Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art137 / VerzugLeitsatz
Teilweise Stattgabe einer auf Zinsen und Kosten eingeschränkten Klage gegen den Bund; Einhebung des Strafbetrages mangels ordnungsgemäßer Zustellung der Strafverfügung ohne Rechtsgrund erfolgt; Verzug erst ab dem Ende der vom Kläger gesetzten Zahlungsfrist; kein Zuspruch der nicht ziffernmäßig verzeichneten KostenSpruch
Der Bund (Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr) ist schuldig, dem Kläger 4 % Zinsen aus S 1.498,-- vom 1. Juli 1995 bis zum 9. Oktober 1995 zuhanden seiner Rechtsvertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren auf Zinsen ab dem 20. Mai 1995 bis zum 30. Juni 1995 wird abgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. In der am 26.9.1995 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten, auf Art137 B-VG gestützten Klage begehrt der Kläger von der Republik Österreich (richtig: dem Bund) die Bezahlung von S 1.538,-- samt 4 % Zinsen seit dem 20.5.1995 "sowie die Kosten dieses Rechtsstreites", welche jedoch nicht ziffernmäßig verzeichnet werden. Begründend wird im wesentlichen vorgebracht, daß eine den Kläger betreffende Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Graz mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Dennoch habe das Bezirksgericht Leoben am 2.12.1994 die Fahrnis- und Forderungsexekution zur Einbringung des Strafbetrages von
S 1.500,-- bewilligt. Am 3.2.1995 habe der Kläger eine Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe betreffend die genannte Strafverfügung erhalten. Am 20.5.1995 sei der Kläger gegen acht Uhr morgens verhaftet worden. Nach Zahlung von
S 1.498,-- an "Reststrafe", wobei die verbüßte Haft auf die mit
S 38,-- bestimmten Exekutionskosten sowie mit S 2,-- auf die Geldstrafe angerechnet worden sei, habe man ihn aus der Haft entlassen.
Mit Schreiben vom 20.6.1995 sei die Bundespolizeidirektion Graz von den ausgewiesenen Vertretern des Klägers aufgefordert worden, den zu Unrecht eingehobenen Betrag bis spätestens 30.6.1995 zu refundieren, doch sei eine Zahlung nicht erfolgt. Mit Bescheid vom 24.7.1995 habe der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark festgestellt, daß die Festnahme des Klägers am 20.5.1995 um 8.15 Uhr durch Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Graz infolge Nichtigkeit der Zustellung der Strafverfügung rechtswidrig war. Es werde daher die Rückzahlung des Betrages von S 1.538,-- samt 4 % Zinsen seit dem 20.5.1995 sowie der Kosten dieses Rechtsstreites begehrt.
Mit vorbereitendem Schriftsatz vom 13.10.1995 schränkte der Kläger das Klagebegehren auf Zahlung von 4 % Zinsen aus S 1.498,-- vom 20.5.1995 bis zum 9.10.1995 sowie auf die - neuerlich nicht verzeichneten - Kosten dieses Rechtsstreites ein. Begründend wurde ausgeführt, daß dem Kanzleikonto der Klagsvertreter am 11.10.1995 ein am 10.10.1995 eingezahlter Betrag von S 1.498,-- gutgebucht worden sei. Die ursprünglich auch begehrten S 38,-- an Exekutionskosten seien nicht mittels Klage gemäß Art137 B-VG, sondern gemäß §75 EO auf dem Rechtsweg geltend zu machen. Hinsichtlich der einem Betrag von S 2,-- entsprechenden Freiheitsstrafe sei ein Bereicherungsanspruch nicht gegeben.
2. Der Bund als beklagte Partei hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er die Abweisung auch der auf Zinsen und Kosten eingeschränkten Klage begehrt. Dies wird damit begründet, daß der Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 24.7.1995, mit welchem die Rechtswidrigkeit der Festnahme des Klägers festgestellt worden war, der Bundespolizeidirektion Graz am 20.9.1995 zugestellt worden sei. Am 26.9.1995 habe die genannte Behörde ihren Wirtschaftsverwaltungsdienst angewiesen, den vom nunmehrigen Kläger entrichteten Betrag von S 1.498,-- zurückzuzahlen. Dieser sei dem Kläger, wie dieser selbst angegeben habe, am 10.10.1995 gutgebucht worden. Da die Behörde ohne unvertretbare Zeitverzögerung ihrer Rückzahlungsverpflichtung ordnungsgemäß nachgekommen sei, habe sie zur Erhebung der bereits am 26.9.1995 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Klage keinen gerechtfertigten Anlaß gegeben.
