TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/2 W170 2193957-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2020
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Entscheidungsdatum

02.04.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AVG §38
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §17
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W170 2193957-1/8E

W170 2193955-1/9E

W170 2193959-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Mag.a Katharina RESCH-MEUSBURGER, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2018, Zl. 560176402/160452106, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, im Hinblick auf die Zurückweisung behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020, nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas MARTH nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Verfahren über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Mag.a Katharina RESCH-MEUSBURGER, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2018, Zl. 560129108/160452050, beschlossen:

A) Das Verfahren wird gemäß § 38 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020, bis zur Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten von XXXX vom 29.03.2016, Zl. 560176402/160452106, ausgesetzt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020, nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch Mag.a Katharina RESCH-MEUSBURGER, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2018, 560176304/160452076, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, im Hinblick auf die Zurückweisung behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX stellte am 12.09.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz für sich sowie für ihre minderjährigen Kinder, XXXX und XXXX . Mit Bescheiden vom 24.07.2012 wurde ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt; hinsichtlich der Zuerkennung des Status der bzw. des Asylberechtigten wurden die Anträge jeweils abgewiesen.

2. XXXX stellte am 29.03.2016 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz für sich sowie für ihre minderjährige Tochter, XXXX . Ihr minderjähriger Sohn, XXXX , stellte am 29.03.2016 ebenfalls einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

3. Im Rahmen des Administrativverfahrens brachte XXXX im Wesentlichen vor, sie sei in Syrien bedroht worden, da sie nicht an Demonstrationen für das syrische Regime teilgenommen habe, und sei in Österreich exilpolitisch tätig.

4. Nach Durchführung des oben dargestellten Ermittlungsverfahrens wurden der gegenständliche Antrag der XXXX mit im II. Spruch bezeichneten Bescheid im angefochtenen Umfang vom 16.03.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, XXXX habe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Die gegenständlichen Anträge der XXXX und des XXXX wurden mit im III. bzw. I. Spruch bezeichneten Bescheiden vom 16.03.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es habe sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert.

5. Mit am 17.04.2018 zur Post gegebenem Schriftsatz wurde gegen den jeweiligen Spruchpunkt I. der unter 4. bezeichneten Bescheide Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Behörde habe es unterlassen, sich ausreichend mit der politischen Tätigkeit der XXXX auseinanderzusetzen.

6. Die Beschwerde wurde samt den bezugnehmenden Verwaltungsakten am 30.04.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und der Gerichtsabteilung W150 zugewiesen. Nach einer entsprechenden Abnahme wurde die Rechtssache am 18.10.2019 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen. Am 18.02.2020 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. XXXX ist ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriger, mittlerweile volljähriger syrischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten angehört, dessen Identität feststeht und der in Österreich unbescholten ist. XXXX ist der Sohn der XXXX und der Bruder der XXXX .

XXXX ist eine volljährige, syrische Staatsangehörige, die der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten angehört, deren Identität feststeht und die in Österreich unbescholten ist. XXXX ist die Mutter des XXXX und der XXXX .

XXXX ist eine minderjährige, syrische Staatsangehörige, die der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten angehört, deren Identität feststeht und die in Österreich unbescholten ist. XXXX ist die Schwester des XXXX und die Tochter der XXXX .

1.2. In Syrien besteht für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die gesetzliche Pflicht zur Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen. Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen, daher ist aktuell ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (LIB, S. 40 ff).

Nur der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben, auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen (LIB, S. 42).

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen. (LIB, S. 41)

Die Einreise nach Syrien mit Ziel des gegenständlichen Herkunftsgebietes ist sicher und aus Sicht des syrischen Regimes legal im Wesentlichen über den Libanon und den Flughafen von Damaskus möglich (LIB, S. 69 f), die entsprechenden Grenzkontrollstellen befinden sich in der Hand des Regimes. Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen (LIB, S 44 f). Die Wirksamkeit der zahlreichen auch Wehrdienstverweigerer betroffenen Amnestien ist zweifelhaft (LIB, S. 46).

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren (LIB, S. 89 f).

Schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik (LIB, S. 50).

Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle. Menschenrechtsorganisationen berichteten von summarischen Hinrichtungen mutmaßlicher Deserteure (LIB, S. 53)

Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (LIB, S. 41).

1.3. XXXX , XXXX und XXXX haben keine Asylausschluss- oder Endigungsgründe verwirklicht und sind in Österreich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich aus der Aktenlage und den unstrittigen Angaben der beschwerdeführenden Parteien vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie den vorliegenden syrischen Dokumenten.

2.2. Die Feststellungen zu 1.2. ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.5.2019, letzte Aktualisierung eingefügt am 17.10.2019 (in Folge: LIB), das samt den darin genannten Quellen in der Verhandlung am 18.02.2020 in das Verfahren eingeführt wurde. Die Feststellungen wurden mündlich erörtert und den Parteien vorgehalten.

2.3. Die Feststellungen zu 1.3. ergeben sich aus den eingeholten Strafregisterauskünften sowie daraus, dass keine Hinweise auf das Vorliegen von Asylausschluss- oder Endigungsgründen zu erkennen waren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu I. und III. A)

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018 (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020 (in Folge: B-VG), in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Wenn die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Ra 2015/22/0082 bis 0084; VwGH 05.11.2019, Ra 2017/06/0222). Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über die zugrundeliegenden Anträge würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115). Liegt der in erster Instanz angenommene Zurückweisungsgrund nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht den Zurückweisungsbescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die Behörde über den Antrag unter Abstandnahme von dem zunächst gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden hat (VwGH 28.02.2008, 2006/16/0129, mwN; VwGH 03.04.2019, Ro 2017/15/0046).

Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens ist daher auf Grund der zurückweisenden Entscheidung in Spruchpunkt I. der im Spruch I. und III. bezeichneten Bescheide nur, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgte, konkret, ob die Zurückweisung der verfahrenseinleitenden Anträge auf internationalen Schutz (im angefochtenen Umfang) durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020 (in Folge: AVG), zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

2. Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung (nach Rechtskraft der zuletzt in der Sache ergangenen Entscheidung) zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.11.2004 mwN).

3. XXXX wurde am XXXX geboren und somit am 04.04.2019 volljährig. Damit trat jedoch eine insofern wesentliche und entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung ein, als er in Syrien wehrdienstpflichtig wurde und - wie sich aus den Feststellungen ergibt - ihm aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit - mehr ist für die Gewährung des Status des Asylberechtigten nicht notwendig - drohen könnte, dass dieser im Falle seiner Rückkehr nach Syrien den Wehrdienst antreten müsste bzw. hiezu zwangsrekrutiert werden würde. Da der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich die Auffassung vertritt, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zur Mitwirkung an völkerrechtswidrigen Militäraktionen - etwa gegen die Zivilbevölkerung - auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (siehe VwGH 25.3.2003, 2001/01/0009, zitiert nach Feßl/Holzschuster [Asylgesetz 2005, 117 ff]). Dies wird auch ausdrücklich im Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU als asylrelevante Verfolgung festgehalten. Daher ist eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.

Es wird daher im fortgesetzte Verfahren zu prüfen sein, ob XXXX mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, dass er in Syrien dem Militärdienst mit dem Zwang zur Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen zugeführt wird; diesfalls wird diesem der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sein. Es liegt damit zumindest eine zu überprüfende Änderung des bisher entscheidungsrelevanten Sachverhaltes in Bezug auf XXXX vor, das Bundesverwaltungsgericht ist im gegenständlichen Verfahren jedoch zu keiner inhaltlichen Entscheidung berufen, sondern hat den gegenständlichen Bescheid ersatzlos aufzuheben, da der in erster Instanz angenommene Zurückweisungsgrund der entschiedenen Sache nicht vorliegt.

Daran ändert auch nichts, dass das Verfahren bereits am 30.04.2018 - also vor Erreichen der Volljährigkeit des XXXX - dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde, weil dieses die Rechts- und Tatsachenlage zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigen hat.

4. Wie sich aus den Feststellungen zur Lage in Syrien ergibt, können auch Angehörige von Wehrdienstverweigerern asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sein. Da somit die zumindest mit glaubhaften Kern vorliegende Wehrdienstverweigerung des XXXX auch für XXXX einen zu prüfenden neuen Sachverhalt entfaltet, lag ebenfalls der in erster Instanz angenommene Zurückweisungsgrund der entschiedenen Sache nicht vor und ist auch diesbezüglich spruchgemäß zu entscheiden.

5. Das Bundesamt wird hinsichtlich XXXX und XXXX meritorisch zu entscheiden haben, eine Zurückweisung kommt bei unveränderter Rechts- und Tatsachenlage nicht mehr in Betracht.

Zu II. A)

1. Gemäß §§ 38 AVG, 17 VwGVG, ist das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

2. Gegenständlich ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für die inhaltliche Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten des XXXX zuständig.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist unter anderem Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es - bei gleichzeitiger Antragstellung - hinsichtlich der Voraussetzung der Minderjährigkeit nur auf den Antragszeitpunkt an (VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040). Daher ist die XXXX Familienangehörige des XXXX .

Gemäß § 34 Abs. 1 AsylG gilt ein von einem Familienangehörigen gestellter Antrag auf internationalen Schutz (1.) eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; (2.) eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder (3.) eines Asylwerbers als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß § 34 Abs. 2 und 5 AsylG hat das Bundesverwaltungsgericht auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn (1.) dieser nicht straffällig geworden ist und (3.) gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 4 und 5 AsylG hat das Bundesverwaltungsgericht Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Vom Ausgang dieses Verfahrens hängt ab, ob der XXXX der Status der Asylberechtigten im Familienverfahren zuzuerkennen ist, diese Vorfrage wird unter einem beim Bundesamt anhängig gemacht und daher das Verfahren gemäß § 38 AVG ausgesetzt.

Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten der XXXX nicht - wie die Anträge ihrer Kinder - wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, sondern abgewiesen hat, ist das Bundesverwaltungsgericht nach wie vor zur inhaltlichen Entscheidung über diesen Antrag berufen.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden. Das Bundesamt aber auch die Beschwerdeführerin - soweit es dieser bekannt wird - werden das Bundesverwaltungsgericht über den Ausgang des Verfahrens des XXXX in Kenntnis zu setzen haben, insbesondere, wenn wegen einer Zuerkennung des Status des Asylberechtigten keine Beschwerde mehr vorzulegen ist.

Zu I., II. und III. B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2019 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die relevante Rechtsprechung unter A) zitiert und beachtet, es ist daher weder zu sehen, dass die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, es an einer solchen Rechtsprechung fehlt oder die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich zu beurteilen ist. Daher ist die Revision unzulässig.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aussetzung Aussetzung der Entscheidung Behebung der Entscheidung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung Entscheidungszeitpunkt entschiedene Sache exilpolitische Aktivität Familienangehöriger Familienverfahren Folgeantrag geänderte Verhältnisse Identität der Sache Kassation Militärdienst res iudicata Verfolgungsgefahr Volljährigkeit Vorfrage Wahrscheinlichkeit Wehrdienst Wehrdienstverweigerung Wehrpflicht wesentliche Änderung wesentliche Sachverhaltsänderung Zurückweisung Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W170.2193957.1.00

Im RIS seit

11.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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