TE Bvwg Beschluss 2020/4/21 L501 2227551-1

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Veröffentlicht am 21.04.2020
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Entscheidungsdatum

21.04.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L501 2227551-1/15E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Vorsitzende und den Richter Mag. Hermann LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Reg. Rat. Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von Herrn Mag. XXXX , geboren XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice vom 18.12.2019, XXXX , betreffend Ausstellung eines Behindertenpasses beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Mit dem am 17.06.2019 beim Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde) eingelangten Schreiben beantragte die beschwerdeführende Partei (in der Folge bP) unter Beifügung eines Befundkonvolutes die Ausstellung eines Behindertenpasses.

In dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Allgemeinmedizin vom 27.11.2019 wird basierend auf der klinischen Untersuchung am 01.10.2019 im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Fraktur des li. Sprunggelenkes 30 % aufgrund der Bewegungseinschränkung und der bestehenden Schmerzen

02.05.32

30 vH

Gesamtgrad der Behinderung

30 vH

 

 

Mit Schreiben vom 27.11.2019 wurde der Partei das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. In ihrer Stellungnahme vom 03.12.2019 brachte die bP zusammengefasst vor, dass sie aufgrund ihrer Behinderungen nicht in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen sowie im Gutachten etliche pauschale Behauptungen aufgestellt und für sie unzutreffende Schlüsse gezogen worden seien.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass die bP mit einem Grad der Behinderung von 30 vH nicht die Voraussetzungen für den Besitz eines Behindertenpasses erfülle. Neben der Zitierung der rechtlichen Grundlagen wurde ausgeführt, dass das dem Bescheid beiliegende und einen Teil der Begründung bildende Sachverständigengutachten als schlüssig erkannt und der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei. In Ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde weist die bP darauf hin, dass sie im 79. Lebensjahr stehe und bei der Ermittlung des Gesamtausmaßes der Behinderung nicht nur die dauerhafte Gehbehinderung, sondern auch die allgemein altersbedingten Behinderungen zu berücksichtigen seien. Die Untersuchung habe nicht einmal 15 Minuten gedauert, alle Maßangaben inklusive der behaupteten Standfestigkeit seien frei erfunden.

Mit Schreiben vom 16.01.2020 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt ohne weitere Ermittlungen oder Verfahrensschritte vor.

Mit Schreiben vom 12.02.2020 teilte die bP mit, dass sie in selber Sache am 18.12.2020 neuerlich operiert worden sei, sie kurz vor der Begutachtung an der rechten Hand operiert worden sei, dies - obwohl sie es angesprochen habe - im Gutachten aber nicht aufscheine, das Freimachen irgendeines Körperteils bei der Untersuchung nicht erwünscht gewesen sei und sie sich zwischenzeitlich am 30.01.2020 einer andere OP unterziehen habe müssen. Am 28.02.2020 langte eine Beschwerdeergänzung samt Befundkonvolut ein, in der auf erfolgte Knie-, Fuß-, Hand und Gesichts-OP hingewiesen wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Die bP erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Sie hat ihren Wohnsitz im Inland.

Im gegenständlichen Verfahren wurden die notwendigen Ermittlungen bzw. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen. Hinsichtlich des Verfahrensgangs, der Ausführungen im Sachverständigengutachten und des Vorbringens der bP wird auf Punkt I. verwiesen. Die belangte Behörde hat das eingeholte Gutachten der bP im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht, erforderliche Ermittlungen oder Verfahrensschritte aufgrund der Einwendung der bP jedoch nicht durchgeführt.

Die Ausführungen im Gutachten reichen nicht für eine schlüssige Begründung des angenommenen Gesamtgrades der Behinderung von 30% aus, insbesondere fehlt es an einer sachdienlichen Befundaufnahme und einer ausreichenden Begründung der neben der Fraktur des li. Sprunggelenkes von der bP bereits im Rahmen des Parteiengehörs vorgebrachten weiteren Behinderungen.

Die notwendigen Ermittlungen bzw. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurden sohin unterlassen.

II.2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde sowie des Bundesverwaltungsgerichtes.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung

II.3.1 zu ermittelnder Sachverhalt

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist (unter den dort näher geregelten Voraussetzungen) behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen. Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 BBG genannten Voraussetzungen gelten der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers, ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem ASGG, ein rechtskräftiges Erkenntnis des BVwG oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz (§ 41 Abs. 1 BBG). In anderen Fällen (siehe dazu näher die Z 1 bis 3 des § 41 Abs. 1 BBG) hat das Sozialministeriumservice den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010, unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen.

