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Baurecht - WienNorm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Rath, Dr. Leibrecht, Dr. Hrdlicka und Dr. Straßmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Bezirksrichter Dr. Gerhard, über die Beschwerde der A F in W, vertreten durch Rudolf Rieger, Rechtsanwalt in Wien I, Kärntnerstraße 17, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 2. Juni 1970, Zl. MDR-B I1I-22/69, betreffend eine Duldungsverpflichtung gemäß § 126 der Bauordnung für Wien (mitbeteiligte Partei: W P in W), nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Rudolf Rieger, und des Vertreters der belangten Behörde, Obermagistratsrat Dr. Helmut Hrasko, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 790,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der mitbeteiligten Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war als Eigentümer des Hauses in Wien, G-gasse 26, mit dem - rechtskräftigen - Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 36, vom 7. September 1965 gemäß § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien der Auftrag erteilt worden, den „schadhaften Verputz der Feuermauer gegen die Liegenschaft, G-gasse 24, sowie den der Lichthofmauern instandsetzen zu lassen“.
Im November 1967 legte die mitbeteiligte Partei der Behörde einen Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vor, mit dem die Klage der mitbeteiligten Partei, daß die Beschwerdeführerin zur Verputzerneuerung die Errichtung eines Gerüstes auf dem Dach ihres Hauses zu dulden habe, wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen worden war. Die mitbeteiligte Partei beantrage daher eine diesbezügliche Entscheidung der Baubehörde nach § 126 der Bauordnung für Wien.
Mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 36 vom 24. Juni 1969, wurde die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des Hauses Wien, G-gasse 24, unter Berufung auf § 126 Abs. 1 der Bauordnung für Wien verpflichtet, die „Aufstellung von Gerüsten im Hof an der linken Grundgrenze, aus Anlaß der Instandsetzung des Verputzes der freistehenden rechten Feuermauer der Liegenschaft, G-gasse 26, sowie der angrenzenden Mauern des Lichthofes vorgenannter Liegenschaft“ zu dulden. Gemäß § 126 Abs. 3 der Bauordnung für Wien werde, wie es im Bescheidspruch ferner hieß, für die Sicherstellung der Ersatzansprüche die Hinterlegung eines Barbetrages von S 3.000,-- beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in welcher im wesentlichen geltend gemacht wurde, daß sie zu der im Verfahren der ersten Instanz stattgefundenen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden sei und daher an der Ermittlung des Sachverhaltes nicht habe mitwirken können.
In einem weiteren Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 27. März 1970 hieß es unter anderem, es werde die Stellungnahme der Magistratsabteilung 25 zur Gänze abgelehnt, da die Beschwerdeführerin Bedenken gegen die Objektivität des Referenten - zufolge einer „nicht nur persönlichen Äußerung, sondern wegen Notizen der Abteilung 36 im Akt, die aber mittlerweile nicht mehr aufschienen“ - habe. Diese Bedenken würden die Beschwerdeführerin zur Vorlage zweier Privatgutachten veranlassen. Das Gutachten des Architekten J B diente vor allem dem Nachweis dafür, daß der Lichthof des Hauses der mitbeteiligten Partei mit einem Hängegerüst instandgesetzt werden könne. Im Gutachten des Zivilingenieurs für Bauwesen Dipl.