TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/22 I413 2220271-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.04.2020
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Entscheidungsdatum

22.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I413 2220271-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 21.05.2019, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 27.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am darauffolgenden Tag gab er, befragt zu seinen Fluchtgründen, an, dass er Sunnit sei und im Irak von schiitischen Milizen bedroht werde. Sein Sohn sei im Mai 2015 von diesen Milizen erschossen worden. Aufgrund dessen habe er das Land verlassen. Im Falle seiner Rückkehr in den Irak fürchte er um sein Leben.

2. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.11.2017 gab er, abermals befragt zu seinen Fluchtgründen, im Wesentlichen an, er habe einerseits Probleme mit den sunnitischen Brüdern seiner Ehefrau gehabt. Einer von ihnen habe die zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige Tochter des Beschwerdeführers heiraten wollen, was dieser abgelehnt habe, während ein anderer Schwager ihn eines Tages in seinem Haus zusammengeschlagen habe, da er Alkohol getrunken habe und der Schwager dem Beschwerdeführer zudem vorgeworden habe, dass seine Tochter und seine Ehefrau keinen Hijab tragen würden. Nachdem der Beschwerdeführer diesen Schwager polizeilich zur Anzeige gebracht habe, sei dieser von Bagdad nach Sulaimaniyya umgezogen, habe dem Beschwerdeführer und seiner Familie jedoch von dort aus weiterhin gedroht.

Unabhängig von den behaupteten Vorfällen mit den Brüdern seiner Ehefrau gab der Beschwerdeführer im Rahmen dieser Einvernahme zudem an, dass im Mai 2015 ein Nachbarssohn namens "Kazim" von Angehörigen der schiitischen Asa'ib Ahl al-Haqq Miliz getötet worden sei. Der Bruder von "Kazim", "Kasem", habe die Ermordung seines Bruders rächen wollen, und habe deshalb den Sohn des Beschwerdeführers in dessen Friseursalon erschossen. Dies habe dem Beschwerdeführer ein weiterer Nachbar, "Abu Ali", dessen Sohn wiederum beim ermordeten Sohn des Beschwerdeführers im Friseursalon gearbeitet habe, erzählt, jedoch habe "Abu Ali" sich aus Angst geweigert, diesen Umstand vor der Polizei zu bezeugen. Im September 2015, als "Abu Ali" gerade beim Beschwerdeführer zu Besuch war, hätten sie Schüsse gehört und in weiterer Folge festgestellt, dass "Kasem", der Mörder des Sohnes des Beschwerdeführers, ebenfalls getötet worden sei. Drei Tage später, als sich der Beschwerdeführer gerade in seinem Geschäft aufgehalten habe, habe ihn seine Frau angerufen und ihm berichtet, dass soeben sechs Angehörige der Asa'ib Ahl al-Haqq Miliz ihr Haus gestürmt hätten. Nachdem sie den Beschwerdeführer im Haus nicht vorgefunden hätten, hätten sie zu seiner Frau gesagt, dass er sich bei den Milizen melden solle. Da "Abu Ali" ebenfalls Angehöriger dieser Miliz gewesen sei, habe der Beschwerdeführer ihn angerufen und gebeten sich zu erkundigen, was es mit der Stürmung seines Hauses auf sich habe. "Abu Ali" habe den Beschwerdeführer in weiterer Folge zurückgerufen und ihm mitgeteilt, dass die Familie von "Kasem" den Beschwerdeführer angezeigt habe mit der Behauptung, er habe "Kasem" umgebracht. "Abu Ali" habe sich jedoch aus Angst abermals geweigert, zu bezeugen, dass er sich zum jenem Zeitpunkt, als auf "Kasem" geschossen worden sei, gerade beim Beschwerdeführer aufgehalten habe. Daraufhin habe der Beschwerdeführer beschlossen zu flüchten.

3. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 21.05.2019, Zl. XXXX, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

4. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 24.05.2019 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 14.06.2019 (bei der belangten Behörde eingelangt am selben Tag), mit welcher der Beschwerdeführer dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit, eine mangelhafte bzw. unrichtige Bescheidbegründung sowie dessen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften monierte und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge I. den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird; II. in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; III. die Rückkehrentscheidung für unzulässig erklären und in eventu einen "Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 AsylG" erteilen; IV. in eventu den Bescheid ersatzlos beheben und zur neuerlichen Verhandlung an die belangte Behörde zurückverweisen; V. den Namen des Beschwerdeführers von "XXXX" auf "XXXX" abändern; und schließlich VI. eine öffentlich-mündliche Verhandlung anberaumen.

5. Mit Schriftsatz vom 17.06.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 19.06.2019, legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

6. Am 07.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, zu welcher der Beschwerdeführer entschuldigt nicht erschienen ist. Es wurde ein Patientenbrief eines Krankenhauses in Vorlage gebracht, wonach der Beschwerdeführer unter einer Dreigefäßerkrankung (eine Form der koronaren Herzerkrankung) leide und sich nach einem erlittenen Myokardinfarkt vom 30.09.2019 bis zum 04.10.2019 in stationärer Behandlung befunden habe, ehe er am 04.10.2019 in gutem Allgemeinzustand entlassen worden sei. Mit dem anwesenden Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wurde die allgemeine Lage im Irak, sowie die in Bezug auf den Beschwerdeführer relevanten Teile des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation für den Irak erörtert. Überdies wurde seitens des Rechtsvertreters angeregt, eine Anfrage an die Staatendokumentation zu richten hinsichtlich der Frage, ob ein Herzinfarktpatient in Bagdad eine adäquate medizinische Versorgung vorfinde.

7. Mit Schriftsatz vom 29.11.2019 übermittelte die Staatendokumentation dem Bundesverwaltungsgericht die Beantwortung einer am 11.11.2019 an sie gerichteten Anfrage, ob eine medizinische Versorgung von Personen, welche einen Herzinfarkt erlitten haben, in Bagdad gewährleistet sei. Aus der Anfragebeantwortung geht hervor, dass in Bagdad sowohl eine stationäre als auch eine ambulante Behandlung durch einen Kardiologen möglich sei.

8. Mit Schriftsatz vom 27.01.2020 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht ein Konvolut an medizinischen Unterlagen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, bekennt sich zum moslemisch-sunnitischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Kurden an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegensteht. Er leidet an einer Dreigefäßerkrankung (eine Form der koronaren Herzerkrankung) und erlitt am 29.09.2019 einen Myokardinfarkt (Nicht-ST-Hebungsinfarkt), welcher einer adäquaten Behandlung zugeführt wurde. Eine medizinische Versorgung von Personen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, ist in Bagdad gewährleistet, ebenso wie eine internistische Versorgung von Personen mit Herzproblemen. Die seitens des Beschwerdeführers aktuell eingenommenen Medikamente sind im Irak erhältlich. Auch ist er arbeitsfähig, sofern es sich um keine schwere körperliche Tätigkeit handelt.

Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich, wo er sich seit (mindestens) 27.10.2015 aufhält.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers sowie seine vier Kinder leben in Bagdad und pflegt er regelmäßig Kontakt mit ihnen. Darüber hinaus lebt noch eine Schwester des Beschwerdeführers in Bagdad.

Der Beschwerdeführer führt in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten kein im Sinne des Art 8 EMRK geschütztes Familienleben.