3. Aus den vorgelegten Akten ergibt sich der folgende Sachverhalt:
Mit Strafverfügung vom 25.11.1993 verhängte die Bundespolizeidirektion Graz über den nunmehrigen Kläger wegen Verletzung des §103 Abs2 KFG eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.500,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen. Das an die Grazer Adresse des Klägers adressierte Kuvert, in welchem sich die Strafverfügung befand, ging jedoch mit dem Vermerk "Empfänger studiert in Leoben" an die Behörde zurück, welche daraufhin die Zustellung der Strafverfügung an die Leobener Adresse des Klägers veranlaßte. Die Strafverfügung wurde am 27.12.1993 hinterlegt und am 14.1.1994 mit dem Vermerk "Nicht behoben" an die Behörde zurückgestellt.
Am 4.10.1994 wurde der Kläger gemahnt. Am 24.11.1994 stellte die Republik Österreich als betreibende Partei, vertreten durch die Bundespolizeidirektion Graz, beim Bezirksgericht für ZRS Leoben einen Antrag auf Fahrnis- und Forderungsexekution zur Hereinbringung "der vollstreckbaren Forderung von 1.500.- Geldstrafe". Das Gericht bewilligte die Exekution am 2.12.1994. Am 26.1.1995 beantragte die betreibende Partei die Einstellung der Exekution gemäß §39 Z6 EO. Mit Schriftsatz vom selben Tag wurde der nunmehrige Kläger aufgefordert, binnen 8 Tagen die Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen anzutreten, da Grund zu der Annahme bestehe, daß die Geldstrafe uneinbringlich sei. Diese - an die Grazer Adresse des Klägers adressierte - Aufforderung wurde am 31.1.1995 nach zwei vorangegangenen Zustellversuchen durch Hinterlegung zugestellt.
Am 10.3.1995 langte bei der Bundespolizeidirektion Graz ein Schreiben des Präsidenten des Landesgerichtes Leoben ein, in welchem mitgeteilt wird, daß die im Zusammenhang mit dem Exekutionsantrag entstandenen Gebühren in der Höhe von insgesamt S 200,-- der verpflichteten Partei zur Zahlung vorgeschrieben worden seien. Die zahlungspflichtige Partei habe einen dagegen gerichtenen Berichtigungsantrag eingebracht, in welchem sie vorbringe, daß der der Exekution zugrundeliegende Rückstandsausweis aus einer Strafverfügung resultiere, die nie rechtswirksam zugestellt worden sei. Die betreibende Partei hätte dies bei gehöriger Aufmerksamkeit wissen müssen, da der Verpflichtete an der Leobener Adresse niemals Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Außerdem sei die gegenständliche Wohnung zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung überhaupt unbewohnt gewesen. Der Exekutionsantrag sei daher zu Unrecht gestellt worden.
Dem Ersuchen des Präsidenten des Landesgerichtes Leoben um Mitteilung, ob das Vorbringen des Berichtigungswerbers den Tatsachen entspreche, kam die Bundespolizeidirektion Graz mit Schreiben vom 27.3.1995 nach. Darin wurde ausgeführt, daß zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Strafverfügung am 27.12.1993 beim zuständigen Postamt in Leoben der nunmehrige Kläger mit ordentlichem Wohnsitz in Leoben gemeldet war. Wenn dieser behaupte, er hätte in Leoben niemals einen Wohnsitz gehabt, so entspreche dies nicht den Tatsachen. Außerdem sei gegenüber der Behörde nie der Einwand gebracht worden, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Hinterlegung ortsabwesend gewesen sei.
Am 5.4.1995 wurde die Vorführung des nunmehrigen Klägers zum Strafantritt verfügt. Am 20.5.1995 wurde er um 8 Uhr 15 verhaftet und nach Bezahlung einer Reststrafe von S 1.498,-- um 9 Uhr 30 aus dem Polizeigefängnis wieder entlassen.
