Index
E6JNorm
BVergG 2006 §312 Abs3 Z3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, den Hofrat Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der A GmbH in W, vertreten durch die Huber - Berchtold Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Getreidemarkt 14/13, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 28. Mai 2018, Zl. VGW-123/077/3411/2018-9, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Stadt Wien; 2. G GmbH in W, vertreten durch die Shamiyeh & Reiser Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Am Schillerpark, Rainerstraße 6-8), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Die Erstmitbeteiligte führte im Jahr 2002 ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Auftrages betreffend die Versorgung städtischer Kinderbetreuungseinrichtungen mit Fertigmenüs für das Mittagessen. Den Zuschlag erhielt die Zweitmitbeteiligte. Leistungsbeginn war der 2. Jänner 2003.
2 Der Leistungsgegenstand des ausgeschriebenen Auftrags umfasste die Herstellung zweigängiger Menüs in jeweils alters- und entwicklungsgerechter Qualität unter Einhaltung hygienischer Standards und die Auslieferung an die zu versorgenden Kinderbetreuungseinrichtungen. Das Speisenangebot umfasste vier unterschiedliche Kostformen mit vorgeschriebenen Inhaltskomponenten.
3 Für die Menüs wurde ein Einheitspreis festgelegt, der den vertraglichen Bedingungen zufolge nach dem Verbraucherpreisindex 1996 wertgesichert war. Die Bestellmenge war nicht im Vorhinein festgelegt, sondern vom jeweiligen tatsächlichen Bedarf abhängig flexibel gestaltet.
4 Hinsichtlich der Dauer des Vertrages enthielt dieser folgenden Passus:
„Die Vertragsdauer beträgt 5 Jahre.
Der Vertrag verlängert sich automatisch um 1 weiteres Jahr, wenn nicht vor Ablauf der Kündigungsfrist von einem der beiden Vertragspartner gekündigt wird. Der Vertrag kann von jedem der beiden Vertragspartner ohne Angabe von Gründen unter Einhaltung einer 1-jährigen Kündigungsfrist gekündigt werden.“
5 2. Die Revisionswerberin stellte am 14. März 2018 den Antrag „das Verwaltungsgericht Wien möge feststellen, dass die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Unionsrecht rechtswidrig war“.
6 Hierzu brachte sie bezugnehmend auf den oben dargestellten Vertrag vor, der Auftrag sei im Laufe der Jahre maßgeblich geändert worden, weshalb die Auftraggeberin zur Neuausschreibung verpflichtet sei. Die Revisionswerberin habe ein wirtschaftliches Interesse daran, den Auftrag im Wege der rechtlich gebotenen Neuausschreibung zu erhalten.
7 Es habe eine erhebliche Änderung des Leistungsumfangs in den letzten 15 Jahren stattgefunden. Die Leistungserbringung und der Anbietermarkt hätten sich maßgeblich geändert. Zur Konkretisierung der maßgeblichen Änderungen verwies die Revisionswerberin auf die Veränderung der Mengenverhältnisse der angebotenen Menüs, der zu beliefernden Standorte und des Anbietermarkts, sowie die Kostensteigerung und die überlange Vertragslaufzeit.
8 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) den Antrag festzustellen, „dass die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz bzw. die dazu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Unionsrecht gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 WVRG 2014 rechtswidrig war“, ab (Spruchpunkt I.). Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig (Spruchpunkt II.).
9 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die Antragstellerin berufe sich auf nachträgliche Vertragsänderungen, die gegen Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EU (Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG) verstoßen würden. Diese sei wegen der verzögerten Umsetzung in Österreich unmittelbar anwendbar. Bei den vertragsgegenständlichen Leistungen würde es sich um Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV dieser Richtlinie handeln. Die Bezeichnung des Vertrages als Liefervertrag würde an dieser Beurteilung nichts ändern können. Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EUsei gemäß den Art. 74 bis 77 derselben nicht auf Dienstleistungen aus dem Anhang XIV anwendbar. Art. 76 der Richtlinie 2014/24/EUsei wegen des weiten Umsetzungsspielraums für die Mitgliedstaaten nicht unmittelbar anwendbar. In jedem Fall seien die Kriterien für die Zulässigkeit nachträglicher Vertragsänderungen bei Vorliegen von Besonderen Dienstleistungen im Sinne des Erwägungsgrundes 114 der Richtlinie 2014/24/EUflexibler auszulegen als bei sonstigen Aufträgen. Damit sei der verfahrensgegenständliche Vertrag nicht an den Vorgaben, dass Vertragsänderungsklauseln „klar, präzise und eindeutig“ zu sein hätten, zu messen.
