TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/25 I408 2161202-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2020
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Entscheidungsdatum

25.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I408 2161202-1/11E

I408 2161202-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. IRAK, vertreten durch XXXX gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2017, Zl. XXXX und 23.10.2019, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.01.2020 zu Recht erkannt:

A)

Beide Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 12.08.2015 gemeinsam mit seinem minderjährigen Bruder einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei seiner Ersteinvernahme gab er an, dass sein Vater viele Feine gehabt habe und es auch deshalb keine Kontakte zur Verwandtschaft gab. Nach dem Tod des Vaters haben er und sein Bruder beschlossen, nach Europa zu gehen. Er habe im Irak keine Probleme gehabt, aber weil er dort allein wäre, wolle er nicht mehr zurück.

3. Das von ihm bei der Ersteinvernahme angegeben Geburtsdatum "XXXX" wurde nach Einholung eines Altersfeststellungsgutachtens mit "XXXX" festgelegt.

4. Am 23.05.2016 legte er einen irakischen Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis vor, die sich beide als Totalfälschungen herausstellten. Das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren endete mit einem Freispruch (Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 23.0.2017, XXXX).

5. Zu seinem Fluchtgrund am 03.01.2017 befragt, führte er aus, dass ihr Dorf von Mitgliedern der IS überfallen worden wäre. Bei der Flucht hätten er und sein Bruder seinen Vater und seine Tante, bei denen sie gelebt haben, aus den Augen verloren. Ein Nachbar hätte sie nach XXXX gebracht, der sie bei sich aufgenommen habe und bei dem sie dann 11 Monate bis zu ihrer Ausreise gelebt haben.

6. Mit Bescheid vom 02.05.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab, erkannte ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 02.05.2018 (Spruchpunkt III.)

7. Gegen die Abweisung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 31.05.2017 fristgerecht Beschwerde.

8.. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.05.2018 wurde die befristet erteilte Aufenthaltsbewilligung bis zum 02.05.2020 verlängert.

9. Mit Aktenvermerk vom 14.10.2019 leitete die belangte Behörde infolge veränderterer Verhältnisse im Herkunftsstaat von amtswegen eine Überprüfung der Zuerkennungsvoraussetzungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ein.

10. Am 14.10.2019 wurde der Beschwerdeführer im Zuge des Aberkennungsverfahrens niederschriftlich einvernommen.

11. Mit dem Bescheid vom 23.10.2019, aberkannte die belangte Behörde den mit Bescheid vom 02.05.2017 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt I.), entzog dem Beschwerdeführer die mit Bescheid vom 08.05.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage (Spruchpunkt VI.).

12. Am selben Tag erging in Bezug auf den Bruder des Beschwerdeführers eine gleichlautende Entscheidung.

13. Der Beschwerdeführer bekämpfte auch diese Entscheidung mit der fristgerecht erhobenen Beschwerde vom 14.11.2019.

14. Am 13.01.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, in dem beide Verfahren des Beschwerdeführers verbunden und auch das Aberkennungsverfahren seines Bruders behandelt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Irak und gehört der Volksgruppe der Kurden an.

Das von ihm bei der Ersteinvernahme am 13.08.2015 angegebene Geburtsdatum "XXXX" wurde nach Einholung eines Altersfeststellungsgutachtens mit "XXXX" festgelegt. Die am 23.05.2016 vorgelegten Dokumente (Personalausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis) erwiesen sich als Totalfälschungen. Seine tatsächliche Identität steht nicht fest. Feststellungen zu seinem privaten Umfeld im Irak können mangels konsistenter Angaben nicht getroffen werden.

Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seinem Bruder schlepperunterstützt nach Europa und ohne Identitätsdokumente im August 2015 in das Bundesgebiet ein.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich nicht vorbestraft.

Der Beschwerdeführer lebt in Österreich mit seinem Bruder zusammen und bewohnt mit ihm eine Mietwohnung. Er weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

Der Beschwerdeführer hatte seit Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten mit 02.05.2017 und der damit verbundenen Aufenthaltsberechtigung Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. In dieser Zeit hat er am 06.08.2018 eine Deutschprüfung auf Niveau B1 abgelegt und besucht seit 26.08.2019 an der Volkshochschule einen Lehrgang für den Pflichtschulabschluss.

