TE Dok 2020/6/4 W 2 - DK IV/2020

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Veröffentlicht am 04.06.2020
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Norm

BDG 1979 §118 Abs1 Z2
BDG 1979 §123 Abs1

Schlagworte

Nichteinleitungsbeschluss, sexuelle Belästigung, Bestimmtheitsgebot, konkreter Verdacht

Text

B e s c h e i d

Die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen hat am 2. Juni 2020 durch MR Friedrich Paul als Senatsvorsitzenden sowie MR Mag. Felix Kollmann und ADir Veronika Schmidt als weitere Mitglieder des Disziplinarsenates IV beschlossen, gemäß § 123 Abs. 1 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, BGBl.Nr. 333/79 i.d.g.F. (kurz: BDG 1979) in der Disziplinarsache gegen

NN

Universalschalterbediensteter

Postfiliale X

hinsichtlich der in der Disziplinaranzeige vom 12. Dezember 2019 erhobenen Vorwürfe, er habe

1.   in der Postfiliale X im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2018 das Lehrmädchen S. beim Vorbeigehen durch Zwicken in die Taille wiederholt sexuell belästigt,

2.   in der Postfiliale X im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2018 S. mehrmals beim Vorbeigehen durch Streifen mit dem Handrücken über S. Gesäß sexuell belästigt,

3.   in der Postfiliale X im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2018 S. durch expliziertes Starren in den Ausschnitt und auf ihren Schritt sexuell belästigt,

4.   in der Postfiliale X regelmäßig in der Mittagspause Alkohol konsumiert

nach § 118 Abs 1 Z 2 iVm § 123 Abs 1 BDG 1979

k e i n D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n e i n z u l e i t e n.

B e g r ü n d u n g

NN steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist der Österreichischen Post AG zur Dienstleistung zugewiesen. Er wurde in der Postfiliale X im Universalschalterdienst verwendet.

Die Dienstbehörde als Disziplinarbehörde erlangte erstmals mit E-Mail vom 16. Juli 2019 von den im Spruch angeführten Vorfällen Kenntnis.

NN wurde zu den Vorwürfen am 15. Juli 2019 in der Postfiliale X einvernommen. Dabei stritt der Beamte die Vorwürfe der sexuellen Belästigung ab und gab an, dass er die Kollegin S. nie absichtlich berührt hätte. Er habe sie weder vorsätzlich angestarrt noch verbale Äußerungen über ihr Äußeres getätigt. Aufgrund der Enge im Schalterbereich könne es allerdings zu unabsichtlichen Berührungen kommen. NN könne sich nicht erklären, warum ihm diese Vorwürfe gemacht werden, er habe sich S. gegenüber immer korrekt verhalten.

Bei der Befragung gab der Beamte zu, dass er in seiner Mittagspause zum Essen einen „Gespritzten“ (1/8 Wein – 1/8 Soda) trinke.

U.a. zur Klärung der Frage des Alkoholmissbrauchs wurde NN sowohl zum Anstaltsarzt als auch zu der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau E. vorgeladen. Die Beurteilung aus fachspezifischer Sicht hat ergeben, dass der Beamte für den Schalterdienst nicht mehr geeignet ist, weshalb aufgrund dieses Ergebnisses ein Verfahren zur Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nach § 14 BDG eingeleitet wurde und der Beschuldigte mit 1. Juni 2020 seinen Ruhestand antrat.

S., die in der Zeit vom 3. September 2018 bis zum 8. Februar 2020 kaufm. Lehrling bei der Österreichischen Post AG war, gab bei ihrer Einvernahme am 06. August 2019 an, dass NN sie gleich in der ersten Arbeitswoche mit Blicken verfolgt habe und sie permanent angeschaut habe. Weiters habe der Beamte sie beim Vorbeigehen öfters in die Taille gezwickt oder mit dem Handrücken ihre Hüfte bzw. das Gesäß gestreift. S. bezweifle, dass diese Berührungen „zufällig“ seien.