-Ing. L W vom 2. Oktober 1969 wurde unter anderem ausgeführt: 2,1) Beschreibung der gegenständlichen Liegenschaft: „Die Liegenschaft der G-gasse 26 besteht aus einem Vordertrakt und einem zweiten Trakt. Zwischen beiden Trakten ist ein in dieser Verbauung üblicher Lichthof, der gegen das Grundstück G-gasse 24 mit einer ebenerdigen Grenzmauer abgeschlossen ist. Die Feuermauer des Vordertraktes ist nur vom Dach der Liegenschaft G-gasse 24 aus einzugerüsten. Die Fassaden des Lichthofes sind auf allen 3 Seiten von einem Hängegerüst aus instandzusetzen. Die ebenerdige Hofabschlußmauer ist ebenso wie die Feuermauer des 2. Traktes nur vom Hof der Liegenschaft der Auftraggeberin her einzugerüsten. Ebenso notwendig wie die Instandsetzung dieser Schauseiten der Liegenschaft G-gasse 26 ist die der Schauseite des 2. Traktes nach dem Nachbargrundstück G-gasse 5. Die Eingerüstung dieser Fassade kann nur von dem 2. Hof der Liegenschaft G-gasse 5 her erfolgen.“ 3.1) Verpflichtungen der Eigentümerin der Liegenschaft G-gasse 24: „Nach § 126 der Bauordnung für Wien ist die Eigentümerin der Liegenschaft G-gasse 24 verpflichtet, gegen Ersatz des nachweisbaren Schadens durch den Bauführer die Aufstellung der zur Bauführung erforderlichen Gerüste zu gestatten. Frau F ist also verpflichtet, die zur Bauführung an der Feuermauer des Vordertraktes der Liegenschaft G-gasse 26 auf dem Dach ihrer Liegenschaft erforderlichen Gerüste zu gestalten. Sie ist weiters verpflichtet, das im Hof ihrer Liegenschaft zu errichtende Gerüst für die Herstellung der Feuermauer des 2. Traktes G-gasse 26 und der ebenerdigen Abgrenzungsmauer des Lichthofes zu gestatten. Sie ist jedoch nicht verpflichtet, die Vornahme der Eingerüstung des Lichthofes des Grundstückes G-gasse 26 von ihrem Grundstück G-gasse 24 aus zu gestatten.“ 3.4) Sicherstellung: „Nach § 126 Abs. 3 der Bauordnung entscheidet die Behörde auch auf Antrag eines Beteiligten über die Sicherstellung der Ersatzansprüche. Der Sachverständige ist der Ansicht, daß die von der Behörde 1. Instanz vorgenommene Bemessung der Sicherstellung mit S 3.000,-- für die Sicherstellung der Ersatzansprüche nicht ausreichend ist. Die möglichen Zerstörungen am Dach des Hauses G-gasse 24 können an Spengler- und Dachdeckerarbeiten, sogar an Zimmererarbeiten leicht einen Betrag von S 12.000,-- erreichen. Die Beschädigungen an der Grenzmauer zum Hause G-gasse 5 können Aufwendungen für die Wiederherstellung im Betrage von S 8.000,-- erforderlich machen. Frau F können also je nach dem Umfang der zugefügten Schäden Ersatzansprüche bis zu S 20.000,-- erwachsen.“
Am 30. April 1970 fand vor der Berufungsbehörde eine mündliche (Büro-)Verhandlung statt. Im Eingang der hierüber aufgenommenen Niederschrift heißt es wörtlich: „Der Vertreter der Antragstellerin gibt bekannt, daß die Eingerüstung des Lichthofes mit Hängegerüsten erfolgen soll. Für die Instandsetzungsarbeiten im Lichthof ist daher eine Inanspruchnahme des Nachbargrundstückes nicht erforderlich, denn auch das notwendige Material sowie der anfallende Schutt werden über die eigene Liegenschaft der Antragstellerin zu- und abtransportiert. Das Haus G-gasse 26 besitzt weiters eine gegen den Garten der Berufungswerberin freistehende Feuermauer. Diese freistehende Feuermauer kann nur vom Garten der Berufungswerberin aus verputzt werden, wobei in diesem Garten ein Gerüst aufzustellen sein wird. Die Gerüstteile und das sonstige Baumaterial werden über die Liegenschaft G-gasse 5 in den Garten der Berufungswerberin eingebracht. Hiebei ist es notwendig, in der Gartenmauer der Berufungswerberin eine ca. 2 - 3 m breite Öffnung zu machen. Weiters wird zur Einbringung der Gerüstteile, wie zur Einbringung des Materials und zur Wegbringung von Schutt die Inanspruchnahme eines 4 m breiten Streifens notwendig sein. Die Öffnung in der Mauer der Berufungswerberin wird zweckmäßigerweise in der Achse des Hofausganges des Hauses G-gasse 5 anzulegen sein. Dies deshalb, weil ansonsten die Einbringung der langen Gerüstleitern unmöglich wäre.
Die instandzusetzende Feuermauer ist 26 m hoch. Im Hinblick auf diese Höhe der Feuermauer wird für die Gerüstaufstellung und für die anläßlich der Instandsetzung am Boden zu verrichtenden Arbeiten die Inanspruchnahme eines ca. 4 m breiten Grundstreifens entlang der Liegenschaftsgrenze erforderlich sein.
