Index
E3L E09301000Norm
B-VG Art8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der UAB N in S, vertreten durch die Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 5, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 5. Juli 2018, Zl. RV/2101777/2016, betreffend Zurückweisung der Beschwerde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin ist - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - im internationalen Gütertransport tätig und hat ihren Sitz in Litauen. Für den Streitzeitraum stellte sie betreffend Vorsteuern aus der Betankung und Mautentrichtung beim Finanzamt Graz-Stadt auf elektronischem Wege mehrere „U5AT Erstattungsanträge“, denen zunächst antragsgemäß Folge gegeben wurde.
2 Im Zuge einer durchgeführten Außenprüfung betreffend Umsatzsteuer für den Zeitraum 01/2013 bis 06/2015 stellte die Prüferin fest, dass ein Großteil der beantragten Vorsteuererstattung Kraftfahrzeuge betreffe, die auf der vom Unternehmen vorgelegten Fuhrparkliste nicht aufschienen (Prüfbericht vom 3. Mai 2016). Da folglich nicht nachgewiesen sei, dass die Betankungen und Mautverrechnungen bei diesen Fahrzeugen für das geprüfte Unternehmen erfolgt seien, sei die Vorsteuer für diesen Zeitraum anteilig zu kürzen.
3 Daraufhin nahm das Finanzamt die betroffenen Verfahren wieder auf und erließ für den Zeitraum 01/2013 bis 06/2015 neue Sachentscheidungen, die es der Revisionswerberin am 10. Mai 2016 elektronisch „an deren Ansässigkeitsportal“ übermittelte.
4 Mit 8. Juli 2016 faxte die Revisionswerberin an das Finanzamt ein Schreiben vom 5. Juli 2016 in englischer Sprache. Darin beschwerte sie sich gegen die Kürzung der Vorsteuerbeträge, nahm Bezug auf den Prüfbericht und führte aus, dass sie alle notwendigen Unterlagen bereitstellen werde.
5 Das Finanzamt nahm dieses Schreiben daraufhin als Beschwerde gegen die Sachbescheide in Bearbeitung und ersuchte die Revisionswerberin mit Vorhalt vom 11. August 2016 um Übermittlung der Unterlagen bis zum 26. August 2016.
6 Nach Verstreichen dieser Frist erließ das Finanzamt mit der Begründung, dass nach § 12 Abs. 2 Z 2 lit. b UStG 1994 Lieferungen, sonstige Leistungen oder Einfuhren, die in Zusammenhang mit der Anschaffung (Herstellung), Miete oder dem Betrieb von Personenkraftwagen, Kombinationskraftwagen oder Krafträdern stünden, nicht als für das Unternehmen ausgeführt gälten, abweisende Beschwerdevorentscheidungen, die es am 9. September 2016 wiederum „elektronisch an das Ansässigkeitsportal“ der Revisionswerberin versandte.
7 Am 19. Oktober 2016 meldete sich die Revisionswerberin fernmündlich beim Finanzamt und brachte vor, die Beschwerdevorentscheidungen nicht erhalten zu haben. Die Beschwerdevorentscheidungen für 01/2013 bis 06/2015 wurden ihr daraufhin am selben Tag gefaxt.
8 Mit Schreiben vom 7. November 2016, beim Finanzamt eingelangt am 15. November 2016, brachte die Revisionswerberin durch einen bevollmächtigten Vertreter einen Vorlageantrag ein. Sie brachte darin vor, dass es aufgrund von sprachlichen Problemen zu Missverständnissen gekommen sei, weshalb die Fuhrparkliste nur für die neu eingekauften Fahrzeuge vorgelegt worden sei und nur aus den Zugängen ihrer Fahrzeugflotte bestanden habe. Die Fahrzeugpapiere und Fahrzeuglisten wurden gesondert übermittelt.