Der Beschwerdeführer hat bis zu seiner Ausreise in Bagdad gelebt, dort neun Jahre lang die Schule besucht und beruflich als Fahrer sowie als Maler gearbeitet. Zuletzt hat er ab dem Jahr 2008 ein Bekleidungsgeschäft betrieben. Aufgrund seiner umfangreichen Arbeitserfahrung hat er eine Chance, auch hinkünftig am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen. Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich folgende maßgebliche Integrationsmerkmale auf: Er hat diverse Deutsch- sowie Alphabetisierungskurse besucht und spricht Deutsch auf A1-Niveau. Weiters hat er an diversen Informationsmodulen im Rahmen von "Start Wien", der "Youth Conference Vienna" sowie an einem Workshop "Hilfe im Notfall" teilgenommen. Der Beschwerdeführer engagierte sich auch ehrenamtlich im Rahmen des Projekts "Refugees for Refugees" als Reinigungskraft sowie im Trainingsinstitut der "Bahái-Gemiende" insbesondere in Form von Kochdiensten.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine ausgeprägten Bekanntschaften oder gar Freundschaften geschlossen und weist er darüber hinaus in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat von Angehörigen der schiitischen Asa'ib Ahl al-Haqq Miliz verfolgt worden wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

1.3.1. Zur allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat:

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt MOSSUL der Provinz NINAVA gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen ANBAR, DIYALA und SALAH AL-DIN im Zentral- und Südirak voraus. Die seit dem Jahr 2014 währenden kriegerischen Ereignisse im Irak brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile, sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von KIRKUK, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein erheblicher Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Seit dem Jahr 2014 wurden über drei Millionen Binnenvertriebene und über eine Million Binnenrückkehrer innerhalb des Irak registriert.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz AL ANBAR bzw. deren Metropolen FALLOUJA und RAMADI als auch aus den nördlich an BAGDAD anschließenden Provinzen DIYALA und SALAH AL DIN zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt MOSSUL, Provinz NINAVA, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von MOSSUL sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des TIGRIS sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von MOSSUL eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in BAGDAD und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine, wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den IS. Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert, wenn auch IS Kämpfer in manchen ländlichen Gebieten weiterhin aktiv sind (CRS 01.10.2018, MIGRI 06.02.2018).

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 06.02.2018). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018). Im zweiten Quartal 2018 sind aus der Provinz Al-Basrah keine Todesopfer gemeldet (ACCORD 05.09.2018).

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich DOHUK, ERBIL und SULEIMANIYA, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt KIRKUK betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage im südlichen Teil des Iraks ist als stabil anzusehen. Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018). In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018). Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Die Zahl der Angriffe auf Personen ist seit 2016 jedoch kontinuierlich gesunken und hat 2018 einen historischen Tiefstand von durchschnittlich 1,1 Vorfällen pro Tag erreicht (vgl OFPRA 10.11.2017; vgl Joel Wing 08.07.2017, Joel Wing 04.10.2017, Joel Wing 03.07.2018). Aus den Länderberichten ergeben sich keine Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation und auch keine Hinweise in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.11.2018): Irak: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/iraksicherheit/202738, Zugriff 1.11.2018

- ACCORD (5.9.2018): Irak, 2. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus ACLED, https:// www.ecoi.net/en/file/local/1442566/1930 1536217374 2018a2iraa-de.pdf, Zugriff 29.10.2018

- AI - Amnesty International (7.9.2018): Iraq: Effective Investigations needed into deaths of protesters in Basra, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1490552018ENGLISH.PDF, Zugriff 02.11.2018

- Al Jazeera (16.7.2018): Death toll rises in southern Iraq protests, https://www.aljazeera.com/news/2018/07/death-toll-rises-southern-iraq-protests-180716181812482.html, Zugriff 2.11.2018

- Atlantic (31.8.2018): ISIS Never Went Away in Iraq, https://www.theatlantic.com/international/archive/2018/08/iraq-isis/569047/, Zugriff 30.10.2018

- CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat general aux refugies et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation securitaire dans le sud de l'Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi focus irak situation securitaire dans le sud de lirak 20180228.pdf, Zugriff 1.11.2018

- CRS - Congressional Research Service (4.10.2018): Iraq: Issues in the 115th Congress, https://fas.org/sgp/crs/mideast/R45096.pdf, Zugriff 29.10.2018