Aufgrund einer dagegen erhobenen Maßnahmebeschwerde stellte der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark mit Bescheid vom 24.7.1995 fest, daß diese Festnahme des Klägers durch Sicherheitswachebeamte der Bundespolizeidirektion Graz rechtswidrig war. Dies wurde damit begründet, daß der belangten Behörde der Nachweis nicht gelungen sei, daß die Ersatzfreiheitsstrafe rechtskräftig verhängt wurde. Ausschließlich mit der pauschalen Feststellung, es entspreche nicht den Tatsachen, daß der Beschwerdeführer niemals seinen Wohnsitz in Leoben gehabt habe und daß er nie vorgebracht habe, er sei zum Zeitpunkt der Hinterlegung ortsabwesend gewesen, könne eine ordnungsgemäße Zustellung nicht begründet werden. Mangels Titels sei die Anordnung der zwangsweisen Vorführung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe für sich allein betrachtet ein verfassungswidriger Eingriff in die subjektive Rechtssphäre des Betroffenen gewesen.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. VfSlg. 8812/1980, 9556/1982, 10796/1986) - Klage erwogen:
4.1. Die - auf Zinsen und Kosten eingeschränkte - Klage ist dem Grunde nach berechtigt. Mangels ordnungsgemäßer Zustellung ist die an den Kläger gerichtete Strafverfügung nicht in Rechtskraft erwachsen, sodaß die Einhebung des Betrages von S 1.498,-- vom Kläger am 20.5.1995 zufolge Fehlens eines Titels ohne Rechtsgrund erfolgt ist.
Der Verfassungsgerichtshof teilt die Rechtsauffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark, daß die Behörde - die im übrigen dann, wenn der Empfänger behauptet, daß er wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, die Beweislast für die Rechtswirksamkeit der Zustellung trifft (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, 1987, S. 904 FN 22) - nicht nachweisen konnte, daß die Ersatzfreiheitsstrafe - und damit auch die primäre Geldstrafe - rechtskräftig verhängt wurde.
Für die Vermögensverschiebung, die durch die Hereinbringung des klagsgegenständlichen Geldbetrages bewirkt wurde, fehlt somit die rechtliche Deckung. Der Kläger war daher zu seiner Rückforderung berechtigt (vgl. VfSlg. 8812/1980, 9556/1982 und 10796/1986).
4.2. Da das Klagebegehren auf Zinsen aus dem eingehobenen Betrag und Kosten eingeschränkt wurde, ist nur mehr darüber abzusprechen.
Ein Anspruch auf Zinsen ist dem Grunde nach gegeben. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Erkenntnis VfSlg. 28/1919 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß die Bestimmungen der §§1333 und 1334 ABGB über Verzugszinsen auch bei Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses anzuwenden sind, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt; unter dieser Voraussetzung sind im Falle des Verzuges des Schuldners von diesem dem Gläubiger Verzugszinsen zu leisten (vgl. zB VfSlg. 8578/1979, 8954/1980).
Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. zB VfSlg. 9498/1982, 10496/1985, 10498/1985, 12335/1990), tritt Verzug bei der Rückzahlung einer eingehobenen Geldstrafe, deren Titel durch ein nachfolgendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes weggefallen ist, erst mit dem Zeitpunkt ein, für den die Rückgängigmachung der Vermögensverschiebung begehrt wurde. Dieser Gedanke ist auf den vorliegenden Fall übertragbar (vgl. VfGH 16.12.1994 A1/94): Der Kläger hat die Rückzahlung des eingehobenen Geldbetrages erst mit - bei der Behörde am 21.6.1995 eingelangtem - Schreiben vom 20.6.1995 begehrt und eine Frist bis zum 30.6.1995 gesetzt. Unter Bedachtnahme auf diese, vom Kläger selbst gesetzte Frist, besteht seine Zinsenforderung sonach erst ab dem 1.7.1995 zu Recht (vgl. VfSlg. 10496/1985, 12335/1990).
5. Kosten werden nicht zugesprochen, weil der obsiegende Kläger solche zwar begehrt, nicht aber ziffernmäßig verzeichnet hat. Wohl besagt §27 VerfGG idF BGBl. Nr. 297/1984, daß "regelmäßig anfallende Kosten, insbesondere für den Antrag (die Beschwerde) und für die Teilnahme an Verhandlungen, nicht ziffernmäßig verzeichnet werden" müssen, doch bezieht sich diese Ergänzung des Gesetzes nach Wortlaut und Sinngehalt n i c h t auf Klagen nach §37 ff. VerfGG (vgl. VfSlg. 10161/1984, 10968/1986).
6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.
Schlagworte
VfGH / Klagen, VfGH / Kosten, ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:A17.1995Dokumentnummer
JFT_10039696_95A00017_00