Weiters ist ein Teil der Feuermauer der Liegenschaft G-gasse 26 nur vom Dach des Vordergebäudes der Berufungswerberin aus zugänglich und instandsetzbar. Es müssen daher die Gerüstteile und Baumaterialien mittels eines Gerüstes, welches am eigenen Haus angebracht wird, auf das Dach der Berufungswerberin gebracht werden. Das Leitergerüst wird auf dem Dach der Berufungswerberin aufzustellen sein. Hier beträgt die Feuermauerhöhe ca. 6 m. Auf dem Dach wird ein Bretterbelag mit Schutzgerüst am Dachsaum zum Schutz des Daches der Berufungswerberin anzubringen sein. Auf dem Bretterbelag ist das Gerüst aufzustellen. Der Bretterbelag zum Schutz des Daches der Berufungswerberin muß zweckmäßigerweise 2 m breit sein.
Für die Instandsetzung beider Feuermauern von der Liegenschaft der Berufungswerberin aus, einschließlich der Zubringung der Gerüstteile und Gerüsterrichtung sowie der Gerüstabtragung und des Abtransportes der Gerüstteile wird einschließlich etwaiger Schlechtwettertage, an denen nicht gearbeitet werden kann, voraussichtlich eine Frist von sieben Wochen erforderlich sein.“
An diese Darstellung schließt der Satz an, die bisher getroffenen Feststellungen seien die einhellige Meinung des Amtssachverständigen und sämtlicher Privatsachverständiger. (Darunter sind nach der Aktenlage die schon zuvor genannten, von der Beschwerdeführerin namhaft gemachten Sachverständigen und zwei weitere, von der mitbeteiligten Partei namhaft gemachte Sachverständige, welche alle von der Behörde der Verhandlung als „Privatsachverständige“ zugezogen wurden, zu verstehen.)
Danach wurden Feststellungen zur Frage der Sicherstellung der Ersatzansprüche protokolliert. Wie es in der Niederschrift hiezu heißt, enthalte der Garten der Beschwerdeführerin, hinsichtlich dessen die Grundinanspruchnahme nötig sei, gegenwärtig zwei alte Bäume. Sonstige Kulturen seien nicht vorhanden. Eine Beschädigung von Kulturen sei daher nicht möglich. Nach Angabe des Amtssachverständigen - eines Vertreters der Magistratsabteilung 25 - und des Privatsachverständigen Architekt J. B sei eine Dachfläche von höchstens 30 m2 gefährdet. Die Dacheindeckung (Neuherstellung) koste pro Quadratmeter ca. S 100,-- bis S 150,-- .Auch für den Fall einer äußerst schweren Beschädigung des Daches wären daher S 4.000,-- als Sicherstellung angemessen. An Verblechungen und Dachrinnen könnten nach Auffassung des Amtssachverständigen äußerstenfalls Schäden entstehen, deren Behebung S 1.200,-- kosten könnte. Es sei nicht damit zu rechnen, daß Schäden entstehen könnten, die einen bedeutenden Verbrauch an neuem Material erfordern würden. Hingegen könnten ca. 12 Arbeitsstunden zur Beseitigung von Schäden an 4 lfm. Rinnen und Saum erforderlich sein. 12 Arbeitsstunden würden ca. S 900,-- kosten. Die Materialkosten könnten S 300,-- betragen, Der Amtssachverständige führte weiter aus, daß er bei Schätzung von S 500,-- Sicherstellung für Schäden an der Hofeinfriedungsmauer nicht mit der Abtragung von 12 m2 der Mauern gerechnet habe. Bei Wiederherstellung von 12 m2 Mauerfläche sei mit Kosten von S 3.000,-- zu rechnen. Es folgen sodann Ausführungen zu der - in der Beschwerde nicht erörterten - Frage einer Beweissicherung. Anschließend daran wurde die Meinung der Beschwerdeführerin protokolliert, daß die Baupolizei befangen sei. Nach der Auflassung der Beschwerdeführerin sei auch eine Kaution für die Beschädigung und Beschmutzung von Fenstern festzusetzen. Der Amtssachverständige führte hiezu aus, daß nach der Lage der Hoffenster eine Beschädigung derselben nicht zu befürchten sei.