- ISW - Institute for the Study of War (2.10.2018): ISIS's Second Resurgence, https://iswresearch.blogspot.com/2018/10/isiss-second-resurgence.html, Zugriff 30.10.2018

- Jamestown Foundation (28.7.2018): Is Islamic State Making Plans for a Comeback in Iraq?, https://iamestown.org/program/is-islamic-state-making-plans-for-a-comeback-in-iraq/, Zugriff 30.10.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (8.7.2017): 3,230 Dead, 1,128 Wounded In Iraq June 2017, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html, Zugriff 1.11.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (04.10.2017): 728 Dead And 549 Wounded In September 2017 In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2017/10/728-dead-and-549-wounded-in-september.html, Zugriff 01.11.2018

- Joel Wing - Musings on Iraq (6.10.2018): Islamic State Returns To Baghdad While Overall Security In Iraq Remains Steady, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/islamic-statereturns-to-baghdad-while.html, Zugriff 30.10.2018

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- Joel Wing - Musings on Iraq (30.10.2018): Security In Iraq Oct 22-28, 2018, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/10/securitv-in-iraq-oct-22-28-2018.html, Zugriff 01.11.2018

- OFPRA - Office Francais de Protection des Refugies et Apatrides (10.11.2017): The Security Situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.p df, Zugriff 31.10.2018

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- Joel Wing - Musings on Iraq (5.9.2018): Basra Explodes In Rage and Riots Over Water Crisis, https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/basra-explodes-in-rage-and-riots-over.html, Zugriff 2.11.2018

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- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (4.4.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of March 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8801:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-march-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (31.5.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of May 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9155:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.8.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of July 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9402:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (3.9.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of August 2018, http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9542:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 1.11.2018

- UNAMI - United Nations Assistance Mission in Iraq (1.10.2018): UN Casualty Figures for Iraq for the Month of September 2018, http://www.uniraq.org/index.php? option=com k2&view=item&id=9687:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&lang=en, Zugriff 31.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

- WP - Washington Post (17.7.2018): ISIS is making a comeback in Iraq just months after Baghdad declared victory, https://www.washingtonpost.com/world/isis-is-making-a-comebackin-iraq-less-than-a-year-after-baghdad-declared-victory/2018/07/17/9aac54a6-892c-11e8-9d59-dccc2c0cabcf story.html?noredirect=on&utm term=.8ebfcea17e9f, Zugriff 30.10.2018.

1.3.1.1. Zur Sicherheitslage in Bagdad:

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und im bisherigen Jahr 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste von ISIS in den Vororten von Bagdad ("Bagdad-Gürtel") aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit von ISIS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass ISIS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den "Bagdad-Gürtel" verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll ISIS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten statt.

Quelle:

- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf. S 23f, Zugriff 20.04.2020

Im Gouvernement Bagdad ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften, individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürliche Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Quelle:

- EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, June 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf. S 29, Zugriff 20.04.2020

Auch die Proteste und Demonstrationen gegen die Regierung im Herbst 2019 konzentrierten sich auf einzelne Orte und insbesondere auf öffentliche Plätze und Gebäude, sodass nicht zu erwarten ist, dass eine Person, die in Bagdad lebt, bloß aus diesem Grund Opfer von Gewalt im Zusammenhang mit diesen Protesten und Demonstrationen wird.

Quelle:

- UNAMI - Human Richts Special Report: Demonstrations in Iraq: updadte, 25 October - 4 November 2019, https://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&task=download&id=3360_80adc2e32ecf9cc0898e3553055e534a&Itemid=650&lang=en. Zugriff 22.04.2020

1.3.2. Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.2.2018).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte "Ehrenmorde"; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.4.2018).

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten, verantwortlich. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie verschwinden. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf "Geständnissen" basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch (AI 22.2.2018).