Ab Juni 2019 war er in einem Restaurantbetrieb geringfügig als Reinigungskraft beschäftigt und seit Jänner 2020 geht er im XXXX einer geringfügigen Beschäftigung nach und beaufsichtigt dabei Kinder. Zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes ist er seit Beginn seines Aufenthaltes durchgehend auf Leistungen der Grundversorgung sowie des Arbeitsamtes angewiesen und damit nicht selbsterhaltungsfähig.

In Österreich bestehen, abgesehen zu seinem Bruder, keine näheren privaten Kontakte oder Beziehungen. Er ist auch nicht Mitglied in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation aktiv tätig.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung seinen Herkunftsstaat gemeinsam mit seinem Bruder verlassen musste. Sein diesbezügliches Vorbringen, sein Dorf sei von Mitgliedern der IS überfallen und sein Vater sei seither verschollen sowie sein Bruder und er werden von Familienangehörigen verfolgt, ist nicht glaubhaft.

Der Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm an 02.05.2017 aufgrund der damaligen Lage im Herkunftsstaat gewährt und am 08.05.2018, gemeinsam mit seinem Bruder, bis 02.05.2020 verlängert.

Seit dieser Verlängerung wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation am 20.11.2018 neu erstellt und am 25.07.2019 sowie am 30.10.2019 aktualisiert. Die Umstände, die in den letzten Jahren zur Gewährung eines subsidiären Schutzes geführt haben, haben sich seither wesentlich geändert, sodass nicht mehr davon auszugehen ist, dass eine dort aufhältige oder zurückkehrende Person automatisch in eine lebensbedrohliche oder unmenschliche Lage gerät.

Wie in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf den EASO Informationsbericht über den Irak mit Stand Feber 2019 dargelegt, herrscht im Irak weder ein Bürgerkrieg noch eine bürgerkriegsähnliche Situation und die Sicherheitslage hat sich seither kontinuierlich verbessert. Anschläge von Mitgliedern der IS, schiitischer oder sunnitische Stammesmilizen können nicht zur Gänze ausgeschlossen werden und richten sich meist gezielt gegen staatliche Institutionen. Die dazu im Länderbericht genannten Zahlen haben sich aber in den letzten Monaten auf einem Niveau eingependelt, sodass nicht mehr von einer völligen Schutzlosigkeit der betroffenen Bevölkerung ausgegangen werden kann. So wurden im Juli 2019 vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 2019 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

Auch die wirtschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren zunehmend stabilisiert und wird über nationale und internationale Hilfsprogramme zum Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur gestützt und weiter vorangetrieben. Bei allen noch vorhandenen Mängeln zeigt auch die Entwicklung des politischen sowie sozialen Lebens, dass sich die Lage auf allen Ebenen normalisiert.

In den kurdischen Autonomiegebieten ist die Situation zudem generell besser und stabiler als im restlichen Irak.

2. Beweiswürdigung:

Da beide Brüder gemeinsam nach Österreich gekommen sind und hier zusammenleben, wurden beide Verfahren gemeinsam verhandelt und der erkennende Richter stützt sich bei den Feststellungen auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten beider Beschwerdeführer. Im Wesentlichen sind das die im Verfahrensgang angeführten Entscheidungen der belangten Behörde und Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vom 13.01.2020, sowie die im Laufe des Verfahrens sowohl bei der Behörde als auch beim Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Unterlagen. Hinzu kommen die angeführten Berichte zur Situation und Lage im Irak sowie Abfragen aus ZMR, GVS, Strafregister und Sozialversicherungsdatenbank.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 13.01.2020. Da der Beschwerdeführer nur als Totalfälschung beurteilte Dokumente vorgelegt hat (Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes vom 20.09.2016), steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Ebenso steht sein Geburtsdatum, wie aus dem von der belangten Behörde eingeholten Altersgutachten vom 14.11.2015 ersichtlich, nicht zweifelsfrei fest. Zudem ist sein Vorbringen, er und sein Bruder hätten ihre Papiere bei einem Freund in der Türkei zurückgelassen und nur seine Papiere wären ihm nachträglich in Wien übergeben worden, weder plausibel noch glaubhaft.