Die Niederschrift enthält ferner den Hinweis des Leiters der Amtshandlung, daß sich der Privatsachverständige Dipl.-Ing. L. W vor Schluß der Verhandlung nach Leistung der Unterschrift entfernt habe. Das Protokoll schließt mit folgender Feststellung des Leiters der Amtshandlung: Die Beschwerdeführerin verzichte auf die Verlesung der Verhandlungsschrift, erklärt aber, dieselbe nicht zu unterschreiben, weil sie dem Inhalt derselben in fachlicher Hinsicht nicht genau gefolgt sei. Die Richtigkeit des Wiedergegebenen werde ausdrücklich bestätigt.
In den Akten des Verwaltungsverfahrens ist ferner ein mit 2. Mai 1970 datiertes, an die Berufungsbehörde gerichtetes Schreiben der Beschwerdeführerin enthalten, mit dem sie sich gegen den Inhalt des bei der Verhandlung vom 30. April 1970 abgegebenen Gutachtens des Amtssachverständigen wendete, den sie wegen Parteilichkeit - aus dem schon ober angegebenen Grund - ablehne.
Mit dem Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 2. Juni 1970 wurde in Erledigung der Berufung der Beschwerdeführerin der Spruch des Bescheides der Behörde erster Instanz gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 neu gefaßt. Darnach werde die Beschwerdeführerin gemäß § 126 Abs. 1 und 2 der Bauordnung für Wien verpflichtet, die Inanspruchnahme einer ca. 2 m breiten Dachfläche zur Anbringung eines Bretterbelages mit Schutzgerüst am Dachsaum sowie zur Aufstellung eines Gerüstes an der ca. 6 m hohen Feuermauer des an der G-gasse gelegenen Teiles des Hauses G-gasse 26, die Inanspruchnahme eines 4 m breiten Grundstreifens im Garten der Beschwerdeführerin zur Aufstellung eines Gerüstes an der ca. 26 m hohen, gegen den Garten der Beschwerdeführerin gerichteten Feuermauer sowie die Inanspruchnahme eines ca. 4 m breiten Streifens von der Achse des Hofausganges des Haudes G-gasse 5 bis zur letztgenannten Feuermauer unter gleichzeitiger Anbringung einer etwa 3 m breiten Öffnung in der Gartenmauer der Beschwerdeführerin auf eine Dauer von sieben Wochen zu dulden. Gemäß § 126 Abs. 3 der Bauordnung für Wien werde für die Sicherstellung der Ersatzansprüche die Hinterlegung eines Kautionsbetrages von S 9.000,-- beim Bezirksgericht Innere Stadt verfügt. Zur Begründung gibt die Behörde zunächst das Verwaltungsgeschehen einschließlich des Vorbringens der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren im einzelnen wieder. Hiezu sei zusammenfassend folgendes zu sagen: Allenfalls in erster Instanz unterlaufene Verfahrensmängel seien nach Auffassung der Behörde im Zuge des Berufungsverfahrens saniert worden. Was den Umfang der Duldungsverpflichtung anlange, so sei es nach Auffassung der Behörde verfehlt, wenn die Beschwerdeführerin der Meinung sei, daß die Duldungsverpflichtung nicht über den Bauauftrag vom 7. September 1965 hinausgehen könne, da von der Antragstellerin (der mitbeteiligten Partei) auch nicht vom Bauauftrag umfaßte Instandsetzungsarbeiten durchgeführt werden könnten. Überdies gehe man wohl nicht fehl, wenn man annehme, daß sich der Auftrag vom 7. September 1965 auf beide Feuermauernteile, die gegen die Liegenschaft der Beschwerdeführerin gerichtet seien, beziehen sollte. Der Umfang der Duldungsverpflichtung sei weiters von der Behörde nun im einzelnen auf Grund der übereinstimmenden Gutachten sämtlicher am Verfahren beteiligter Sachverständiger, sowohl der Amtssachverständigen als auch der „Privatsachverständigen beider Parteien“, festgelegt worden. Die Berufungsbehörde gehe daher nicht fehl, wenn sie dieses Gutachten, das im übrigen auch den technischen Erfahrungen und den Erfahrungen des Lebens zu entsprechen scheine, ihrer Entscheidung zugrunde lege. Die Entschädigung sei von der Behörde auf Grund des Gutachtens