II.3.2. Kassation

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn diese jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinne einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Im vorliegenden Fall war das Sozialministeriumservice dazu verhalten, den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010, unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen zu ermitteln. Die Behörde hat das eingeholte Gutachten auf seine Vollständigkeit, seine Widerspruchsfreiheit und seine Schlüssigkeit zu überprüfen. Stützt sie sich auf ein unschlüssiges, widersprüchliches oder unvollständiges Gutachten, kommt sie ihrer Pflicht zur Erhebung des maßgeblichen Sachverhalts nicht nach (VwSlg. 12.654 A/1988; Hengstschläger/Leeb, AVG [2005] § 52 Rz 62).

Seitens der belangten Behörde wurde nun zwar Parteiengehör zum eingeholten Sachverständigengutachten gewährt, in der Folge wurde es jedoch unterlassen, sich mit dem Vorbringen der bP auseinanderzusetzen und entsprechende zielführende Schritte durchzuführen. Es ist zwar zuzugestehen, dass die bP ihre weiteren Behinderungen nicht näher ausführte, doch wäre es nach dem Prinzip der Amtswegigkeit an der belangten Behörde gelegen, die nicht rechtsfreundlich vertretene, im 79. Lebensjahr stehende Antragstellerin zur Konkretisierung aufzufordern und nach Ergänzung und Übermittlung entsprechender Befunde (Z.n. radikaler Prostataektomie bei N.prostatae im Tumorstadium pT2b, PSA 4,4 ng/ml, Bursitis acuta praepatellaris dext., DD Basaliom, Atherom Wange re., CTS rechts, intramurales Harnleiterkonkrement mit ausgeprägter Fornixruptur links) erneut einen Sachverständigen mit den Umständen (u.a. auch mit dem Vorbringen der bP, das Gutachten enthielte etliche pauschale Behauptungen und für sie unzutreffende Schlüsse) zu befassen.

Legt man diese Anforderungen auf das Vorgehen der belangten Behörde im Beschwerdefall um, zeigt sich, dass diese ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen ist.

Dem der Entscheidung zu Grunde gelegten medizinischen Sachverständigengutachten ist - wie in den Feststellungen dargelegt und oben ausgeführt - die Vollständigkeit abzusprechen und erweist es sich für die Vornahme einer Einschätzung als ungeeignet. Der Fall ist einem solchen gleichzuhalten, in welchem kein Gutachten vorliegt. Das Verwaltungsgericht wurde durch diese Vorgangsweise in eine Lage gebracht, in der es nicht bloß Ergänzungen eines bereits im behördlichen Verfahren - wenn auch unvollständig - erhobenen Sachverhalts vorzunehmen oder die bloße Ergänzung eines in einzelnen Teilen unvollständigen Sachverständigengutachten zu veranlassen gehabt hätte (im Unterschied etwa zu der dem Erkenntnis VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0037 zugrundeliegenden Konstellation), sondern das Ermittlungsverfahren erst von Anfang an hätte führen müssen.

Der für eine rechtlich einwandfreie Entscheidung notwendige maßgebliche Sachverhalt ist daher in der erforderlichen Gesamtschau als nur im Ansatz ermittelt anzusehen.

Eine Heranziehung des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG verbietet sich des Weiteren unter Effizienzgesichtspunkten, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit niedrigeren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Es ist vielmehr sogar davon auszugehen, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht keinesfalls mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, zumal die belangte Behörde über einen auf die Einholung von ärztlichen Gutachten geschulten sowie spezialisierten Verwaltungsapparat verfügt, welcher sowohl bei der Auswahl der Fachrichtung der Sachverständigen als auch bei auftretenden medizinischen Fragestellungen sowie allenfalls erforderlichen Zusammenfassungen von Gutachten auf das Fachwissen des in die Behörde integrierten sowie unmittelbar im Haus lokalisierten ärztlichen Dienst zurückgreifen kann. Bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit kommt es darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung an. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG [2007], § 66 Rz 20 mwN).

Ausgehend von diesen Überlegungen ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren an die belangte Behörde zurückzuverweisen, welches das Ermittlungsverfahrens unter Beachtung obiger Ausführungen durchzuführen und sodann neuerlich in der Sache zu entscheiden hat.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L501.2227551.1.00

Im RIS seit

11.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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