10 Demnach sei zu den einzelnen Änderungen festzuhalten, dass der gegenständliche Auftrag die Möglichkeit der Änderungen der Menülinien zueinander, eine Anpassung der Speisepläne und eine Änderung der Standorte ausdrücklich vorsehe. Diese Klauseln dürften aufgrund der gebotenen rechtlichen Beurteilung nicht an den Anforderungen des Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EU gemessen werden, weshalb diese die festgestellten Anpassungen in der Vertragsabwicklung jeweils abdecken würden.
11 Dass der Auftragswert während der Vertragslaufzeit erheblich angestiegen sei, sei unzutreffend. Die zu unterstellenden Änderungen am Anbietermarkt wären weder nach Art. 72 der Richtlinie noch aufgrund der Judikatur des EuGH - insbesondere „Pressetext“ (EuGH 19.6.2008, C-454/06, und daran anschließende Judikatur) - als wesentliche Vertragsänderung im Sinne des Vorbringens anzusehen.
12 Darüber hinaus habe bis zur Erlassung des Urteils des EuGH vom 26.11.2015, C-166/14, MedEval, für Feststellungsanträge eine absolute Frist von sechs Monaten ab Zuschlagserteilung gegolten. Das betreffende Urteil des EuGH habe keine Auswirkung auf die Zeit vor seiner Erlassung, sodass allfällige Anträge betreffendVertragsänderungen vor seiner Geltung innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist einzubringen gewesen wären.
13 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob und gegebenenfalls inwieweit Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EU auf Besondere Dienstleistungen im Sinne des Art. 74 der nämlichen Richtlinie anzuwenden sei.Auch liege keine Rechtsprechung zur Frage der Behandlung nachträglicher Vertragsänderungen bei Besonderen Dienstleistungen vor.
14 3. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende ordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.
16 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 4.1. Die Revision verweist zur Begründung der Zulässigkeit auf die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts und bringt darüber hinaus vor, das Verwaltungsgericht habe die Frage, ob ein Dienstleistungsvertrag vorliege, unrichtig gelöst. Entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts sei die Rechtsprechung zu den wesentlichen Vertragsänderungenauf sämtliche Auftragsarten anzuwenden und es sei ein grenzüberschreitendes Interesse jedenfalls zu bejahen.
18 Die Revision ist in Hinblick auf die aufgeworfenen Rechtsfragen zulässig.
19 4.2. Die relevanten Bestimmungen des Wiener Vergaberechtsschutzgesetzes 2014 (WVRG 2014), LGBl. Nr. 37/2013, in der hier maßgeblichen Fassung lauten:
„4. Abschnitt
Feststellungsverfahren
Antrag
§ 33. (1) Eine Unternehmerin oder ein Unternehmer, die oder der ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich des BVergG 2006 unterliegenden Vertrages hatte, kann, sofern ihr oder ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht, die Feststellung beantragen, dass
1. (...)
2. die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Unionsrecht rechtswidrig war,
3. (...)
Inhalt und Zulässigkeit
§ 35. (1) Ein Antrag gemäß § 33 hat jedenfalls zu enthalten:
1. die genaue Bezeichnung des betreffenden Vergabeverfahrens,
2. die genaue Bezeichnung der Auftraggeberin oder des Auftraggebers und der Antragstellerin oder des Antragstellers, jeweils einschließlich deren Faxnummer oder elektronischer Adresse,
3. die genaue Bezeichnung der allfälligen Zuschlagsempfängerin oder des allfälligen Zuschlagsempfängers,
4. die Darstellung des maßgeblichen Sachverhaltes einschließlich des Interesses am Vertragsabschluss,
5. Angaben über den behaupteten drohenden oder eingetretenen Schaden für die Antragstellerin oder den Antragsteller,
6. die bestimmte Bezeichnung des Rechts, in dem sich die Antragstellerin oder der Antragsteller als verletzt erachtet,
7. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
8. einen bestimmten Antrag auf Feststellung und
9. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht wurde.