des Amtssachverständigen, das bei der mündlichen Verhandlung abgegeben worden sei, festgesetzte worden, wobei die Behörde allerdings „erachtete“, zusätzlich einen Betrag von S 800,-- für die Beseitigung von etwa liegengebliebenem Schutt und etwaigen Verunreinigungen festzusetzen. Das Gutachten des Amtssachverständigen, das im übrigen unter Mithilfe des von der Beschwerdeführerin nominierten Privatsachverständigen Architekt J. B zustande gekommen sei, erscheine der Behörde ausreichend detailliert, den Erfahrungen der technischen Wissenschaft entsprechend und daher schlüssig. Das Gutachten des „Privatsachverständigen der Berufungswerberin“ Dipl.-Ing. L. W hingegen sei, soweit es sich auf die für allfällige Beschädigungen festzusetzende Kaution beziehe, als lediglich globale Schätzung zu betrachten, weshalb es die Behörde als begründet erachtete, dem nunmehrigen Gutachten des Amtssachverständigen den Vorzug zu geben. Wenn die Beschwerdeführerin den technischen Amtssachverständigen abgelehnt habe, so sei dazu zu sagen, daß nach den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 eine Ablehnung von Amtssachverständigen nicht möglich sei. Daß der technische Amtssachverständige befangen und daher anzunehmen sei, daß sein Gutachten unter Zugrundelegung unsachlicher Motive zustande gekommen sei, könne die Behörde nicht finden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde. Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese und die Gegenschrift der belangten Behörde erwogen:
Die materiellrechtliche Grundlage des angefochtenen Bescheides bilden die Bestimmungen des § 126 der Bauordnung für Wien (LGBl. Nr. 11/1930, in der Fassung der Bauordnungs-Novelle 1956, LGBl. Nr. 28). Diese Bestimmungen lauten: „(1) Die Eigentümer der Nachbargrundstücke sind verpflichtet, gegen Ersatz des nachweisbaren Schadens durch den Bauwerber die anläßlich einer Bauführung notwendigen Sicherungsmaßnahmen (Unterfangung der Fundamente u. a.) sowie die Aufstellung der zur Bauführung erforderlichen Gerüste und Pölzungen auf ihrer Liegenschaft zu gestatten. (2) Wird aus Anlaß einer Bauführung die vorübergehende oder dauernde Verlegung oder Entfernung von Leitungen, Lampen, Aufschrifttafeln, Bäumen u.dgl. erforderlich, so sind die Eigentümer verpflichtet, dies gegen Ersatz des nachweisbaren Schadens durch den Bauwerber zu gestatten. (3) Wenn besondere Gesetze nicht anderes bestimmen, entscheidet im Streitfall die Behörde über den Umfang der vorerwähnten Verpflichtungen sowie auf Antrag eines Beteiligten über die Sicherstellung der Ersatzansprüche. Nach Leistung dieser Sicherstellung kann ohne weiteres mit den Arbeiten begonnen werden.“
Die Behörde erster Instanz hat unter Berufung auf diese Bestimmungen der Beschwerdeführerin aufgetragen, die Aufstellung von Gerüsten aus Anlaß der Instandsetzung des Verputzes der freistehenden rechten Feuermauer der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei sowie der angrenzenden Mauern des Lichthofes dieser Liegenschaft zu dulden. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde zwar einerseits dieser behördliche Ausspruch, und zwar in jenem Umfang, als er sich auf die freistehende Feuermauer bezieht, präzisiert, der Beschwerdeführerin aber andererseits darüber hinaus aufgetragen, die Inanspruchnahme des Daches ihres Hauses zur Instandsetzung der ca. 6 m hohen Feuermauer des an der G-gasse gelegenen Teiles des Hauses der mitbeteiligten Partei zu dulden. Die Beschwerdeführerin rügt dies mit der Begründung, es habe sich der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Erlassung eines Bescheides nach § 126 der Bauordnung für Wien nicht auf die Instandsetzung dieser zweiten (ca. 6 in hohen) Feuermauer erstreckt.