Es gibt zahlreiche Berichte, dass der IS und andere terroristische Gruppen, sowie einige Regierungskräfte, einschließlich der PMF, willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben. Es gibt keine öffentlich zugängliche umfassende Darstellung des Umfangs des Problems verschwundener Personen. Obwohl die PMF offiziell unter dem Kommando des Premierministers stehen, operieren einige PMF-Einheiten nur unter begrenzter staatlicher Aufsicht oder Rechenschaftspflicht (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 23.7.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/1425073.html, Zugriff 28.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 23.7.2018.

1.3.3. Zur Lage Angehöriger der sunnitischen Glaubensgemeinschaft im Irak:

Es gibt keine Berichte dazu, dass der irakische Staat Muslime sunnitischer Glaubensrichtung systematisch verfolgen und/oder misshandeln würde. Dennoch kommt es vor, dass Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zu Zielen von Angriffen von schiitischen Milizen werden.

Der Bürgerkrieg im Irak in den Jahren 2006 und 2007 hat die vormals friedliche Koexistenz zwischen Sunniten und Schiiten im Irak nochmals schwer erschüttert, Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft werden häufig zu Zielen von Angriffen von schiitischen Milizen. Weder seitens des irakischen Staates noch von Milizen der PMU liegt jedoch keine systematische Verfolgung und Misshandlung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft vor. Mit einem Anteil von ca. 35 % - 40 % der Gesamtbevölkerung bilden die Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft die größte Gruppe der Minderheiten des Irak und sind in Gesellschaft und in der Politik vertreten und treten auch zu den Parlamentswahlen im Mai 2018 auch sunnitische Parteien an.

Eine landesweite und systematische Verfolgung für Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft besteht nicht. Es gibt nach wie vor Regionen, die mehrheitlich sunnitisch geprägt sind. Darüber gibt es auch in dem von Schiiten dominierten und weitestgehend stabilen Süden des Iraks sunnitische Enklaven und ein weitestgehend beständiges Nebeneinander von Sunniten und Schiiten.

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak. https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq. https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 17.8.2018

- Al-Araby, 'Don't enter Baghdad': Wave of murder-kidnappings grips Iraq capital, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2017/5/17/dont-enter-baghdad-wave-of-murder-kidnappings-grips-iraq-capital, 17.05.2017, Zugriff 16.10.2018

- Institute of war, Final 2014 Iraqi National Elections Results by Major Political Groups (19.05.2014), http://iswiraq.blogspot.co.at/2014/05/final-2014-iraqi-national-elections.html#!/2014/05/final-2014-iraqi-national-elections.html, Zugriff 16.10.2018

- Rudaw, Kurdish, Sunni MPs boycott Iraqi parliament session over budget dispute, 01.03.2018, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/03012018, Zugriff 17.10.2018

- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf, Zugriff 17.10.2018

- WING, Joel, Musings on Iraq, 649 Deaths, 275 Wounded Feb 2018 In Iraq (UPDATED), 03.03.2018 http://musingsoniraq.blogspot.co.at/ mwN. letzter Zugriff 17.10.2018

1.3.4. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative für arabische Sunniten im Irak:

Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Bürgen, die Registrierung bei lokalen Behörden, sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden, da die Regionen fürchten, dass sich IS-Kämpfer unter den Schutzsuchenden befinden.

Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person. Eine ID-Karte ist in fast allen Regionen von Nöten, doch besteht nicht in jeder Region die Notwendigkeit eines Bürgen.

Quellen:

- Australian Government, DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT IRAQ, 26.06.2017, http://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-iraq.pdf (letzter Zugriff 18.10.2018).

- IOM - International Organization for Migration, Iraq Mission, 17.05.2017, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf, (letzter Zugriff 18.10.2018)

- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, Juni 2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (letzter Zugriff 18.10.2018).