9 Im Vorlagebericht vom 9. Dezember 2016 an das BFG wies das Finanzamt darauf hin, dass mangels Fristverlängerungsanträge die Beschwerdefrist gegen die angefochtenen Bescheide ursprünglich schon abgelaufen sei.
10 Der Revisionswerberin wurde daraufhin seitens des BFG der Umstand der nach der Aktenlage als verspätet zu wertenden Einbringung mit Vorhalt vom 23. Mai 2018 mit Zustellnachweis vorgehalten und ausgeführt, dass bei Nichtvorlage entsprechender gegenteiliger Nachweise innerhalb der gesetzten Frist nach der Aktenlage die Beschwerde zurückgewiesen werde. Dazu erfolgte seitens der Revisionswerberin innerhalb der gesetzten Frist keine Antwort.
11 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das BFG die Beschwerde vom 5. Juli 2016 und dem Vorlageantrag vom 7. November 2016 als verspätet zurück. Begründend führte es aus, auf elektronisch zugestellten Abgabenbescheiden sei am Dokumentenende die Amtssignatur im Sinn des § 19 E-Government-Gesetz als Signaturblock abgedruckt. In der Zeile „Datum/Zeit“ erfolgten präzise Angaben, welche - wie dem Gericht durch eine generelle Auskunft des Bundesministeriums für Finanzen bekannt - folgende Bedeutung hätten: Der „Zeitstempel“ gebe den Zeitpunkt der Erstellung der elektronischen Signatur an. Er sei bei den Sachbescheiden mit 2016-05-10 T00:02:16 angegeben (bzw. mit einigen Sekunden Unterschied je nach Bescheid), sei also (zB beim Bescheid 1-3/2013) am 10.05.2016 um 00:02 Uhr und 16 Sekunden; „+02:00“ bedeute dabei GMT plus 2, also „österreichische Sommerzeit“. Diese Angabe habe im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung, relevant sei die Angabe der „Ortszeit“ (im Bescheid also die Angabe „T00:02:16“).
12 Im gegenständlichen Fall sei der im „Zeitstempel“ angegebene Tag - also der 10. Mai 2016 - als jener Tag anzusehen, an welchem der Bescheid elektronisch an das Ansässigkeitsportal der Revisionswerberin zugestellt worden sei. Die (nochmalige) Übermittlung der Bescheide seitens des Finanzamtes aufgrund der späteren Anfrage der Revisionswerberin habe bloß Servicecharakter gehabt und die Rechtsmittelfrist nicht noch einmal ausgelöst.
13 Aus der Aktenlage ergebe sich, dass die angefochtenen Sachbescheide am 10. Mai 2016 (Erstbescheide) bzw. am 9. September 2016 (Beschwerdevorentscheidungen) elektronisch an das Ansässigkeitsportal der Revisionswerberin zugestellt worden seien. Das Finanzamt führe im Vorlagebericht aus, dass sowohl die Beschwerde als auch der Vorlageantrag verspätet eingebracht worden seien. Gegen diese Feststellung habe die Revisionswerberin im weiteren Verfahren nicht Stellung genommen oder Gegenteiliges bzw. Nachweise vorgebracht. Der zugestellte Vorlagebericht habe ebenso Vorhaltscharakter wie eine Beschwerdevorentscheidung (Hinweis VwGH 31.5.2011, 2008/15/0288, mwN). Wenn die Revisionswerberin darauf nicht eingehe, sei von der Richtigkeit dieser Feststellungen auszugehen, wenn die Aktenlage dem nicht entgegenstehe. Ebensowenig habe die Revisionswerberin zum diesbezüglichen Vorhalt des BFG Stellung bezogen und die rechtzeitige Einbringung der Rechtsmittel nachgewiesen.