S. habe das Verhalten von NN immer ignoriert und gehofft, dass es sich legen werde, da NN eigentlich wissen müsse, dass man sich so nicht verhalte. Aber mit der Zeit sei das Verhalten von NN immer ärger geworden. Er habe S. in den Ausschnitt und auf den Schritt gestarrt und erst nach ein paar Minuten weggeschaut. Sie habe die Handlungen von NN als sehr unangenehm empfunden. Laut S. merke man auch, dass der Beamte gerne Alkohol trinke, weil er oft schon am Morgen danach rieche. S. habe sich deshalb ihrer Kollegin Frau M. anvertraut, welche gemeint hätte, dass ihr die Blicke ebenfalls auffallen würden und auch, dass NN nach Alkohol rieche.

Nach Würdigung der in diesem Zusammenhang geführten Niederschriften und vorgenommenen Aktenvermerke wird seitens des erkennenden Senates dazu angemerkt, dass von den Vorgesetzten und Kollegen des Beschuldigten niemand persönliche Wahrnehmungen zu sexuellen Belästigungen bzw. Zudringlichkeiten gemacht habe. Im Gegenteil führte Frau M., der sich S. anvertraut hat, in ihrer niederschriftlichen Befragung vom 15. Juli 2019 aus, dass sie immer mehr Zweifel an den Erzählungen von S. habe, zumal sie nach Kenntnisnahme besonders darauf geachtet habe, aber keine Auffälligkeiten feststellen konnte.

Hingegen haben alle in der Filiale X tätigen Bediensteten übereinstimmend erklärt, dass es aufgrund der Enge der Schalterlandschaft zu unbeabsichtigten Berührungen, etwa beim Tragen von sperrigen Gütern kommen kann und dies in der Vergangenheit auch passiert sei.

Da darüber hinaus in der Disziplinaranzeige die Tathandlungen nach Ort, Zeit und Tatumständen sehr vage beschrieben wurden und auch einzelne exemplarische Tathandlungen nicht in einer den Bestimmtheitserfordernissen entsprechenden Form dargestellt sind, wurde die Dienstbehörde um Vornahme von ergänzenden Erhebungen ersucht, die ergebnislos blieben.

Der Senat hat dazu erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof (siehe zuletzt VwGH 24.01.2018, Ra 2017/09/0047) vertritt

in ständiger Rechtsprechung, dass die dem Einleitungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren

zukommende rechtliche Bedeutung in erster Linie darin gelegen ist, dem wegen einer

Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten innerhalb der Verjährungsfrist gegenüber

klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren

eingeleitet wurde. Dieser Bescheid dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen hat und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluss in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens ist. Um dieser Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, muss das dem Disziplinarbeschuldigten als Dienstpflichtverletzung vorgeworfene Verhalten im Einleitungsbeschluss derart beschrieben werden, dass

unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildet.

Ermittlungen der Disziplinarbehörde vor der Einleitung eines Disziplinarverfahrens haben das Ziel, zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind, oder ob allenfalls (offenkundige) Gründe für eine sofortige Verfügung der Einstellung des Disziplinarverfahrens vorliegen (vgl. Verfassungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1979, Slg. 8686, und Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1989, Zl. 89/09/0113). Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche zur Annahme einer Dienstpflichtverletzung führen. Ein Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Verdacht ist mehr als eine bloße Vermutung, er setzt die Kenntnis von Tatsachen voraus, aus denen nach der Lebenserfahrung auf ein Vergehen geschlossen werden kann (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1989, Zl. 89/09/0113, und vom 23. November 1989, Zl. 89/09/0112).

Die Disziplinarkommission hat in dem der Einleitung vorausgehenden Verfahren daher nicht positiv zu prüfen, ob eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung begangen wurde, sondern - negativ - zu erheben, ob nicht ein Grund für die Einstellung des Verfahrens vorliegt (z.B. VwGH 90/09/0107 vom 18.10.1990).