Es ist möglich, ohne Bürgschaft in die AUTONOME REGION KURDISTAN einzureisen. Eine Einreise ist über den Internationalen Flughafen ERBIL als auch auf dem Landweg möglich. Laut Bericht der International Organisation for Immigration (IOM) würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu KURDISTAN oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Irakische Staatsbürger können sich z.B. in ERBIL frei bewegen und von dort aus in alle Provinzen einzureisen. Binnenflüchtlinge müssen sich bei der Einreise registrieren und können dann eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung beantragen. Ob eine Person ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. eine verlängerbare Aufenthaltsgenehmigung in der AUTONOMEN REGION KURDISTAN bekommt, hängt dabei oft vom ethischen, religiösen und persönlichen Profil ab. Die Notwendigkeit eines Bürgen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung differiert von Provinz zu Provinz und wird zuweilen auch willkürlich gehandhabt. In manchen Provinzen kann ein Bürge notwendig werden, um sich dort niederzulassen oder dort zu arbeiten.

Arabische Binnenflüchtlinge können in der Region SULAIMANIYYA zunächst eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung erhalten und sodann den Daueraufenthalt beantragen. In SULAIMANIYYA ist nach Berichten der UNHCR kein Bürge notwendig, um sich niederzulassen oder eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Berichten der IOM zufolge leben 90 % aller Binnengeflüchteten in SULAIMANIYYA in stabilen sanitären Verhältnissen und haben 83 % Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Im Regelfall können binnengeflüchtete Menschen in SULAIMANIYYA am Bildungssystem teilhaben. Binnengeflüchtete haben in dort die Möglichkeit in den verschiedensten Feldern zu den gleichen Löhnen wie ortsansässige Personen zu arbeiten.

In BAGDAD gibt es mehrere sunnitisch mehrheitlich bewohnte Stadtviertel. Zur Einreise von sunnitischen Arabern in das Stadtgebiet BAGDADS müssen sich diese einem Sicherheitscheck unterziehen, vor allem, wenn sie aus vom IS dominierten Gebieten kommen. Darüber hinaus kann es notwendig werden, einen Bürgen vorzuweisen. Auch um BAGDAD herum gibt es Flüchtlingslager und Aufnahmestationen.

Quellen:

- IOM - International Organization for Migration, Iraq Mission, 17.05.2017, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf (letzter Zugriff 18.10.2018)

- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12. 4. 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (letzter Zugriff 18.10.2018).

1.3.5. Dokumente:

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

- BFA - Staatendokumentation (8.8.2017): Anfragebeantwortung der Staatendokumentation -Irak/Syrien: Staatsbürgerschaft Kind, Vater Syrer, Mutter Irakerin, https://www.ecoi.net/en/file/l ocal/1407773/5209_1502703961_syri-irak-ra-staatsbuergerschaft-kind-vater-svrer-mutter-irakerin-2017-08-08-ke.doc, Zugriff 20.9.2018

- IRBC - Immigration and Refugee Board of Canada (25.11.2013): Iraq: Civil Status Identification Card, including purpose and validity; requirements and procedures for the issuance, renewal and replacement of cards, including the location of issue; frequency of fraudulent identity cards, http://www.refworld.org/docid/52cd0a934.html, Zugriff 17.10.2018

- UKHO - United Kingdom Home Office (9.2018): Country Policy and Information Note - Iraq: Internal relocation, civil documentation and returns, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/738200/Iraq_-_IFA_docs_and_return_-_CPIN - v7 September_2018_.pdf, Zugriff 17.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018.

1.3.6. Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irakstand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767, Zugriff 20.11.2018

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irakdl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 16.10.2018

Krankenhäuser und Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung sind stark auf den urbanen Raum konzentriert. Sowohl medizinische Behandlungen als auch Medikamente sind in einem öffentlichen und einem privaten System verfügbar. Ein öffentliches Krankenversicherungssystem existiert im Irak nicht.