14 Die gegenständlichen Bescheide seien nach der Aktenlage sohin an das Ansässigkeitsportal der Revisionswerberin zugestellt worden. Auch der Annahme des Finanzamtes, dass eine Zustellung dieser Bescheide in weiterer Folge zeitnahe durch den Ansässigkeitsstaat an die Revisionswerberin erfolgt sei, sei die Revisionswerberin trotz Vorhalts nicht entgegen getreten. Es sei demnach davon auszugehen, dass entweder eine elektronische Zustellung unmittelbar an die Revisionswerberin (Erstbescheide 10. Mai 2016; Beschwerdevorentscheidungen 9. September 2016) erfolgt oder eine postalische Zustellung spätestens innerhalb einer Woche und damit spätestens mit 17. Mai 2016 bzw. 16. September 2016 erfolgt sei.
15 Die eingebrachten Rechtsmittel Beschwerde und Vorlageantrag erwiesen sich daher als verspätet, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 245 Abs. 1 BAO bzw. § 264 Abs. 1 BAO beim Finanzamt eingelangt seien. Da von einer Zustellung der Sachbescheide spätestens mit 17. Mai 2016 und der Beschwerdevorentscheidungen mit 16. September 2016 auszugehen sei, sei die Beschwerde vom 5. Juli 2016 sowie der gegenständliche Vorlageantrag vom 7. November 2016 als weit nach der Einmonatsfrist eingebracht zu werten.
16 Die Revision ließ das BFG nicht zu, weil die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels und die Rechtsfolgen bei Versäumung dieser Frist sich unmittelbar aus dem Gesetz ergäben und die Frage der Rechtzeitigkeit einer übermittelten Beschwerde bzw. eines Vorlageantrags eine Sachverhaltsfrage sei, die nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beantworten und als solche einer Revision nicht zugänglich sei.
17 Gegen diese Entscheidung erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Dezember 2018, E 3416/2018-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
18 Die Revisionswerberin erhob sodann außerordentliche Revision. Zu deren Zulässigkeit bringt die Revisionswerberin vor, der Verwaltungsgerichtshof habe sich bislang noch nicht mit der Frage befasst, ob bei Zustellungen im Ausland (konkret in Litauen) - sei es elektronisch, sei es postalisch - die zuzustellenden Dokumente in die Sprache des Empfängers (hier: ins Litauische) übersetzt werden müssten. In den dem bekämpften Beschluss zugrunde liegenden Verfahren (sowohl vor dem Finanzamt als auch vor dem BFG) seien sämtliche zuzustellenden Dokumente stets ausschließlich in deutscher Sprache übermittelt worden, obwohl die Revisionswerberin wiederholt darauf hingewiesen habe, dass sie der deutschen Sprache nicht mächtig sei und den Inhalt der betreffenden Dokumente nicht verstehe. Insbesondere das Finanzamt habe sich hinsichtlich der Zustellung lediglich auf die Bestimmung des § 3 Abs. 3 der VO BGBl. 279/1995 gestützt, wonach Bescheide im Erstattungsverfahren elektronisch, über das in dem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer ansässig sei, eingerichtete elektronische Portal oder mit E-Mail zugestellt werden könnten.
19 Gemäß § 11 ZustG (iVm § 98 BAO) hätten die zuzustellenden Dokumente jedoch (in Ermangelung bestehender internationaler Verträge zwischen der Republik Österreich und der Republik Litauen) sowohl gemäß den innerstaatlichen Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften der Republik Litauen als auch nach internationaler Übung in die litauische Sprache übersetzt werden müssen. Da dies nicht erfolgt sei, liege ein Zustellmangel vor, und seien auch keine Rechtsmittelfristen in Lauf gesetzt worden (§ 93 Abs. 4 BAO iVm Art 47 GRC). Schon aus diesem Grund hätte weder die dem bekämpften Beschluss zugrundeliegende Beschwerde vom 5. Juli 2016 noch der Vorlageantrag vom 7. November 2016 als verspätet zurückgewiesen werden dürfen. Hätten sowohl das Finanzamt als auch das BFG die der Revisionswerberin übermittelten Dokumente (auch) in ihrer Landessprache übermittelt, hätte sie den Aufträgen bzw. Vorhalten des Finanzamts sowie des BFG innerhalb der von diesen jeweils gesetzten Fristen entsprechen können und Rechtsmittel innerhalb der dann tatsächlich ausgelösten Fristen gegen die verfahrensgegenständlichen Entscheidungen erheben können.