Aus der daraus resultierenden persönlichen Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, die sich auch in den dazu widersprüchlichen Angaben der beiden Brüder zu ihren Lebensverhältnissen im Irak manifestiert, können keine nachvollziehbaren Feststellungen zu ihrem persönlichen Umfeld im Irak getroffen werden. So geben beide Brüder bei ihrer Ersteinvernahme als Wohnort nicht ihren Aufenthaltsort der letzten elf Monate an, sondern den Ort ihrer Vertreibung, ohne diesen einschneidenden Vorfall mit einem Wort zu erwähnen. In der mündlichen Verhandlung gibt der Beschwerdeführer zudem an, sein Bruder habe auf Baustellen gearbeitet, während dieser bei seiner Befragung nur davon spricht, im Irak nur die Schulbesuch besucht zu haben. Auch die sonstigen Angaben zur engeren Familie bleiben oberflächlich, widersprüchlich und unplausibel. Da beide Brüder aber erkennbar die kurdische Sprache beherrschen, wird ihre Herkunft aus den kurdischen Autonomiegebieten aber als glaubhaft angesehen.

Die Feststellungen zu seinen Deutschkenntnissen sowie der Teilnahme an einem bis 25.06.2020 andauernden Lehrganges zur Erlangung eines Pflichtschulabschlusses ergeben sich aus den von ihm vorgelegten Zeugnisses und der entsprechenden Teilnahmebestätigung sowie seinen Angaben und dem in der mündlichen Verhandlung am 13.01.2020 gewonnen persönlichen Eindruck. Es war zwar ein Verstehen erkennbar, seine Fähigkeiten sich eigenständig auf Deutsch auszudrücken entsprachen aber nicht der Dauer seines Aufenthaltes oder der von ihm besuchten Kurse.

Dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder ihren Lebensunterhalt seit Beginn ihres Aufenthaltes über Leistungen der Grundversorgung sowie des Arbeitsamtes bestreiten bzw. darauf angewiesen sind, ergibt sich aus den Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie den dazu vorgelegten Unterlagen und vorgenommen Abfragen aus der Sozialversicherungsdatenbank. Die beim Beschwerdeführer seit 2019 vorliegenden geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse sind damit ebenfalls zweifelsfrei dokumentiert. Beide Brüder sind zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes weiterhin auf staatliche Unterstützung angewiesen.

Die Feststellungen zu seinen bisher in Österreich gesetzten Aktivitäten in beruflicher und privater Hinsicht beruhen ebenfalls auf den Angaben in der mündlichen Verhandlung am 13.1.2020. Die enge Beziehung zu seinem Bruder ergibt sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht vorbestraft ist, beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht erhobenen Strafregisterauszug.

Auch in der mündlichen Verhandlung am 13.01.2020 ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, ein glaubhaftes bzw. asylrelevantes Fluchtvorbringen darzulegen.

So gab der Beschwerdeführer am 13.08.2015 im Zuge seiner Ersteinvernahme als Wohnaschrift an "Irak, Bezirk Hawler, XXXX" (phon.) an und zu seinem Fluchtgrund befragt: "Mein Vater hatte viele Feinde und deshalb auch keinen Kontakt mit der Verwandtschaft. Als er gestorben ist, und auch wir mit den Verwandten keinen Kontakt mehr hatten, haben wir uns entschlossen, nach Europa zu gehen. Sonst habe ich keinen Grund". In der gleichen Einvernahme ergänzte er noch: "Ich habe keine Probleme im Irak, aber weil ich dort allein wäre, will ich nicht zurück." (Verfahren I408 2161202-1, AS 17)

In der Einvernahme am 03.01.2017 sprach er dann, dass ihr Dorf "XXXX" (phon.) von Mitgliedern der IS überfallen worden und sein Vater seither verschollen wäre. Ein Nachbar, Freund und Geschäftspartner ihres Vaters namens XXXX (phon.) habe ihn und seinen Bruder aufgenommen und sie hätten bei ihm in "XXXX" (phon.) elf Monate gelebt. Gegen ihn persönlich habe es nie Verfolgungshandlungen gegeben und sie haben elf Monate unter schwierigsten Umständen bei diesem XXXX gelebt. Dieser habe sie dann weggeschickt (Verfahren I408 2161202-1, AS 233).

Der erkennende Richter verkennt nicht, dass es nicht Aufgabe einer Erstbefragung ist, den Fluchtgrund vollständig und umfassend darzulegen, es ist aber zu erwarten, dass ein Schutzsuchender schon bei dieser Gelegenheit die wesentlichen Beweggründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates unmissverständlich zum Ausdruck bringt.