Der Mangel an Materialien und Fachpersonal führt zu Schwierigkeiten bei der Behandlung einer großen Anzahl von Patienten. Staatliche und öffentliche Gesundheitseinrichtungen haben insbesondere im Falle langfristig oder dauerhaft behandlungsbedürftiger Gesundheitsbeeinträchtigungen Schwierigkeiten, eine kostenlose Behandlung sicherstellen zu können. Dennoch gestaltet sich der Mangel an medizinischem Personal und angemessener Infrastruktur im Irak nicht dergestalt, dass der Staat insoweit als Akteur im Sinne des Art 6 der Statusrichtlinie anzusehen ist, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Hierfür sind weitere, besondere Umstände in Zusammenhang mit dem vorsätzlichen Verhalten eines Dritten erforderlich, um die Annahme zu rechtfertigen, eine Person würde im Irak keine angemessene Gesundheitsversorgung vorfinden.

Nicht jede Person mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung ist angesichts der medizinischen Versorgung im Irak dem Risiko ausgesetzt, einen ernsthaften Schaden im Sinne der Statusrichtlinie zu erleiden, und ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen Schadens anhand der individuellen Umstände, wie z. B. Alter oder Art der geistigen oder körperlichen Gesundheitsbeeinträchtigung, im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen.

Quelle:

- EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, June 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf. S 89f, Zugriff 20.04.2020

1.3.7. Behandlung nach Rückkehr:

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.06.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UNHabitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570, Zugriff 20.11.2018

- IEC - Iraq's Economic Center (24.1.2018): Rising Real Estate Prices in Iraq encourages buying abroad, http://en.economiciraq.com/2018/01/24/rising-real-estate-prices-in-iraqencourages-buying-abroad/, Zugriff 17.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq Returnees Snapshot-Report%20-%20V5.pdf, Zugriff 16.10.2018

- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017). https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfsirak-dl de.pdf:jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1cid294?blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

- MCH - Ministry of Construction and Housing (10.2010): Iraq National Housing Policy. https://www.humanitarianlibrary.org/sites/default/files/2013/05/634247_INHP_English_Version.pdf, Zugriff 17.10.2018

- REACH (30.6.2017): Iraqi migration to Europe in 2016: Profiles. Drivers and Return. https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/reach_irq_grc_report_iraqi_migration_to_europe in 2016 june 2017%20%281%29.pdf, Zugriff 16.10.2018

- Reuters (12.2.2018): Iraq says reconstruction after war on Islamic State to cost $88 billion. https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-reconstruction/iraq-savs-reconstruction-after-war-on-islamic-state-to-cost-88-billion-idUSKBN1FW0JB, Zugriff 17.10.2018

- UNHSP - United Nations Human Settlements Program (6.11.2017): The Council of Ministers Endorses the Updated Housing Policy of Iraq by the Ministry of Construction. Housing Municipalities and Public Works through the support of UN-Habitat. https://reliefweb.int/report/iraq/council-ministers-endorses-updated-housing-policy-iraq-ministry-construction-housing, Zugriff 17.10.2018.

Eine in den Irak zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in die Beschwerde und den angefochtenen Bescheid, in den vorgelegten Verwaltungsakt, insbesondere in die Protokolle der Einvernahmen vom 28.10.2015 und 17.11.2017. Weiters wurde Einsicht genommen in die vorgelegten Urkunden und schriftlichen Stellungnahmen sowie in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Irak. Zudem wurde Beweis aufgenommen durch die Erörterung der allgemeinen Lage im Irak sowie der individuellen Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit seinem bevollmächtigten Rechtsvertreter im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 07.11.2019.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen im Irak, seiner Herkunft, Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Erstbefragung (Protokoll vom 28.10.2015), seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokoll vom 17.11.2017) sowie seiner schriftlichen Stellungnahme an die belangte Behörde vom 22.01.2019.

