einschätzung miteinbezogen.

2.3. Im Auftrag des SMS hatte zunächst Dr. B. A. M. G., ein Arzt für Allgemeinmedizin, Orthopädie und orthopädische Chirurgie, am 9.1.2019 ein entsprechendes Gutachten erstellt, welches zum Ergebnis hatte, dass beim BF (nur) ein Grad der Behinderung im Ausmaß von 40 v. H. vorliegt. In seiner Beschwerde bemängelte der BF im Wesentlichen, es sei unberücksichtigt geblieben, dass in Folge eines Arbeitsunfalles im Februar 2018 eine Fehlstellung der Hüfte vorliege, wodurch ein extremes "Hohlkreuz" resultiere, und dass eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit seiner Schulter vorliege; in Anbetracht des Zusammentreffens der dargestellten Hüft- mit den dargestellten Schulterproblemen sei von einem Grad der Behinderung im Ausmaß von 50% auszugehen.

2.4. Aufgrund dieser Einwände des BF ordnete das BVwG eine Untersuchung des BF durch Dr. B. H. an und gelangte dieser in seinem Gutachten vom 16.10.2019 wiederum zum dargestellten Ergebnis, dass der Grad der Behinderung nur 40% betrage.

Was nun konkret das Beschwerdevorbringen des BF anbelangt, er leide an einer - bislang nicht berücksichtigten - Fehlstellung der Hüfte, so hat sich Dr. B. H. eingehend damit auseinandergesetzt und die Hüfte entsprechend untersucht (vgl. auch "Hüfte Bewegungsausmaß re. S 0 0 105° 0 F 40 0 30° R 45 0 25°, li. S 0 0 105° F 45 0 30° R 50 0 25°, beidseits kein Provokationsschmerz"), er hat darauf hingewiesen, dass die vom BF angeführte Fehlstellung der Hüfte "klinisch nicht objektivierbar" sei und dass die im Rahmen des Unfalles 2018 festgestellten Verletzungen nicht geeignet seien, eine dauerhafte Feststellung der Hüfte zu verursachen; eine knöcherne Verletzung der Lendenwirbelsäule und der Becken-Hüftregion sei im Übrigen in einer Kernspintomographie vom 6.2.2018 ausgeschlossen worden.

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass die vom BF in seiner Beschwerde vorgebrachte "Fehlstellung der Hüfte" nicht weiter in die Einschätzung eingeflossen ist. Angemerkt sei zudem, dass das vom BF vorgebrachte "Hohlkreuz" vom Gutachter explizit in die Pos.-Nr. 1 (Hauptleiden des BF: Wirbelsäulenbeschwerden) eingeflossen ist und ist auch insgesamt die Einschätzung der Wirbelsäulenbeschwerden des BF gemäß der Pos. Nr. 02.01.02 mit 40% (Funktionseinschränkung mittleren Grades [30-40%] - laut EVO "Rezidivierend und anhaltend, Dauerschmerzen und eventuell episodische Verschlechterungen, radiologische und/oder morphologische Veränderungen, maßgebliche Einschränkungen im Alltag") in Anbetracht der Ausführungen des Gutachters jedenfalls nicht als zu niedrig zu betrachten. Angemerkt sei zudem, dass das vom BF in seiner Beschwerde erwähnte, in unregelmäßigen Abständen in einem Arm auftretende "Taubheitsgefühl" vom BF selbst anlässlich seiner Untersuchung am 16.10.2019 nicht mehr geschildert worden war (arg. "Zeitweise elektrisierender Schmerz und Ameisenlaufen. Keine eigentlichen Lähmungen").

Auch mit dem zweiten Einwand des BF- nämlich, dass seine Schulterbeschwerden bislang nicht ausreichend berücksichtigt worden seien - hat sich Dr. B. H. in seinem Gutachten vom 16.10.2019 entsprechend auseinandergesetzt (vgl. etwa "Am Schultergürtel keine Atrophien. Schulter Anteversion bds. 170°, Abduktion re. 160° li. 150° Daumenspitze erreicht bds. TH8. Leicht schmerzhafter Bogen und pos. Impingementzeichen li. Schnappen der langen Bizepssehne. Bds. keine Schulterinstabilität). Als Ergebnis hielt der Gutachter diesbezüglich fest, es würden zwar tatsächlich Impingementbeschwerden an der linken Schulter sowie eine Tendinose der langen Bizepssehne bestehen, allerdings seien die Bewegungseinschränkungen nur leicht. Insofern ist die Einschätzung nach der Pos. Nr. 02.06.01 mit 10% nicht zu beanstanden.

Was schließlich den dritten Einwand des BF in seiner Beschwerde, aufgrund des Zusammenwirkens seiner Leiden würde sein Grad der Behinderung insgesamt jedenfalls 50% betragen, betrifft, so wies Dr. B. H. in seinem Gutachten nachvollziehbar darauf hin, dass das Hauptleiden des BF sein Wirbelsäulenleiden sei und dass keines der weiteren Leiden (welche mit 10% bzw. 20% eingeschätzt wurden) ein Ausmaß erreichen würde, welches das Grundleiden durch direkte Wechselwirkung verstärken würde.

Zu alldem kommt noch hinzu, dass dem BF seitens des BVwG die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zum Gutachten von Dr. B. H. vom 16.10.2019 eingeräumt wurde, wovon dieser keinen Gebrauch machte; es kann somit davon ausgegangen werden, dass der BF diesem Gutachten nichts entgegenzusetzen vermag.

Aus den dargelegten Gründen konnte sich das BVwG somit auf die Ausführungen von Dr. B. H. in seinem Gutachten vom 16.10.2019 stützen und war somit zu den getroffenen Feststellungen zu gelangen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gem. § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Die hier einschlägigen Bestimmungen des BBG (bzw. EStG) lauten:

§ 1. [...] (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

[...]

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen [...]

§ 35 EStG lautet auszugsweise:

§ 35. (1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen

- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

[...]

und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

[...]

- In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

[...]

3.3. Im konkreten Fall bedeutet dies:

Das vom BVwG eingeholte Sachverständigengutachten vom 16.10.2019 ist - wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt - richtig, vollständig und schlüssig. Die aktuellen Funktionseinschränkungen des BF wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft, es ist beim BF sohin von einem Grad der Behinderung von 40 vH auszugehen. Der BF erfüllt somit nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs 1 BBG.

Folglich ist die Beschwerde spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage betreffend Verfahren und Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses stützen.

Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen.

Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art 6 EMRK für Art 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).

Im gegenständlichen Fall ergab sich aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten war. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erweist sich aufgrund der Aktenlage - in Verbindung mit Ermittlungen des BVwG (Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens) und der diesbezüglichen Gewährung von Parteiengehör - als geklärt.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L503.2217623.1.00

Im RIS seit

11.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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