20 Gemäß § 11 ZustG (iVm § 98 BAO) hätten sowohl das Finanzamt im administrativen Abgabenverfahren als auch das BFG im Beschwerdeverfahren zudem schon vor einer allfälligen Zustellung, in einem ersten Schritt, ermitteln müssen, ob die Zustellung 1. auf Grundlage bestehender internationaler Verträge, 2. allenfalls nach den Gesetzen oder sonstigen Rechtsvorschriften des Staates, in dem zugestellt werden soll, oder 3. nach internationaler Übung auch einer Übersetzung der zuzustellenden Dokumente in die Sprache des Empfängers (hier: der Revisionswerberin, also Litauisch) bedürfe. Solche Ermittlungen habe weder das Finanzamt noch das BFG geführt, weshalb der Beschluss auch schon aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet sei.
21 Die Lösung dieser Rechtsfragen sei auch über den Einzelfall hinaus von Relevanz, zumal alle nicht im Inland ansässigen (insbesondere aber litauische) Unternehmer, die in Österreich Verfahren zur Erstattung der abziehbaren Vorsteuerbeträge führten, davon gleichermaßen betroffen seien.
22 Darüber hinaus sei das BFG auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Dieser führe in ständiger Rechtsprechung zu § 11 ZustG nämlich aus, dass das Verwaltungsgericht (ebenso wie das Finanzamt) vorweg hätte klären müssen, welche zustellrechtlichen Regelungen für den Fall der Zustellung eines in deutscher Sprache abgefassten behördlichen Schriftstücks einer österreichischen Behörde oder eines österreichischen Verwaltungsgerichts im jeweiligen Zustellstaat gälten. Zudem wäre allenfalls auch zu erforschen gewesen, ob im Sinne dieser Bestimmung bei der Zustellung von verwaltungsbehördlichen Bescheiden oder eines verwaltungsgerichtlichen Beschlusses oder Vorhalts von einer internationalen Übung ausgegangen werden könne (Hinweis auf VwGH 29.2.2008, 2007/02/0315; sowie 20.1.2015, Ro 2014/09/0059). Indem das BFG (wie zuvor schon das Finanzamt) im Beschwerdeverfahren dazu keinerlei Ermittlungen geführt habe, obwohl die Revisionswerberin wiederholt darauf hingewiesen habe, dass sie der deutschen Sprache nicht mächtig sei, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen.
23 Der Verwaltungsgerichtshof leitete gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren ein, woraufhin das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung erstattete.
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
25 Die Revision ist zulässig und begründet.
26 Das Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige ist mit der RL 2008/9/EG innerhalb der Europäischen Union einheitlich geregelt worden. Die darin getroffenen verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen wurden vor dem Hintergrund erlassen, dass „sowohl die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten als auch Unternehmen ... erhebliche Probleme“ mit dem bisherigen Erstattungsverfahren hatten, weshalb das Verfahren „vereinfacht und durch den Einsatz fortschrittlicher Technologien modernisiert werden“ sollte (Erwägungsgründe 1 und 2 der RL).
27 Die RL 2008/9/EG enthält dazu u.a. folgende Vorgaben (Hervorhebungen hinzugefügt):
„Artikel 7
Um eine Erstattung von Mehrwertsteuer im Mitgliedstaat der Erstattung zu erhalten, muss der nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Steuerpflichtige einen elektronischen Erstattungsantrag an diesen Mitgliedstaat richten und diesen in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, über das von letzterem Mitgliedstaat eingerichtete elektronische Portal einreichen.
Artikel 8
(1) Der Erstattungsantrag muss die folgenden Angaben enthalten:
a) Name und vollständige Anschrift des Antragstellers;
b) eine Adresse für die elektronische Kommunikation; [...]