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine unbedenklichen, identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Im Rahmen seiner polizeilichen Erstbefragung gab er an, Omar AL-DUALAIMI zu heißen. Während seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.11.2017 behauptete er hingegen, er heiße XXXX (die falsche Protokollierung seines Namens im Rahmen der Erstbefragung gründe auf Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher) und brachte Kopien eines irakischen Reisepasses, Personalausweises sowie Staatsbürgerschaftsnachweises in Vorlage. Im Verfahren behauptete er widersprüchlich, er habe seinen Reisepass auf der Überfahrt verloren (im Rahmen der polizeilichen Erstbefragung am 28.10.2015 sowie im Beschwerdeschriftsatz vom 14.06.2019), vor der belangten Behörde am 17.11.2017 hingegen, er habe nie einen besessen (was nicht mit seinem Vorbringen wonach er auf dem Luftweg von Bagdad nach Erbil gereist sei, in Einklang zu bringen ist). Im Original brachte er einen irakischen Führerschein sowie eine beglaubigte Übersetzung von diesem in Vorlage. Die Authentizität dieses Führerscheines konnte nicht verifiziert werden. Wie dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak zu entnehmen ist, ist jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung leidet, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegensteht, ergibt sich aus einem Konvolut an vorgelegten medizinischen Unterlagen des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Wien, des SMZ-Süd (Kaiser-Franz-Josef-Spital) sowie der Gruppenpraxis "XXXX" (Dr. XXXX, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie). Aus den Befunden ergibt sich, dass der Beschwerdeführer an einer Dreigefäßerkrankung (eine Form der koronaren Herzerkrankung) leidet und am 29.09.2019 einen Myokardinfarkt (Nicht-ST-Hebungsinfarkt) erlitten hat, wegen dem er sich bis zum 04.10.2019 im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien in stationärer Behandlung befand. Hierbei wurden ihm im Zuge einer erfolgreich durchgeführten Angioplastie mehrere Stents gesetzt und zeigte sich der Beschwerdeführer nach der Intervention von kardialer Seite beschwerdefrei. Am 04.10.2019 wurde er in gutem Allgemeinzustand aus dem Krankenhaus entlassen. Im Rahmen von Nachuntersuchungen am 19.12.2019 im SMZ-Süd sowie am 09.01.2020 bei einer Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie wurden dem Beschwerdeführer eine medikamentöse Herzinsuffizienztherapie sowie zuletzt eine dreimonatige Kontrolle der Stoffwechsel- und Blutdruckeinstellung beim Hausarzt empfohlen.

Die Feststellung, wonach eine medizinische Versorgung von Personen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, in Bagdad gewährleistet ist, ergibt sich aufgrund einer diesbezüglichen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das Bundesverwaltungsgericht vom 29.11.2019, wonach eine stationäre als auch ambulante Behandlung durch einen Kardiologen im privaten "Ibn Al-Bittar Specialist Hospital Al-Allawy" in Bagdad möglich ist. Ebenfalls ergibt sich aus dieser Anfragebeantwortung, dass eine internistische Versorgung von Personen mit Herzproblemen in Bagdad gegeben ist, in Form einer stationären Behandlungsmöglichkeit durch einen Internisten im privaten "Al-Yarmouk Teaching Hospital General", sowie einer ambulanten Behandlungsmöglichkeit durch einen Internisten in einer Privatarztpraxis in Bagdad. Auch der Umstand, dass die seitens des Beschwerdeführers eingenommenen medikamentösen Wirkstoffe "Lisinopril", "Prasugrel hydrochlorid", "Acetylsalicylsäure", "Atorvastatin-Hemicalcium" sowie "Pantoprazol-Natrium" in Bagdad zum Teil in den öffentlichen, zum Teil in Privatapotheken erhältlich sind, ergibt sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 29.11.2019.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer weiterhin arbeitsfähig ist, sofern es sich um keine schwere körperliche Tätigkeit handelt, ergibt sich aufgrund dessen, dass seitens des Beschwerdeführers nichts Gegenteiliges vorgebracht wurde und auch den in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen nichts Gegenteiliges entnommen werden kann. Als Entschuldigung für sein Fernbleiben von der mündlichen Verhand

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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