(2) Die genaue Bezeichnung der Zuschlagsempfängerin oder des Zuschlagsempfängers ist nicht erforderlich, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller keine Kenntnis von der Zuschlagserteilung erlangen konnte.
(3) Der Antrag ist in folgenden Fällen unzulässig:
1. wenn er nicht innerhalb der im § 36 genannten Fristen gestellt wird,
2. (...)
Antragsfristen
§ 36. (1) (...)
(2) Anträge gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 bis 4 sind binnen sechs Monaten ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag einzubringen. (...)“
20 4.3. Vorweg ist in Hinblick auf die von der Revisionswerberin vorgebrachte „Verpflichtung zur Neuausschreibung“ des verfahrensgegenständlichen Auftragsgegenstandes zur Klarstellung Folgendes festzuhalten: Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 8. August 2018, Ra 2015/04/0013, zusammenfassend wie folgt ausgeführt:
„Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrages während seiner Geltungsdauer sind demnach als Neuvergabe des Auftrags anzusehen, wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrages erkennen lassen. Als wesentlich gilt die Änderung dann, wenn sie Bedingungen einführt, die die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots erlaubt hätten, wenn sie Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wären (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/04/0071). Folglich kommt es auf die Wettbewerbsrelevanz der nachträglichen Vertragsänderung an. Für die vergaberechtliche Beurteilung ist daher entscheidend, ob die Änderung den Wettbewerb zwischen den potenziellen Interessenten verfälschen und den Auftragnehmer gegenüber anderen Unternehmern bevorzugen könnte (vgl. Heid/Steindl in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz. 742).“
21 § 33 Abs. 1 Z 2 WVRG 2014 räumt einem Marktteilnehmer die Möglichkeit ein, die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer aufgrund der oben wiedergegebenen Rechtsprechung in einer - entsprechend wesentlichen - Vertragsänderung zu erblickenden Neuvergabe durch den Auftraggeber mangels Einhaltung der in Hinblick auf den konkreten Auftrag einzuhaltenden vergaberechtlichen Bestimmungen zu erlangen. Damit steht jedoch dem Marktteilnehmer keineswegs auch die Möglichkeit offen, eine verpflichtende Entscheidung darüber zu erlangen, dass der Auftraggeber den Auftrag neu auszuschreiben hätte. Das Vergabekontrollverfahren hat eine nachprüfende - und damit auf eine ex-post Betrachtung beschränkte - Funktion. Ein Marktteilnehmer kann damit nicht die Verpflichtung des Auftraggebers zur künftigen Neuausschreibung eines bestimmten Auftrags selbst zum Antragsgegenstand des Vergabekontrollverfahrens machen. Für einen Antrag „auf Neuvergabe“ eines bestimmten Auftrages bietet das WVRG 2014 nämlich keine Grundlage.
22 4.4.1. Die Revisionswerberin macht eine vergaberechtsrelevante Abänderung des von der Auftraggeberin mit der mitbeteiligten Partei im Jahr 2002 geschlossenen Vertrages geltend. Das Verwaltungsgericht stützte sich in seiner Begründung auf Bestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU. Dies würde die Annahme eines vergaberechtlichen Vorgangs nach Ablauf der Umsetzungsfrist (18. April 2016) voraussetzen. Dem angefochtenen Erkenntnis ist jedoch nicht zu entnehmen, auf welchen Zeitpunkt sich die dort getroffenen Feststellungen über erfolgte Änderungen in der Vertragsabwicklung jeweils beziehen. Dies ist aber Voraussetzung, um die anzuwendende Rechtslage (und damit auch die Maßgeblichkeit der Richtlinie 2014/24/EU) zu bestimmen, das Vorliegen der Antragslegitimation der Revisionswerberin - insbesondere die Voraussetzung, dass der Revisionswerberin durch die rechtswidrige Auftragsvergabe ein Schaden entstanden sei oder drohe - zu prüfen und die inhaltliche Berechtigung des Antrages zu beurteilen.