Artikel 10
Unbeschadet der Informationsersuchen gemäß Artikel 20 kann der Mitgliedstaat der Erstattung verlangen, dass der Antragsteller zusammen mit dem Erstattungsantrag auf elektronischem Wege eine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments einreicht, falls sich die Steuerbemessungsgrundlage auf einer Rechnung oder einem Einfuhrdokument auf mindestens 1 000 EUR oder den Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung beläuft. Betrifft die Rechnung Kraftstoff, so ist dieser Schwellenwert 250 EUR oder der Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung.
Artikel 11
Der Mitgliedstaat der Erstattung kann vom Antragsteller verlangen, eine Beschreibung seiner Geschäftstätigkeit anhand der harmonisierten Codes vorzulegen, die gemäß Artikel 34a Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates (1) bestimmt werden.
Artikel 12
Der Mitgliedstaat der Erstattung kann angeben, in welcher Sprache oder welchen Sprachen die Angaben in dem Erstattungsantrag oder andere zusätzliche Angaben von dem Antragsteller vorgelegt werden müssen.
Artikel 18
(1) Der Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller ansässig ist, übermittelt dem Mitgliedstaat der Erstattung den Erstattungsantrag nicht, wenn der Antragsteller im Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, im Erstattungszeitraum
a) für Zwecke der Mehrwertsteuer kein Steuerpflichtiger ist;
b) nur Gegenstände liefert oder Dienstleistungen erbringt, die gemäß den Artikeln 132, 135, 136 und 371, den Artikeln 374 bis 377, Artikel 378 Absatz 2 Buchstabe a, Artikel 379 Absatz 2 oder den Artikeln 380 bis 390 der Richtlinie 2006/112/EG oder den inhaltsgleichen Befreiungsvorschriften gemäß der Beitrittsakte von 2005 ohne Recht auf Vorsteuerabzug von der Steuer befreit sind;
c) die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen nach den Artikeln 284, 285, 286 und 287 der Richtlinie 2006/112/EG in Anspruch nimmt;
d) die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger nach den Artikeln 296 bis 305 der Richtlinie 2006/112/EG in Anspruch nimmt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem der Antragsteller ansässig ist, teilt dem Antragsteller seine Entscheidung gemäß Absatz 1 auf elektronischem Wege mit.
Artikel 19
(1) Der Mitgliedstaat der Erstattung setzt den Antragsteller auf elektronischem Wege unverzüglich vom Datum des Eingangs des Antrags beim Mitgliedstaat der Erstattung in Kenntnis.
(2) Der Mitgliedstaat der Erstattung teilt dem Antragsteller innerhalb von vier Monaten ab Eingang des Erstattungsantrags in diesem Mitgliedstaat mit, ob er die Erstattung gewährt oder den Erstattungsantrag abweist.
Artikel 20
(1) Ist der Mitgliedstaat der Erstattung der Auffassung, dass er nicht über alle relevanten Informationen für die Entscheidung über eine vollständige oder teilweise Erstattung verfügt, kann er insbesondere beim Antragsteller oder bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller ansässig ist, innerhalb des in Artikel 19 Absatz 2 genannten Viermonatszeitraums elektronisch zusätzliche Informationen anfordern.
Werden die zusätzlichen Informationen bei einer anderen Person als dem Antragsteller oder der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats angefordert, soll das Ersuchen nur auf elektronischem Wege ergehen, wenn der Empfänger des Ersuchens über solche Mittel verfügt.
Gegebenenfalls kann der Mitgliedstaat der Erstattung weitere zusätzliche Informationen anfordern.
Die gemäß diesem Absatz angeforderten Informationen können die Einreichung des Originals oder eine Durchschrift der einschlägigen Rechnung oder des einschlägigen Einfuhrdokuments umfassen, wenn der Mitgliedstaat der Erstattung begründete Zweifel am Bestehen einer bestimmten Forderung hat. In diesem Fall gelten die in Artikel 10 genannten Schwellenwerte nicht.
