TE Vwgh Beschluss 2020/6/23 Ra 2018/04/0181

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Veröffentlicht am 23.06.2020
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Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

BVergG 2006 §320
BVergG 2006 §325
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
62002CJ0230 Grossmann Air Service VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der G Ges.m.b.H. in M, vertreten durch Dr. Martin Leitner und Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Lindengasse 38/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2018, Zlen. W138 2200339-2/22E, W138 2201255-2/22E, W138 2203735-2/13E, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren, sowie gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2018, Zl. W138 2203735-3/2E, betreffend Ersatz der Pauschalgebühren (mitbeteiligte Partei: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte OG, 1010 Wien, Bartensteingasse 2), den Beschluss

Spruch

gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        1.1. Die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Auftraggeberin) führte ein Vergabeverfahren betreffend einen Lieferauftrag zur Beschaffung von Flächendesinfektionsmitteln im Oberschwellenbereich. Die Bekanntmachung des offenen Verfahrenserfolgte europaweit. Die Ausschreibung umfasste insgesamt acht Lose, die teilweise nach dem Bestbieter-, teilweise nach dem Billigstbieterprinzip vergeben werden sollten.

2        Die Ausschreibung wurde seitens der Auftraggeberin im Umfang betreffend Los 8 am 24. Juli 2018 widerrufen.

3        Die verfahrensgegenständlichen, vor dem Bundesverwaltungsgericht wegen ihres sachlichen Zusammenhangs verbundenen Nachprüfungsverfahren betreffen die Anfechtung der Ausschreibung vom 5. Juni 2018, der zweiten Berichtigung vom 12. Juli 2018 und der dritten Berichtigung vom 8. August 2018 jeweils dieser Ausschreibung durch die Revisionswerberin.

4        1.2. Die Revisionswerberin beantragte zunächst mit Schriftsatz vom 6. Juli 2018 die Nichtigerklärung der Ausschreibung „samt all ihren Unterlagen“, in eventu die Streichung der für die Antragstellerin diskriminierenden Anforderungen bzw. technisch unmöglichen Spezifikationen. Zusammengefasst stützte die Revisionswerberin diesen Antrag auf das Vorbringen, die für die Lose 3, 4 und 5 geforderte Mindesthaltbarkeit, die Eignung zur Schnelldesinfektion mit geringem Alkoholgehalt, der maximale Verpackungsinhalt, die Größe des Klickverschlusses und der Mindestdesinfektionsfläche/Tuch seien in der Zusammenschau auf einen bestimmten Anbieter „zugeschnitten“. Weiter seien die Bestimmungen zu Vertragsbeginn und -dauer sowie zum Leistungsumfang rechtswidrig. Die Bewertung durch die Expertenkommission verletze wegen der Unklarheit der Kriterien das Transparenzgebot. Die Verpflichtung zur einseitigen Preisanpassung sei rechtswidrig. Kein Produkt würde sämtliche geforderten Spezifikationen erfüllen. Es bestehe kein Bedarf an den ausgeschriebenen Produkten.

5        Mit dem zweiten Nachprüfungsantrag vom 17. Juli 2018 wendete sich die Revisionswerberin gegen die erfolgte zweite Berichtigung, mit weiterem Nachprüfungsantrag vom 17. August 2018 gegen die dritte Berichtigung der Ausschreibung durch die Auftraggeberin.

6        2.1.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Anträge, die Ausschreibung samt all ihren Unterlagen für das Vergabeverfahren „Flächendesinfektionsmittel“, PRNR 2018-xx, WAxxxxxx/xxxx, für nichtig zu erklären; in eventu diefür die Antragstellerin diskriminierenden Anforderungen bzw. technisch unmöglichen Spezifikationen zu streichen, bzw. soweit sich diese auf die zweite und die dritte Berichtung bezögen, ab (Spruchpunkte A.I., A.II.1. und A.II.2.). Die Revision erklärte es für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

7        2.1.2. In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es sei Sache des Auftraggebers, die Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen festzulegen. Die Leistungen seien eindeutig, vollständig und neutral zu beschreiben, um der Gleichbehandlung aller Bieter nachzukommen. Es handle sich nicht schon dann um eine diskriminierende Leistungsbeschreibung, wenn ein Bieter nicht in der Lage sei, die ausgeschriebenen Anforderungen zu erfüllen, weil es nicht erforderlich sei, dass sich jedes Unternehmen an einem Vergabeverfahren beteiligen könne.