So wird von beiden Brüdern der Überfall auf das Dorf, welcher sie von ihrem Vater trennte bzw. bei dem ihr Vater umgekommen sein soll, mit keinem Wort erwähnt. Es wird nur die im Wesentlichen nur die schlechte Lage nach dem Tod des Vaters und der fehlende Kontakt zu Verwandten als Fluchtmotiv vorgebracht. Ebenso findet der elfmonatige Aufenthalt in einem anderen Ort bzw. die daraus resultierenden "schwierigsten Umstände" keine Erwähnung. Vielmehr wird als Wohnsitzadresse jene im vor fast einem Jahr zerstörten XXXX angegeben und angeführt, im Irak ansonsten keine Probleme gehabt zu haben.

Erst in den niederschriftlichen Einvernahmen wird von der Zerstörung des Dorfes XXXX sowie vom damit verbundenen Verlust des Vaters und aller familiären Verbindungen oder Kontakte berichtet.

Im Zuge des Aberkennungsverfahrens wird dann vorgebracht, dass Mitte 2019 Verwandte ihrer Mutter von Ahmed, der sie aufgenommen hatte, wissen wollten, wo sich der Beschwerdeführer und sein Bruder aktuell aufhalten. Diese gehen davon aus, dass ihr Vater mit ihnen zusammenleben würde (Verfahren I408 2161202-2, AS 8-9). In der mündlichen Verhandlung am 13.01.2020 führte der Beschwerdeführer dann aus, ihr Vater werde von den Verwandten ihrer Mutter gesucht, weil er sie ohne deren Zustimmung geheiratet habe. Aus diesem Grund habe ihm XXXX auch geraten, ihren Facebook-Account zu löschen und er habe zwischenzeitlich auch den Irak verlassen. Aus gar keinem Kontakt zu Verwandten wird nun eine Bedrohung durch diese.

Unabhängig davon, dass zu erwarten ist, dass ein derartiges familiäres Bedrohungsszenario schon zu seinem früheren Zeitpunkt Erwähnung findet, ist auch ein Beginn erst nach fünf Jahren (ausgehend von einer Flucht aus XXXX) mehr als unglaubhaft, zumal beide Brüder zuvor immer nur der nicht vorhandene familiäre Kontakt als Beweggrund für das Verlassen des Herkunftsstaates angeführt und sonstige Probleme dezidiert ausgeschlossen haben.

Die Verantwortung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, er habe sowohl den IS-Überfall als auch die Entführung seiner Mutter durch seinen Vater bereits bei der Ersteinvernahme erwähnt, dies sei aber nicht festgehalten bzw. von den Dolmetschern nicht angeführt worden, wird als reine Schutzbehauptung angesehen, um einen zusätzlichen Fluchtgrund begründen zu können. Letztendlich verbleiben die schwierigen Verhältnisse im Irak und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Europa als einzig glaubhafte Konstante im Vorbringen des Beschwerdeführers sowie seines Bruders, der zudem die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz bereits 2016 akzeptiert hat.

Aufgrund der angeführten Widersprüchlichkeiten und der darin enthaltenen sukzessiven Steigerungen der Beweggründe für das Verlassen des Herkunftsstaates sowie der persönlichen Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers erweist sich sein Fluchtvorbringen als nicht glaubhaft.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat bzw. die seit der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung aufgrund der Zuerkennung eines subsidiären Schutzes am 08.05.2018 erkennbaren Verbesserungen beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak vom 25.07.2019 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Diese stammen von verschiedenen ausländischen Behörden sowie von internationalen Organisationen, wie UNHCR oder anderen allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität dieser Quellen sowie dem Umstand, dass diese in den Kernaussagen ein übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche ergeben, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Auf Basis der vorzitierten, unbestrittenen Quellen und Berichte ergibt sich eine deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage im Irak. Es ist ein allgemeiner Konsolidierungsprozess der Ordnung im Irak nach Ausschaltung der IS erkennbar, sodass die allgemeine Lage, die Sicherheitslage, aber auch die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Irak nicht mehr mit der Situation zum Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes bzw. der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vergleichbar ist. Daher ist davon auszugehen, dass eine im Irak aufhältige bzw. in den Irak zurückkehrende Person keiner unmenschlichen Behandlung oder Strafe, der Todesstrafe oder einem bewaffneten innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt ausgesetzt ist. Es war daher die diesbezügliche Feststellung zu treffen.