(2) Die gemäß Absatz 1 angeforderten Informationen sind dem Mitgliedstaat der Erstattung innerhalb eines Monats ab Eingang des Informationsersuchens bei dessen Adressaten vorzulegen.
Artikel 23
(1) Wird der Erstattungsantrag ganz oder teilweise abgewiesen, so teilt der Mitgliedstaat der Erstattung dem Antragsteller gleichzeitig mit seiner Entscheidung die Gründe für die Ablehnung mit.
(2) Der Antragsteller kann bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats der Erstattung Einspruch gegen eine Entscheidung, einen Erstattungsantrag abzuweisen, einlegen, und zwar in den Formen und binnen der Fristen, die für Einsprüche bei Erstattungsanträgen der in diesem Mitgliedstaat ansässigen Personen vorgesehen sind.
Wenn nach dem Recht des Mitgliedstaates der Erstattung das Versäumnis, innerhalb der in dieser Richtlinie festgelegten Fristen eine Entscheidung über den Erstattungsantrag zu treffen, weder als Zustimmung noch als Ablehnung betrachtet wird, müssen jegliche Verwaltungs- oder Rechtsverfahren, die in dieser Situation Steuerpflichtigen, die in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, zugänglich sind, entsprechend für den Antragsteller zugänglich sein. Gibt es solche Verfahren nicht, so gilt das Versäumnis, innerhalb der festgelegten Frist eine Entscheidung über den Erstattungsantrag zu treffen, als Ablehnung des Antrags.“
28 In Umsetzung dieser Richtlinie räumt § 21 Abs. 9 UStG 1994 auf österreichischer Seite dem Bundesminister für Finanzen eine Verordnungsermächtigung zur Regelung des Erstattungsverfahrens in Österreich für nicht im Inland ansässige Unternehmer ein:
„(9) Der Bundesminister für Finanzen kann bei nicht im Inland ansässigen Unternehmern, das sind solche, die im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte haben, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuern abweichend von den Abs. 1 bis 5 sowie den §§ 12 und 20 regeln. Bei nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern kann weiters bestimmt werden, dass bestimmte Vorsteuerbeträge von der Erstattung ausgeschlossen sind. In der Verordnung kann festgelegt werden:
- ein besonderes Verfahren für die Vorsteuererstattung,
- ein Mindestbetrag, ab dem eine Vorsteuererstattung erfolgt,
- innerhalb welcher Frist der Erstattungsantrag zu stellen ist,
- dass der Bescheid über die Erstattung der Vorsteuerbeträge elektronisch zugestellt wird,
- wie und in welchem Umfang der zu erstattende Betrag zu verzinsen oder zu vergebühren ist.