Da fallbezogen die Tatzeiten in der Disziplinaranzeige nur mittels eines dreimonatigen Zeitfensters, Oktober bis Dezember 2018 (zum Alkoholkonsum noch nicht einmal dieses), konkretisiert wurde und die Vorhalte auch sonst nur äußerst vage ermittelt wurden, hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission mit Schreiben vom 9. Jänner 2020, W 1/3 DK-IV/2020, gemäß § 123 Abs 1 BDG die Vornahme ergänzender Erhebungen beauftragt.

Konkret wurde dabei ausgeführt, dass es bei einem über einen längeren Zeitraum fortgesetzten, aus zahlreichen Einzelhandlungen bestehenden Verhalten genüge, eine zusammenfassende Beschreibung mit zeitlicher Abgrenzung vorzunehmen, wenn zumindest beispielsweise die bezeichneten Einzelakte konkret unter Verweis auf Tatort, Tatzeit und Tatumstände beschrieben werden (vgl. Kucsko-Stadlmayer „Das Disziplinarrecht der Beamten, 4. Auflage S 572).

Fallbezogen wird jedoch keine einzige Tathandlung in ausreichender Weise beschrieben. Ein nicht näher präzisierter Tatzeitraum von 3 Monaten kann dem Bestimmtheitserfordernis damit nicht genügen. Dies umso mehr, da jegliche Tathandlung der Anschuldigungspunkte 1 bis 3 bestritten wurde und auch Zeugen über keinen eigenen Wahrnehmungen berichten konnten.

Es erging daher das Ersuchen, zu jedem der vier Spruchpunkte ein bis zwei exemplarische Vorfälle bestmöglich nach Tatzeit (Tag, Stunde…), Tatort (z.B. Schalterraum, Aufenthaltsraum…) und Tathandlung (Zwicken, …) zu beschreiben.

Mit Schreiben der Dienstbehörde vom 11. Februar 2020 wurde mitgeteilt, dass die ergänzenden Erhebungen ergebnislos geblieben sind und keine weiteren Konkretisierungen vorgenommen werden können.

Damit fehlt es aber an konkreten Tatsachen bzw. einer dem Bestimmtheitsgebot ausreichenden Konkretisierung, um über bloße Vermutungen hinaus einen konkreten Verdacht zu entwickeln. Dies insbesondere, da die lückenlose Umfeldbefragung zu keinen den Beschuldigten belastenden Tatsachen geführt hat und auch der weiterer Versuch im Wege von ergänzenden Erhebungen ergebnislos geblieben ist.

Laut § 118 Abs 1 Z 2 BDG 1979 ist das Disziplinarverfahren mit Bescheid einzustellen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt.

Die Disziplinarkommission hatte daher die Einstellung des Disziplinarverfahrens zu beschließen.

Wie bereits die Dienstbehörde ist auch der erkennende Senat der Ansicht, dass nach § 78 StPO eine Strafanzeige nicht geboten ist, zumal die Sachlage im Gegenstand keinen entsprechenden Verdacht eines Vorliegens eines Offizialdeliktes begründet. Unabhängig von der Verdachtslage (siehe oben) setzen strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, §§ 201 ff StGB, eine geschlechtliche Handlung und/oder eine Verfolgungsermächtigung der verletzten Person voraus. S. hat auch auf Anfrage der Dienstbehörde mit E-Mail vom 18. Dezember 2019 mitgeteilt, dass sie keine Anzeige gegen Herrn NN möchte.

Der guten Ordnung halber ist zu den in der Disziplinaranzeige angeführten disziplinären Vorbelastungen auf § 121 (2) BDG 1979 zu verweisen. Dieser lautet: Hat der Beamte innerhalb von drei Jahren nach Rechtskraft der Disziplinarverfügung oder des Disziplinarerkenntnisses keine Dienstpflichtverletzung begangen, so darf die erfolgte Bestrafung in einem weiteren Disziplinarverfahren nicht berücksichtigt werden. Die in der Disziplinaranzeige angeführten disziplinären Vorbelastungen aus der Zeit 2011-2013 waren daher nicht zu beachten.

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2020
Quelle: Disziplinarkommissionen, Disziplinaroberkommission, Berufungskommission Dok, https://www.ris.bka.gv.at/Dok
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