Aus Absatz 3 des § 126 der Bauordnung für Wien, demzufolge die Behörde über den Umfang der Duldungsverpflichtung „im Streitfall“ zu entscheiden hat, ergibt sich auch, daß diese Entscheidung ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt ist. Der angefochtene Bescheid wäre daher rechtswidrig, wenn dem angeführten, erweiternden Teil des behördlichen Ausspruches kein Antrag der mitbeteiligten Partei zugrunde läge. In ihrer Gegenschrift führt die belangte Behörde hiezu aus, es sei allen Teilnehmern an der Berufungsverhandlung vom 30. April 1970 klar gewesen, daß von zwei Feuermauerteilen die Rede gewesen sei, und zwar von einem freistehenden Feuermauerteil, der unmittelbar vom Garten der Beschwerdeführerin aus zugänglich sei und von einem teilweise durch des Nachbarobjekt abgedeckten Feuermauerteil. Beide Feuermauerteile seien durch einen Lichthof getrennt. Nun waren wohl in dem bei der Behörde erster Instanz eingebrachten Antrag der mitbeteiligten Partei die beabsichtigten Instandsetzungsmaßnahmen umfangsweise nicht ausdrücklich bezeichnet worden, doch stand nach der Aktenlage die Einbringung des Antrages der mitbeteiligten Partei in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem in der Sachverhaltsdarstellung angeführten baupolizeilichen Auftrag vom 7. September 1965. Nach den aus den Akten des Verwaltungsverfahrens ersichtlichen Vorgängen, wie sie der Einbringung des Antrages durch die mitbeteiligte Partei vorangegangen waren, war dieses Begehren in dem Sinne zu verstehen, daß die Duldungsverpflichtung nach dem Willen der mitbeteiligten Partei in dem Umfang auferlegt werden sollte, als dies notwendig sei, um dem Instandsetzungsauftrag zu entsprechen. Es war damit, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zu Recht ausführt, zunächst keine völlige Klarheit über den beantragten Umfang der Duldungsverpflichtung gegeben, zumal im Spruch des Auftrages vom 7. September 1965 von der Instandsetzung „des schadhaften Verputzes der Feuermauer gegen die Liegenschaft“ der Beschwerdeführerin, indes in der Begründung dieses Bescheides vom „Verputz der freistehenden Feuermauer“ die Rede war. Doch konnte nach der Aktenlage nicht ausgeschlossen werden, daß der Antrag der mitbeteiligten Partei auf die Duldung der Instandsetzung im spruchgemäßen Umfang des baupolizeilichen Auftrages gerichtet war.
Die belangte Behörde war daher verpflichtet, im Berufungsverfahren klarzustellen, in welchem Umfang nach dem Willen der mitbeteiligten Partei die Duldungsverpflichtung auszusprechen sei, dies ungeachtet des Umstandes, daß die Behörde erster Instanz der Beschwerdeführerin nur die Verpflichtung auferlegte, Maßnahmen aus Anlaß der Instandsetzung des Verputzes der freistehenden Feuermauer zu dulden. Die belangte Behörde hatte nämlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in der Sache selbst zu entscheiden. Sie war nach eben dieser Gesetzesstelle berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. „Sache“ im Sinne dieser Gesetzesstelle ist aber immer die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat, bei antragsbedürftigen Erledigungen demnach die Frage, ob dem Antrag der Partei stattzugeben ist (vgl. insbesondere das auf einem Beschluß eines verstärkten Senates beruhende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 1954, Slg. N. F. Nr. 3351/A). Im Beschwerdefall war daher der Gegenstand der Berufungsentscheidung durch den Antrag, über den die Behörde erster Instanz zu entscheiden hatte, bestimmt. Daß die Angelegenheit nicht von der mitbeteiligten Partei, sondern von der Beschwerdeführerin als Antragsgegnerin an die Berufungsbehörde herangetragen wurde, war hiebei ohne rechtliche Bedeutung. Durch § 66 Abs. 4 AVG 1950 ist die Berufungsbehörde nämlich auch ermächtigt, im Rahmen ihrer Befugnisse den Bescheid der Behörde erster Instanz zuungunsten des Berufungswerbers (reformatio in peius) abzuändern (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1968, Zl. 411 und 412/67, und vom 7. Oktober 1969, Zl. 494/69).