23 4.4.2. § 35 Abs. 1 Z 8 WVRG 2014 verlangt, dass ein Antrag gemäß § 33 leg. cit. jedenfalls einen bestimmten Antrag auf Feststellung zu enthalten hat. An das Antragsbegehren ist die belangte Behörde im Nachprüfungsverfahren gebunden (vgl. dazu VwGH 14.3.2012, 2008/04/0228, mit Verweis auf das - zum Tiroler Vergabegesetz 1998 ergangene, in seinen hier relevanten Erwägungen aber verallgemeinerungsfähige - Erkenntnis vom 17.11.2004, 2002/04/0176, mwN). Die antragstellende Partei hat daher klar zu bezeichnen, welche Feststellung sie anstrebt, was bedeutet, dass das als rechtswidrig festzustellende Vorgehen des Auftraggebers auch in zeitlicher Hinsicht festzumachen ist. In diesem Sinne erfordert § 35 Abs. 1 Z 1 WVRG 2014 die „genaue Bezeichnung des betreffenden Vergabeverfahrens“.
24 Diese Notwendigkeit der Konkretisierung des verfahrenseinleitenden Antrags ergibt sich auch aus der rechtlichen Bindungswirkung einer rechtskräftigen, verfahrensbeendenden Entscheidung, da diese nur innerhalb der Grenzen der Rechtskraft gegeben ist. Der Umfang der Rechtskraft wird durch den Verfahrensgegenstand bestimmt, wobei in einem antragsbedürftigen Verwaltungsverfahren der Antrag festlegt, was Gegenstand des Verfahrens ist (vgl. VwGH 12.9.2016, Ro 2016/04/0014). Im vorliegenden Zusammenhang wird der Verfahrensgegenstand und damit der Umfang der Rechtskraft durch den Antrag auf Anfechtung bzw. - wie hier - auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines bestimmten Vorgehens des Auftraggebers im Rahmen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens begrenzt (vgl. VwGH 27.6.2007, 2005/04/0111).
25 Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 1 iVm § 35 Abs. 1 Z 5 WVRG 2014 von einem Antragsteller im Feststellungsverfahren auch die Antragsvoraussetzung des entstandenen oder drohenden Schadens bezogen auf die geltend gemachte Rechtswidrigkeit darzutun. Dies ist ebenfalls nur dann möglich, wenn der Antragsteller in seinem gemäß § 35 Abs. 1 WVRG 2014 bestimmt zu formulierenden Antrag der Gegenstand der Feststellung in zeitlicher Hinsicht konkretisiert wird.
26 Darüber hinaus erfordert § 35 Abs. 1 Z 4 WVRG 2014 die Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts.
27 4.4.3. Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich fallbezogen, dass der Feststellungsantrag in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Revisionswerberin - wie bereits von der Auftraggeberin dort vorgebracht wurde - nicht ausreichend im Sinne der Bestimmung des § 35 WVRG 2014 konkretisiert wurde:
28 Es geht aus dem wiedergegebenen Antrag der Revisionswerberin - und demzufolge auch aus dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses - nicht hervor, welcher zeitlich konkretisierte Sachverhalt als derjenige ins Treffen geführt wird, der als eine - im Sinne der jeweils geltenden Rechtslage - derart wesentliche Änderung des ursprünglichen Auftrages anzusehen sei, dass daraus auf eine rechtswidrig erfolgte Neuvergabe des Auftrages geschlossen werden müsse, weshalb der Tatbestand der rechtswidrigen Vergabe ohne vorherige Bekanntmachung erfüllt sei.
29 Der Revisionswerberin obliegt jedoch nach dem oben Gesagten auch unter Berücksichtigung der eingeschränkten Möglichkeit der Kenntnisnahme von der konkreten Vertragsabwicklung die Verpflichtung, ihren Antrag betreffend die festzustellende rechtswidrige Vergabe auf einen Zeitpunkt zu beziehen, zu dem ihrer Ansicht nach eine tatsächliche Beschaffung vorliege, die de facto ein derart wesentliches Abgehen von dem ursprünglichen Vertrag darstelle, dass vor dem Hintergrund der vergaberechtlichen Bestimmungen und der einschlägigen Judikatur von einer rechtswidrigen Neuvergabe ausgegangen werden müsse.