Vorsteuern im Zusammenhang mit Umsätzen eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers sind nur erstattungsfähig, wenn die Umsätze in dem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer ansässig ist, ein Recht auf Vorsteuerabzug begründen. Einem Unternehmer, der im Gemeinschaftsgebiet ansässig ist und Umsätze ausführt, die zum Teil den Vorsteuerabzug ausschließen, wird die Vorsteuer höchstens in der Höhe erstattet, in der er in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, zum Vorsteuerabzug berechtigt wäre.“
29 Der spiegelbildliche „Antrag auf Erstattung von Vorsteuerbeträgen in einem anderen Mitgliedstaat“ seitens im Inland ansässiger Unternehmen wird in § 21 Abs. 11 UStG 1994 folgendermaßen geregelt:
„Ein im Inland ansässiger Unternehmer, der einen Antrag auf Erstattung von Vorsteuerbeträgen - entsprechend der Richtlinie 2008/9/EG zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige, ABl. Nr. L 44 vom 20.02.2008 S. 23 - in einem anderen Mitgliedstaat stellt, hat diesen Antrag elektronisch zu übermitteln. Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, den Inhalt und das Verfahren der elektronischen Übermittlung des Erstattungsantrages mit Verordnung festzulegen. Im Antrag ist die Steuer für den Erstattungszeitraum selbst zu berechnen. Enthält der Antrag nicht die in den Art. 8, 9 und 11 der im ersten Satz genannten Richtlinie festgelegten Angaben, so ist er ungeachtet einer allfälligen tatsächlichen Übermittlung unbeachtlich. Der Antrag wird nicht an den Mitgliedstaat der Erstattung weitergeleitet, wenn die in Art. 18 der im ersten Satz genannten Richtlinie festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Zustellungen im Zusammenhang mit der Erstattung von Vorsteuerbeträgen in einem anderen Mitgliedstaat haben unabhängig vom Vorliegen einer Zustimmung im Sinne des § 97 Abs. 3 BAO elektronisch zu erfolgen.“
30 Auf der Grundlage von § 21 Abs. 9 UStG 1994 hat der Bundesminister für Finanzen schließlich in § 3 seiner „Verordnung, mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmer geschaffen wird“ (idF ErstattungsVO) folgende nähere Regelung für Vorsteuererstattungsanträge, die nach dem 31. Dezember 2009 gestellt werden, getroffen:
„Erstattungsverfahren für im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer
(1) Der im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer hat den Erstattungsantrag auf elektronischem Weg über das in dem Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, eingerichtete elektronische Portal zu übermitteln. Der Antrag ist binnen neun Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Erstattungsanspruch entstanden ist. In dem Antrag hat der Unternehmer den zu erstattenden Betrag selbst zu berechnen. Der Erstattungsantrag gilt nur dann als vorgelegt, wenn er alle in den Art. 8, 9 und 11 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. Nr. L 44 S. 23) festgelegten Angaben enthält. Die Abgabenbehörde kann zusätzliche Informationen anfordern, welche auch die Einreichung des Originals oder einer Durchschrift der Rechnung oder des Einfuhrdokumentes umfassen können. Diese Anforderung kann auch mit E-Mail erfolgen. Die Zustellung des E-Mails gilt mit dessen Absendung als bewirkt, ausgenommen der Antragsteller weist nach, dass ihm das E-Mail nicht zugestellt worden ist.
(1a) Abweichend von Abs. 1 zweiter Satz sind Erstattungsanträge, die Erstattungszeiträume des Jahres 2009 betreffen, spätestens bis 31. März 2011 zu stellen.
(2) Der zu erstattende Betrag muss mindestens 400 Euro betragen. Das gilt nicht, wenn der Erstattungszeitraum das Kalenderjahr oder der letzte Zeitraum eines Kalenderjahres ist. Für diese Erstattungszeiträume muss der zu erstattende Betrag mindestens 50 Euro betragen.
(3) Bescheide im Erstattungsverfahren können elektronisch, über das in dem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer ansässig ist, eingerichtete elektronische Portal, zugestellt werden. Die Zustellung kann auch mit E-Mail erfolgen. Abs. 1 letzter Satz gilt entsprechend.
(4) Für den zu erstattenden Betrag ist bei Fristversäumnis nach Maßgabe der Abs. 5 bis 11 eine Säumnisabgeltung festzusetzen. [...]“
31 Aus der geschilderten Rechtslage ergibt sich, dass auf österreichischer Seite auf Grundlage des § 21 Abs. 9 Teilstrich 4 UStG 1994 durch § 3 Abs. 3 ErstattungsVO die Form der Zustellung für Bescheide im Erstattungsverfahren derart geregelt ist, dass diese Bescheide auch „elektronisch, über das in dem Mitgliedstaat, in dem der Unternehmer ansässig ist, eingerichtete elektronische Portal, zugestellt werden“ [können]. Alternativ wird zudem die Zustellung „mit E-Mail“ erlaubt, wobei „die Zustellung des E-Mails ... mit dessen Absendung als bewirkt [gilt], ausgenommen der Antragsteller weist nach, dass ihm das E-Mail nicht zugestellt worden ist.“
32 Diese Regelung entspricht der RL 2008/9/EG, die in Art. 7 lediglich für den Erstattungsantrag eine Einreichung über das elektronische Portal des Ansässigkeitsstaates verlangt, in dem nach Art. 8 Abs. 1 lit. b RL 2008/9/EG auch eine „Adresse für die elektronische Kommunikation“ angegeben sein muss. Für die weitere Kommunikation mit dem Antragsteller legt die RL 2008/9/EG in der Folge nur mehr fest, dass diese „auf elektronischem Wege“ zu erfolgen habe (vgl. etwa Art. 10 oder Art. 19 Abs. 1 RL 2008/9/EG).