Die belangte Behörde hat diese, nach den obigen Ausführungen erforderliche Klarstellung des Parteiantrages vorgenommen. In der Gegenschrift der belangten Behörde wird zu Recht ausgeführt, es habe erst das Berufungsverfahren ergeben, daß die Duldungsverpflichtung nach dem Begehren der mitbeteiligten Partei in dem bei der Berufungsverhandlung am 30. April 1970 festgestellten Umfang aufzuerlegen war. Dieser Verhandlung war auch die Beschwerdeführerin beigezogen worden. Die Beschwerdeführerin hat weder bei der Verhandlung noch im weiteren Berufungsverfahren eingewendet, daß die Darstellung der Niederschrift, soweit sie den Umfang der Duldungspflicht betrifft, nicht dem Antrag der mitbeteiligten Partei entspräche. Schon aus diesem Grunde ist die von der Beschwerdeführerin zur Ergänzung der Beschwerde vorgelegte Erklärung des Architekten J. B vom 22. Dezember 1970 darüber, in welchem Umfang die mitbeteiligte Partei die Instandsetzung der Feuermauern nach den Äußerungen der Vertreter der Mitbeteiligten bei dieser Verhandlung vornehmen wolle, für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ohne rechtliche Bedeutung. Die belangte Behörde konnte daher ihrer Entscheidung mit Recht die Annahme zugrunde legen, daß der Antrag der mitbeteiligten Partei auch auf die Duldungsverpflichtung in Ansehung der ca. 6 m hohen, nur vom Dach des Gebäudes der Beschwerdeführerin aus zugänglichen Feuermauer gerichtet war.
Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt die Beschwerdeführerin ferner vor, die Behörde hätte nur auf Grund einer - von ihr schon in der Berufung beantragten - Augenscheinverhandlung feststellen können, in welchem Umfang ihre Liegenschaft in Anspruch genommen werden müsse. Sie führt im Zusammenhang den bei der Berufungsverhandlung als Privatsachverständigen anwesend gewesenen Zivilingenieur Dipl.-Ing. L. W als Zeugen dafür an, daß entgegen der Niederschrift in der Frage der Reparaturbedürftigkeit beider Feuermauern keine Einstimmigkeit bestanden habe.
Wohl hat sich die belangte Behörde mit dem Antrag der Beschwerdeführerin, eine mit einem Augenschein verbundene Verhandlung durchzuführen, in ihrer Entscheidung nicht auseinandergesetzt. Doch wäre ein darin gelegener Verfahrensmangel für das verwaltungsgerichtliche Verfahren nur darin erheblich, wenn die Behörde durch die Vornahme eines Augenscheines zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965). Die Beschwerde enthält zu dieser Frage keine Ausführungen. Hingegen ergibt sich aus den Akten des Verwaltungsverfahrens, daß die für die Entscheidung der Behörde wesentlichen Sachverhaltselemente durch die Büroverhandlung vom 30. April 1970 ausreichend ermittelt worden waren, wodurch auch in der ersten Instanz möglicherweise unterlaufene Verfahrensmängel als saniert anzusehen sind. Der Verwaltungsgerichtshof findet nicht, daß die von der Behörde aufgenommene Niederschrift den Formerfordernissen des § 14 AVG 1950 widerspräche. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, es gebe diese Niederschrift den Gang der Verhandlung weder vollständig noch richtig wieder, wird nur in zwei Punkten konkretisiert. Zur ersten Frage, ob die Berufungsentscheidung durch einen Antrag der mitbeteiligten Partei gedeckt sei, wurde schon oben Stellung genommen. Was aber das zweite diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin betrifft, es seien in der Frage der Reparaturbedürftigkeit beider Feuermauern die Sachverständigen nicht einer Meinung gewesen, so kann sich die Beschwerdeführerin auf die Zeugenschaft des als Privatsachverständigen herangezogenen Zivilingenieurs Dipl.-Ing. L. W schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil auch dieser in dem von der Beschwerdeführerin selbst im Verwaltungsverfahren vorgelegten Gutachten vom 2. Oktober 1969 von der Annahme ausgegangen war, daß beide Feuermauern instandsetzungsbedürftig seien.