30 Indem das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit der Konkretisierung des Feststellungsantrages durch die nunmehrige Revisionswerberin verkannte, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, was zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG führen muss.
31 4.4.4. Im fortgesetzten Verfahren wird der Revisionswerberin Gelegenheit zu geben sein, den verfahrensgegenständlichen Antrag im Sinne der oben dargestellten Inhaltserfordernisse eines zulässigen Feststellungsantrages gemäß § 33 Abs. 1 WVRG 2014die von ihr der Vergabekontrolle unterzogene Auftraggeberentscheidung in zeitlicher Hinsicht zu konkretisieren und auf diesen Zeitpunkt bezogen den ihr Begehren begründenden Sachverhalt vorzubringen. Erst auf Grundlage dieses Vorbringens wird das Verwaltungsgericht in der Lage sein, die in 4.4.1. dargelegten Rechtsfragen auf Basis der in zeitlicher Hinsicht maßgeblichen Feststellungen zu beurteilen. Die Frage der Antragslegitimation wird dabei auch im vorliegenden Fall auf Basis einer Plausibilitätsprüfung zu klären sein, für die alle maßgeblichen vorgebrachten Umstände in der Person des Antragstellers, die Eigenart des Leistungsgegenstandes und die vom Auftraggeber gestellten Anforderungen berücksichtigt werden können (vgl. zur Frage der Antragslegitimation im Feststellungsverfahren etwa VwGH 1.10.2018, Ra 2015/04/0060).
32 4.5. Der Vollständigkeit halber wird zu der - im angefochtenen Erkenntnis behandelten - Frage der allfälligen Verfristung des Antrages wegen Verstreichens der in § 36 Abs. 2 WVRG 2014 normierten sechsmonatigen Einbringungsfrist Stellung genommen:
33 Mit Urteil vom 26. November 2015 in der Rechtssache C-166/14, MedEval - Qualitäts-, Leistungs- und Struktur- Evaluierung im Gesundheitswesen GmbH, beantwortete der EuGH die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 25. März 2014, EU 2014/0002 (2011/04/0121), zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage nach dem allfälligen Entgegenstehen des Unionsrechts einer nationalen Rechtslage gegenüber, nach der ein Antrag auf Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes binnen sechs Monaten nach Vertragsschluss gestellt werden muss, wenn die Feststellung eines vergaberechtlichen Verstoßes nicht nur Voraussetzung für die Nichtigerklärung des Vertrages, sondern auch für die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches ist, wie folgt:
„Das Recht der Europäischen Union, insbesondere der Grundsatz der Effektivität, steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Erhebung einer Klage auf Schadensersatz wegen eines vergaberechtlichen Verstoßes von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das Vergabeverfahren mangels vorheriger Bekanntgabe rechtswidrig war, und der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit binnen einer sechsmonatigen Ausschlussfrist gestellt werden muss, die ab dem auf die Zuschlagserteilung folgenden Tag zu laufen beginnt - und zwar unabhängig davon, ob der Antragsteller von der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers Kenntnis haben konnte.“
34 Aus diesem Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof darauf geschlossen, dass die für einen Feststellungsantrag gemäß § 312 Abs. 3 Z 3 des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006) geltende Sechsmonatsfrist des § 332 Abs. 3 BVergG 2006 infolge Verdrängung durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht unangewendet zu bleiben hat (vgl. VwGH 16.3.2016, 2015/04/0004).
35 Diese unionsrechtlich gebotene Auslegung kommt auch bei entsprechender Anwendung inhaltlich gleichzuhaltender Bestimmungen des WVRG 2014 zum Tragen.
36 4.6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 16. Juni 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62014CJ0166 MedEval VORABSchlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2018040015.J00Im RIS seit
10.08.2020Zuletzt aktualisiert am
10.08.2020