8        Eine (die Ausschreibung berichtigende) Auftraggeberentscheidung würde das Vergaberecht jedenfalls dann verletzen, wenn diese geeignet sei, den Kreis der Bieter zu beeinflussen. Die dritte Berichtigung vom 8. August 2018 habe sich auf die Anforderung der Mindesthaltbarkeit von drei Monaten ab Anbruch des Produkts in den Losen 3, 4 und 5 (gebrauchsfertige Wischdesinfektionstücher) bezogen und vorgesehen, dass sich die vorgeschriebene Mindesthaltbarkeitauf die „Desinfektionsmittellösung des Produkts“ (anstelle auf das „Produkt“ selbst) beziehe. Damit sei der Leistungsgegenstand nicht geändert worden.

9        Das Vorbringen der Revisionswerberin, dass kein Produkt diese Anforderungen erfülle und andererseits ein Bieter bevorzugt werden solle, stelle eine bloße Behauptung dar, die nicht nachvollziehbar dargelegt worden sei. Zudem stehe dieser Vorwurf in Widerspruch zu dem Vorbringen der Revisionswerberin, es solle ein bestimmter Bieter bevorzugt werden.

10       Das Vorbringen, die von der Auftraggeberin im Zuge der Markterkundung ermittelten Produkte würden nicht sämtliche geforderten Kriterien erfüllen, sei unzutreffend. Die gegenständlichen Produkte würden zwar in den Produktdatenblättern nicht mit denselben Begriffen beschrieben werden wie in der Ausschreibung. Inhaltlich ergebe sich jedoch die Übereinstimmung mit den Kriterien der Ausschreibung. Zudem sei die Verfügbarkeit am Markt bzw. die Nützlichkeit oder Wirksamkeit der Produkte kein Prüfungsmaßstab für die Nachprüfung der Ausschreibung. Ob ein Produkt sämtliche Spezifikationen erfülle, sei im Falle der Anfechtung einer Ausscheidung oder Zuschlagsentscheidung zu prüfen.

11       2.2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht das Begehren der Revisionswerberin auf Ersatz der für das mit Antrag vom 17. August 2018 eingeleitete Nachprüfungsverfahren entrichteten Pauschalgebühren ab (Spruchpunkt III.). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

12       In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, der dritte Nachprüfungsantrag sei zur Gänze abgewiesen worden, weshalb für diesen kein Pauschalgebührenersatz zustehe.

13       3. Gegen dieses Erkenntnis und diesen Beschluss richtet sich die - gegen beide Entscheidungen gemeinsam ausgeführte - außerordentliche Revision.

14       4. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

15       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

16       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17       4.1. Die Revision bringt zur Begründung der Zulässigkeit vor, dem Verwaltungsgericht sei zwar insofern beizupflichten, als es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs entspreche, dass es Sache des Auftraggebers sei, die Anforderungen an die Leistung, die er beschaffen wolle, festzulegen. Die angefochtene Entscheidung weiche jedoch insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, als dieser ausgesprochen habe, dass Ausschreibungsunterlagen, die von keinem Bieter erfüllbare Bedingungen enthalten würden, fehlerhaft und daher rechtswidrig seien. In diesem Zusammenhang verweist die Revision auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs vom 28. März 2007, 2005/04/0200, und vom 23. Mai 2007, 2005/04/0103.

18       Die weiteren Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung beziehen sich jeweils auf Verfahrensmängel im Zusammenhang mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den Eigenschaften in den Produktdatenblättern und deren vorgebrachte Übereinstimmung bzw. Abweichung von den Ausschreibungsbedingungen.

19       4.2. Will sich der Revisionswerber mit seinem Vorbringen auf ein Abweichen von der Rechtsprechung berufen, muss er konkret darlegen, in welchen Punkten das angefochtene Erkenntnis von welcher Rechtsprechung abweicht (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa VwGH 12.11.2019, Ra 2019/16/0181, mwN). Es ist konkret darzulegen, in welchen tragenden Erwägungen das Verwaltungsgericht sich von einer bestimmt bezeichneten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/16/0107, mwN).

20       Beruht ein Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, so erweist sich die Revision als unzulässig (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0203, mwN).