Dies wurde mit dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erörtert. Wenn die Rechtsvertretung dazu auf eine Anfragebeantwortung vom 21.02.2019 verweist, so entspricht deren Aktualität nicht mehr jener des herangezogenen Länderinformationsberichtes der Staatendokumentation vom 25.07.2019. Hinzu kommt, dass auch in den UNHCR-Erwägungen "zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen" vom Mai 2019 die Sicherheitslage in der Autonomen Region Kurdistan als "weiterhin relativ stabil" beschrieben wird.

Auch der Einwand, der Zeitraum zwischen der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und der Aberkennung sei zu kurz, um von einer dauerhaft veränderten Sachlage auszugehen, ist nicht nachvollziehbar. So sind aus den Länderberichten der letzten Jahre, insbesondere seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, eine kontinuierliche Verbesserung der allgemeinen Lage im Irak und erfolgreiche Bemühungen um einen Wiederaufbau der zerstörten Infrastrukturen und der schwächelnden Wirtschaft erkennbar. Diese Entwicklung ist auch durch die Vorfälle der letzten Monate (Demonstrationen gegen soziale Mängel sowie die Tötung des irakischen Generals Soleimani) nicht zum Erliegen gekommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 02.05.2017):

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außer-halb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

Selbst wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Um eine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinaus geht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, VwGH vom 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, ist dies dem Beschwerdeführer nicht gelungen. Sein Vorbringen ist weder glaubhaft noch kommt seinen Beweggründen eine Asylrelevanz zu.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben und die Beschwerde zu diesem Spruchpunkt war abzuweisen.

3.2. Zur Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 23.10.2019):

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht (1. Fall) oder nicht mehr (2. Fall) vorliegen und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).

Einem Fremden ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG dann zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation, darstellen. Die Änderung der Umstände muss dabei dergestalt sein, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153).

Im gegenständlichen Fall zeigt es sich, dass sich die Verhältnisse im Irak seit dem militärischen Sieg über den IS seit 2017 kontinuierlich verbessert bzw. stabilisiert haben. Auch wenn Korruption und Misstrauen innerhalb der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nach Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen nicht über Nacht verschwinden und herausfordernde Probleme bleiben, funktionieren staatliche Institutionen und die Wirtschaft beginnt sich zu erholen. Das findet ihren Niederschlag auf allen Ebenen und eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ist nicht mehr gegeben.

Die von der belangten Behörde vorgenommene Aberkennung des subsidiären Schutzes erweist sich damit als rechtmäßig.

3.3. Zum Entzug der befristetet erteilten Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides vom 23.10.2019)

Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist gemäß § 8 Abs. 4 AsylG vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Da die gesetzlichen Voraussetzungen für den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, war die bis 02.05.2020 befristetet erteilte Aufenthaltsberechtigung zu entziehen.

3.4. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides vom 23.10.2019):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in den Beschwerden auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

3.5. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides vom 23.10.2019):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG ist eine Entscheidung über die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden.

Wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären ist, dann ist gemäß § 58 Abs. 2 AsylG von Amtswegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 zu prüfen.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne von Artikel 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn darf eine Rückkehrentscheidung, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. grundlegend VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Zunächst ist festzuhalten, dass ein großes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen besteht. Das verlangt von Fremden grundsätzlich, dass sie nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Bundesgebiet wieder verlassen (vgl. VwGH 26.6.2013, 2013/22/0138).

Dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (z.B. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 19.04.2012, 2011/18/0253).

Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. etwa VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0058, mwN). Liegt - wie im gegenständlichen Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049, mwN).

Im gegenständlichen Fall ist der 24-jährige Beschwerdeführer arbeitsfähig, gesund und lebt zusammen mit seinem Bruder in einer Mietwohnung. Beide halten sich seit ihrer illegalen Einreise seit August 2015 in Österreich auf. Mit Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ist der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 02.05.2017 als rechtmäßig anzusehen.

Zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Bruder besteht kein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Hinzu kommt, dass bei beiden Brüdern seitens der belangten Behörde ein Aberkennungsverfahren in Bezug auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes eingeleitet wurde und beide von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind, sodass diese Maßnahme kein Eingriff in das Privat- oder Familienleben darstellt.