Die Beschwerdeführerin bringt ferner vor, die Behörde habe die Angemessenheit des für Ersatzansprüche vorgesehenen Kautionsbetrages nicht ausreichend geprüft. Dipl.-Ing. L. W habe bei seiner Bewertung einen Betrag von S 20.000,-- als angemessen erachtet, obwohl er hiebei nur eine Feuermauer zugrunde gelegt habe. Die Behörde berufe sich zu Unrecht auf eine einschlägige Berechnung durch den Privatsachverständigen Architekt J. B. Dieser habe eine solche Berechnung nicht angestellt, wie seine Vernehmung ergeben würde. Den Amtssachverständigen, auf dessen Gutachten sich die Behörde berufen habe, habe die Beschwerdeführerin wegen parteiischer Äußerungen im Verwaltungsverfahren abgelehnt. Die Behörde sei verpflichtet gewesen, die Ablehnung rechtlich zu behandeln.
Die Beschwerdeführerin hat wohl das schon angeführte Gutachten des Zivilingenieurs Dipl.-Ing. L. W vorgelegt, in dem unter anderem gesagt wurde, es könnten der Beschwerdeführerin „je nach dem Umfang der zugefügten Schäden“ Ersatzansprüche bis zu S 20.000,-- erwachsen. Das Gutachten bezieht sich jedoch, wie die obige Sachverhaltsdarstellung zeigt, entgegen dem Beschwerdevorbringen auf beide Feuermauern. Die belangte Behörde hat überdies in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit Recht darauf hingewiesen, daß dieser vom Privatsachverständigen angenommene Betrag lediglich einer „globalen Schätzung“ entspreche und das bei der Berufungsverhandlung vom Amtssachverständigen erstattete Gutachten, von dem die Behörde annahm, daß es ausreichend detailliert und schlüssig sei sowie den Erfahrungen der technischen Wissenschaften entspreche, ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Dies kann nicht rechtswidrig sein, zumal die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren diesem späteren Gutachten nicht mehr auf gleicher fachlicher Ebene, insbesondere durch Vorlage eines weiteren Sachverständigengutachtens, entgegengetreten ist (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Mai 1968, Zl. 1332/67, und vom 30. Juni 1969, Zl. 353/67). Wenn es in der Begründung des angefochtenen Bescheides heißt, daß das vom Amtssachverständigen erstattete Gutachten unter Mithilfe des von der Beschwerdeführerin nominierten Privatsachverständigen (Architekt J. B) zustande gekommen sei, so entspricht dies der Darstellung in der Niederschrift über diese Verhandlung, in der klar zum Ausdruck kommt, welche Erklärung dem Amtssachverständigen und welche dem Privatsachverständigen zuzurechnen ist. Was aber die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Frage einer Befangenheit des Amtssachverständigen betrifft, so hat die Beschwerdeführerin hiezu auch im Verwaltungsverfahren - neben Bedenken, die sich lediglich gegen den Inhalt des Gutachtens des Amtssachverständigen richteten und daher mit Erfolg nur in der oben bezeichneten Form geäußert werden konnten - konkret nur vorgebracht, es sei den Akten eine schriftliche Äußerung der Abteilung 36 - der Amtssachverständige wurde nicht von dieser Abteilung, sondern von der Abteilung 25 entsendet - beigelegen, die später entfernt worden sei. Warum in diesem Umstand ein wichtiger Grund gelegen sei, der geeignet gewesen wäre, die volle Unbefangenheit des Amtssachverständigen in Zweifel zu setzen, (§ 7 Abs. 1 Z. 4 AVG 1950) wurde von der Beschwerdeführerin weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde dargelegt. Auch den Akten des Verwaltungsverfahrens kann nichts entnommen werden, was die Annahme der Behörde, es sei kein Befangenheitsgrund vorgelegen, widerlegen würde. Der Behörde ist schließlich auch darin Recht zu geben, daß der Beschwerdeführerin ein Recht auf Ablehnung des Amtssachverständigen nicht eingeräumt war (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1952, Slg. N. F. Nr. 2422/A).
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet; sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, BGBl. Nr. 4/1965.
Wien, am 28. Juni 1971
Schlagworte
Ablehnung wegen Befangenheit Rechtsanspruch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Umfang der Abänderungsbefugnis Reformatio in peiusEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1971:1970001301.X00Im RIS seit
12.08.2020Zuletzt aktualisiert am
12.08.2020