21       4.3. In dem von der Revision angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Mai 2007, 2005/04/0103, nimmt dieser zu der Frage der Antragslegitimation eines ausgeschiedenen Bieters Stellung und führt - unter Verweis auf das dieselbe Frage behandelnde und insofern gleichlautende hg. Erkenntnis vom 28. März 2007, 2005/04/0200 - aus:

„Ein selbst nicht ausschreibungs- bzw. vergaberechtskonform agierender Bieter ist somit nicht schützenswert. Anderes wird jedoch zu gelten haben, wenn der Grund, aus dem der Antragsteller für die Zuschlagserteilung nicht in Betracht käme, in einer fehlerhaften Ausschreibung liegt, weil diese etwa (den Antragsteller) diskriminierende oder von keinem Bieter erfüllbare Bedingungen enthält. In diesem Fall muss auch ein auszuscheidender Bieter die Möglichkeit haben, die Ausschreibungsbedingungen - innerhalb der dafür offenstehenden Frist - zu bekämpfen (vgl. zum Ganzen des bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 2005/04/0200).“

22       Mit diesen Ausführungen hat der Verwaltungsgerichtshof keine Aussage zu der Nichtigerklärung einer Ausschreibung oder den Grenzen der Zulässigkeit der Leistungsbestimmung durch den Auftraggeber getroffen, sondern ausschließlich die Frage beantwortet, ob dem ausgeschiedenen Bieter Antragslegitimation für ein Nachprüfungsverfahren betreffend spätere Auftraggeberentscheidungen zukommt.

23       Auch das in den von der Revision angeführten Erkenntnissen zitierte Urteil des EuGH vom 12. Februar 2004, C-230/02 Grossmann Air Service, Bedarfsluftfahrtunternehmen GmbH & Co. KG, behandelte in einem gegen die Zuschlagsentscheidung gerichteten Verfahren die Frage der Antragslegitimation der dortigen Antragstellerin, die dem Auftraggeber vorwarf, in Bezug auf einen Auftrag über unregelmäßige Lufttransportleistungen Anforderungen gestellt zu haben, die nur eine Luftfahrtgesellschaft habe erfüllen können, die regelmäßige Flüge anbiete, was die Zahl der Bewerber, die zur Erbringung der ausgeschriebenen Gesamtleistung in der Lage gewesen seien, verringert habe. Der EuGH führt in diesem Urteil (Rn 28) unter anderem aus, falls ein Unternehmen deshalb kein Angebot gelegt habe, weil es sich durch angeblich diskriminierende Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen oder im Pflichtenheft gerade daran gehindert gesehen habe, die ausgeschriebene Gesamtleistung zu erbringen, sei es berechtigt, ein Nachprüfungsverfahren unmittelbar gegen diese Spezifikationen einzuleiten, noch bevor das Vergabeverfahren für den betreffenden öffentlichen Auftrag abgeschlossen ist.

24       Diese Entscheidung behandelt demnach nicht das von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Argument der anfänglichen Unmöglichkeit eines Leistungsgegenstandes. Vielmehr setzt sich diese mit den Folgen der unterlassenen Antragstellung durch einen von ihm nicht erfüllbaren - und ihn aus diesem Grund im Vergleich zu anderen Mitbewerbern angeblich diskriminierenden - Ausschreibungsbedingungen betroffenen Antragsteller in einem späteren Nachprüfungsverfahren auseinander. Über die Bestandfestigkeit einer Ausschreibung an sich trifft der EuGH dort keinerlei Aussage.

25       Dass die fallbezogene - das Erkenntnis tragende - Begründung des Verwaltungsgerichts, die vorgebrachte mangelnde Lieferbarkeit der ausgeschriebenen Produkte sei nicht Gegenstand der Überprüfung der Ausschreibungsbestimmungen sondern allenfalls im Rahmen der Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung zu überprüfen, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG widerspreche, wird mit dem Hinweis auf diese Judikate von der Revision nicht dargetan, weshalb sich die Revision insgesamt als unzulässig erweist.

26       Auf die übrigen - die Tatsachenfeststellungen zu den laut Markterkundungen laut Vorbringen erhältlichen Produkten und deren Übereinstimmung mit den Ausschreibungsbestimmungen betreffenden Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung - braucht aus diesem Grund hier nicht mehr eingegangen zu werden, da von diesen die Entscheidung über die Revision nicht abhängt.

27       Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. Juni 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62002CJ0230 Grossmann Air Service VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018040181.L00

Im RIS seit

10.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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