Das vorliegende Verfahren erreicht, gerechnet von der Antragstellung am 10.08.2015 bis zum Datum der nunmehrigen Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht eine nicht nur auf den Beschwerdeführer zurückzugehende Dauer von knapp fünf Jahren.

Eine besondere Aufenthaltsverfestigung ist dem Beschwerdeführer in diesem Zeitraum nicht gelungen. Trotz eines 21/2-jährigen rechtmäßigen Aufenthaltes, in dem ihm ein Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt offenstand, ist er weiterhin von staatlicher Unterstützung (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe) abhängig. In dieser Zeit hat er Deutschkurse besucht, 2018 ein Deutsch-B1-Zertifikat erhalten und versucht seit August 2019 über einen vom AMS unterstützten einjährigen Lehrgang den Pflichtschulabschluss nachzuholen. Erst seit Mitte 2019 trägt er über geringfügig bezahlte Beschäftigungsverhältnisse selbst etwas zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes bei. Abgesehen davon sind keine besonders hervorzuhebenden Aktivitäten des Beschwerdeführers in Bezug auf eine vertiefende Integration erkennbar. Aktivitäten in Vereinen oder einer Organisation liegen nicht vor. Sein persönliches Umfeld ist geprägt vom gemeinsamen Zusammenleben mit seinem Bruder und es bestehen nur wenige, kaum ausgeprägte persönliche Kontakte zu Österreichern sowie zum gesellschaftlichen Leben in Österreich.

Im Ergebnis hat sich der Beschwerdeführer in den beinahe fünf Jahren seines Aufenthaltes in Österreich kaum integriert und nur die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, die sich aus seinem rechtmäßigen Aufenthalt ab Mai 2017 ergeben, nicht in einem Ausmaß genutzt, dass von einer außergewöhnlichen Integration gesprochen werden kann.

Ohne die wirtschaftliche Situation im Irak beschönigen zu wollen, sollte es dem Beschwerdeführer als gesunden und arbeitsfähigen Mann möglich sein, auch dort seine existentiellen Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Das gilt auch dann, wenn keine familiäre Unterstützung besteht. Zudem kann der Beschwerdeführer bei einer freiwilligen Rückkehr mit einer finanziellen Unterstützung zur Überbrückung der ersten Monate rechnen.

Vor diesem Hintergrund überwiegen die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet, sodass der damit verbundene Eingriff in sein Privatleben nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes als verhältnismäßig qualifiziert werden kann.

Den Ausführungen der Rechtsvertreterin folgend, wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer zumindest in Bezug auf das Verstehen der Verhandlung folgen konnte, es ist aber darin, auch im Hinblick auf seine Jugend sowie den angebotenen Möglichkeiten der letzten Jahre, keine außergewöhnliche Leistung erkennbar. Das gilt auch für alle anderen Aktivitäten in Österreich. Aus dem Berufswunsch allein, künftig in einem Pflegeberuf unterkommen zu wollen, der auch in den Schreiben der Volkshochschule vom 11.10.2019 und 09.01.2020 dokumentiert ist, ergibt sich keine außergewöhnliche Integration. Eine solche ist aber erforderlich, um dem öffentlichen Interesse an einer legalen Einwanderung bzw. der Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen zu entsprechen und unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK einen dauernden Verbleib in Österreich zu ermöglichen (so u.a VwGH vom 18.09.2019, Ra 2019/18/0212. Zudem sind die vom Beschwerdeführer in Österreich in Anspruch genommenen Weiterbildungsmaßnahmen sowie die dabei erworbenen Erfahrungen nicht verloren, sondern können dem Beschwerdeführer auch in seinem Herkunftsstaat von Nutzen sein und ihm den Aufbau einer beruflichen Existenz, der er sich auch in Österreich zu stellen hat, erleichtern.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Artikel 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 kommt daher nicht in Betracht.

3.6. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides vom 23.10.2019):

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig wäre.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl dazu etwa VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse VwGH 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062). Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak erfolgte daher zu Recht.

3.7. Zum Ausspruch einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides vom 23.10.2019):

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist jeweils zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 Aberkennungsverfahren Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Entziehung Entziehungsbescheid Entziehungsgrund Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist geänderte Verhältnisse Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Voraussetzungen Wegfall der Gründe wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2161202.1.00

Im RIS seit

11.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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