Index
24/01 StrafgesetzbuchNorm
StGB §127Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der A H in P, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2019, Zl. W200 2213360-1/3E, betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde, in Bestätigung des Bescheides der belangten Behörde vom 3. Jänner 2019, der Antrag der Revisionswerberin auf Gewährung von Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) abgewiesen. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
2 In der Begründung verwies das Verwaltungsgericht zunächst auf den Antrag der Revisionswerberin vom 1. Oktober 2018 betreffend Gewährung von Heilfürsorge (v.a. psychotherapeutische Krankenbehandlung) und den Ersatz eines Sachschadens (Brille), den sie mit dem Vorfall vom 8. August 2018 begründet habe.
3 Nach den Feststellungen sei die Revisionswerberin an diesem Tag auf einer Treppe Richtung Stadtplatz der Gemeinde M. unterwegs gewesen, als ihr von einem unbekannten Mann mit ausgebreiteten Armen und mit den Worten „Geldtasche her“ der Weg versperrt worden sei. Die Revisionswerberin habe daraufhin zu schreien begonnen, sich umgedreht und sei die letzten fünf Stufen der Treppe hinunter gesprungen, wobei sie zu Sturz gekommen sei (und sich dabei verletzt habe bzw. ihre Brille gebrochen sei). Der unbekannte Mann habe ohne Beute die Flucht ergriffen, zu einer körperlichen Berührung zwischen ihm und der Revisionswerberin sei es nicht gekommen.
4 In der rechtlichen Beurteilung verneinte das Verwaltungsgericht die Anspruchsvoraussetzung des von ihm zitierten § 1 Abs. 1 Z 1 VOG, der die Wahrscheinlichkeit der Herbeiführung der Gesundheitsschädigung durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung verlange. Die Revisionswerberin sei nämlich aus folgendem Grund „kein Opfer einer mit mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung“:
5 Wie bereits die belangte Behörde zutreffend ausgeführt habe, handle es sich gegenständlich nicht um einen Raub(versuch) gemäß § 142 StGB, weil dieser nach der Rechtsprechung als Tatmittel Gewalt gegen eine Person oder eine qualifizierte Drohung, die mit „gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ verbunden sei, voraussetze, was bei einem „bedrohlichen Hinstellen“ zur „Einschüchterung“ des Tatopfers nicht gegeben sei (Hinweis auf OGH 10.10.2006, 14 Os 103/06p). Eine gegen das Rechtsgut der Freiheit gerichtete Androhung der Entführung reiche nicht aus (Hinweis auf OGH 9.10.2012, 11 Os 110/12d).
6 Da gegenständlich angesichts des Bereicherungsvorsatzes (und näher zitierter Literatur) auch nicht von einer Nötigung auszugehen sei und der fallbezogen verbleibende Diebstahl (§ 127 StGB) wegen seiner Strafdrohung für die Hilfeleistung gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 VOG nicht ausreiche, sei der Antrag abzuweisen gewesen.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. aus vielen die Beschlüsse VwGH 23.3.2017, Ra 2017/11/0014, und VwGH 1.9.2017, Ra 2017/11/0225, jeweils mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 14.10.2019, Ra 2019/11/0157, mwN).
11 Das Verbrechensopfergesetz, BGBl. Nr. 288/1972 idF BGBl. I Nr. 100/2018 (VOG), lautet auszugsweise:
„§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
...
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist ....“
12 § 142 Strafgesetzbuch lautet:
„Raub
§ 142. (1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegnimmt oder abnötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“
13 Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, das Verwaltungsgericht habe das Urteil des OGH vom 25. Juni 1994, 5 Ob 527/94 ignoriert, wonach für den Anspruch auf eine Leistung nach dem VOG bereits die „Wahrscheinlichkeit“ der Gesundheitsschädigung durch eine Straftat iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG ausreiche. Angesichts der bedrohlichen Geste des Täters habe sie „mit einer bevorstehenden Gewaltanwendung“ rechnen müssen; es sei für sie in keiner Weise erkennbar gewesen, dass es der Täter bloß auf eine Freiheitseinschränkung oder einen „einfachen Diebstahl“ angelegt habe.
14 Dem ist zu entgegnen, dass das Verwaltungsgericht - wie dargelegt - sehr wohl davon ausgegangen ist, es genüge für die Hilfeleistung gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 VOG, dass eine rechtswidrige und vorsätzliche Handlung im Sinne dieser Bestimmung mit Wahrscheinlichkeit Ursache für die Gesundheitsschädigung der Revisionswerberin gewesen sei (vgl. in diesem Sinne auch VwGH 21.11.2013, 2011/11/0205 mwN). Hinsichtlich des Tatgeschehens ist das Verwaltungsgericht den Angaben der Revisionswerberin ohnedies gefolgt.
15 Das Verwaltungsgericht hat aber (aus rechtlicher Sicht) ausgeschlossen, dass die Revisionswerberin Opfer einer rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG geworden sei, weil das von ihr angegebene und vom Verwaltungsgericht festgestellte Täterverhalten die in der Beschwerde (und nunmehr auch in der Revision) behauptete Qualifikation als Raub (der die nach der letztgenannten Bestimmung erforderliche Strafdrohung von mehr als sechs Monaten aufweist) nicht zulasse.
16 Diese fallbezogene Beurteilung des Verwaltungsgerichts stellt vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl. das erwähnte Urteil 14 Os 103/06p), nach welcher der Raub gemäß § 142 StGB Gewalt gegen eine Person oder eine qualifizierte Drohung, die mit „gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ verbunden ist, und nicht (bloß) das „bedrohliche Hinstellen zur Einschüchterung“ des Opfers voraussetzt, eine jedenfalls vertretbare Rechtsansicht dar, hat doch nach den Feststellungen der Täter mit ausgebreiteten Armen der Revisionswerberin (ohne diese zu berühren) lediglich den Weg versperrt.
17 Wenn die Revisionswerberin dazu in der Zulässigkeitsbegründung weiter geltend macht, sie habe dennoch mit einer bevorstehenden Gewaltanwendung rechnen müssen, so ist ihr zu entgegnen, dass diese Frage nach einem objektiv-individuellen Maßstab zu beurteilen ist (OGH 27.6.2016, 15 Os 52/16k). Das Verwaltungsgericht, das mangels objektiver Anhaltspunkte eine Drohung - mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben - verneint hat, bewegt sich somit innerhalb der aufgezeigten Judikaturlinie.
18 In der Zulässigkeitsbegründung werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 29. Juni 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110058.L00Im RIS seit
10.08.2020Zuletzt aktualisiert am
10.08.2020