33 Dass für die Einbringung des Erstattungsantrags und für dessen darauf folgende Bearbeitung unterschiedliche elektronische Kommunikationswege vorgesehen sind und nur erstere unter zwingender Einbindung des Ansässigkeitsstaates über dessen elektronisches Portal erfolgen muss, erklärt sich vor dem Hintergrund des Art. 18 der RL 2008/9/EG. Nach dieser Bestimmung kommt dem Ansässigkeitsstaat nämlich eine Vorprüfungspflicht für Erstattungsanträge zu. Werden von einem Erstattungswerber im Erstattungszeitraum die in Art. 18 der RL 2008/9/EG niedergelegten Voraussetzungen nicht erfüllt (wie etwa die Eigenschaft als „Steuerpflichtiger“ für Zwecke der Mehrwertsteuer oder die Nichtinanspruchnahme der Kleinunternehmerbefreiung), übermittelt der Ansässigkeitsstaat den Erstattungsantrag von Vornherein nicht an den Erstattungsstaat.
34 Art. 12 der RL 2008/9/EG schreibt auch fest, dass der Mitgliedsstaat der Erstattung festlegt, in welcher Sprache oder welchen Sprachen das Erstattungsverfahren zu führen ist. Dies ist in Österreich in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelung die Amtssprache Deutsch (Art. 8 Abs. 1 B-VG).
35 Nach den Feststellungen des BFG wurden die gegenständlichen Bescheide jeweils „an das Ansässigkeitsportal der Revisionswerberin“ elektronisch zugestellt.
36 Dies entspricht § 3 Abs. 3 ErstattungsVO, der allerdings - anders als für Zustellungen durch E-Mail - keine gesetzliche Vermutung darüber enthält, wann bei Zustellungen über das Ansässigkeitsportal die Zustellung in Litauen als bewirkt gilt.
37 In der Revisionsbeantwortung bringt das Finanzamt dazu vor, dass Österreich „der Finanzverwaltung des Ansässigkeitsstaates“ seine Entscheidung „auf demselben elektronischen Weg“ übermittle, wie es den Antrag übermittelt erhalten habe. Über die Art der Zustellung der rückübermittelten Erledigung an die Antragstellerin (über das elektronische Portal oder in Papierform) entscheide der Ansässigkeitsstaat. Jene Unternehmer, deren Ansässigkeitsstaaten es ablehnten, die Bescheide der österreichischen Finanzverwaltung zuzustellen, erhielten den Bescheid direkt an die im Erstattungsantrag angegebene E-Mail-Adresse zugestellt.
38 Damit räumt aber auch das Finanzamt ein, dass bei der revisionsgegenständlichen Übermittlung der Entscheidung über das elektronische Ansässigkeitsportal mit dieser nicht zwingend ein automatischer Zugang der Erledigung an den Empfänger verbunden ist, sondern der Abschluss der Zustellung an den Empfänger vom Ansässigkeitsstaat abhängt, wozu im angefochtenen Erkenntnis jedoch keinerlei Feststellungen getroffen wurden.
39 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 25. Juni 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019150026.L00Im RIS seit
10.08.2020Zuletzt aktualisiert am
10.08.2020